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COVID-19-assoziierte Diarrhö
Für den Eintritt in die Wirtszelle bindet das SARS-CoV-2-Virus an ACE2-Rezeptoren an der Zelloberfläche.
COVID-19 ist zwar primär eine Erkrankung der Atemwege, jedoch zeigen nicht wenige Patienten auch eine gastrointestinale Beteiligung. In manchen Fällen sind das sogar die einzigen Beschwerden. Das gastrointestinale Symptom mit der höchsten klinischen Relevanz ist die Diarrhö.
Stark schwankende Daten zur Prävalenz
Die Angaben zur Prävalenz einer Diarrhö im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung schwanken stark von Studie zu Studie und liegen im Bereich von 1050 % der Infizierten. Weitere häufig auftretende gastrointestinale Symptome sind Appetit- und Gewichtsverlust (4050 %) sowie Übelkeit, Erbrechen und/ oder Bauchschmerzen (10 %).1 Oftmals geht das Auftreten von gastrointestinalen Beschwerden mit einer allgemeinen Verschlechterung des klinischen Verlaufs einher. Eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse untersuchte die Daten von 4.265 COVID-19-Patienten
aus 20 Studien und kam zu dem Schluss, dass die Symptome Durchfall, Übelkeit und Erbrechen mit einem höheren Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs korrelierten. Für die Symptome Bauchschmerzen und Appetitlosigkeit konnte kein Zusammenhang gefunden werden. Männer waren generell häufiger von Magen-Darm-Beschwerden betroffen als Frauen.2
Pathophysiologische Mechanismen
Die pathophysiologischen Mechanismen einer COVID-19-assoziierten Diarrhö sind Gegenstand aktueller Forschungen. Als wahrscheinlich gilt, dass es durch die Virusinfektion zu einer erhöhten intestinalen Permeabilität und infolgedessen zur Malabsorption kommt. Zudem spielen möglicherweise zwei körpereigene Proteine eine entscheidende Rolle im Krankheitsgeschehen: nämlich ACE2 (AngiotensinConverting Enzyme 2) und TMPRSS2 (transmembrane Serinprotease 2). Beide Moleküle werden in großer Dichte in den Enterozyten coexprimiert. Das SARS-CoV-2-Virus hat eine hohe Affinität zu ACE2 und benötigt diese Struktur für den Eintritt in die Wirtszelle. Über die Rezeptorbindungsdomäne des Spike-Proteins dockt SARS-CoV-2 an der Zelloberfläche an ACE2-Rezeptoren an. Während des Infektionsprozesses werden ACE2-Rezeptoren gemeinsam mit dem Erreger internalisiert und von TMPRSS2 gespalten. Allerdings steht dem Körper dadurch weniger ACE2 für andere wichtige Prozesse zur Verfügung.3
Schutzwirkung von ACE2
Neben seiner Funktion als Oberflächenrezeptor hat ACE2 als Enzym auch eine Reihe schützender positiver Effekte im menschlichen Körper. So spielt ACE2 eine wichtige Rolle im Renin-Angiotensin-System (RAS) und agiert dort als Gegenspieler der schädlichen Wirkungen von Angiotensin-2. Letzteres wirkt über die Aktivierung von AT1-Rezeptoren vasokonstriktiv, proinflammatorisch, apoptotisch und fibrotisch. ACE2 hydrolysiert überschüssiges Angiotensin-2 und begrenzt dadurch jene negativen Effekte. Im Gastrointestinaltrakt kommt ACE2 zudem gemeinsam mit dem Aminosäure-Transporter B0AT1 vor. Dieser B0AT1/ACE2-Komplex reguliert im intestinalen Epithel die Aufnahme von Aminosäuren aus der Nahrung. Fehlt hierfür ACE2, wird u. a. zu wenig Tryptophan aufgenommen und dadurch die Homöostase der Darmflora gestört. Die Zusammensetzung der rund 100 Billionen Bakterien im Mikrobiom verändert sich: Die Anfälligkeit für Entzündungen und Diarrhöen ist erhöht, die lokale und systemische Immunantwort gestört. Nach COVID-19-Infektionen wurden mehrfach ein Verlust der bakteriellen Diversität und eine Vermehrung von opportunistisch pathogenen Keimen beobachtet. So zeigte eine kürzlich publizierte Studie einen Zusammenhang zwischen einer verminderten ACE2-Funktion sowie schweren Krankheitsverläufen und postulierte, dass Störungen des Darmmikrobioms eine bislang zu wenig beachtete Rolle im Krankheitsgeschehen haben.4
Das Darmmikrobiom therapeutisch beeinflussen
Bei der Wahl der Therapie sind der Schweregrad der COVID-19-Erkrankung, bestehende Begleiterkrankungen sowie Dauer und Intensität der >


Diarrhö zu berücksichtigen. Eine orale Rehydratation mit entsprechend formulierten Elektrolytlösungen ist generell das Mittel der Wahl, da der immense Flüssigkeits- und Elektrolytverlust eine große Gefahr für den Körper darstellen kann.5 Viral und bakteriell verursachte Diarrhöen sollten grundsätzlich nicht mit Arzneistoffen wie Loperamid behandelt werden, denn diese hemmen die Darmperistaltik. Zu bedenken ist auch, dass die häufig für die COVID-19-Behandlung eingesetzten antibiotischen und/oder antiviralen Wirkstoffe zusätzlich zu einer Störung der Darmflora führen können und damit selbst eine Diarrhö auslösen oder verschlechtern können. Der Vorzug sollte Präparaten gegeben werden, welche das Darmmikrobiom positiv beeinflussen. In Anbetracht der zuvor diskutierten Pathophysiologie scheint das Mikrobiom ein logisches therapeutisches Target und die Behandlung mit Probiotika folglich eine plausible Strategie zu sein. Nicht nur für verschiedene probiotische Kulturen, sondern auch für das – ausschließlich lokal wirksame – Antibiotikum Rifaximin wurden günstige Effekte bei einer Dysbiose des Dünndarms nachgewiesen. Die Substanz kann das Mikrobiom offenbar gezielt modulieren und damit die Symptomatik einer ganzen Reihe von Beschwerden – darunter Reizmagen, Reizdarm, Divertikel und bakterielle Fehlbesiedelungen – günstig beeinflussen.6 Inwieweit diese Eigenschaften auch bei einer COVID19-assoziierten Diarrhö greifen, ist unklar. Darüber hinaus ist die Gabe von konventionellen Antidiarrhoika – z. B. medizinischer Kohle, Tanninen oder Apfelpektinen – möglich, wenngleich aktuell keine ausreichende Evidenz für ihren generellen Einsatz im Rahmen einer COVID19-Erkrankung vorliegt. Sie wirken jedoch ganz allgemein einer Schädigung der intestinalen Epithelzellen entgegen.
Der Einfluss von Vitamin D auf ACE2 und COVID-19
Im Übrigen könnte auch ein bestehender Vitamin-DMangel einen Einfluss auf den Schweregrad einer COVID-19-Erkrankung haben. Der Zusammenhang ist einerseits durch die bekannten immunmodulatorischen Wirkungen von Cholecalciferol erklärbar. Andererseits hat Vitamin D interessanterweise einen hemmenden Effekt auf das RAS und reguliert auf diesem Weg u. a. entzündliche Prozesse. So konnte kürzlich experimentell bestätigt werden, dass Vitamin D die ACE2/ACE-Ratio zugunsten von ACE2 beeinflusst. Das führt zu einer verstärkten Hydrolyse von Angiotensin-2 und reduziert so die proinflammatorische Zytokinausschüttung.7
Mag.a Dr.in Irene Senn
Quellen: 1 Cheung K et al. Gastroenterology 2020;159(1):81-95. 2 Arjmand B et al. Gastroenterol Hepatol Bed Bench 2020 13(4):321-330. 3 Hoffmann M et al. Cell 2020;181:271-280. 4 Viana SD et al. Ageing Res Rev 2020;62:101123. 5 D‘Amico F et al. Clin Gastroenterol Hepatol 2020;18(8):1663-1672. 6 Gatta L et al. Aliment Pharmacol Ther 2017;45:604-616. 7 Mansur JL et al. Clin Investig Arterioscler 2020;32(6):267-277.