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Fragiles Lungengerüst erkennen

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Die unspezifischen Symptome der idiopathischen Lungenfibrose erschweren die Diagnose

Die idiopathische Lungenfibrose (IPF) ist eine chronische, progrediente, nicht reversible Lungenerkrankung. Sie gilt als häufigste Form der Lungengerüsterkrankung bzw. als „häufigste Erkrankung aus der Gruppe der idiopathischen interstitiellen Pneumonien“* und resultiert aus einer gestörten Wundheilung, die mit einer Überaktivität von Fibroblasten und in weiterer Folge mit einer zunehmenden Vernarbung des Lungengewebes assoziiert ist. Dies wiederum führt zu einer eingeschränkten Beweglichkeit der Lunge, was die Sauerstoffaufnahme erheblich erschwert. Zu den pathophysiologischen Prozessen zählen fehlerhafte Reparaturmechanismen bei Dysfunktion der Epithelzellen, die Aktivierung von Fibroblasten, oxidativer Stress, vaskuläres Remodeling, genetische Veränderungen und Alterungsprozesse (Seneszenz).* Die IPF gehört aufgrund ihrer Prävalenz von 8,2 Fällen pro 100.000 Einwohner zu den Rare Diseases.

Höheres Alter, höheres Risiko

In Österreich sind etwa 10.000 Menschen von einer Lungengerüsterkrankung betroffen, ca. 1.700 von einer IPF. Der IPF-Spezialist und Oberarzt an der Klinischen Abteilung für Pneumologie am Universitätsklinikum Krems, Dr. Klaus Hackner, erläutert: „Hinsichtlich der Zahlen liegen unterschiedliche Angaben vor. Laut dem ‚European IPF Network‘ leiden in Europa etwa 750.000 Menschen an einer Lungengerüsterkrankung. Wie viele genau an einer IPF erkrankt sind, lässt sich nur schätzen. “ Allerdings stehe fest, dass Männer viel häufiger betroffen seien als Frauen und das Alter eine große Rolle spiele. „Das Erkrankungsalter ist meist höher, nämlich über 60. An den Erkrankungszahlen lässt sich die Altersabhängigkeit gut erkennen, denn vor dem 40. Lebensjahr kommt die IPF kaum vor, während zwischen dem 60. und dem 70. Lebensjahr die Prävalenz auf 150 bis 250 Fälle pro 100.000 Einwohner steigt. Des Weiteren erkranken Menschen, die geraucht haben oder rauchen, eher als jene, für die Nikotinabusus nie ein Thema war.“

Erschwerte Diagnosestellung

Da die IPF mit unspezifischen Symptomen assoziiert ist, gestaltet sich die Diagnose oftmals schwierig, was wiederum die Prognose verschlechtert. Dr. Hackner erklärt: „Die Erkrankung geht mit belastungsabhängiger Atemnot und trockenem Reizhusten einher. Diese Symptome treffen bedauerlicherweise auch auf eine Vielzahl anderer Lungenerkrankungen sowie kardialer Krankheiten zu, etwa auf Herzinsuffizienz. Je weiter die IPF fortschreitet, desto eingeschränkter ist die Belastbarkeit. Die Atemnot nimmt zu, meist schon in Ruhe. “ Als zusätzlicher Hinweis für eine IPF gelte das klassische basale, respiratorische, feine Knisterrasseln. „Dieses auch Sklerophonie genannte endinspiratorische Phänomen tritt bei der Auskultation auf und klingt wie ein Klettverschluss. “ Bestehe der Verdacht auf IPF, erfolge die Diagnosestellung, die auf verschiedenen Säulen basiere. „Zunächst ist ein ausführliches Anamnesegespräch unabdingbar, um andere Erkrankungen ausschließen zu können. Man sollte die Patienten dabei nach Auslösern von Lungenfibrosen befragen. Dazu gehören andere Systemerkrankungen, Kollagenosen oder rheumatische Erkrankungen. Medikamente können Lungenfibrosen ebenso hervorrufen wie eine Schadstoffexposition in der Luft. “ Einen weiteren wichtigen Schritt stelle die körperliche Untersuchung dar, die neben der Auskultation die Ermittlung allfälliger Trommelschlägelfinger beinhalte, so Dr. Hackner. „Die Erhebung der Lungenfunktion ist ebenfalls von großer Bedeutung, sowohl die kleine, die der Hausarzt durchführen kann, als auch die komplette beim Lungenfacharzt. Darüber hinaus sollte eine Blutgasanalyse erfolgen. “ Als wichtigstes diagnostisches

Mittel gilt laut dem Experten für IPF aber die hochauflösende Computertomographie (HRCT) des Thorax. „Der radiologische Befund und die Zusammenschau von Klinik und Symptomatik erlauben uns, die Verdachtsdiagnose zu erhärten, was eine Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum nach sich ziehen sollte.“

Lebensqualität verbessern

Wenngleich die IPF als unterdiagnostiziert gilt und nicht heilbar ist, besteht heutzutage die Möglichkeit, die Erkrankung so zu managen, dass Exazerbationen verhindert werden und sich die Prognose der Patienten – auch hinsichtlich einer Lungentransplantation – verbessern lässt. Dazu Dr. Hackner: „Zu den antifibrotischen medikamentösen Behandlungsformen gehören seit 2011 Pirfenidon, das die Fibroblastenproliferation und die Kollagensynthese hemmt und dreimal am Tag eingenommen werden muss, sowie seit 2015 der Tyrosinkinase-Inhibitor Nintedanib, der unter anderem den FGF-, PDGF- und den VEGF-Rezeptor hemmt. Letzterer ist ein Fibroblastenwachstumsfaktor, der ein relativ breites Wirkspektrum hat und interessanterweise auch als Angiogenesehemmer bei malignen Tumoren angewendet wird. Dieses Präparat ist alle zwölf Stunden einzunehmen.“ Die Wirkstoffe verlangsamen den Krankheitsverlauf bzw. den Lungenfunktionsverlust, reduzieren oder verhindern Exazerbationen und steigern so die Lebensqualität. Nebenwirkungen wie Diarrhö oder Übelkeit könne man bei Bedarf mit Wirkstoffen wie Loperamid bzw. Metoclopramid behandeln, macht der IPF-Spezialist aufmerksam. Die mit Pirfenidon vergesellschaftete Fotosensibilität lasse sich durch ein Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor gut in den Griff bekommen. „IPF-Patienten sollten ohnehin regelmäßig kontrolliert werden, weshalb es essenziell ist, mögliche Nebenwirkungen zu besprechen und die Betroffenen diesbezüglich zu briefen. Auch die Leberwerte sollten bei Einnahme von Nintedanib sowie von Pirfenidon regelmäßig erfasst werden. Ich halte es für sehr wichtig, Hausärzte mit ins Boot zu holen. Wir als Fachärzte sollten Fragen zu Nebenwirkungen zeitnah beantworten können und Allgemeinmedizinern die Möglichkeit geben, Rücksprache mit uns zu halten. Schließlich sehen sie die Patienten häufiger als wir.“

Experte zum Thema: OA Dr. Klaus Hackner

Klinische Abteilung für Pneumologie, Universitätsklinikum Krems, Leiter des Arbeitskreises ILD – Österreichische Gesellschaft für Pneumologie

COVID-19 steigert Mortalität

Nachdem die Corona-Pandemie mittlerweile ein Jahr andauert und schon für gesunde Menschen ohne Vorerkrankungen eine potenzielle Gefahr darstellt, ist das Risiko für IPF-Patienten ungleich höher und darf nicht außer Acht gelassen werden. „Hinsichtlich der Mortalität haben sie ein erhöhtes Risiko“ , gibt Dr. Hackner zu bedenken. „Deshalb hat die Österreichische Gesellschaft für Pneumologie bereits sehr früh darauf hingewiesen, dass Menschen mit Fibrosen und IPF zu den Risikogruppen gehören. Sämtliche Schutzmaßnahmen müssen rigoros umgesetzt werden. Die antifibrotische Therapie sollte man im Falle einer COVID-19-Erkrankung unbedingt fortsetzen. Denn es hat sich gezeigt: Die Fibrose verschlechtert sich, wenn die Medikamente wegen einer Corona-Infektion abgesetzt werden. Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass Fibrose- und IPF-Patienten bevorzugt geimpft werden, und hoffen, dass dies so bald wie möglich erfolgen wird.“

„Ich halte es für sehr wichtig, Hausärzte mit ins Boot zu holen. Schließlich sehen sie die Patienten häufiger als wir Pneumologen.“

Mag.a Sonja Streit

Literatur: * Behr et al., S2K-Leitlinie zur Diagnostik der idiopathischen Lungenfibrose, German Guideline for Idiopathic

Pulmonary Fibrosis, Thieme Pneumologie, Online publiziert: 30.03.2020.

Ich sehe was, was du nicht siehst …

Neue Wege in der Diagnostik am Beispiel der erblichen Netzhautdystrophien

Die Diagnostik von seltenen Erkrankungen gestaltet sich wahrlich nicht einfach, das trifft auch auf erbliche Augenkrankheiten zu. Der Knackpunkt ist die Heterogenität derselben mit über 100 Krankheitsbildern, über 270 involvierten Genen und über 300 Genloci.* Vor welchen Herausforderungen die Medizin sowie im Speziellen die Augenheilkunde steht und welche Möglichkeiten der Einsatz von Artificial Intelligence (AI) in der Diagnose von seltenen Augenerkrankungen wie den erblichen Netzhautdystrophien (IRD) künftig eröffnen wird, erklären Prim. Univ.-Prof. Dr. Herbert Reitsamer und Assoz. Prof. Dr. Elmar Aigner, beide vom Uniklinikum Salzburg, im HAUSARZTInterview.

HAUSARZT: Unspezifische Symptome bei seltenen Erkrankungen führen zu falschen, zu späten bzw. zu gar keinen Diagnosen. Welche diagnostischen Mittel stehen heute zur Verfügung?

Prim. REITSAMER: Seltene Erkrankungen treten in fünf pro 10.000 Einwohner auf, was bedeutet, dass man in der täglichen Praxis sehr selten damit konfrontiert wird. Das Auge ist also nicht geschult. Bei einem grauen Star oder einer typischen Makuladegeneration kann mit entsprechender Geräteunterstützung sehr sicher diagnostiziert werden. Bei seltenen Erkrankungen ist dies nicht der Fall, weshalb sie unterdiagnostiziert sind. Neben funktionellen Verfahren wie der Beurteilung der Sehschärfe, des Gesichtsfelds oder der Nervenleitgeschwindigkeit werden in der Augenheilkunde auch morphologische bzw. anatomische Methoden, etwa Fundus-Foto, Angiographie zur Beurteilung der Gefäße oder die Optische Kohärenztomografie (OCT) zwecks Beurteilung der Struktur und des Aufbaus der Netzhaut, zur Diagnostik herangezogen.

Worauf sollten Hausärzte bei der Diagnostik, im Speziellen von IRD, achten (siehe auch Infobox)?

Prim. REITSAMER: Das Erkennen ist für Hausärzte besonders herausfordernd, da es eine Vielzahl von seltenen Augenerkrankungen im Formenkreis der IRD gibt, welche unterschiedliche Symptome aufweisen und verschiedene Verläufe haben. Das Wichtigste ist die Familienanamnese, da es sich bei IRD um erbliche Erkrankungen handelt. Im Falle von Sehbeschwerden unklarer Genese sollte an den Facharzt überwiesen werden, bei Verdacht auf eine IRD überweist dieser wiederum an ein Spezialzentrum (Anm. d. Redaktion: Details siehe Tabelle „Diagnostische Abklärung“). Nur für wenige IRD steht eine

Experte zum Thema: A.o. Univ. Prof. Elmar Aigner

Universitätsklinik für Innere Medizin I/Gastroenterologie und Hepatologie, Uniklinikum Salzburg

Experte zum Thema: Prim. Univ.-Prof. Dr. Herbert Reitsamer

Vorstand der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie, Uniklinikum Salzburg

Therapie zur Verfügung, etwa für eine spezielle Form der Retinitis pigmentosa, die das RPE65-Gen betrifft.

Wo stößt die Augenheilkunde hinsichtlich der Diagnose aktuell an ihre Grenzen?

Prim. REITSAMER: Die Grenzen sind mannigfaltig. Die Symptome sind nicht immer spezifisch und es ist nicht einfach, anhand der Symptombeschreibung eines Patienten einen klaren Hinweis zu erhalten, um welche Erkrankung es sich handelt. Mit den zuvor erwähnten Verfahren kann zwar spezifischer diagnostiziert werden – insbesondere bezüglich der IRD –, jedoch ist auch damit keine abschließende Ausschlussdiagnostik möglich. Eine detaillierte Diagnostik bieten genetische Verfahren sowie die Analyse bestimmter Blutparameter – beispielsweise können Hormone indirekte Hinweise für das Vorliegen einer seltenen Netzhauterkrankung geben. Für deren Durchführung muss der Arzt allerdings einen Anlass haben. Künftig könnten uns AI-Unterstützungssysteme hierbei helfen.

Sie arbeiten beide an einem Forschungsprojekt der Paracelsus Medizinischen Universität (PMU), um die Diagnostik von seltenen Erkrankungen mittels der AI zu erleichtern. Dürfte ich Sie bitten, davon zu berichten?

Prof. AIGNER: In dem Forschungsprojekt, welches das Uniklinikum Salzburg gemeinsam mit der PMU und der Firma Symptoma durchführt, werden Krankenakten der letzten Jahrzehnte auf seltene, nicht diagnostizierte und vordefinierte Erkrankungen im Erwachsenenalter gescreent. Die AI findet Muster mittels semantischer Textanalyse von Arztbriefen sowie Labor- und Bildbefunden. Prim. REITSAMER: Die AI errechnet daraufhin eine Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer bestimmten Erkrankung. Liegt die Wahrscheinlichkeit bspw. bei 60 %, wird der Patient zu einer Spezialdiagnostik eingeladen, die oft eine genetische Analyse mit Next-Generation-Sequencing beinhaltet. Dank der Information der AI sehen Ärzte genauer hin, was die diagnostische Treffsicherheit erhöht. Prof. AIGNER: Durch die Überprüfung des Ergebnisses seitens des Arztes lernt die AI laufend dazu und verbessert sich.

Wie wird sich die Medizin durch AI in naher Zukunft ändern?

Prof. AIGNER: Aktuell können Ärzte die unspezifischen Symptome oft nicht zuordnen, die Rate der Fehldiagnosen ist sehr hoch bzw. wird häufig keine Diagnose gestellt. AI wird im Bereich der Diagnose bereits in einigen Jahren führend sein, und nicht mehr zwingend die Ärzte – zumindest was Patienten im Erwachsenenalter betrifft. Prim. REITSAMER: AI wird uns auch bei der Verlaufsdiagnostik unterstützen, sie wird also Aussagen darüber treffen können, ob ein Befund besser oder schlechter geworden ist – z. B.: Das Volumen einer Schwellung hat zu- oder abgenommen. Gewisse Teile der Diagnostik lassen sich damit bis zu einem gewissen Grad automatisieren. Durch entsprechendes Training wird die AI auch dazu befähigt, longitudinale Prognosen sowohl für bereits erkrankte als auch für heute noch gesunde Menschen mit entsprechenden Risikofaktoren zu erstellen. Um bei letzteren Personen eine Überdiagnostik mit falsch positiven Ergebnissen zu vermeiden, muss der Fokus auf jene Ergebnisse gelegt werden, die eine Erkrankung in den nächsten zehn Jahren ausschließen. Diesen Patienten kann sofort Entwarnung gegeben werden, die anderen sind genauer zu untersuchen. Prof. AIGNER: In einigen Jahren wird die Computerrechenleistung nicht nur groß genug sein, um einzelne Erkrankungen zu erkennen, sondern sie wird auch die AI dazu befähigen, automatisiert Daten aus Krankenakten mit aktuellen Vitaldaten zu verknüpfen. Prim. REITSAMER: Wenn die AI nicht nur ophthalmologische Daten, sondern auch solche zu Parametern wie Gewicht, Medikamenten, Genetik etc. sowie Verlaufsdaten zur Verfügung hat und alle Daten miteinander verknüpft, lässt sich die diagnostische Treffsicherheit deutlich erhöhen – und es können auch bislang unbekannte pathophysiologische Zusammenhänge erkannt werden. AI wird außerdem eine Präzisionsmedizin hinsichtlich der Diagnose mit Biomarkern und der individuell passenden Therapie ermöglichen.

Welche Vorteile bzw. Gefahren sehen Sie im Einsatz von AI?

Prof. AIGNER: AI kann blinde Flecken in der Medizin besser abdecken, als spezialisierte Fachärzte es heute vermögen. Davon werden Patienten direkt profitieren. Eine Gefahr stellen sowohl die Verfügbarkeit von individuellen Gesundheitsdaten im öffentlichen Raum als auch deren Kommerzialisierung dar. Wenn sensible Daten in die Hände von Konzernen, Versicherungen oder auch von Arbeitgebern gelangen, geht der Schutz der persönlichen Gesundheitsdaten verloren. Obgleich ich die AI befürworte, bereitet mir das Kopfzerbrechen.

Ist denn die Medizin dazu bereit, AI zu verwenden?

Prof. AIGNER: Schon heute werden von großen Firmen durch das Suchverhalten und die Einkäufe von Kunden recht genaue Analysen des Gesundheitszustandes von Letzteren generiert. Patienten stehen AI meist offen gegenüber, zumindest jene, die Smartwatches

X Tabelle: Diagnostische Abklärung bei Verdacht auf eine erbliche Netzhautdystrophie

Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3

Abklärung von klassischen Symptomen (u. a. von Nachtblindheit, Nystagmus, lichtsuchendem Verhalten) Anamnese und Stammbaumanalyse Klinischer Befund durch ophthalmologische Untersuchung (inkl. der Perimetrie, OCT, Autofluoreszenz und ggf. Elektrophysiologie

Patient zeigt Hinweise für erbliche Netzhauterkrankung: Bestätigung durch molekulargenetische Untersuchung (bspw. RPE65-Mutation für erbliche Netzhautdystrophie) oder Überweisung an ein Spezialzentrum

und andere digitale Devices in diesem Bereich nutzen. Mediziner haben hingegen eher einen konservativen Zugang, für sie sind das Arzt-Patienten-Gespräch und die ärztliche Kunst unersetzlich. Gerade in den konservativen Fächern wird AI unumgänglich sein, und das früher, als den Skeptikern lieb ist. Das ärztliche Berufsbild wird sich anpassen müssen. Prim. REITSAMER: Ich bin davon überzeugt, dass Ärzte derzeit keine Angst vor der Zukunft haben müssen, denn die Roboter werden uns nicht ersetzen. Ganz im Gegenteil: AI wird es uns erlauben, noch „individueller“ auf Patienten einzugehen. AI wird auch eine Ökonomisierung erzielen, da Erkrankungen früher behandelt sowie eine höhere Treffsicherheit bei der Diagnostik und der Wahl der Therapie erzielt werden kann.

Die Interviews führte Emanuel Munkhambwa.

* RetNet: Genes and Mapped Loci Causing Retinal Diseases; https://sph.uth.edu/retnet/home.htm; Zugriff: 19.02.2021. X Infobox: Anzeichen und Symptome von erblichen Netzhauterkrankungen (IRD)

Visusbeeinträchtigung:

„ Verlust der Sehschärfe: kleine Kinder < 20/200; Jugendliche/Erwachsene3 20/200. „ Eingeschränktes Sichtfeld: Patienten geben „Tunnelblick“ an. Eltern geben an, dass kleine

Kinder bei schlechten Lichtverhältnissen gegen Gegenstände liefen. „ Reduziertes Farbsehen „ Nachtblindheit „ Erschwerte Dunkeladaption „ Lichtempfindlichkeit

Fundusanomalien:

„ Ältere Patienten mit Pigmentveränderungen, Netzhautdystrophie, Gefäßattenuation, Optikusabblassus „ Fehlende Fundus-Autofluoreszenz

Physische Anomalien:

„ Nystagmus „ Fehlendes Fixieren und Folgen bei Kleinkindern

Andere Systeme/Organe:

Einige IRD können zu Syndromen führen und weitere Systeme/Organe beeinträchtigen, bspw. bewirkt das Usher-Syndrom einen Hörverlust.

Elektrophysiologisch:

Ganzfeld-Elektroretinogramm (ERG) vermindert bzw. nicht messbar

ATTRv: Vererbte Amyloidablagerungen

Rasch progrediente Neuropathie bzw. Herzinsuffizienz als Leitsymptome

+++ Auf rasch progrediente Neuropathien achten +++ Wirksame kausale Therapien der ATTR-PN und ATTR-CM verfügbar +++ Krankheitsbeginn in Österreich vorwiegend nach dem 50. Lebensjahr +++ Später einsetzende Wild-Typ-TTR-Amyloidose vermutlich unterdiagnostiziert +++

Amyloidosen bezeichnen im Allgemeinen die Ablagerung von abnorm gefalteten Proteinen als nicht lösliche Fibrillen im Gewebe – die wohl bekannteste Manifestationsform stellt die AlzheimerKrankheit dar. Daneben existieren aber auch Amyloidosen, die zu den seltenen Erkrankungen zählen, etwa die hereditäre Transthyretin-Amyloidose, abgekürzt als ATTRv[ariant]. Bei dieser führt eine genetische Mutation dazu, dass das vorwiegend in der Leber gebildete Transportprotein TTR in Monomere zerfällt, anstatt stabile Tetramere zu bilden. Die Monomere verklumpen sich anschließend zu Fibrillen, die sich in unterschiedlichen Geweben ablagern können. Man unterscheidet zwischen der neurologischen Manifestationsform mit Polyneuropathie (ATTR-PN) und der kardialen Form mit Kardiomyopathie (ATTR-CM). Zudem gibt es gemischte Varianten.

Typische Verläufe identifizieren

In der Literatur wird die ATTRv häufig durch den Beginn um das 30. Lebensjahr charakterisiert, der Onset inkludiert meist autonome Symptome (wie Durchfälle) und Gewichtsverlust. „Das trifft aber nur auf die klassische hereditäre Form zu, die in Endemiegebieten wie Portugal, Schweden oder Japan verbreitet ist“ , erklärt Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Löscher, Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck. „Außerhalb dieser Endemiegebiete kommt es meist zu einer Late-Onset-Amyloidose, bei der die Symptome mit 50 bis 60 Jahren beginnen und nur wenige autonome Zeichen vorliegen. Interessanterweise sind die Mutationen im TTR-Gen aber häufig dieselben wie in den Endemiegebieten.“ Bei den Patienten, die in deutschen und österreichischen Zentren betreut werden, ist die gemischte Form der TTRAmyloidose am häufigsten (45 %), gefolgt von einer vorwiegend neurologischen (30 %) bzw. kardialen Symptomatik (25 %).1 Die diagnostisch wichtigsten Beschwerden werden nachfolgend dargestellt.

Experte zum Thema: Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Löscher

Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck

Neurologische Beschwerden

„Das Kardinalsymptom, das die ATTRPN von anderen Neuropathien unterscheidet, ist die sehr rasche Progredienz“ , macht der Neurologe aufmerksam. „Innerhalb einiger Monate kann man deutliche Verschlechterungen beobachten. Die Neuropathie ist mit einer Gangunsicherheit assoziiert und führt unter Umständen rasch zu Lähmungen. “ Darüber hinaus sollte an eine Amyloidose gedacht werden, wenn die Hände sehr früh von der Neuropathie betroffen sind. „Eine Red Flag stellt in diesem Zusammenhang ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom in der Patientengeschichte dar“ , gibt Prof. Löscher zu bedenken. Die Neuropathie könne auch mit einem Gewichtsverlust einhergehen, autonome Funktionsstörungen, z. B. gastrointestinale Symptome, eine erektile Dysfunktion, eine orthostatische Hypotonie oder Harninkontinenz1, seien hierzulande – wie bereits erwähnt – eher selten.

Kardiologische Beschwerden

Bei der ATTR-CM bzw. bei Mischformen stehen klassische Herzinsuffizienzsymptome im Vordergrund. „Tagesmüdigkeit, Kurzatmigkeit beim Treppensteigen, eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Belastungsdyspnoe und Beinödeme weisen auf eine geschwächte Herzleistung hin“ , so Prof. Löscher. Im weiteren Verlauf könne es auch zu einem Aszites oder einer Lebervergrößerung kommen, „aber glücklicherweise suchen die Patienten uns im Normalfall schon viel früher auf.“

Genetik zur Diagnosesicherung

Im Rahmen der neurologischen Untersuchung können anhand einer >

Gewebebiopsie Amyloidablagerungen festgestellt werden. „Jedoch macht man das heutzutage kaum mehr, da sich genetische Untersuchungen einfach und schnell durchführen lassen und auch schon relativ günstig geworden sind. Bei Verdacht auf eine ATTRv kann man also direkt die genetische Testung vornehmen“ , so Prof. Löscher. Bestehen kardiale oder Mischformen, sind in der Echokardiographie und der kardialen MRT typische Veränderungen erkennbar, etwa hinsichtlich der Wanddicke, der Füllungsmuster und der linksventrikulären Ejektionsfraktion bzw. des aus der MRT ersichtlichen Late-Gadolinium-Enhancements. Statt einer Biopsie kommt immer häufiger die nicht invasive Skelettszintigraphie zum Einsatz.2 „Sie ist sehr spezifisch und gut zur Diagnose der kardialen Amyloidose geeignet. Zwecks Sicherung der Diagnose wird danach eine genetische Testung eingeleitet“ , macht der Experte aufmerksam.

Kausale Behandlung verfügbar

Während die Lebertransplantation früher als einzige kausale Therapiemöglichkeit galt, stehen mittlerweile auch medikamentöse Therapien zur Verfügung, die in der Lage sind, den Krankheitsverlauf zu modifizieren. „Die Lebertransplantation ist nur bei Patienten unter 50 Jahren ein Thema. Da es in Österreich aber ausschließlich ältere Patienten gibt, haben wir keinen einzigen mit transplantierter Leber“ , berichtet Prof. Löscher. Für die ATTR-PN sind drei unterschiedliche Wirkstoffe zugelassen (siehe Infobox 1). Alle sind für das PNP-Stadium 1 (nach Coutinho) geeignet, wenn noch keine Gehhilfen erforderlich sind, bzw. zwei auch für das PNP-Stadium 2, wenn bereits Gehhilfen benötigt werden. Wie aus Infobox 2 ersichtlich ist, konsultieren die meisten Patienten bereits im PNP-Stadium 1 einen Arzt. Die Ansatzpunkte der Medikamente sind verschieden: Der als erster zugelassene Wirkstoff Tafamidis stabilisiert das TTR-Tetramer, während Inotersen und Patisiran als „gene silencer“ fungieren und mittels Antisense-Oligonukleotiden bzw. mRNA-Interferenz die TTR-Synthese hemmen.3 „Die Progression der Neuropathie kann durch die kausale Therapie verzögert oder im besten Fall sogar aufgehalten werden“ , berichtet der Experte. Neuere 2-Jahres-Daten zeigen auch, dass die Wirksamkeit zumindest über diesen Zeitraum anhalte. „Für die Therapie der kardialen Amyloidose ist derzeit nur Tafamidis zugelassen“ , ergänzt Prof. Löscher. „Hier zeigte sich in Studien eine Reduktion der Mortalität und im Beobachtungszeitraum kam es auch zu weniger Hospitalisierungen als in der Kontrollgruppe.“

X Infobox 1: Kausale Therapie der ATTR

Zugelassene Substanzen bei Polyneuropathie:

„ Tafamidis: oral, für Stadium 1 „ Inotersen: subkutan, für Stadium 1 & 2 „ Patisiran: intravenös, für Stadium 1 & 2

Zugelassene Substanzen bei Kardiomyopathie:

„ Tafamidis: oral

Symptomatische Behandlungsmöglichkeiten

Ergänzend können folgende Therapien eingesetzt werden, um die Symptome zu mildern: • Polyneuropathie: Geeignet sind eine

Schmerztherapie mit Medikamenten, die für neuropathische Schmerzen zugelassen sind (beispielsweise mit

Pregabalin, Gabapentin oder trizyklischen Antidepressiva), sowie eine

Physiotherapie. • Kardiomyopathie: Prinzipiell gelten dieselben Therapieempfehlungen wie für Patienten mit Herzinsuffizienz.

Allerdings steht in der Praxis der Einsatz von Diuretika im Vordergrund, da

Betablocker und ACE-Hemmer auch in niedriger Dosierung zu einer symptomatischen Hypotonie führen können und mitunter schlechter vertragen werden als bei nicht amyloidbedingter

Herzinsuffizienz.4

Mortalität durch frühe Zuweisung senken

Wird die ATTRv nicht entsprechend diagnostiziert und behandelt, liegt das mittlere Überleben bei etwa zehn Jahren nach Auftreten der ersten Symptome. „Es wäre wichtig, dass niedergelassene Ärzte früh an eine ATTRv denken und die Patienten zur Abklärung überweisen. In den meisten Bundesländern etablieren sich bereits AmyloidoseZentren“ , berichtet der Neurologe. Bei der laufenden Betreuung der Patienten müsse lediglich darauf geachtet werden, dass sie regelmäßig ihre Rezepte bekämen, bzw. sei im Fall einer Verschreibung von Patisiran die intravenöse Therapie zu begleiten. „Tafamidis und Inotersen nehmen die Patienten eigenständig ein bzw. spritzen es sich“ , so der Experte. „Auch bei älteren Patienten soll an eine TTR-Amyloidose gedacht werden“ , unterstreicht Prof. Löscher. Denn die Wild-Typ-TTR-Amyloidose trete in der Mehrzahl der Fälle jenseits des 70. Lebensjahres auf. „Patienten haben meist leichtere und weniger rasch progrediente Neuropathien als bei der ATTRv. Kardiale Probleme stehen im Vordergrund“ , informiert der Neurologe. Die Prävalenz sei bislang unterschätzt worden – so könnten ein Viertel der über 80-jährigen und 13 % der über 60-jährigen Patienten mit Herzinsuffizienz vom HFpEF-Typ an dieser Form der Amyloidose erkrankt sein.3

X Infobox 2: Hereditäre TTR-Amyloidose

in Österreich5

Im Rahmen einer 2020 publizierten Studie wurden österreichische Patienten mit ATTRv begleitet:

„ Alter beim Onset: Median: 61,7 Jahre,

Range: 45-80 Jahre „ Zeit bis zur Diagnose:

Median: 21,8 Monate „ Initiale Beschwerden: kardial: 54,5 %,

Polyneuropathie: 22,8 %, gemischt: 13,8 %, gastrointestinale und andere Beschwerden: 9 % „ NYHA-Klasse bei Erstvorstellung: 0: 18 %, I: 9 %, II: 64 %, III: 9 % „ PNP-Stadium bei Erstvorstellung: 0: 54,5 %, 1: 55,5 %

Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc

Quellen: 1 Hund E et al., Akt Neurol 2018; 45: 605-616. 2 Arnheim K, CardioVasc 2019; 19: 63. 3 Ihne S et al., Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 159-66. 4 Yilmaz A et al., Kardiologe 2019; 13: 264-291. 5 Auer-Grumbach M et al., J Clin Med 2020; 9: 2234.

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