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Executive Summary
Die »Thüringer Zustände« bieten eine faktenbasierte Darstellung und kritische Einordnung der Situation des Rechtsextremismus, des Antisemitismus und Rassismus, der Abwertung, Diskriminierung und Hassgewalt im Freistaat Thüringen im Jahr 2020. Sie ergänzen damit behördliche Darstellungen, die den Phänomenbereich nur unzureichend erfassen.
Zentrale Inhalte und Aussagen
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DAS NIVEAU der flächendeckenden Verbreitung rechtsextremer Einstellungen im Freistaat ist so hoch, dass es nicht überraschen kann, dass migrationsfeindliche, antiliberale und autoritäre Politikangebote in den letzten Jahren relativ erfolgreich waren.
ES KANN GEZEIGT werden, dass die AfD in Thüringer Regionen mit erhöhten EthnozentrismusWerten (d. h. Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus) bei den zurückliegenden Landtags, Bundestagsund Kommunalwahlen auffällig hohe Stimmenanteile erzielte.
DAS JAHR 2020 stellte — bedingt durch die Covid19Pandemie — die Antidiskriminierungsarbeit auch in Thüringen vor zusätzliche Herausforderungen. Trotz einer erhöhten Sensibilität bleibt Diskriminierung ein erhebliches und facettenreiches Problem (u. a. aufgrund rassistischer Zuschreibungen).
DISKRIMINIERUNG hat negative Auswirkungen u. a. auf die Gesundheit der Betroffenen und senkt ihr Vertrauen in die Polizei, die Gerichte und die Landesregierung sowie ihr Sicherheitsgefühl.
AUCH IN THÜRINGEN ist die Bedrohung durch den Antisemitismus akut: Er äußert sich häufig in der Zerstörung, Beschädigung oder Schändung von Gedenkorten, zeichen oder initiativen sowie der absichtlichen Störung von Gedenkfeiern, die an die nationalsozialistischen Verbrechen erinnern.
POLIZEILICH dokumentierte Hasskriminalität (inkl. Gewaltdelikten) wird in Thüringen überwiegend mit einer rechtsextremen Tatmotivation bzw. von solchen Täter:innen verübt, die dem rechten politischen Spektrum zugeordnet werden.
EINE BEFRAGUNG ergab: Mehr als jede:r dritte Thüringer User:in ist bereits Zeug:in von Hass im Internet geworden. Insgesamt sieben Prozent der Befragten waren schon einmal selbst direkt von Hatespeech betroffen, im Alter von 18 bis 24 Jahren sogar 22 Prozent. Häufige Gründe sind politische Ansichten, Aussehen, Herkunft und romantische bzw. sexuelle Beziehungen.
2020 REGISTRIERTE ezra 102 rechte, rassistische und antisemitische
Gewalttaten in Thüringen, von denen mindestens 155 Menschen betroffen waren. Wie in den Jahren zuvor ist von einem ausgeprägten Dunkelfeld auszugehen. Die Aufarbeitung solcher Straftaten durch Ermittlungsbehörden und Justiz erfolgt zum Teil nur schleppend und unvollständig. Auch in den Medien kommt es häufig zu einer TäterOpfer Umkehr und zu Falschdarstellungen über den Hintergrund der Taten.
VON RASSISMUS betroffene Personen berichten von mangelnder Problemsensibilität und fehlenden Unterstützungsangeboten. Während der CoronaPandemie kam es u. a. zu rassistischen Übergriffen auf asiatisch gelesene Personen, die mit dem Infektionsgeschehen in Verbindung gebracht wurden.
RASSISTISCHE Diskriminierungserfahrungen gibt es außerdem im Umgang mit der Thüringer Polizei. Betroffene berichten von schikanierenden Kontrollen (Racial Profiling) und anderen unangemessenen Praktiken bis hin zu Polizeigewalt. Neben einer selbstkritischen innerbehördlichen Auseinandersetzung mit diesem Problem ist die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle unabdingbar.
IN THÜRINGEN SIND zahlreiche extrem rechte Parteien, Organisationen und Kleinstgruppen aktiv — inklusive Zuzug von Akteur:innen aus anderen Bundesländern nach Thüringen. Der Freistaat ist eine RechtsrockHochburg, außerdem hat sich mittlerweile eine extrem rechte Kampfsportszene etabliert. Von großer Bedeutung sind die relativ vielen SzeneImmobilien im Freistaat.
IM KONTEXT DER Proteste gegen die CoronaSchutzmaßnahmen bildete sich eine rechte Mischszene heraus, die sich im Jahresverlauf sichtbar radikalisierte. Vor allem die thüringenweit stattfindenden Protestaktionen sorgten dafür, dass die Zahl extrem rechter Aktionen im Freistaat trotz der CoronaEinschränkungen 2020 auf dem hohen Niveau der Vorjahre blieb.
DIE IDEOLOGISCHEN Standpunkte und Personalien der Thüringer AfD lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Partei der extremen Rechten zuzuordnen ist. Inhaltlich wird ein völkischrassistischer Nationalismus und Antiliberalismus vertreten. Außerdem bestehen mannigfaltige Verbindungen in die neonazistische Szene, die von der Führungsebene über die Fraktionsmitarbeiter:innen bis hin zu den kommunalpolitischen Gliederungen des Landesverbandes reichen.