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Grußwort des Thüringer Ministerpräsidenten

Liebe Leserinnen und Leser, ist der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie? Ein Blick in die polizeiliche Statistik lässt erkennen: Im Jahr 2020 wurden im Freistaat Thüringen insgesamt 2095 Fälle politisch motivierter Kriminalität (PMK) registriert.

Beinahe zwei Drittel aller erfassten Delikte fallen in die Kategorie

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PMK-rechts (62,6%),

rund ein Fünftel in die PMK-links (20,9%) und 15 Prozent der Fälle lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Während das Fallaufkommen insgesamt erfreulicherweise im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent zurückging, müssen wir für den Phänomenbereich PMK-rechts einen weiteren Anstieg

der Straftaten um elf

Fälle bzw. 0,8 Prozent feststellen. Beinahe 87 Prozent aller Propagandadelikte und 67 Prozent der politisch motivierten Gewaltkriminalitätgehen auf das Konto der PMK-rechts. Insgesamt 124 Personen wurden im vergangenen Jahr Opfer politisch

motivierter Gewaltkri-

minalität, darunter 63

Personen mit nichtdeutscher Herkunft.

Wer diese Zahlen — ebenso wie den bundesweit

drastischen

Anstieg dieser Straftaten — zur Kenntnis nimmt, der kann die gesamtgesellschaftliche Bedrohung durch

den Rechtsextremis-

mus nicht mehr unterschätzen.

Dem Rechtsradikalismus sind politischer Pluralismus sowie ein inklusives Demokratie- und Rechtsverständnis fremd. Er ist prinzipiell

antidemokratisch,

seine Agenda rassistisch

und nationalistisch.

Alle gesellschaftlichen Probleme, die kleinen wie die großen, kommen ihm gelegen, um sie zu einer Krise der Demokratie zu machen. Damit rechtsradikale Argumentationen nicht weiter an Überzeugung und Plausibilität gewinnen, dürfen sie niemals

unwidersprochen

bleiben: nicht in der analogen Welt, also in Schulen, am Arbeitsplatz, in Vereinen, an Stammtischen oder bei Demonstrationen, noch in der virtuellen, wo im Schutz der Anonymität

Polarisierung und

Radikalisierung um sich greifen. Dem zeitgenössischen Rechtsradikalismus können wir nur dann wirkungsvoll begegnen, wenn wir eine Politik der Null-

toleranz durchsetzen.

Wir alle können durch

genaues Hinschauen

im eigenen Umfeld und verbale Distanzierung in der Alltagskommunikation schon viel erreichen. Doch besonders der Staat ist gefordert, für mehr Aufklärung, Prävention und Abwehr von gruppenbezogener Diskriminierung und rechtsextremer Gewalt zu sorgen, rechtsextreme Netzwerke in den Behörden aufzudecken und Haarrissen in unseren demokratischen Institutionen vorzubeugen.

Unersetzbar ist die Demokratiearbeit, die seit vielen Jahren vor Ort und häufig in einem schwierigen Umfeld

durch zivilgesellschaftliche Organisationen

geleistet wird. Bürgerinitiativen und Vereine sorgen für ein breites

Beratungs- und Betreu-

ungsangebot an der Basis, das von der Bildungsarbeit über die Aufklärung über rechtsextreme Denkmuster und rassistische Theorien bis zur Hilfe für

die Opfer rassistischer und rechtsextremer

Gewalt reicht. Bei der Zusammenarbeit von staatlichen Einrichtungen und zivilgesellschaftlicher Organisationen sehe ich noch viel »Luft nach oben«, also ein erhebliches Potenzial, wie wir gemeinsam gegen Rechtsextremismus und Rassismus vorgehen können.

Die vorliegende Publikation »Thüringer Zustände« leistet eine

kritische Einordnung

der Verbreitung rechtspopulistischer, rechtsradikaler und rechtsextremer Einstellungen und Verhaltensweisen in unserem Land. Aus

unterschiedlichen

Perspektiven — der Betroffenen, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft — beleuchtet sie, wie sich Rechts-

extremismus, Anti-

semitismus und Rassis-

mus, Diskriminierung

und Hassgewalt im Freistaat Thüringen in den letzten Jahren entwickelt haben. Damit stellt sie den demokratischen Akteurinnen und Akteuren nicht nur eine wichtige Informa-

tions- und Diskussions-

grundlage zur Verfügung, sondern auch empirisch begründete

Handlungsempfehlungen.

Mein herzlicher Dank gilt allen an der Publikation beteiligten Institutionen für ihre fundierten Analysen: ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen,MOBIT – Mobile Beratung in Thüringen – für Demokratie, gegen Rechtsextremismus e.V.,KomRex – Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der FriedrichSchillerUniversität Jena sowie dem IDZ – Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena. Ich wünsche der Broschüre »Thüringer Zustände« eine breite Leserschaft nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern auch

in Behörden,Bildungs-

einrichtungen sowie in Politikund Presse.

BODO RaMelOw

Ministerpräsident des Freistaats Thüringen

WORT DES THÜRINGER MINISTERPRÄSIDENTEN BODO RAMELOW SS GRU

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