Die Gräber schweigen - von Johann Steiner

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nen, weil ich in das kommunistische Jugoslawien geflohen war. Sie hatten, wie in der Kriegszeit, eine Vorliebe dafür, Leute wie mich einzufangen und ihnen die Kehle durchzuschneiden. Das war eine Art nationale Gepflogenheit, etwas, womit man sich zu brüsten pflegte. Jedenfalls war ich enorm erleichtert, als man mich 1950 eines Tages in einen Zug in Richtung Westen setzte. Ich wurde mit einer Gruppe von Gefangenen unterschiedlicher Nationalität an die italienische Grenze gebracht. Wir hatten gehört, dass eine Woche zuvor eine solche Gruppe direkt an der Grenze exekutiert worden war. Aber dieses Mal war es Tag, als wir losmarschiert sind; an der Grenze sagte man uns, wir sollten losrennen. Wir liefen, bis wir italienische Grenzposten trafen. Wir hatten Glück gehabt: Für uns war das jugoslawische Abenteuer vorbei. Ich ging nach Frankreich und lebte dort als Flüchtling. Das Leben in Frankreich, und insbesondere in Paris, war extrem schwierig, weil ich keine Arbeitserlaubnis besaß. Ich fand als illegaler Arbeiter lediglich schwere und zumeist schmutzige Arbeiten, die lausig bezahlt wurden. Aber im zweiten Jahr arbeitete ich beim Centre du Livre Suisse, und ich erinnere mich bis heute gerne an die angenehme und geistreiche Atmosphäre, die dort herrschte. Aber ich hatte immer noch keine Arbeitserlaubnis. Ich blickte voll Dankbarkeit auf die zweieinhalb Jahre zurück, die ich in Paris verbracht hatte, und war froh, als ich 1952 über den Atlantik einer aussichtsreicheren Zukunft entgegensegelte. Neue Heimat Oregon In Oregon angekommen, hatte ich viel mehr Möglichkeiten. Ein Jahr lang arbeitete ich für eine Holzhandlung, zumeist in den Wäldern oder an den Seen, wo ich die Stämme klassifizierte. Mein Ziel war es, Geld zu verdienen, um mein 1939 durch den Ausbruch des Krieges unterbrochenes Studium fortsetzen zu können. So studierte ich Politikwissenschaften, zuerst am Reed College in Portland, Oregon, dann ging ich an die University of Chicago, um das Diplom und den Doktortitel zu erwerben. Dort lernte ich auch meine Kommilitonin und spätere Frau Jane Mc Williams kennen. Unser Sohn Nicholas arbeitet als Kolumnist bei der New York Times; er ist zweifacher Pulitzer-Preisträger. Nach abgeschlossener Ausbildung erhielt ich verschiedene Stellen als Forscher an der Columbia-Universität und am Hoover Institut an der StanfordUniversität. Ich hatte Lehraufträge an der Temple University und der University of Waterloo in Ontario in Kanada. Zwischenzeitlich veröffentlichte ich zahlreiche Artikel, hauptsächlich über geopolitische Fragen, durch die ich auch in Europa, insbesondere in der Sowjetunion, bekannt wurde, wo ich mehrmals Vorträge gehalten habe. Besonders interessierten mich Grenzen und Grenzgebiete, über die ich eine Studie veröffentlichte, die vielfach gedruckt wurde. Ich

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Articles inside

Beim Fluchtversuch die Beine verloren

3min
pages 277-279

Glückssträhne

7min
pages 297-300

Plötzlich Herr und Millionär

12min
pages 291-296

Prügelnde Aufseher im Werschetzer Gefängnis

14min
pages 284-290

Lagerfeuer im Grenzerstützpunkt

7min
pages 280-283

Schwere Entscheidung, schwerer Weg

9min
pages 268-272

Von Grenzübergang zu Grenzübergang

27min
pages 255-267

Mit zwei Kleinkindern über die Donau

7min
pages 273-276

Halluzination in der Strommitte

21min
pages 244-254

Mehr Glück als Verstand

9min
pages 239-243

Mit dem Kopf durch die Wand

45min
pages 218-238

Schwimmend in die Freiheit

2hr
pages 156-213

Auf Baumstämmen über die Schlucht

6min
pages 214-217

Im lecken Schlauchboot über die Donau

37min
pages 138-155

Mit der Bega nach Serbien

15min
pages 130-137

Tod im Tankwagen

2min
pages 128-129

Die Lichter von Kikinda vor Augen

6min
pages 124-127

Tschechen als Fluchthelfer

14min
pages 116-123

Dornenreicher Weg in die Freiheit

1hr
pages 79-115

Flucht aus Titos Lager

41min
pages 38-56

Der geldgierige Schaffner

20min
pages 69-78

Anderthalb Jahre gefangen in Jugoslawien

4min
pages 66-68

Fluchthelfer aus Wien

8min
pages 57-61

Das Vernichtungslager Rudolfsgnad

7min
pages 62-65

Einleitung

1hr
pages 7-37

Vorwort

2min
pages 5-6
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