GastroJournal 35/2015

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Hotel & Tourismus

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27. August 2015 | Nr. 35 | www.gastrojournal.ch

Icomos Suisse: Historisches Hotel und Restaurant des Jahres sowie Jubiläumspreis 2016

Zweisam statt einsam

Historisches als Fundament

Sie geht gerne vergessen, die Möglichkeit, lateral zu kooperieren. Obwohl diese Art der Zusammenarbeit für die Hotellerie attraktiv ist, da sie keine direkte Konkurrenzsituation schafft. Denn im Gegensatz zur horizontalen Kooperation, bei der Hoteliers mit Hoteliers kooperieren, arbeiten bei der lateralen Hoteliers mit Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen zusammen. Wie beispielsweise der Wäscheindustrie, wie das jüngste Beispiel in Zermatt zeigt. Dort ist das Grand Hotel Zermatterhof mit einer Schweizer Wäschemarke eine Kooperation eingegangen, die für beide Seiten Vorteile mit sich bringt. So konnte die Wäschemarke ihre Herbst/Winter-Kollektion im Grand Hotel inszenieren und der Zermatterhof profitiert nun vom daraus entstandenen Marketing-Effekt.

Kritisch statt grosszügig

Das Gastgeberpaar Bruno Sieber und Marieken Verbruggen mit ihren Söhnen Fynn und Lasse vor dem Hotel Waldrand.

CRISTINA BÜRGI

Küchenchef Fabian Brunner, Eigentümer Jürg Sonderegger, Gastgeberin Doris Breu und Eigentümerin Ina Hinrichs-Sonderegger.

CHRISTINE BACHMANN

Wer die steilste Postautostrecke Europas bezwungen hat, gelangt auf die Pochtenalp – und zur Pension Waldrand, dem «Historischen Hotel des Jahres 2016».

Icomos Suisse verleiht dem Rössli Balgach den Preis «Historisches Restaurant des Jahres 2016»: ein unkonventioneller Betrieb mit bewegter Geschichte.

«Seit wir das Hotel Waldrand führen, wollten wir uns für den IcomosPreis anmelden. Wir haben aber immer die Anmeldefrist verpasst», erzählt Bruno Sieber lachend. Dieses Jahr hat es endlich geklappt – und sich entsprechend gelohnt, da das Hotel Waldrand die historische Auszeichnung gewonnen hat. Das urchige Chalet befindet sich hoch über dem Kiental, in einem Wanderparadies: Von überall führen steile Wege an Wasserfällen, Schluchten und Schafherden vorbei.

Idyllisch, verwunschen für die einen, verwildert, unaufgeräumt für die anderen. Der Garten des Rössli Balgach glänzt mit Imperfektion. Auch der historische Betrieb verbirgt auf den ersten Blick seine innere Schönheit. «Das Rössli wird uns noch lange beschäftigen», weiss Eigentümerpaar Jürg und Ina Sonderegger Hinrichs, das das Haus 2013 von Grosstante Frieda übernommen hat. Diese hat bis zu ihrem 99. Lebensjahr im Haus gelebt und Gäste empfangen. «Ihr und uns war es wichtig, dass der Betrieb auch nach ihrem Tod und in fünfter Generation in der Familie bleibt», erklären sie ihr Engagement.

Cristina Bürgi

«Wir können die Geschichte des Hotels Waldrand bis 1910 zurückverfolgen», erklärt Sieber. «Aber es gibt Gerüchte, dass das Haus noch früher an einem anderen Ort stand und dann auf der Pochtenalp neu eröffnet wurde.» Sicher ist, dass es seit 1911 als Pension geführt wird. Seit 1939 ist es zudem im Besitz der gleichen Familie, von der Sieber die Leitung im Jahr 2012 übernommen hat. Das junge Pächterpaar Bruno Sieber und Marieken Verbruggen führt das Hotel Waldrand nun seit drei Jahren. Beide sind Quereinsteiger, haben sich aber in das Leben in den Bergen verliebt. «Ich habe zuvor im Kundenservice für Best Western in Italien gearbeitet», erzählt Verbruggen. «Und gemerkt, dass mir Grossstädte nicht guttun.» Also entschied sie sich für eine Auszeit in den Schweizer Bergen – und lernte Bruno kennen. Dann ging alles ganz schnell: Das Paar übernahm das Hotel Waldrand, in dem Bruno bereits seit zwei Jahren gearbeitet hatte, und erwartete kurz darauf seinen ersten Sohn. Inzwischen hat das Paar drei Sommersaisons bezwungen und einen weiteren Sohn bekommen. Das Familienleben auf der Alp ist idyllisch: «Für die Kinder ist das hier ein riesiger Spielplatz», freut sich Sieber,

der auch noch eine Tochter aus einer früheren Beziehung hat. Das Hotel Waldrand ist von Mai bis Mitte Oktober geöffnet, danach wohnt die Familie im Kiental. «Das Gebäude hat keine wirkliche Isolation, daher wäre es hier im Winter eher ungemütlich», erklärt Sieber, der dann in einem Wintersportgeschäft arbeitet und eine Schlagzeugschule leitet. Der Betrieb auf der Pochtenalp läuft gut: Jede Saison kommen rund 20 Prozent mehr Gäste, «dank Mundzu-Ohr-Werbung», meint Sieber. Rund 85 Prozent sind Schweizer, die meisten davon Wanderer. Daher ist vor allem am Wochenende und bei schönem Wetter viel los. Diesen Sommer hatten Bruno und Marieken alle Hände voll zu tun, denn sie stehen selbst in der Küche und bereiten die 19 Zimmer vor. Unterstützung erhalten sie jeweils von zwei bis drei Aushilfen, meist Studenten oder Menschen, die bereits in Berghäusern gearbeitet haben. «Wir haben etwas Mühe damit, Arbeit abzugeben», lacht Verbruggen. Denn das Paar schätzt den direkten Kundenkontakt und hat es meist mit sehr entspannten, freundlichen Gästen zu tun. «Es kommt sehr viel zurück», sind sich die jungen Pächter einig. www.waldrand-pochtenalp.ch

Christine Bachmann

Da der Betrieb in den letzten Jahren immer weniger als Gasthaus genutzt wurde, war es die Aufgabe der neuen Generation, das Rössli wieder seinem alten Zweck zuzuführen. «Dafür brauchten wir als Branchenfremde aber Pächter, die diese Herausforderungen mit uns annehmen würden.» Mit Doris Breu und Lea Brunner haben sie zwei junge Köchinnen aus dem Rheintal gefunden, die das Abenteuer mit ihnen wagten. «Ihr Konzept für das Haus überzeugte uns und so haben wir gemeinsam den Umbau begonnen», erzählt Sonderegger. Rund 500000 Franken haben er und

Icomos Suisse Jubiläumspreis 2016 Der Jubiläumspreis 2016, der heuer im Rahmen des 20-Jahr-Jubiläums von Icomos Suisse verliehen wird, geht an die Familien Dietrich und Kienberger vom Hotel Waldhaus in Sils Maria. «Wir waren sehr überrascht, aber natürlich glücklich und dankbar, dass unsere jahrelangen Bemühungen belohnt wurden», teilt Familienmitglied Felix Dietrich mit. Freude bereite ihm zudem, dass die Begeisterung und das Feuer für den historischen Betrieb auch an die

neue Generation übergegangen sind und dass Claudio und Patrick Dietrich mit ihrem Team mit viel Herzblut das Waldhaus Sils in die Zukunft führen werden. «Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn um einen Hotelbetrieb wie das Waldhaus zu führen, braucht es Respekt und Liebe zur Vergangenheit, aber auch viel Mut und Können zum Neuen und zu Änderungen», weiss Felix Dietrich. chb www.waldhaus-sils.ch, www.icomos.ch

seine Frau bisher in den Umbau gesteckt. «Wir haben bewusst nicht ‹goldig› saniert, sondern wir wollten, dass unsere Pächter die Pacht am Ende auch tragen können.» Der Umbau sei trotz Diskussionen mit Brandschutz und Denkmalpflege problemlos über die Bühne gegangen, erzählt Doris Breu, «und auch wir konnten viel mitreden und unsere Vorschläge einbringen». Am 30. November 2014 war es so weit. Das Rössli öffnete seine Türen. «Uns war anfänglich nicht bewusst, welche Bedeutung der Betrieb für die Bevölkerung hat – zum Glück, sonst hätten wir vielleicht zu viel Respekt gehabt», meint Breu rückblickend. Denn kaum offen kehrten die alten Stammgäste zurück und mit ihnen junge und ältere Gäste, die das Konzept und die Küche schätzten. «Wenn wir heute sehen, wie das Rössli funktioniert, dann ist das eine Genugtuung», betont Jürg Sonderegger. Kulinarisch pflegt Küchenchef Fabian Brunner im Rössli eine einfache, frische sowie regionale «Nose to tail»-Küche. Deshalb gebe es bei ihnen selten ein Filet oder Entrecôte. «Zudem beschränken wir uns auf zwei Menüs pro Tag, ein vegetarisches und eines mit Fleisch.» Das diene einerseits dem F&B-Konzept und andererseits der Küche, die auch nach dem Umbau nicht viel grösser geworden ist. Auf den Icomos-Preis aufmerksam gemacht wurde Jürg Sonderegger von der Denkmalpflegerin des Kantons St. Gallen. Anfänglich habe er fast Hemmungen gehabt, das Rössli einzureichen, denn sie waren mit den Umbauten ja noch gar nicht ganz fertig. «Als dann die Nachricht kam, dass wir den Preis erhalten würden, waren wir schon erstaunt, haben uns aber sehr gefreut. Denn es ist eine Motivation weiterzumachen!» www.roesslibalgach.ch

Die Schweizer sind weniger kritisch als die Deutschen, wenn es um die Abgabe von Online-Bewertungen geht. Das zeigt eine Studie des OnlineBuchungsportals Agoda, einer Priceline-Tochter, das vor allem auf dem asiatischen Markt aktiv ist. Agoda hat weltweit mehr als sieben Millionen Bewertungen untersucht und ein Ranking der grosszügigsten und anspruchsvollsten Nationalitäten erstellt. Als grosszügigste Online-Bewerter gelten russische (Platz 1) sowie ägyptische (Platz 2) Gäste – die Schweizer liegen auf Platz 11. Als besonders anspruchsvoll indes gelten japanische Gäste (Platz 43) sowie Staatsbürger der Vereinigten Arabischen Emirate (Platz 44) – sowie die Deutschen (Platz 34).

Bioregion statt nur Region

Die Region Valposchiavo strebt seit 2012 die vollständige Biozertifizierung des gesamten Tals an. Seit letzter Woche sind diese Bestrebungen nun wieder einen Schritt vorangekommen. Denn neu haben sich auch zehn Gastrobetriebe im Tal dem Bio-Projekt verschrieben, indem sie die «Charta 100% Valposchiavo» unterzeichnet haben. Die Hoteliers und Gastronomen verpflichten sich damit, in Zukunft mindestens drei Gerichte auf ihrer Karte zu haben, die vollständig aus lokalen Produkten bestehen.

Partnerschaft statt Kooperation Neben verschiedenen Kooperationsmodellen bleiben Hoteliers auch die Möglichkeit, auf Partnerschaften zurückzugreifen. Insbesondere im Marketingbereich finden sich etliche Gruppierungen – von international bis national. Der Nutzen: Vermarktung und Verkaufsunterstützung im In- und Ausland. Auf so ein Gesamtpaket greift ab 2016 auch das Hotel Einstein in St. Gallen zurück, indem es eine Partnerschaft mit den Swiss Premium Hotels eingeht. «Das gute Gesamtpaket hat uns überzeugt», sagt General Manager Michael Vogt.


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