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Wenig bekannte Darm Lungen-Achse

Die Darmmikrobiota kann die Immunreaktionen innerhalb des Atemtrakts beeinflussen

Foto: © MedUni Wien, Felicitas Matern

Autorin: Assoz. Prof.in DDr.in Eva Untersmayr-Elsenhuber

FÄ für Klinische Immuno- logie, Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung, MedUni Wien, Ö. Ges. f. Allergologie und Immunologie

Im Vergleich zu den gut untersuchten Interaktionen des Darms mit Leber und Gehirn ist noch weitaus weniger über den ebenso essenziellen Einfluss der Darmgesundheit auf respiratorische Erkrankungen bekannt. Neueste Forschungsergebnisse zeigen die enge Zusammenarbeit der beiden Organe auf und belegen die reziproke Interaktion.

Ausgewogene Immunantwort

Während die Lunge für die Oxygenierung jeder einzelnen Körperzelle entscheidend ist, erfolgt die Energieversorgung dieses lebenswichtigen Organs durch die über den Darm aufgenommenen Nährstoffe. Abgesehen davon ist die Zusammenarbeit zwischen den beiden Organsystemen kaum offensichtlich. Jedoch weiß man heute, dass beide Organe interagieren und einander in Gesundheit und Krankheit beeinflussen. Die Darm-Lungen-Achse wird vor allem durch die Zusammensetzung der Mikroorganismen in Darm und Lunge, die von der Mikrobiota produzierten Stoffwechselprodukte sowie durch das lokale und systemische Immunsystem beeinflusst. Insbesondere die Interaktion der gesunden Mikrobiota und ihrer Stoffwechselprodukte mit den Immunzellen ist wichtig für die Aufrechterhaltung einer ausgewogenen Immunantwort. Der Begriff Mikrobiota bezeichnet alle Mikroorganismen, die in unserem Körper sowie auf seinen Oberflächen leben, und umfasst Bakterien, Pilze, Viren, Protozoen und Archaeen. Im Unterschied zu früheren Hochrechnungen, die zeigten, dass zehnmal mehr bakterielle als menschliche Zellen in unserem Körper vorhanden sind, geht man heute davon aus, dass sich je nach Alter, Geschlecht und körperlicher Konstitution 1,3- bis 2,3-mal mehr bakterielle Zellen im und am menschlichen Organismus befinden als menschliche Zellen. Darüber hinaus gibt es Schätzungen, wonach das menschliche Virom die Bakterienanzahl um das Zehnfache übersteigen könnte.

Autorin: Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Monika Ferlitsch

FÄ für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie, Uniklinik für Innere Medizin III, MedUni Wien, Leiterin Qualitätszertifikat Darmkrebsvorsorge

Dysbiosen der Atemwege

Die Mikrobiotazusammensetzung ist ausgesprochen organ- und personenspezifisch. Daher lässt sich trotz intensiver Forschung derzeit keine universell gültige „gesunde“ Zusammensetzung der Mikroorganismen definieren. Die Darmmikrobiota wird von zwei bakteriellen Phyla dominiert, den Bacteroidetes und den Firmicutes. Außerdem können die Phyla Actinobacteria, Verrucomicrobia und Proteobacteria nachgewiesen werden. Während die Lunge >

früher als sterile Umgebung galt, weiß man heute, dass die mikrobielle Besiedlung der Lunge mit jener aller anderen inneren und äußeren Körperoberflächen einhergeht. In den Atemwegen führen lokale, physikalische und chemische Eigenschaften zur Bildung spezifischer mikrobieller Gemeinschaften. In den oberen Atemwegen befinden sich hauptsächlich die Phyla Firmicutes, Actinobacteria, Bacteroidetes, Proteobacteria und Fusobacteria. Bacteroidetes sind das häufigste Phylum im unteren Respirationstrakt, gefolgt von Firmicutes, Proteobacteria, Fusobacteria und Actinobacteria. Außerdem spielt das Mykobiom mit Aspergillus, Cladosporium und Penicillium eine wichtige Rolle. Aufgrund der mukoziliären Clearance und der Abwehr durch das Immunsystem sind Mikroben in den unteren Atemwegen weniger zahlreich vertreten als in den oberen Atemwegen. Durch ständige Einwanderung und Ausscheidung wird ein Gleichgewicht erreicht. Ist die Clearance jedoch beeinträchtigt, steigt die Zahl der Mikroben an und es kommt zu einer Dysbiose, die den Wirt anfälliger für Krankheiten macht. Angesichts der weltweit zunehmenden Prävalenz ist es wesentlich, Risikofaktoren für die Entstehung von respiratorischen Erkrankungen zu definieren. Es wird davon ausgegangen, dass Asthma im Kindesalter durch eine Kombination von genetischen Faktoren und Umweltfaktoren – beispielsweise von früheren akuten respiratorischen Infekten – ausgelöst wird. Die genauen Mechanismen sind jedoch nach wie vor nicht vollständig geklärt. Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Mikrobiota der Atemwege zur Manifestation und zum Schweregrad eines allergischen Asthmas beiträgt. Bacteroidetes und Proteobacteria waren bei Asthmapatienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen erhöht. Unbehandelte Asthmapatienten zeigten eine geringere Diversität des Atemwegsbakterioms und -mykobioms als gesunde Kontrollpersonen. Eine Atemwegsdysbiose spielt auch bei der Genese anderer Erkrankungen eine essenzielle Rolle, etwa im Falle von COPD oder der zystischen Fibrose, für die gezeigt wurde, dass vor allem die Proteobacteria und die Actinobacteria erhöht waren.

X Tabelle: Veränderungen der lokalen Mikrobiotazusammensetzung bei

allergischen Erkrankungen

Allergisches Asthma Allergische Rhinitis

Darm

Reduziert: Bifidobacteria, Akkermansia, Faecalibacterium, Lachnospira, Veilonella, Rothia Erhöht: Bacteroidetes, Parabacteroides Reduziert: Firmicutes, Actinobacteria, Proteobacteria, Clostridiales, Oxalobacter

Nase Erhöht: Bacteroidetes, Proteobacteria Erhöht: Spirochaetae Reduziert: Lactobacillus

Lunge

Erhöht: Proteobacteria, Streptococcus, Moraxella Reduziert: Actinobacteria

Lungenerkrankungen und Darmmikrobiota

Interessanterweise ist die Mikrobiotazusammensetzung der Atemwege auch für die Resistenz gegenüber respiratorischen Infekten entscheidend. So weiß man heute, dass die Mikrobiota vor viralen Infektionen schützen – bei Veränderungen hingegen sogar das virale Krankheitsgeschehen unterstützen kann. Aber auch die Darmmikrobiota kann die Immunreaktionen innerhalb des Atemtrakts beeinflussen. Das Konzept eines gemeinsamen Schleimhautimmunsystems scheint vor allem für die DarmLungen-Achse besonders relevant zu sein. Allgemein bekannt ist, dass die Darmmikrobiota von gesunden Personen eine andere Zusammensetzung hat als die von Asthmapatienten. Dies trifft sowohl auf Erwachsene als auch auf Kinder zu und geht mit einer geringeren mikrobiellen Vielfalt bei Asthmatikern einher. Neben allergischem Asthma dürfte die allergische Rhinitis mit mikrobiellen Veränderungen im Darm verbunden sein. In Studien wurde bei Patienten mit allergischer Rhinitis im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen eine geringere Vielfalt der Darmmikrobiota festgestellt (siehe Tabelle). Jedoch können auch Erkrankungen der Atemwege die Darmgesundheit beeinflussen. So gibt es erste Hinweise, denen zufolge chronische Lungenerkrankungen wie Asthma, COPD und zystische Fibrose oder aber Influenza-Erkrankungen nicht nur die Zusammensetzung der Lungenmikrobiota beeinflussen, sondern auch mit einer Darmdysbiose einhergehen – und zwar ähnelt eine solche der Dysbiose bei einem Reizdarm. Insbesondere Bestandteile der Mikroorganismen und Stoffwechselprodukte wie die kurzkettigen Fettsäuren beeinflussen die Kommunikation zwischen den Organen. Die kurzkettigen Fettsäuren verändern nicht nur die Immunantwort im jeweiligen Organ, sondern sie nehmen auch Einfluss auf die Immunantwort in anderen Organen und regulieren die Zellaktivitäten über direkte Rezeptorinteraktion. Ebenso dienen die kurzkettigen Fettsäuren wie das Butyrat Epithelzellen als wichtige Energielieferanten. Es ist daher offensichtlich, dass Veränderungen in der Zusammensetzung der Mikroorganismen und damit Veränderungen der produzierten Metaboliten einen Einfluss auf Organfunktionen und Organgesundheit haben.

Modulation der Mikrobiota als Therapieoption?

Lokale und systemische Asthmatherapeutika, beispielsweise Kortikosteroide, beeinflussen die Mikrobiotazusammensetzung der Lunge. Man weiß >

jedoch nicht, ob spezifische mikrobielle Veränderungen das Ansprechen auf entzündungshemmende Therapien bei Asthmapatienten verbessern können. Auch eine direkte Modulation der Mikrobiota könnte das Krankheitsbild beeinflussen. Da sich gezeigt hat, dass eine Lungenentzündung die Zusammensetzung der Darmmikrobiota verändert, haben experimentelle Studien sowie große klinische Studien kürzlich nachgewiesen, dass sich eine Modulation der Darmmikrobiota durch eine Antibiotikabehandlung mit Azithromycin auf die allergische Atemwegsentzündung bei Asthma auswirkt. Somit könnte in Zukunft die gezielte Modulation der Mikrobiota eine interessante (zusätzliche) Therapie verschiedenster respiratorischer Erkrankungen darstellen, die jedoch in weiterführenden Studien eingehend untersucht werden muss. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Nahrungsaufnahme und Zusammensetzung bzw. Aktivität der Darmbakterien ist – umgekehrt – auch ein Effekt der Ernährung auf die Lungengesundheit naheliegend. So konnte gezeigt werden, dass sich durch den Konsum von Ballaststoffen und ungesättigten Fettsäuren über eine Veränderung der Zusammensetzung der Darmmikrobiota und durch die freigesetzten mikrobiellen Stoffwechselprodukte Lungenerkrankungen positiv beeinflussen lassen. Allerdings ist auch hier noch viel Forschung notwendig, um die genauen Zusammenhänge im Detail zu verstehen und krankheits- und patientenspezifische Empfehlungen aussprechen zu können.

X HAUSARZT-Buchtipp

Der Darm

Von Eva Untersmayr-Elsenhuber und Monika Ferlitsch Manz Verlag 2021

Frühe Kindheit entscheidend

In puncto Krankheitsprävention muss ebenso ein spezielles Augenmerk auf die Darm-Lungen-Achse gelegt werden. Nicht nur für die Besiedlung des Darms, sondern auch für die Besiedlung der Lunge sind die ersten Lebensmonate nach der Geburt – in denen der erste Kontakt mit der äußeren Umgebung stattfindet – ganz entscheidend: Denn sie ermöglichen die Bildung einer stabilen mikrobiellen Gemeinschaft, die essenziell für die menschliche Gesundheit ist. Daher geht man heute davon aus, dass gerade die frühe Kindheit mit dem Geburtsvorgang, der frühkindlichen Ernährung, den durchgemachten Krankheiten und verabreichten Medikamenten die spätere gesundheitliche Entwicklung prägt.

Fazit

Die Darmgesundheit beeinflusst unseren gesamten Körper entscheidend. Man weiß heute, dass durch die Darmmikrobiota und ihre Metaboliten ein direkter und über das Immunsystem auch indirekter Einfluss auf respiratorische Erkrankungen ausgeübt wird. Jedoch können auch Atemwegserkrankungen zu Veränderungen des Darmmikrobioms führen. Besonders die frühe Kindheit ist für die Entwicklung eines stabilen und gesunden Mikrobioms – und somit für die weitere Gesundheit – eine ganz wesentliche Lebensphase. <

Literatur: Eva Untersmayr-Elsenhuber, Monika Ferlitsch. Der

Darm. Manz Verlag 2021. Larissa Koidl, Eva Untersmayr. The clinical implications of the microbiome in the development of allergy diseases. Expert Review of Clinical Immunology 2021. Eva Untersmayr, Larissa Koidl, Liam O’Mahony. The microbiome in asthma. EAACI Global Atlas of Asthma 2021.

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