
4 minute read
Stress – eine reine Kopfsache?
Stress ist in unserem Leben allgegenwärtig und die Wissenschaft bestätigt, dass Distress, also negativer Stress, die Gesundheit gefährdet und das Immunsystem aus der Balance bringt. Spannend sind aus medizinischer Sicht hier vor allem die unterschiedlichen Auswirkungen von akutem bzw. chronischem Stress auf das Immunsystem. Denn akute bis mittelfristig andauernde Stresssituationen regulieren das angeborene Immunsystem herunter – eine verminderte Abwehrleistung in Bezug auf Viren und eine Verzögerung der Wundheilung sind die Folgen. Die gleichzeitig stattfindende Überaktivierung des erworbenen Immunsystems führt dabei zu einer Verstärkung von Krankheiten mit allergischer Komponente, was sich beispielsweise durch vermehrte Neurodermitisschübe oder Asthmaanfälle unter akutem Stress äußert. Im Gegensatz dazu lässt ein chronisch stark erhöhter Stresslevel, der über viele Monate oder gar Jahre besteht, das Immunsystem in die Gegenrichtung kippen – was eine Überaktivierung der angeborenen Immunzellreihen bedeutet. Daraus entsteht eine sogenannte „Silent Inflammation“, eine stille chronische Entzündung, welche die Entwicklung vieler Volkskrankheiten – etwa der Arteriosklerose, aber auch der rheumatoiden Arthritis – begünstigt. Doch woher kommt all der Stress und wie lässt sich diesem effektiv beikommen?
Externer versus interner Stress
Zunächst kann zwischen externen und internen Stressfaktoren unterschieden werden. Zu den externen Stressquellen zählen neben privaten Belastungen, zwischenmenschlichen Konflikten und beruflichen Herausforderungen – wie Arbeitsverdichtung und Zeitknappheit – auch die ständige Informationsflut über Smartphones und soziale Netzwerke. Neben den genannten externen Stressfaktoren wirken die internen Stressoren etwa in Form von negativen Gedankenspiralen, Sorgen und Ängsten auf uns ein. Letztlich führt jedoch jede externe Stressquelle durch die Art und Weise, wie wir über sie denken und sie bewerten, zu internem Stress. Viele der uns bekannten Stressquellen lassen sich nicht ohne Weiteres aus der Welt schaffen, aber wie mit ihnen umgegangen wird, lässt sich definitiv verändern. Als Ärzte können wir unseren Patienten wissenschaftlich gut untersuchte Methoden empfehlen, die nachweislich dabei helfen, Stress in Körper und Geist zu reduzieren. Meditation ist eine davon.
Autor: Dr. Wolf-Dieter Nagl
Arzt für Allgemeinmedizin, psychosomatische Medizin und Hypnose in Mödling und Linz
Die Schulung des Geistes
Der Geist birgt ein weitaus größeres Heilungs- und Regenerationspotenzial, als wir üblicherweise nutzen. Neurowissenschaftliche Untersuchungen zu Meditation zeigen, dass sich die Gehirnaktivität durch ein Training der Aufmerksamkeit verändert und sich die Reaktionen auf Stress dadurch deutlich verbessern lassen. Meditation bedeutet, die Aufmerksamkeit gezielt auf eine Sache – beispielsweise die Atmung – zu richten und zu versuchen, sie dort zu halten. Dabei wird im Frontallappen vor allem der linke präfrontale Kortex aktiviert, der uns dabei hilft, Emotionen und Gedanken besser zu kontrollieren und das Gedankenkarussell zu entschleunigen. Die erhöhte Aktivität dieser Gehirnregion geht nachweislich mit einer positiveren Lebenseinstellung einher und verringert die Aktivität der Amygdala. Die Amygdala, oft etwas vereinfacht als das „Angstzentrum“ bezeichnet, spielt bei der Stressreaktion eine entscheidende Rolle – denn sie ist das „biologische Radar“ für Gefahren
X HAUSARZT-Buchtipp
Denke, was dein Herz fühlt
Von Wolf-Dieter Nagl Kneipp Verlag Wien 2021
und aktiviert das sympathische Nervensystem, wenn wir Stress erleben. Bereits nach einer Woche täglich praktizierter 20-minütiger Achtsamkeitsmeditation lassen sich die ersten dämpfenden Wirkungen auf die Amygdala nachweisen, die sich mit fortlaufender Praxis verstärken. Und schon nach acht Wochen täglicher Durchführung zeigen sich bei Meditationsanfängern als positive Immunreaktion eine vermehrte Aktivität der natürlichen Killerzellen sowie eine signifikante Reduktion von Angstsymptomen und eine Verbesserung des emotionalen Befindens. Faszinierend sind dabei nicht nur die positiven Auswirkungen auf die Gehirnaktivität, sondern auch die harmonisierenden Effekte auf das Schlagmuster des Herzens, die mittels der Herzratenvariabilität gemessen werden können. X Abbildung: Kohärenz der Körperrhythmen bei meditativer Atemübung

ZVg
Spiegel des autonomen Nervensystems Beispiel für die Praxis

Das Herz reagiert sehr sensibel auf Stress – wie auch auf Entspannungsübungen – und das lässt sich messen. Der Herzschlag passt sich in jeder Sekunde des Lebens an die Anforderungen des Organismus an und unterliegt bekanntlich der Steuerung des autonomen Nervensystems. Misst man die zeitlichen Abstände von einem Herzschlag zum nächsten und zeichnet das kontinuierliche Ansteigen und Abfallen der Herzfrequenz über die Zeit auf, dann erhält man die Kurve der Herzratenvariabilität (HRV). Der Sympathikus führt dabei nicht nur zu einem Anstieg der Herzfrequenz, sondern erzeugt auch ein charakteristisches niederfrequentes Wellenmuster in der HRVKurve. Der Parasympathikus hingegen erzeugt ein hochfrequentes HRV-Wellenmuster. Somit lässt sich anhand der Konfiguration der HRV-Kurve erkennen, ob der Körper gerade im Stress- oder im Entspannungsmodus verweilt. Eine einfache und messbar effektive Methode, die man Patienten zur Stressreduktion anbieten kann, ist folgende Atemübung: „Atmen Sie ganz ruhig und mit gleichmäßigem Atemstrom fünf Sekunden lang ein und fünf Sekunden lang aus. Machen
Sie zwischen Ein- und Ausatmung keine Pause und spüren Sie nach, wie sich die Bauchdecke beim Einatmen hebt und beim Ausatmen senkt.“ Wenn sich die Person auf jedes Detail der Atmung fokussiert, entzieht sie stresserzeugenden Gedanken und Emotionen ihre Aufmerksamkeit und beruhigt dadurch den Geist. Aber auch der Körper profitiert von dieser Atemübung, da sämtliche Körperrhythmen – etwa die Atmung, der Herzschlag und der Blutdruckrhythmus – in ein geordnetes Verhältnis kommen, was man als Kohärenz bezeichnet. In der Abbildung sieht man, wie das Herzschlagmuster bei Beginn der Atemübung in den Modus der respiratorischen SinusIn perfekter arrhythmie übergeht. .Balance Cannabis und Bei dieser Atmung im Fünf-SekundenRhythmus übernimmt indischer Ginseng der Parasympathikus die Führung und beginnt, den Körper zu entspannen und zu regenerieren. Solch einfache Atemübungen sind überall und jederzeit durchführbar und stellen für Ärzte wie für Patienten eine natürliche und nachhaltige Möglichkeit dar, Stress erfolgreich zu reduzieren. <
