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Schmerztherapie was ist anders im Alter?
Bei geriatrischen Patienten gilt es, einige Besonderheiten zu beachten*
Foto: © shutterstock.com/ Africa Studio
Mit dem Alter nimmt auch die Prävalenz chronischer Schmerzen zu. Neben Tumorerkrankungen sind vor allem Erkrankungen des Bewegungsapparates dafür verantwortlich. Zu den wichtigsten Zielen einer Schmerzbehandlung bei älteren Patienten gehören die Reduktion der Schmerzintensität, die Erhaltung und Steigerung der Mobilität bzw. Aktivität sowie die psychosoziale Integration und – damit verbunden – eine Verbesserung der Lebensqualität. Nur durch einen multidisziplinären Behandlungsansatz können pharmakologische Maßnahmen, bewegungstherapeutische, psychologische und pflegerische Interventionen umgesetzt werden.
Physiologische und physische Veränderungen
Nicht nur das Alter beeinflusst das Schmerzmanagement, sondern auch >

funktionelle Einschränkungen und vor allem physiologische und psychische Veränderungen, die eine Abnahme von Kompensationsmechanismen mit sich bringen. Aufgrund der reduzierten Pumpfunktion des Herzens ist die Anflutung von Medikamenten herabgesetzt und damit die Wirkzeit z. B. von Opioiden verlängert. Die Neigung zu Herzrhythmusstörungen nimmt ebenfalls zu, etwa unter Antidepressiva. Eine eingeschränkte Nierenfunktion kann bei so manchen Analgetika ein Akkumulationsrisiko und infolgedessen eine Potenzierung der Nebenwirkungen bedeuten. Durch die verminderte Durchblutung der Leber und die abnehmende Syntheseleistung kommt es zu einer Wirkzeitzunahme und einer verminderten Metabolisierung mit Akkumulation. Eine veränderte Azidität und Magenpassage sowie eine reduzierte Darmmotilität beeinflussen die Resorption von Medikamenten. Im Laufe des Alterungsprozesses verändern sich die Schmerzverarbeitung und das Schmerzerleben. So ist die endogene Schmerzhemmung erniedrigt und die Nervenleitgeschwindigkeit vermindert. Die Schmerztoleranz wird erhöht, der Schmerz zwar verzögert, aber in seiner vollen Stärke wahrgenommen. Die Ausschüttung der meisten Neurotransmitter geht ebenso zurück wie die Zahl vieler Rezeptoren. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass Opioide wirksamer sind. Weitere biophysikalische Veränderungen umfassen die Zunahme des Körperfettes, die Abnahme des Wassergehaltes und des Muskelgewebes. Dadurch wirken z. B. lipidlösliche Medikamente verzögert und verlängert.
Polypharmazie
Unter älteren Menschen ist Multimorbidität weit verbreitet. Ursachen sind koronare Herzerkrankungen, Osteoarthrosen, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD), Parkinsonerkrankung, Krebserkrankungen, Demenz, Diabetes mellitus und Bluthochdruck. Damit geht folglich Polypharmazie einher. Sie birgt jedoch ein erhöhtes Risiko unvorhersehbarer Arzneimittelwechselwirkungen, wodurch sich der Nutzen und das Risiko einer Schmerztherapie im Alter verändern. Bei der Detektion der häufigsten Interaktionen ist die sogenannte PIM-Liste (potenzielle inadäquate MedikationsListe) hilfreich. Sie enthält Medikamente mit ungünstigem Nutzen-RisikoPotenzial und unterstützt behandelnde Ärztinnen und Ärzte bei der Erstellung einer geeigneten Polypharmakotherapie.
Expertin zum Thema: OÄ Dr.in Waltraud Stromer
FÄ für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin, Horn, und Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG)
Schmerzbeurteilung
Die Multimorbidität bei älteren und hochbetagten Patientinnen und Patienten ist mit einer erhöhten Anzahl von Schmerzursachen assoziiert. Schmerzen, welche in wechselnden Körperregionen und häufig gleichzeitig auftreten, erschweren die Beurteilung und Lokalisation der Schmerzintensität. Ist die Kommunikationsfähigkeit z. B. wegen kognitiver Einschränkungen oder Demenz vermindert, so lässt sich das Ausmaß der Schmerzen nicht detailliert erkennen und behandeln. Dementen Menschen werden sowohl für den Bedarf als auch regelmäßig weniger Analgetika im Vergleich zu nicht dementen Patienten verschrieben. Die mangelhafte schmerztherapeutische Versorgung wirkt sich allerdings negativ auf die Kognition aus. Eine effektive Schmerzbeurteilung fungiert als Voraussetzung für eine adäquate Schmerztherapie. Bei einem MMSE(Mini-Mental-State-Examination)Score < 15 wird auf Gesichterskalen (Faces Pain Scales) zurückgegriffen. Bei fortgeschrittener Demenz können die Patienten Schmerzen nicht mehr formulieren. Für solche Fälle stehen Fremdbeobachtungsverfahren wie die DOLOPLUS-2-Skala (doloplus.com) oder die BESD-Skala (Beurteilung von Schmerz bei Demenz) zur Verfügung. Einfühlsames Beobachten, Betreuungskonstanz sowie die Einbindung von Verwandten sind unabdingbar.
Nutzen-Risiko-Abwägung
Bei geriatrischen Patienten erfolgt die Auswahl von Analgetika nach einer strengen Nutzen-Risiko-Abwägung, wobei auf einige Besonderheiten zu achten ist. Dazu zählt die abnehmende Leber- und Nierenfunktion, weshalb bestimmte Medikamente nur in stark reduzierter Dosierung oder gar nicht eingenommen werden sollen. Für den Einsatz von Opioiden, Antikonvulsiva und Antide-
pressiva bei geriatrischen Patienten gilt: Start low, go slow – mit einer niedrigen Dosis anfangen und langsam – unter Berücksichtigung von Wirkung und Nebenwirkung – hochdosieren, weil sich bei Beginn der Medikation die Auswirkungen auf den multimorbiden Organismus schwer abschätzen lassen. Ältere Patienten sind wesentlich empfindlicher gegenüber zentral wirksamen Analgetika mit möglichen zentralnervösen Nebenwirkungen (z. B. Sedierung, Müdigkeit, Schwindel), wie sie etwa bei Opioiden auftreten, als jüngere bei gleicher Plasmakonzentration des Medikaments. Die für eine ausreichende Analgesie nötige Dosis sinkt linear mit zunehmendem Alter. Auch ein gleichzeitiger Beginn mit mehreren Substanzen muss gut überlegt sein. Im Verlauf der Therapie sollten Nebenwirkungen überprüft und die Patienten begleitet werden, denn die therapeutischen Erfolge stellen sich nicht sofort ein. „Im Laufe des Alterungsprozesses verändern sich die Schmerzverarbeitung und das Schmerzerleben.“
NSAR
Wegen der gastrointestinalen, kardiovaskulären und renalen Nebenwirkungen ist hier Vorsicht geboten. Auf Retardpräparate sollte verzichtet werden. Bezüglich der Verordnung gilt: die geringste effektive Dosis und diese so kurz wie möglich. NSAR erhöhen das gastrointestinale Blutungsrisiko, daher ist die Verordnung von Protonenpumpenhemmern in dieser Altersgruppe obligatorisch. Coxibe scheinen geringere gastrointestinale Komplikationen zu verursachen. Bei Niereninsuffizienz sind NSAR kontraindiziert.
Opioide

Im Vergleich zu nichtopioid-Analgetika haben Opioide eine deutlich geringere Organtoxizität. Eine häufige Nebenwirkung ist allerdings Obstipation, die sich nach wenigen Tagen einstellt. Daher ist die präventive Gabe von Laxantien schon zu Beginn der Opioidtherapie indiziert. Weitere anfängliche Nebenwirkungen umfassen Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Sedierung und Schwindel. Eine antiemetische Prophylaxe ist am Beginn der Therapie indiziert und nach der Toleranzentwicklung, welche zumeist nach wenigen Tagen einsetzt, wieder zu beenden. Generell weisen Opioide eine Interaktion mit dämpfendsedierenden Medikamenten wie Benzodiazepinen und analogen Schlafmitteln, sedierenden Neuroleptika, trizyklischen Antidepressiva sowie Alkohol auf. In solchen Fällen ist besondere Vorsicht geboten. Wegen der zentralnervösen Nebenwirkungen erhöht sich auch das Sturzrisiko. Delirante Zustände und Halluzination sind meist Zeichen einer Überdosierung.
Nichtopioidanalgetika
Paracetamol und Metamizol stellen als Nichtopioidanalgetika Alternativen dar. Bei kachektischen Patienten muss die Dosis von Paracetamol reduziert, bei Niereninsuffizienz eine Intervallverlängerung vorgenommen werden. Paracetamol steigert dosisabhängig das Risiko kardiovaskulärer, gastrointestinaler und renaler Nebenwirkungen. Bei langfristiger Einnahme hoher Dosierungen ist auch das Mortalitätsrisiko erhöht. Metamizol stellt laut der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie (ÖGGG) bei akuten und chronischen leichten bis mittelstarken Schmerzen das Mittel der Wahl dar. Die analgetische Wirksamkeit ist ausgeprägter als jene von Paracetamol, das Interaktions- und Nebenwirkungspotenzial von Metamizol als gering anzusehen. Bei Niereninsuffizienz muss die Dosis reduziert werden. Eine Agranulozytose kommt in Mitteleuropa selten vor. Bei einer längeren Anwendung sind jedoch Blutbildkontrollen empfohlen. ASS sollte mindestens 30 Minuten vor der ersten Metamizol-Gabe verabreicht werden, und zwar aufgrund der Beeinträchtigung der antiaggregatorischen Wirkung von ASS durch Metamizol.
Koanalgetika
Antikonvulsiva und Antidepressiva müssen zwecks Minderung der anfänglichen Nebenwirkungen vorsichtig dosiert werden. Erstere bilden eine unverzichtbare Substanzklasse, da bei chronischen Schmerzen im Alter von einer gewissen neuropathischen Komponente auszugehen ist. Antikonvulsiva haben einen besonderen Stellenwert im Rahmen der perioperativen Schmerztherapie und bei der Vermeidung von chronisch persistierenden neuropathischen Schmerzen. Ihre zentralnervösen Nebenwirkungen können jedoch das Sturzrisiko erhöhen. Antidepressiva sind oft ein unerlässlicher Bestandteil der multimodalen Therapie bei geriatrischen Patienten. Eine exakte Anpassung der Dosis an die Nieren- und Leberfunktion ist erforderlich.
Mag.a Nicole Bachler
*Der Artikel entstand in Zusammenarbeit mit OÄ Dr.in Waltraud Stromer im Vorfeld des 28. Wissenschaftlichen Kongresses der Österreichischen Schmerzgesellschaft, 23.-25.9.2021, Villach, Infos: oesg-kongress.at