RC Premium 3/2016

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DOSSIER

Mensch und Gefühl

Selbstvertrauen heißt auch, auf sein Gefühl zu vertrauen … Von Dr. Matthias Zimmermann

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ensch und Gefühl? Denkt man über Gefühle nach, eröffnet sich ein breites Feld: Von Frust bis Lust, von körperlichen und seelischen Empfindungen, von völliger sinnlicher Hingabe bis totaler emotionaler Ignoranz. Wie damit umgehen – und wie darüber schreiben? Einen Artikel über Gefühl schreibt man am besten aus dem Gefühl heraus! Also: Mehr Bauch als Kopf. Philosophen allerdings würden sich im Grabe umdrehen. Ist nicht von der Antike bis zur Aufklärung die Vernunft die überlegene Instanz? Will nicht alles bis ins Letzte durchdacht, rational abgewogen, plausibel entschieden und dargelegt sein? Aristoteles definierte den Menschen als „animal rationale“. Mit dem Satz „Cogito Ergo Sum“ begründete René Descartes den frühneuzeitlichen Rationalismus. Der Enzyklopädist Gottfried Wilhelm Leibniz war überzeugt, dass Gefühle uns Menschen „verdunkeln“ und „unvollkommen“ erscheinen lassen. Heute wissen wir: „Gefühle sind der Treibstoff des Lebens“, wie der portugiesisch-amerikanische Neurologe und Buchautor Antonio R. Damasio sagt. Das Wissen um die eigenen Emotionen und Gefühle ist zentral für das Bemühen, ein gelingendes Leben zu führen (und ggf. einen lesbaren Beitrag darüber zu verfassen …)!

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Die Unterscheidung zwischen Emotion und Gefühl

Damasio versteht Emotionen als den überwiegenden Teil dessen, was uns im Innersten rührt und bewegt, also die oft nur schwer fassbaren, unbewussten Seelenregungen, die im Verborgenen wirken und den Gefühlen vorauseilen. Davon unterscheidet er die Gefühle als das, was uns bewusst und zum Gedanken wird. Gefühle sind ein Ausdruck menschlichen Wohlbefindens und menschlichen Elends, das Spiegelbild des Zustands von Körper und Geist. Sie enthüllen die Verfassung des gesamten Organismus. Wenn irgendetwas an uns von der Gleichzeitigkeit unser Kleinheit und Größe zeugt, dann sind es unsere Gefühle. Wir sind – anders als Tiere – in der Lage, Gefühle klar zu erkennen, zu beschreiben, auszusprechen und mitzuteilen. Interessanterweise finden basale Gefühle wie Angst, Wut, Scham, Trauer, Lust, Schmerz, Ekel bei allen Menschen völlig unabhängig vom kulturellen Hintergrund in gleicher Weise Ausdruck. Diese bei allen Menschen gleiche Mimik, die z.B. Freude oder Wut offenbart, zeigt die evolutionäre Bedeutung von Emotionen als unserem Naturell innewohnend – unabhängig der Sozialisation. Damasio begründet diese Unterscheidung evolutionsbiologisch: Erst waren die Emotionen, dann brachte die Evolution die Gefühle hervor.


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