beobachtet. Gleichzeitig teilen sie ihm mit, am Vortag hätten rumänische Grenzer eine Frau mit zwei Kindern erschossen. Von Ungarisch Tschanad (Magyar Csanád) ist er zum Geheimdienstsitz nach Segedin gebracht worden. Er sei höflich behandelt worden, dabei habe es allerdings einen Anwerbungsversuch gegeben. Naghi teilt den Geheimdienstlern lediglich mit, bevor er sich für eine Mitarbeit für den Geheimdienst entscheide, müsse er seine beiden Kinder fragen, ob sie damit einverstanden seien. Damit ist das Thema vom Tisch. Naghi kann Quartier beziehen in einem Hotel in Segedin. Ein Freund, der am Plattensee (Balaton) zu Hause ist, bringt Naghi zweimal an die österreichische Grenze. Beide Versuche, in der Nähe von Hegyeshalom nach Österreich zu gelangen, scheitern. Naghi ist seit einem Monat in Ungarn, als er den dritten Versuch wagt. Vom Bahnhof in Budapest fährt er mit dem Zug nach Kapuvár. Er steigt bewusst dort aus, denn bei einer Fahrt bis Hegyeshalom würde er bestimmt auffallen. Zusammen mit ihm hat mehr als ein Dutzend Pendler den Zug verlassen. Naghi hat den Eindruck, dass im Zug mehr Geheimdienstmitarbeiter als normale Reisende gesessen hatten. In Kapuvár fallen ihm gleich zwei Männer auf, die am Rande eines Parks mit einem russischen Wagen des Typs Lada unterwegs sind. Durch den Park erreicht Naghi unwegsames Gelände und stößt auf einen Bach, von dem er weiß, dass er nach Österreich fließt. Von einem Acker aus erkennt er um eine gewisse Zeit eine sehr hell leuchtende Lampe auf dem Gelände eines Grenzerstützpunktes. Sie dient ihm ab sofort als Orientierungspunkt. Über Felder, durch Wald und viele Maisfelder muss er sich zur Grenze durchschlagen. Plötzlich fährt Naghi die Angst in die Glieder, als er einen Keiler aufgeschreckt hat. Dessen Flucht wiederum erschreckt Grenzer in unmittelbarer Nähe. Der Keiler hat ihm Glück gebracht, Naghi ist den Soldaten nicht in die Arme gelaufen. Er umgeht sie und bittet Gott, ihn in die Freiheit zu geleiten. Naghi gelangt in ein Maisfeld, dessen Reihen in Kreuzform angelegt sind, um Flüchtlinge in die Irre zu führen. Doch er hat wieder Glück: Der Wind weht ihm vom Grenzkontrollpunkt entgegen. Die harten Maiskolben machen ihm zwar zu schaffen, sie schlagen ununterbrochen gegen seinen Körper. Doch Naghi weiß, dass der österreichische Grenzschutz zwischen 5 und 7 Uhr nicht auf Streife ist. Diese Zeit nutzt er, um die Grenze zu passieren. Er durchwatet einen Sumpf, weiß aber noch immer nicht, ob er schon in Österreich ist. Er ist inzwischen durstig und muss wohl an die 40 Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben. In Weingärten bedient und stärkt er sich mit Trauben. Dann endlich steht er vor einem Mast, der deutsch beschriftet ist. Und dann ist das Glück erneut an seiner Seite. Er erreicht das erste österreichische Dorf, die Kirchenuhr schlägt fünf, da bemerkt er einen Mann, der sich am Motor eines Lada zu schaffen macht. Naghi spricht ihn an, er will wissen,
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