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Neurofibromatose Typ 1 erkennen
Unter anderem sind Café-au-Lait-Flecken für diese Erkrankung typisch
Foto: © Alicia Baumgartner, privat Neurofibromatose Typ 1 (NF1) ist ein Tumorprädispositionssyndrom, bei welchem im Laufe des Lebens (neben anderen Beschwerden) Tumoren in multiplen Organsystemen entstehen können. NF1 wird meist im Kindesalter symptomatisch. Die Prävalenz der NF1 liegt bei 1/3.000 Lebendgeburten. Als erbliche Erkrankung ist NF1 angeboren, ist also bei der Geburt schon vorhanden, auch wenn Erkrankungszeichen erst zu einem späteren Zeitpunkt auftreten. Konkret wird NF1 autosomal dominant vererbt, das heißt, dass für Kinder eines Elternteils mit NF1 eine 50%ige Wahrscheinlichkeit besteht, die fehlerhafte NF1-Genvariante zu erben und ebenfalls an NF1 zu erkranken.
Autorin: Dr. Alicia Baumgartner
Pädiatrische Neurofibromatose-Ambulanz, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, MedUni Wien
Symptome von NF1
Das klinische Bild der NF1 variiert somit sehr stark und kann selbst innerhalb einer Familie mit ein und derselben Genveränderung sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Nachfolgend sind die häufigsten Manifestationen der NF1 zusammengefasst: Café-au-Lait-Flecken: Menschen mit NF1 haben fast immer sechs oder mehr Milchkaffeeflecken (Größe von > 5 mm vor der Pubertät; > 15 mm danach), die für gewöhnlich von Geburt an vorhanden sind oder innerhalb der ersten Lebensjahre auftauchen. Lisch-Knötchen sind Pigmentklümpchen der Iris des Auges, die üblicherweise im Kindesalter auftauchen. Weder verursachen sie medizinische Probleme, noch beeinträchtigen sie das Sehvermögen. Sommersprossen treten nicht nur in Hautbereichen auf, die regelmäßig der Sonne ausgesetzt sind, sondern typischerweise auch in der Achselhöhle (axilliäres Freckling) und in der Leiste (inguinales Freckling). Milchkaffeeflecken ebenso wie Sommersprossen und Lisch-Knötchen sind harmlos, helfen aber oft dabei, NF1 zu diagnostizieren. Neurofibrome, die häufigsten und namensgebenden Tumoren der NF1, sind gutartige Geschwülste. Man unterscheidet kutane von plexiformen Neurofibromen. Letztere wachsen verstreut oder als Knötchen entweder unter der Hautoberfläche oder tiefer im Körper, haben die Neigung, größer zu werden und sich mit gesundem Körpergewebe zu verflechten. Da plexiforme Neurofibrome ein Risiko von 10 % haben, bösartig zu werden, müssen plötzliches Wachstum oder diesbezügliche Schmerzen unbedingt beachtet und rechtzeitig weiter abgeklärt werden. Gutartige Nerventumoren können am gesamten Körper auftreten, bei ca. 10 % der Betroffenen findet sich jedoch eine Entartung bestehender Nerventumoren zu malignen peripheren Nervenscheidentumoren (MPNST), die eine infauste Prognose haben, falls sie nicht rechtzeitig erkannt und entfernt werden. Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko, Gliome (v. a. Optikusgliome, also niedriggradige Tumoren der Sehbahn, aber auch höhergradige Hirntumoren) zu entwickeln. Ungefähr 15 % der NF1Betroffenen entwickeln Sehbahntumoren, die manchmal auch zu Sehkraftverlust, einer Einschränkung des Gesichtsfeldes oder zu Schmerzen hinter dem Auge führen können. Weitere gehäuft auftretende Tumoren sind u. a. Brustkrebs, Phäochromo-
Autor: Assoc. Prof. Dr. Amedeo Azizi
Pädiatrische Neurofibromatose-Ambulanz, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, MedUni Wien
zytome und Stromatumoren des Darms. Aus diesem Grund wird bei Frauen mit NF1 ein Brustkrebsscreening ab dem Alter von 35 Jahren angeraten. Neben onkologischen Manifestationen haben Personen mit NF1 auch ein erhöhtes Risiko, Knochenanomalien wie Skoliosen (Wirbelsäulenverkrümmung) in circa 10 %, Tibia-Dysplasien in circa 5 % (mit oder ohne Pseudarthrosen = falsche Gelenke) sowie selten Keilbein-Dysplasien zu entwickeln. Bluthochdruck, Minderwuchs, Makrozephalie, vorzeitiger oder verspäteter Pubertätsbeginn sowie Lern- und Konzentrationsschwäche oder Epilepsie stellen weitere mögliche Symptome dar.
Entwicklungsverzögerung und Lernstö-
rungen: Bereits im frühen Kindesalter sind manchmal Entwicklungsverzögerungen wie verspätetes Krabbeln, Sitzen, Gehen und Sprechen feststellbar. Zu einem späteren Zeitpunkt können auch Lernstörungen in Form von Schwierigkeiten mit dem Schreiben, der Konzentration und dem Fokussieren beobachtet werden. Weitere Symptome: NF1 kann, wie bereits erwähnt, sehr unterschiedlich verlaufen und daher mannigfaltige Krankheitsmerkmale aufweisen. Neben Schmerzen (Kopfschmerzen) können auch Störungen des Wachstums oder des Herz-Kreislauf-Systems (hoher Blutdruck, Herzklappenfehler, Nierenarterien-Stenosen) auftreten.
Diagnose von NF1
Viele Symptome (Krankheitsmerkmale) treten altersabhängig und somit erst im Verlauf der Erkrankung auf, sodass eine Diagnosestellung insbesondere bei jungen Betroffenen schwierig sein kann. Tabelle 1 beinhaltet die Diagnosekriterien. Oft werden Personen mit einer milden Form der NF1 erst sehr spät oder gar nie diagnostiziert. Manchmal wird erst bei Diagnosestellung von Kindern klar, dass auch ein Elternteil von NF1 betroffen ist. Die Magnetresonanztomographie ermöglicht es, plexiforme Neurofibrome und Optikusgliome zu erkennen und zu kontrollieren. Molekulargenetische Untersuchungen können maßgeblich zu einer raschen Diagnosestellung beitragen. X Tabelle 1: NF1-Diagnosekriterien
Die Diagnose gilt als gesichert, wenn mindestens zwei der folgenden klinischen Merkmale erfüllt sind:
Sechs oder mehr Café-au-Lait-Flecken von einer Größe von mindestens 5 mm im Kindesalter, bzw. von 15 mm nach der
Pubertät. Zwei oder mehr Neurofibrome oder ein plexiformes Neurofibrom. Sommersprossenartige Flecken (Freckling) in der Leisten- oder Achselgegend. Sehnervtumor (Optikusgliom). Zwei oder mehr Lisch-Knötchen. Charakteristische Knochenfehlbildungen. Vorhandensein eines Verwandten ersten
Grades (Geschwister, Eltern) mit NF1.
Therapie bei NF1
Zu betonen ist, dass Menschen mit NF1 keine wesentliche Verkürzung der Lebenserwartung haben. Bei Verläufen mit sehr milden Symptomen und kaum merkbaren Beeinträchtigungen sind therapeutische Interventionen oft nicht notwendig. Bei schwereren Verläufen richtet sich die Therapie nach den Beschwerden. Liegen Entwicklungsverzögerungen oder Lernstörungen vor, können neuropsychologische Unterstützung und Frühförderung sinnvoll sein. Regelmäßige Routineuntersuchungen für Kinder und Erwachsene sollten eine klinische und neurologische Untersuchung sowie Visusprüfung (bei Kindern), Blutdruckmessungen und Wachstumsmessungen beinhalten, um im Falle von neurologischen oder ophtalmologischen Auffälligkeiten, Hypertonie oder zunehmendem Kopfumfang eine frühzeitige Diagnose und falls nötig Behandlung beginnen zu können. Bei Optikusgliomen und plexiformen Neurofibromen kommen, wenn dies notwendig ist, Chemotherapie, chirurgische Eingriffe und zielgerichtete medikamentöse Therapien zur Anwendung. Schmerzen lassen sich mittels vieler verschiedener Therapieoptionen behandeln. Wichtig ist, dass neu auftretende Schmerzen in einem plexiformen Neurofibrom ein Zeichen von Bösartigkeit sein können und sofortiger Aufklärungsbedarf besteht. Kosmetische Beeinträchtigungen können unter Umständen mit operativen Verfahren gemildert werden.
Was Hausärzte tun können
Allgemeinmediziner sind meist die ersten Ansprechpartner für Patienten. Ihnen kommt die wichtige Aufgabe zu, bei der Präsentation von Kindern sowie Erwachsenen mit charakteristischen Hauterscheinungen, etwa CALM oder Neurofibromen, an die Differentialdiagnose NF1 zu denken. Sie sollen Verdachtsfälle an ein spezialisiertes Zentrum für NF1 weiterleiten, wo (falls indiziert) mit einer gezielten Abklärung begonnen werden kann. Patienten mit NF1 benötigen eine umfassende klinische Betreuung, einige Untersuchungen können auch im niedergelassenen Bereich durchgeführt werden. Im Vordergrund steht für Hausärzte die zumindest jährliche klinische Untersuchung inklusive genauer Statuierung des Nervensystems. Schmerzhafte, schnell wachsende Knoten oder neue Funktionseinschränkungen stellen wichtige Warnsignale dar und erfordern umgehend eine weitere Abklärung. Im Kindesalter ist außerdem auf regelmäßige Messungen von Größe, Gewicht, Kopfumfang sowie Blutdruckwerten zu achten. Auf diese Weise können Hausärzte einen wichtigen Beitrag für die frühe Erkennung von NF1 und zur Minimierung von möglichen Komplikationen leisten sowie das Management der Patienten verbessern. <
X Infobox: Hilfe für Patienten und
Angehörige
Der Verein NF Kinder, eine gemeinnützige Patientenorganisation, setzt sich für Menschen mit Neurofibromatose jeden Alters in ganz Österreich ein. Servitengasse 5/16, 1090 Wien www.nfkinder.at kontakt@nfkinder.at
NF-Kinder-Expertisezentrum
Gebäude: Kliniken am Südgarten – Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien www.nf-zentrum.at