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Ich konnte sein, wer ich nie war
Nach Lymphdrüsenkrebs geht es Sandra Baisch heute wieder gut.
andra Baisch hat noch viel vor mit ihrem Leben. „Es ist schön gebraucht zu werden.“ Im Sommer wird sie ihr Anerkennungsjahr als Erzieherin abschließen und dann im Kindergarten arbeiten. Alles andere lässt sie auf sich zukommen. „Ich bin froh wieder arbeiten gehen zu können“, sagt die 47-Jährige. Wieder Spaß haben mit ihrer Familie, rausgehen mit dem Hund, feiern mit Freunden, den Haushalt wuppen. Ohne Krebs. S
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Sandra Baisch ist 46 Jahre alt, als sie ihrem Leben neuen Schwung geben will. Als Friseurin kann die Kleinostheimerin wegen einer Allergie nicht mehr arbeiten. Der Minijob im Büro: unbefriedigend. Die drei Kinder sind groß und alle in Beruf und Ausbildung, jetzt muss sich was tun, findet sie. In der Berufsberatung schlägt der Coach vor, ihrem alten Beruf als Erzieherin im Kindergarten eine zweite Chance zu geben. Warum eigentlich nicht? Das Examen hat Sandra Baisch schon vor 26 Jahren geschrieben, es fehlt nur noch das Anerkennungsjahr, um als Erzieherin arbeiten zu dürfen. Deshalb sitzt Sandra Baisch nun mit ihren 46 Jahren im Vorstellungsgespräch an der Fachakademie für Sozialpädagogik in Aschaffenburg. Die Personalerinnen sind angetan, wenn sie wolle, könne sie schon in fünf Wochen die mündliche Prüfung ablegen.
Nein, sagt Sandra Baisch, das geht nicht. Weil: So schnell kriege sie den Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung nicht in den Kopf. Und außerdem habe sie Krebs und müsse noch schnell eine Chemo, eine Bestrahlung und eine Reha machen. Danach aber sei sie dabei.
Die Personalerinnen schlucken. Und willigen ein. Sandra Baisch macht den Chemo-Block, die Bestrahlung, die Reha. Vier Monate später hat sie ihren ersten Kindergartentag. Und ganz ehrlich, sagt sie: Der Stress in diesem Jahr, die ständigen Seminare, der Druck, alles gut machen zu wollen, die Prüfungen, die Facharbeit, das sei fast schlimmer als die Krebserkrankung. Ernsthaft?
Sandra Baisch aus Kleinostheim war an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Den Haarverlust nutzte sie positiv: für T ypveränderungen. „Das hat mir sehr viel Spaß gemacht“, sagt die 47-Jährige. Kraft tankte sie bei Urlauben im Kleinwalsertal. (Fotos: Sandra Baisch)


Naja, sagt Sandra Baisch. Der Krebs war schon auch schlimm. Doch es hätte schlimmer sein können, findet sie, „ich hatte ja nichts. Wenn ich mir da andere anschaue…“ Ihr „Nichts“ ist ein Hodgkin Lymphom.
Es ist November 2018, als der Hammerschlag sie trifft. Nach einer durchtanzten Nacht mit ihrer Schwester wacht Sandra Baisch mit einem golfballgroßen, schmerzhaften Knoten am Hals auf. Eine entartete Zelle, die plötzlich aufpoppt wie Popcorn, ein lokaler Alkoholschmerz, Symptome, die auf das Hodgkin Lymphom hinweisen. „Es war mir klar, dass das nichts Gutes sein kann.“ Im Nachhinein fügt sich vieles zusammen: die Abgeschlagenheit, die Müdigkeit, die Schweißausbrüche, Schmerzen im Rücken. Bis zur endgültigen Diagnose Lymphdrü senkrebs dauert es drei Wochen. Einen Abend lang weint sie, betrinkt sich. Dann schüttelt sie sich einmal durch und nimmt die Therapie in Angriff, im Januar 2019 soll es losgehen. Nicht ohne vorher noch einmal bei einem Urlaub im tief verschneiten Kleinwalsertal aufzutanken.
(Foto: Nadja Golitschek – Pixabay)
Sandra Baisch liest sich ein und lernt, dass Morbus Hodgkin von entarteten weißen Blutkörperchen im Knochenmark ausgeht, unbehandelt tödlich endet, die Prognose bei Behandlung aber sehr gut ist. Mit ihren 45 Jahren ist sie als Frau eine eher untypische Betroffene dieser seltenen Krebserkrankung; besonders häufig tritt dieser Krebs bei Menschen zwischen 20 und 30 Jahren sowie jenseits der 55 auf, Männer erkranken häufiger als Frauen. Das hilft nun auch nicht weiter. Doch Sandra Baisch hat auch Glück, die Krankheit wird im Anfangsstadium erkannt, sie braucht keine Hochdosistherapie.
➔ Vier Chemotherapiezyklen bekommt Sandra Baisch bis Ende Februar, danach Bestrahlung bis Ende März. Einen Port lässt sie sich nicht legen, die vier Zyklen will sie über die Vene einlaufen lassen. Es wird hart. „Mich hat jede Chemotherapie körperlich und seelisch umge hauen. Für mich ist eine der schlimmsten Nebenwirkungen, dass man körperlich so Federn lässt. Ich war direkt




nach dem ersten Tropf total müde, nach den Spritzen schwand die Energie und der letzte Tropf haute mich einfach weg“, erinnert sie sich. Die Tage, bis sie sich wieder berappelt hat: Daheim kriegt Sandra Baisch sie irgendwie rum. Anfangs versucht sie noch ihren Alltag aufrechtzuerhalten, wenigstens Staub zu saugen, ihren Sohn zur Arbeit zu fahren. Doch dann bricht sie eines morgens heulend zusammen, sie schaffe das nicht, in den Chemo-Wochen müsse sie sich rausnehmen, komplett. „Es ist mir wahnsinnig schwer gefallen um Hilfe zu bitten, obwohl wir viel Hilfe angeboten bekamen.“ Ihre Rettung in dieser Zeit ist ihre Familie, ihr Mann, ihre drei Kinder.
Was fast noch schlimmer ist als die Therapie: Sie verliert ihre Haare, obwohl ihr die Ärztin im Vorgespräch versichert hatte, dass die Haare bleiben würden. „Das war mir wahnsinnig wichtig, denn auf meine langen Haare war ich immer stolz und habe sie sehr gepflegt“, erzählt sie. Die Krankenschwester in der Tagesklinik schaut sie mitleidig an; sie habe noch niemanden getroffen, dem die Haare mit diesem Medikamentencocktail nicht ausge fallen seien, sagt sie und legt Sandra Baisch ein Rezept für eine Perücke hin.
Die Schwester wird recht behalten, und das ist der größte Schmerz. „Das ist vielleicht oberflächlich, aber so war es.“ Als die Haare büschelweise ausfallen, rasiert ihr Mann Christof ihr den Kopf. Aus der Not macht Sandra Baisch eine Tugend und erfindet sich neu. Sie kauft eine sündhaft teure Perücke, die sie nicht leiden kann, und meh rere günstige Modelle in allen Farben im Internet; neue Identitäten aufsetzen wird ihr neues Hobby. „Ich konnte Dinge ausprobieren, die ich vorher niemals gemacht hätte. Das fand ich ganz spannend.“ Die Perücken werden zum Styling-Kick. „Ich konnte sein, wer ich nie war. Blond wie früher, blau, was ich mich nie getraut hätte, ein warmes, sanftes Kastanienbraun.“ Es habe sich toll angefühlt, das Aussehen permanent zu verän dern. „Für mich war jeder Tag wie Fasching. Es hat mir total viel Spaß gemacht mich jeden Tag, an dem es mir gut ging, völlig neu kennenzulernen.“ Ihre Art des positiven Denkens mit „Mr. Hodgkin“.
„Für mich ist nach all den Erfahrungen mit meiner Krankheit das Leben sehr wichtig und wertvoll geworden“, sagt Sandra Baisch. Dass sie oft krank ist, sich vor Husten eine Rippe gebrochen hat: unschön, aber nicht so schlimm. „Vieles hat einen anderen Stellenwert bekom men.“ sagt Sandra Baisch. „Es ist so schön gebraucht zu werden.“ n
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HISTORIE (k)eine Erkrankung der Neuzeit Krebs –

Forscher entdecken an Skeletten und Mumien immer wieder Spuren von Krebs, doch die Erkrankung scheint in früheren Zeiten selten gewesen zu sein.
Krebs ist so alt wie die Menschheit. Immer wieder entdecken Forscher an Skeletten, Knochenfunden und Mumien Spuren von bösartigen und gutartigen Tumoren. Obwohl die ältesten Funde Millionen Jahre alt sind, sind sich Forscher einig, dass Schadstoffe, Umwelteinflüsse, heutige Lebensweisen und die gestiegene Lebenserwartung die Entstehung von Krebs fördern und heute deshalb wesentlich mehr Menschen an Krebs leiden als in früheren Zeiten. Nicht zuletzt ermöglicht die Medizin heute die Behandlung von Krankheiten, die früher tödlich waren. Seit Menschen dank Medikamenten, Impfungen und hochspezialisierter Therapie Pocken, Lungenentzündungen und Tuberkulose überleben können, leben sie lang genug um an Krebs zu erkranken.

Krebs scheint älter als der Homo sapiens zu sein. Am Fußknochen eines Hominiden entdeckten Wissenschaftler einen aggressiven Tumor. Hominiden (= Menschenartige) gelten als Urahnen des Menschen. Die Knochen fand man in der Swartkrans-Höhle in Johannesburg, Südafrika. Sie sind etwa 1,7 Millionen Jahre alt. Südafrika gilt als Wiege der Menschheit.
Schon die Neandertaler litten an Krebs. An der fossilen Rippe eines Neandertalers, den Forscher in einer Höhle in Kroatien entdeckten, fanden Forscher Spuren eines Knochentumors. Die Neandertaler lebten vor 120.000 Jahren.


Immerhin um die 50 Fälle von bösartigen Tumoren sind aus dem Alten Ägypten bekannt. In der Forschungsliteratur sind mehrere Fälle von Tumoren des Nasen-Rachen-Raums sowie von Neoplasien, gutartigen Zellwucherungen, beschrieben. Das älteste Beispiel stammt von einem Schädel aus Gizeh. Dass insgesamt eher wenige Fälle von Krebs aus alter Zeit bekannt sind, heißt indes nicht, dass es Krebs damals nicht häufiger gegeben hätte. Die geringen Fallzahlen können zum Beispiel auch daran liegen, dass bei der Analyse von Mumien und Skeletten hochspezialisierte Untersuchungsverfahren noch nicht zur Verfügung standen, dass die Forschungsund Ausgrabungsmethoden nicht auf Fragestellungen zur Krebs-Erforschung fokussierten – oder dass schlicht keine Überreste der erkrankten Menschen vorhanden sind. Und häufiger starben die Menschen an anderen Krankheiten, an Tuberkulose, Lungenentzündung, Pocken oder Lepra.


Krebs: schon vor Tausenden Jahren eine häufige Erkrankung? Häufig wohl eher nicht, sagt die Ägyptologin Rosalie David. Sie suchte in hunderten Mumien aus verschiedenen Erteilen nach Hinweisen auf Krebs. Und fand vergleichweise wenig. Wesentlich häufiger litten zum Beispiel Priester im alten Ägypten demnach an beschädigten Arterien.
Schon um 2500 vor Christus kannten die alten Ägypter Krebs. Im Edwin Smith Papyrus sind acht Fälle von Tumoren und Geschwüren der Brust beschrieben. Das Schriftstück ist eines der ältesten bekannten medzinischen Dokumentationen. Es tauchte Mitte des 19. Jahrhunderts in Luxor auf und befindet sich heute in New York. Das Edwin Smith Papyrus ist nach seinem Käufer, dem US-amerikanischen Antikenhändler Edwin Smith benannt und enthält chirurgische Fallbeschreibungen. Die alten Ägypter schrieben darin, dass es für Brustkrebs keine Behandlung gibt.

Auch Forscher haben Brustkrebs bei Mumien entdeckt. Computertomografien zeigten, dass eine vor etwa 3000 Jahren bei Assuan bestattete Ägypterin an diesem Tumor litt. In der Nähe entdecken die Archäologen außerdem eine 2800 Jahre alte Männermumie mit dem bislang ältesten bekannten Fall eines multiplen Myelom, einem Knochenmarkskrebs.
Am Skelett eines jungen Mannes aus dem alten Ägypten haben Forscher kleine Verletzungen von Metastasen entdeckt, die möglicherweise von einem Weichteiltumor stammen. Die Wissenschaftler schätzen, dass der Mann zwischen 25 und 35 Jahre alt wurde, er lebte ungefähr 1200 vor Christus. Entdeckt wurde das Skelett in Amara im nördlichen Sudan, das seinerzeit zum ägyptischen Reich gehörte. Beim Röntgen entdeckten die Forscher kleine, rundliche Schäden an mehreren Knochen, darunter an den Schlüsselbeinen, Schulterblättern, Oberarmen, Rippen und am Becken. Eine Analyse von Knochenproben mittels Rasterelektronenmikroskopie zeigte, dass diese Verletzungen fast so aussahen wie Läsionen von Metastasen. Mit der Rasterelektronenmikroskopie lassen sich dank hunderttausendfacher Vergrößerung feinste Oberflächenstrukturen erkennen. An welchem Krebs der junge Mann litt, ließ sich anhand der Knochen nicht mit Sicherheit feststellen.
Das kolorektale Karzinom ist in Deutschland eine der häufigsten Tumorerkrankungen. Der erste histologische Beweis dieses bösartigen Darmkrebses gelang Forschern an einer Mumie aus der Ptolemäerzeit um 300 vor Christus. Die Dynastie der Ptolemäer herrschte seit etwa 323 vor Christus am Nil. Ihr Begründer, der Makedonier Ptomelaios, war der Nachfolger von Alexander dem Großen. Der erkrankte Mann ohne Namen lebte in der Oase Dakhleh.
Seit dem 18. Jahrhundert operieren Ärzte nachweislich Tumore. Erste wissenschaftliche Dokumentationen gibt es für Schornsteinfegerkrebs (1775), Nasenkrebs (1761) und Hodgkin-Lymphom (1832). Schornsteinfegerkrebs ist das älteste bekannte beruflich bedingte Karzinom und als Berufskrankheit gelistet; der Londoner Chirurg Percival Pott beschrieb das Tumorleiden als erster. Es handelt sich um einen seltenen Hautkrebs am Hodensack, der durch krebserregende Substanzen im Ruß entsteht und durch Handkontakt übertragen wird. Von der Operation eines Nasenkrebs berichtet 1777 der englische Arzt James Hill in seinem Buch „Chirurgische Beobachtungen, welche hauptsächlich den Krebs und die Verletzungen des Kopfes betreffen“.


Krebs bei Kindern kommt heute wohl nicht häufiger vor als früher. Tumorerkrankungen bei Kindern werden in erster Linie auf Mutationen der Erbmasse zurückgeführt, während bei Erwachsenen das Alter und Umwelteinflüsse das Risiko signifikant erhöhen. Einen gutartigen Krebs fanden Forscher am Skelett eines Kindes der Art Australopithecus sediba. In der 1,98 Millionen Jahre alten Wirbelsäule, die in der Malapa-Höhle in Südafrika entdeckt worden ist, fanden Forscher eine Neoplasie. Neoplasien sind unkontrolliert wachsende Zellwucherungen.
Quellen: Siddhartha Mukherjee: Der König aller Krankheiten. Krebs – eine Biografie. Dumont Verlag Köln 2010, 11,90 Euro (Taschenbuch)

Fotos: albertr, Cesar Salazar, Clker-Free-Vector-Images, Josch Nolte, Oberholster Venita, Rudy and Peter SKitterians, WikiImages (alle Pixabay)
