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Gestörte Blutgerinnung

Menorrhagien können auf ein von-Willebrand-Syndrom hinweisen

Das von-Willebrand-Syndrom (vWS) gilt als die häufigste angeborene Blutgerinnungsstörung und betrifft etwa ein Prozent der Bevölkerung. „Im Gegensatz zur Hämophilie, der klassischen Bluterkrankheit, wird das vWS autosomal vererbt, sodass sowohl Mädchen als auch Buben betroffen sind“ , erläutert ao. Univ.-Prof. Dr. Werner Streif, Department für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Innsbruck (MUI). Unabhängig ob der von-Willebrand-Faktor (vWF) verringert ist (Typ 1), praktisch vollständig fehlt (Typ 3) oder einfach nicht normal funktioniert (Typ 2) – immer kommt es zu einer erhöhten Blutungsneigung (siehe Tabelle S. 32).1

Experte zum Thema: Ao. Univ.-Prof. Dr. Werner Streif

Department für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Innsbruck (MUI) „Eine sorgfältige Familien- und Individualblutungsanamnese kann nicht durch einfache Screeningtests wie PT und PTT ersetzt werden“

Eingehende Blutungsanamnese nötig

„Das vWS ist typischerweise gekennzeichnet durch einen ‚mukokutanen‘ Blutungstyp, es treten also vor allem Schleimhaut- und Hautblutungen auf, hingegen weniger Blutungen in tiefe Strukturen, wie Muskeln und Gelenke“ , macht Prof. Streif aufmerksam. Der Blutungstyp hänge dabei stark vom Alter ab. „Eines der ganz charakteristischen Hauptsymptome, das wir bei betroffenen Frauen sehen – sowohl bei jugendlichen gleich mit der Menarche als auch bei erwachsenen –, stellen Menorrhagien dar. “ Außerdem trete häufig Nasen-

bluten auf, sowie verlängertes Bluten bei kleinen Wunden und ganz variabel vermehrtes Bluten bei Operationen. „Wenn Kinder beim Zahnen bluten oder leicht blaue Flecken bekommen, können das ebenfalls Hinweise für ein vWS sein“ , so der Experte. Da Typ 1 und 2 meist eine milde bis moderate Blutungsneigung aufweisen, muss gezielt nachgefragt werden. „Die Diagnose ist auch heute noch nicht ganz einfach“ , warnt Prof. Streif. Denn: „Der vWF wird durch die normalen Screeninguntersuchungen, etwa mittels PTT und PT, nicht erfasst bzw. nur dann, wenn gleichzeitig der Faktor VIII niedrig ist, was besonders bei der schweren Form Typ 3 der Fall ist. “ Eine molekulargenetische Untersuchung führe zudem gerade bei vWS-Typ 1 häufig nicht zur Diagnose. Deshalb sei die Blutungsanamnese essentiell. „Ärzte sollten daran denken, auch die vWF-Aktivität bestimmen zu lassen“ , unterstreicht der Experte. Die Untertypisierung kann in der Praxis nur in Speziallaboren erfolgen und benötigt die Untersuchung der Bindungsfähigkeit zu Faktor VIII, die elektrophoretische Beurteilung der vWF-Multimeren-Banden und die Untersuchung der Thrombozytenaggregation (RIPA-Test). Aber, so Prof. Streif: „Nicht jede niedrige vWF-Aktivität ist ein vWS; beim vWS liegt die Aktivität unter 30 bis 40%. Menschen mit Blutgruppe 0 haben physiologischerweise eine deutlich niedrigere vWF-Aktivität.“

Leichtes bis schweres vWS behandeln

Bei kleineren Blutungen (z. B. aus Nase oder Mund) kann die Hämostase oft durch eine verlängerte Kompressionszeit erreicht werden. Außerdem eignen sich topische hämostatische Wirkstoffe. „Das Antifibrinolytikum Tranexamsäure (TXA) ist die Basistherapie bei durch vWS verursachten Blutungen“ , erklärt Prof. Streif. Der Wirkstoff ist bei zahnärztlichen Eingriffen oder bei Menorrhagie sehr wirksam und wird in Tablettenform oder als lokale Spüllösung (auch Mundspüllosung bei Zahnfleischbluten) eingesetzt. Starke Menstruationsblutungen können zudem durch den Einsatz von kombinierten oralen Kontrazeptiva vermindert werden.1,2 Bei schweren Ausprägungen von vWS ist eine perioperative Gabe eines FaktorVIII-hältigen vWF-Konzentrates notwendig. Zumeist findet eine Substitution sowohl vor als auch nach der Operation für einige Tage statt.1 Die Autoren der Leitlinie empfehlen, für zumindest drei Tage nach der Operation einen Zielwert der Aktivitätslevel von Faktor VIII und vWF von ≥ 0,5 IU/ml anzustreben. Eine Langzeitprophylaxe mit Faktorenkonzentraten, dazu können laut Prof. Streif auch (rekombinante) vWF-Konzentrate ohne Faktor VIII empfohlen werden, ist dann in Erwägung zu ziehen, wenn aus der Patientengeschichte starke und häufige Blutungen ersichtlich sind.3 Das Antidiuretikum Desmopressin (DDAVP) kann einmalig in hoher Dosis gegeben, im Körper gespeicherten vWF freisetzen und einen vWF-Mangel kurzfristig korrigieren. Geeignet ist Desmopressin besonders für vWS-Typ 1 und eingeschränkt nach Testung für Typ 2.1,3 „Die sehr kurze Wirksamkeit und die Gefahr der Wasserintoxikation durch die antidiuretische Wirkung sind immer zu beachten“ , so Prof. Streif. Für Kinder unter zwei Jahren, Schwangere, Menschen mit Anfallsleiden und koronarer Herzkrankheit ist Desmopressin nicht geeignet.

X Tabelle: Manifestationsformen des vWS5

Typ Prozentuale Verteilung

vWS-Typ 1

ca. 80 %

Charakteristika

Quantitativer Mangel an vWF

vWS-Typ 2 A/B/M/N 15-20 % Qualitative Beeinträchtigung des vWF

vWS-Typ 3

Erworbenes vWS

ca. 1 % Vollständiges Fehlen von vWF und niedriger Faktor VIII

selten

Bei schweren Grunderkrankungen durch verschiedene Mechanismen, wie Verbrauch bei Herzfehlern oder Malignomen durch Komplexbildung mit anderen Plasmaproteinen

Spezielles Management erforderlich

Manche häufig verordneten Medikamente sind für Patienten mit vWS nicht gut verträglich. „Nach der Anwendung von Medikamenten, welche die Plättchenfunktion hemmen, können sich vorhandene Symptome verstärken“ , berichtet Prof. Streif. Arzneimittel wie ASS (z. B. Aspirin®), NSAR (z. B. Voltaren®) und Clopidogrel (z. B. Plavix®) verstärken eine vorhandene Blutungsneigung.4 „Paracetamol, Coxibe und Morphinderivate können bei bestehender Indikation eingesetzt werden“ , so der Experte. Einen Spezialfall stellt indessen das seltene erworbene vWS dar. Es kann sekundär bei Herzfehlern wie Aortenstenosen, hämato-onkologischen oder Autoimmunerkrankungen auftreten.5 „Dabei profitieren die Patienten oft am meisten von einer effektiven Behandlung der Grunderkrankung. Auch im späteren Lebensalter auftretende und mit dem vWS assoziierte Angiodysplasien mit konsekutiven gastrointestinalen Blutungen sind am besten mit endoskopischen Maßnahmen zu behandeln“ , meint Prof. Streif abschließend.

Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc

Quellen: 1 Heidinger K, Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom, e.Medpedia, Springer Verlag/Springer Medizin Verlag, abgerufen am: 24.02.2021. 2 Swami A & Kaur V, Clinical and Applied Thrombosis/

Hemostasis 2017; 23(8): 900-910. 3 Connell NT et al., ASH ISTH NHF WFH 2021 guidelines on the management of von Willebrand disease, Blood

Advances 2021; 5(1): 301-325. 4 AMBOSS, Von Willebrand disease, Stand: 12/2020. 5 AMBOSS, Blutgerinnung und hämorrhagische Diathesen, Stand: 11/2020.

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