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Holla die Gams
from Ötztal Magazin
by Griassdi.com
Sie ist Akrobatin, Jagdtrophäe, Sagengestalt und Überlebenskünstlerin. Die Gämse gehört zu den ältesten und erstaunlichsten Hochgebirgstieren der Alpen.
Isolde v. Mersi
Gämsen sind Vollbluteuropäer. Ihr Vorkommen ist weitgehend auf unseren Kontinent beschränkt, eine Rarität in der Tierwelt. Heute siedeln sie nur mehr im Alpenraum und in manchen Balkangegenden. Während der letzten europäischen Kaltzeit, der Würmeiszeit von etwa 115.000 bis 10.000 Jahren vor heute, erstreckte sich ihr Lebensraum auch auf Mittelgebirgslagen. Heute erspähen wir Wanderer Gämsen nur mehr im Hochgebirge, in schroffem Felsgelände. Gämsen mögen’s nämlich kalt, schon Temperaturen ab 12 Grad empfinden sie als unangenehm. In den Alpen bewegen sich die Tiere daher oberhalb des Waldgürtels auf Höhen bis zu 2.500 Meter, außer in kargen Wintern. Fürs Leben in der Vertikalen sind Gämsen körperlich perfekt ausgestattet. Das Gamsherz ist so groß und muskulös, dass es bis zu 200 Herzschläge pro Minute aushält. Das Wesentliche sind aber die spreizbaren Hufe mit hartgummiartigen Sohlen und Außenkanten, die wie Steigeisen funktionieren. Damit können Gämsen bis zu zwei Meter hoch und sechs Meter weit springen. Bergab rennen sie mit bis zu 50 km/h.
Jägerlatein
Der Name der Gämse stammt aus einer untergegangen Alpensprache und ist seit dem 13. Jahrhundert im Althochdeutschen als „Gamiza“ bezeugt. In der alpinen Sagenwelt, auch der des Ötztals, sind Gämsen magische und heilige Tiere. Wer sich gegen sie versündigt, wird bestraft. Auch davon künden die Sagen: Weil kein Mensch dessen Akrobatik erreichen kann, war das Gamswild in den Alpen immer schon die faszinierendste Herausforderung für Jäger. Nur die erfahrensten, geländegängigsten und geduldigsten unter ihnen bringen seit jeher Gämsen zur Strecke. Dafür werden sie traditionell auch doppelt belohnt. Zum einen tragen außer den Gamsböcken auch die Gamsgeißen Geweihe, die sie nie abwerfen. Zum anderen haben alle Gämsen einen Gamsbart. Nicht am Kinn, sondern auf dem Rücken. Und so sind Gamskrucken an der Hauswand, noch mehr aber die ambulant vorzeigbaren Gamsbärte auf den Hüten traditionell die alpinen Jagdtrophäen schlechthin. Im Alpenbogen leben geschätzte 400.000 Gämsen, die größte Population hat Österreich. Die Tiere sind jagdbar, allerdings nach genauen Regeln. Schutz braucht das Gamswild trotzdem. Seuchen wie Gämsblindheit, Naturgewalten wie Lawinen und Feinde wie der Steinadler dezimieren es. Im Sommer setzen oftmals rücksichtslose Wanderer die tagaktiven Herden von Weibchen und Jungen unter Stress. Übrigens gibt es auf der Südinsel Neuseelands die einzigen nichteuropäischen Gämsen. Für Jäger am Mount Cook kamen per Schiff 1907 acht Gämsen, 1914 zwei weitere zum Aufbau einer Population. Beide Frachten stammten aus Österreich.