Die Gräber schweigen - von Johann Steiner

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ich Verbindungen nach draußen unterhielte. Wegen der Studentendemonstrationen habe ich die vielen Prügel bekommen. Und darum wurden auch meine Gefängniswachen verhaftet. Nach langer Diskussion gab mir der Ermittler eine Tüte mit Bonbons und die handgeschriebenen Erklärungen einiger Wärter zu lesen. Er wollte wissen, welcher von ihnen mich tatsächlich gefasst hat. Der Ermittler hatte mich gar nichts gefragt, sondern nur geschrieben. Er sprach so leise mit der Sekretärin, dass ich kaum etwas verstehen konnte. Nach einiger Zeit gab er mir ein paar Seiten mit meiner Erklärung, die ich - vorausgesetzt mein Einverständnis - unterschreiben sollte. Von den vier Wärtern hatte lediglich Unguru die Wahrheit geschrieben, die anderen hatten allerhand Lügen festgehalten, was der Staatsanwalt auch gemerkt hatte. Er verabschiedete mich mit der Bemerkung, dass er mich leider anbrüllen müsse, und mit der Bitte, ich solle die Studenten grüßen. Was meinen Prozess anbelangt, sollte ich mir keine Sorgen machen. Er öffnete die Tür und schrie mich an, ich würde dies mein Leben lang bereuen. Nachdem die Wärter mir die Handschellen erneut angelegt und mir die große Pelzmütze auf den Kopf gesetzt hatten, ging es genau so zurück ins Gefängnis, wie wir zum Gericht marschiert waren. Im Gefängnishof trafen wir einen Wärter, der ebenfalls erklärt hatte, mich als erster gestellt zu haben. Hasserfüllt sagte er mir, ich hätte Glück gehabt, dass der Soldat ihm die Pistole weggedrückt hatte, sonst wäre er zum Wachtmeister aufgestiegen, ich aber hätte mein Leben lang an ihn gedacht, denn er hätte mir die Füße zerschossen, worauf er mir zwei Hiebe ins Gesicht versetzte. Nun kam ich wieder blutverschmiert in die Zelle. Die Studenten umkreisten mich und konnten nicht genug hören, ich hatte wirklich viel zu berichten. Abends fragte der Kommandant, wer mich geschlagen hat und ob ich etwas Unrechtes getan hätte. Ich sagte, der mit den eisernen Zähnen. Dann ließ er einen aus meiner Eskorte rufen, mehr habe ich nicht mitbekommen. Von dem Tag an habe ich dieses Monster mit den Eisenzähnen nicht mehr gesehen. Gewöhnlich machte der im Hof Dienst und führte die Häftlinge spazieren. Er sorgte auch dafür, dass die Häftlinge aus verschiedenen Zellen nicht in Berührung kamen. Unsere Zelle war inzwischen so überfüllt, dass wir keinen Platz zum Sitzen hatten. Deshalb durften wir auch auf den unteren Betten Platz nehmen. Alle Zimmer mit politischen Häftlingen waren überfüllt. Die Studenten erzählten, dass sie sich mit Kommilitonen in anderen Städten organisiert hätten. Sie hätten aber auf keinen Fall ein Blutbad wie in Ungarn anrichten wollen. Von den ganzen Ereignissen hatte ich bis zum Verhör keine Ahnung. Ich hörte ein paar Tage lang nur Motorengedröhn. Die Russen hatten alle Panzer verladen und nach Ungarn verlegt, um die Revolution niederzuwerfen. Eben in jenen Tagen war ich ausgebrochen. Die Furcht der Kommunisten war sehr groß, sie hatten vor ihrem eigenen Schatten Angst. Die Zeit bis zum Prozess verging schnell. Am Prozesstag wurden mir erneut

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Beim Fluchtversuch die Beine verloren

3min
pages 277-279

Glückssträhne

7min
pages 297-300

Plötzlich Herr und Millionär

12min
pages 291-296

Prügelnde Aufseher im Werschetzer Gefängnis

14min
pages 284-290

Lagerfeuer im Grenzerstützpunkt

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pages 280-283

Schwere Entscheidung, schwerer Weg

9min
pages 268-272

Von Grenzübergang zu Grenzübergang

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pages 255-267

Mit zwei Kleinkindern über die Donau

7min
pages 273-276

Halluzination in der Strommitte

21min
pages 244-254

Mehr Glück als Verstand

9min
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Mit dem Kopf durch die Wand

45min
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Schwimmend in die Freiheit

2hr
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Auf Baumstämmen über die Schlucht

6min
pages 214-217

Im lecken Schlauchboot über die Donau

37min
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Mit der Bega nach Serbien

15min
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Tod im Tankwagen

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pages 128-129

Die Lichter von Kikinda vor Augen

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pages 124-127

Tschechen als Fluchthelfer

14min
pages 116-123

Dornenreicher Weg in die Freiheit

1hr
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Flucht aus Titos Lager

41min
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Der geldgierige Schaffner

20min
pages 69-78

Anderthalb Jahre gefangen in Jugoslawien

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pages 66-68

Fluchthelfer aus Wien

8min
pages 57-61

Das Vernichtungslager Rudolfsgnad

7min
pages 62-65

Einleitung

1hr
pages 7-37

Vorwort

2min
pages 5-6
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