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Mensch und Zuhause von Matthias Zimmermann
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as bedeutet das eigentlich: nach Hause kommen, Zuhause zu sein? Eine physische Adresse? Das Zuhause kann ein Ort sein, auch die Umgebung und eine Landschaft – die Berge, das Meer. Oder Menschen und Beziehungen, Sprache und Kultur, Empfindungen und Erinnerungen. Jedenfalls scheint es etwas Wichtiges zu sein, etwas, das uns beschäftigt und womit es sich zu beschäftigen lohnt – trotz oder gerade wegen der Mobilität und Flexibilität, die heutzutage erwartet wird, und der Unübersichtlichkeit und Komplexität, mit der wir uns bisweilen konfrontiert sehen. Selbst der Begriff Heimat erfährt eine Wiederbelebung. Bei der Suche nach den schönsten deutschen Wörtern erzielt das Wort Heimat stets einen der Spitzenplätze. Es erzeugt ein Gefühl der Behaglichkeit und hat beinahe normativen Charakter: Heimat muss ersichtlich schön sein. Gleichzeitig haftet dieser Vokabel noch immer eine unbehagliche Ambivalenz an – einige historisch belastete Assoziationen gehen damit einher. Dennoch: ein Zuhause zu finden, sich ein Zuhause zu schaffen, auch eine Heimat zu haben, all dies gehört wohl zu unseren Grundbedürfnissen und ist ein mitunter der - Pfeiler in unserem Lebensentwurf – womöglich gar mehr denn je unter den Vorzeichen der heutigen Zeit …!
Heimat und Zuhause
Es gibt nicht viele Begriffe in der deutschen Sprache, die nur im Singular existieren. Heimat und Zuhause sind zwei davon. Heimaten? Zuhäuser? Der Plural ist nicht vorgesehen, wenn wir uns darüber unterhalten wollen, dass wir uns möglicher-
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weise an mehreren Orten zuhause fühlen. In früheren Zeiten war es normal, nur ein Zuhause, eine Heimat zu haben. Wie ist das heute? In der modernen Welt, seiner Internationalität und Mobilität, geraten die Begriffe Heimat und Zuhause wieder verstärkt ins Bewusstsein. Woran mag das liegen? Historisch zeigt sich, dass Heimat als Thema immer dann besondere Anziehungskraft entfaltet, wenn die Lebensbedingungen tatsächlich oder vermeintlich schwieriger werden. Es war das Zeitalter der beginnenden Industrialisierung, das ab Mitte des 18. Jahrhunderts einen dramatischen gesellschaftlichen Umbruch mit sich brachte. Verstädterung und Landflucht führten zu einer Auflösung von Geborgenheit im vertrauten Umfeld mit der Folge der sozialen Entwurzelung einer rapide zunehmenden Anzahl an Industriearbeitern. Literatur, Kunst und Musik entdeckten so die Seele des Menschen als Thema, dem man sich im wahrsten Sinne des Wortes leidenschaftlich zuwandte – und dabei abwandte von der Antike und von klassischen Vorbildern, den Philosophen des alten Griechenlands und Roms. Ende des 18. Jahrhunderts nahm die Epoche der Romantik ihren Anfang und schickte sich an, die Strenge des Klassizismus und die Vernunft gerichtete Philosophie hinter sich zu lassen. Die romantisierende Aufladung des Heimatbegriffs war eine Kampfansage an die Moderne, an soziale Mobilität und Fremdheit – und eine Absage gegenüber dem Hochziel der reinen Rationalität.