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Training für die Seele
from Ötztal Magazin
by Griassdi.com

Christian Penning
Sieger im Wintersport werden nicht nur im Schnee gemacht. Im Sommer tanken die Skistars aus dem Ötztal Kondition und mentale Power in den heimischen Bergen. Unterwegs mit der Allrounderin Franziska Gritsch und Slalom-Spezialist Fabio Gstrein.
Franziska Gritsch strahlt, als hätte sie gerade ihr erstes Weltcup-Rennen gewonnen. Dabei steht sie nicht mal auf Ski. Die 23-jährige Ski-Rennläuferin schraubt sich auf dem Rennrad Höhenmeter um Höhenmeter zum Timmelsjoch hinauf. Es ist noch früh, gerade schickt die Sonne ihre ersten Strahlen über den Bergkamm der Dreitausender, die das Südtiroler Passeiertal vom Ötztal und Gurgler Tal trennen. „In solchen Momenten geht mir das Herz auf“, gesteht sie mit großen Augen. Etwa zur gleichen Zeit streift ihr gleichaltriger Nationalmannschaftskollege Fabio Gstrein über die im Morgentau glitzernden Bergwiesen nahe der Gaislachalm – hinauf zu den Schotterkaren am Gaislacher See. Der Slalom-Spezialist und A-Kader-Athlet aus Sölden genießt die wenigen Wochen im Sommer in den heimischen Hausbergen – zwischen Trainingsblöcken auf Schnee, die ebenfalls im Sommer stattfinden. Wenn er die Bergschuhe schnürt, ist auch das Teil seines Trainings. Aber ein freieres. „Erholung für den Kopf“ nennt er das. Die Heimat – ein Ruhepol. Grüne Almen statt weißer Hänge. Kraftplätze statt Kraft- und Koordinationstraining. Für Letzteres fährt er dreimal pro Woche zum Olympiastützpunkt nach Innsbruck. Anderntags kurbelt Fabio mit dem Mountainbike einen Trail überm Venter Tal zur Hütte seiner Familie hinauf – für ihn der perfekte Weg, um innere Ruhe zu finden. Gelassenheit und Konzentration für Vollgasfahrten durch den Stangenwald tankt er auch daheim am Bauernhof der Eltern. Wenn er vom Berg kommt, geht’s ans Heumachen, in den Stall, zu Kühen, Ziegen und Hühnern. „Die Konkurrenz im Slalom ist knallhart“, erklärt er. „Oft liegen die 30 Topfahrer weniger als 1,5 Sekunden auseinander. Da reichen Fitness und Technik alleine nicht aus.“


Natur heilt
Das sieht auch Franziska Gritsch so. Ganz bewusst hat sich die Umhausnerin entschieden, den größten Teil des Sommers daheim im Ötztal zu verbringen. Über 200 Tage im Jahr ist sie auf Achse, die meisten davon im Schnee. Ihr Sommermotto: Regenerieren, Kraft tanken. Schwere Verletzungen hätten sie vor ein paar Jahren beinahe aus der Erfolgsspur geworfen: Wadenbeinbruch, Kreuzbänder gerissen, Schienbeinkopf und Meniskus kaputt. „Im Grunde ein Totalschaden“, resümiert sie. Doch sie nutzte die harte Zeit. Im vergangenen Winter gelangen ihr Top-Platzierungen im Weltcup. Die Basis dafür hat sie sich nicht nur auf Schnee geholt. „Die Sommertage in der Natur helfen mir, Körper, Geist und Seele in einen harmonischen Dreiklang zu bringen.“
Natur pusht
Im Therapiezentrum Radl in Umhausen absolviert Franziska das Konditionstraining: Kniebeugen, Schnellkraft, Rumpfstabilität, feinmotorische Gleichgewichtsübungen. Fünf bis sechs Mal pro Woche. Genauso oft ist sie zusätzlich draußen aktiv. „Wenn ich die Treppen zum Stuibenfall hinaufrenne, führt mich jeder Schritt näher zu meinem persönlichen Olymp“, grinst sie, als sie nach über 700 Stufen hechelnd am Scheitel des Wasserfalls ankommt. „Kein Mensch ist eine reine Leistungsmaschine“, überlegt Franziska, „weder ein Spitzensportler noch
Franziska am Stuibenfall
ein Top-Manager. Nirgendwo sonst kannst du besser du selbst sein als in der Natur.“ Ruhige Plätze dafür gebe es im Ötztal trotz manch beliebtem Insta-Spot mehr als genug, sagt Fabio, als er Franziska zu einem kurzen Trainingslauf über die Moränen des Rettenbachgletschers trifft. Am nächsten Morgen hat sich die Allround-Athletin mit sich selbst zum
Yoga und Stretching am Habicher See verabredet. Einer ihrer Lieblingsplätze. „Ideal zum Runterkommen!“ Ruhig atmend findet sie in der Standwaage die Balance. Die Sonne schickt ihre ersten Strahlen durch die Baumkronen am Ufer und lässt kleinste Quarzpartikel im Wasser schimmern wie Goldstaub. „A bissl Glitzer schadet nie im Leben“, meint Franziska versonnen. So klappt’s sicher auch bald mit Edelmetall im Schnee.
Die Konkurrenz im Slalom ist knallhart. Da reichen Fitness und Technik alleine nicht aus.
CHRISTIAN PENNING
Der Autor und Fotograf liebt im Sommer die Vielseitigkeit am Berg: beim Biken, Wandern, Trailrunning und Rennradfahren.