ANTISEMITISMUS IN THÜRINGEN Anja Thiele und Joël Ben-Yehoshua
In den vergangenen Jahren sind in Deutschland immer häufiger antisemitische Gewalttaten verübt worden. Auch in Thüringen ist die Bedrohung durch Antisemitismus akut: Antisemitismus ist Kern bestandteil rechtsradikaler Ideologie, die in Thüringen vielfältig präsent ist. Das gilt für den militanten Rechtsextremismus der Kameradschafts- sowie der Rechtsrock- und Liedermacherszene (Mobit 2020) und des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und dessen Unterstützer:innen (Quent/Rathje 2019), aber auch für den parlamentarischen Rechtsextremismus, verkörpert in der Thüringer AfD (Salzborn 2019). Neben einem Anstieg der sogenannten primären und sekundären Varianten des Antisemitismus, die vor allem im rechten Spektrum verbreitet sind, verzeichnete der Thü ringen-Monitor für das Jahr 2019 eine konstant hohe Zustimmung zu israelbezogenem Antisemitismus, der sich vor allem in der sogenannten Mitte der Bevölkerung finden lässt (Reiser et al. 2019: 62 ff. sowie Beitrag von Koch, Michelsen und S alheiser in diesem Band). Um einen qualitativen Einblick in die Artikulationsformen von Antisemitismus in Thüringen zu gewinnen, erweist sich neben der Einstellungsforschung eine wissenschaftliche Auswertung der durch zivilgesellschaftliche Organisationen erfassten Vorf älle als sinnvoll. Im Gegensatz zu polizeilich ermittelten Daten werden hier auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze dokumentiert sowie solche, die aus anderen Gründen nicht zur Anzeige gebracht wurden oder die nicht als antisemitisch eingestuft wurden. In einer Untersuchung hat die am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft angesiedelte Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Thüringen (RIAS Thüringen) alle antisemitischen Vorfälle in Thüringen der Jahre 2014 bis 2019, die von zivilgesellschaftlichen Quellen erfasst wurden, gesammelt und ausgewertet (Thiele/Ben-Yehoshua 2021).14 Die Daten stammen aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Chroniken und Informationsportalen, darunter den Chroniken antisemitischer bzw. rechtsextremer Vorfälle von ezra15, MOBIT16 und der Amadeu Antonio 30