2
Accueil
9. April 2015 | Nr. 15 | www.gastrojournal.ch
LEITARTIKEL
André Jaeger hört nach 40 Jahren in der Fischerzunft in Schaffhausen auf zu wirten
Ungleiche Ellen
Ein Abschied, der schwerfällt Er hat die Gastronomie in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten massgeblich geprägt – eine Hommage an André Jaeger. Nach 40 Jahren endet die Geschichte der Fischerzunft in Schaffhausen, denn André Jaeger hört auf. Es ist denkbar schwierig, über den 68-Jährigen zu schreiben. Seine samtweiche Stimme erzählt mit der Weisheit eines Hundertjährigen, gleichzeitig sprudeln Gedanken in seinem Kopf quirliger als bei einem 25-Jährigen. Seine Einstiegsdroge in den Alltag ist vier Mal ein vierfacher Espresso. Den Geschmack von Laktose mag er nicht, Milchkaffee hasst er. Er erklärt seine Abneigung so glasklar, dass ein dreidimensionales Bild davon in den Kopf des Zuhörers projiziert wird. Die Erklärung Jaegers für die Leser erlebbar in Worte zu fassen, funktioniert nicht. Jaeger denkt Geschmack und schmeckt Gedanken, das kann man nur erleben, wenn man vor ihm sitzt und zuhört. Wie also soll ein Text einem Mann ge-
recht werden, der 1971 als 23-Jähriger F&B-Manager im sagenhaften Peninsula Hotel Hongkong einige altgediente Schweizer Küchenchefs und 560 Mitarbeiter führte; der 1975, anstatt die internationale Management-Karriere weiter fortzuführen, in die Schweiz nach Schaffhausen zurückkehrte, Wirt wurde und die Schweizer Gastronomie prägte? Wie unglaublich erfolgreich Jaegers
Geschichte ist, zeigt ein banaler Telefonanruf, den Jaeger diesen März nach dem Erscheinen eines Artikels in der «NZZ am Sonntag» erhielt: Anrufer: «Ist da André Jaeger am Apparat?» André Jaeger: «Ja.» Anrufer: «Hier ist Alexander.» Jaeger: «Grüezi, Herr Alexander.» (Jaeger konnte sich beim besten Willen an keinen Alexander erinnern) Alexander: «Waren Sie in Hongkong?» Jaeger: «Ja.» Alexander: «Ich bin auch vom Fach. Ist es wahr, dass Sie bereits mit 23 Jahren eine Führungsposition mit über 560 Mitarbeitern besetzten?» Jaeger: «Ja.» Alexander: «Das glaub ich Ihnen nicht.» Herr Alexander sagte noch, dass das unmöglich sei, und legte auf.
CHRISTINE BACHMANN
Romeo Brodmann
Ein Tagträumer, ein Fantast und ein unglaublich erfolgreicher Koch – André Jaeger verlässt mit einem Lächeln seine Küche.
dankbar er sei, durch die Welt zu ziehen und sich mit allen Menschen austauschen zu können.
chenchefs, die mehr als zehn ihrer über 40 Lebensjahre im Peninsula verbracht haben, führen können?
Nach seiner Lehre als Koch im BeauRivage Lausanne, einem Praktikum im Dorcester Hotel London und einem Administrations- und Receptionspraktikum im Hotel Eden Au Lac Lugano absolvierte er ab 1965 die Hotelfachschule Lausanne. Dass er danach als F&B-Manager im Peninsula Hotel Hongkong bestehen konnte, sei mit Sicherheit dank der militärischen Weiterbildung gewesen. André Jaeger ist Offizier a.D. Nicht etwa als Quartiermeister, sondern als Oberleutnant eines Minenwerferzuges bei den Radfahrern. Er sagt von sich selbst, dass er ohne Offiziersschule die Stelle nicht hätte bewältigen können.
Diese fantastische Brücke zwischen militärischer Klarheit und Strenge und dem gleichzeitig liebevollen Umgang mit Menschen dürfte in seiner Kindheit beheimatet sein. Der aus dem aargauischen Rümikon stammende Jaeger verbrachte seine Kindheit auf einem Bauernhof mit Restaurant. Dort habe er auch die Impfung für die Gastronomie erhalten. Da war auf der einen Seite die Mutter, die perfekte Gastgeberin mit einer Engelsgeduld. Auf der anderen Seite der Vater, der quirlige Mensch, der als Fischer und Jäger viel unterwegs und immer bereit war, das, was er nach Hause brachte, zu speziellen Gerichten zu verarbeiten. Das habe ihn geprägt. Wie sonst kommt 1971 ein 23-Jähriger F&B-Manager im Restaurant Gaddi’s, dem Aushängeschild des fabelhaftesten Hotels Hongkongs, dazu, zur intimen Abschiedsfeier des Schweizer Botschafters unter anderem Baked Potatoes mit viel Butter, Sauerrahm und Kaviar oder ein Geschnetzeltes vom Turbot mit Beurre Blanc in einer Crêpe zu servieren? Wie sonst kann einer zur Genusswoche Davidoff Saveurs einen Riesensteinbutt auf einem Gletscher, auf über 3000 Meter auf einen von ihm selbst konstruierten Grill für die Gäste perfekt zubereiten?
«
Ich bin bereit und werde Tag und Nacht ackern
»
André Jaeger
Jaeger selbst glaubt, dass dieser Anruf aufzeigt, dass man in der Schweiz grundsätzlich nicht bereit sei, einem jungen Gastronomen in diesem Alter eine solche Position anzubieten. Und wenn André Jaeger von sich selber sagt, er sei ein Tagträumer, ein Fantast und ein schlechter Schüler gewesen, weshalb konnte er doch das Unmögliche möglich machen?
Zunächst war er als Assistent des F&B-Managers im Peninsula angestellt. Nach drei Monaten, zum Ende der Probezeit, musste er bei Herrn Peter Gauchi, dem obersten General Manager, antraben. Jaeger dachte sich, dass es das jetzt gewesen sei und er nach Hause geschickt würde. Doch dann fragte ihn Peter Gauchi, ob er sich die Stelle des F&B-Managers zutrauen würde, denn dieser sei krank geworden und falle längerfristig aus. Das Greenhorn Jaeger sagte ohne Zögern zu: «Ich bin bereit, und ich werde Tag und Nacht ackern, um der Verantwortung gerecht zu werden.» Herr Gauchi antwortete darauf: «Das ist die Antwort, die ich erwartet habe. Ich werde alles in die Wege leiten.»
Die Antwort ist so vielschichtig, dass sie kaum ansatzweise zu erfassen ist. Auch wenn er ein schlechter Schüler gewesen sein soll, er nahm den immerwährenden und bisweilen nervenden Rat seines Vaters ernst, Sprachen seien etwas vom Wesentlichsten. Jaeger beherrscht mindestens fünf Sprachen in Wort und Schrift. Und er betont selbst, wie
Jaegers Auftreten und Umgang mit Menschen ist stets besonnen, ruhig und von Respekt geprägt. Man sollte sich aber nicht täuschen lassen. Seine Blicke, seine Gesten und das, was zwischen seinen Zeilen und Wörtern durchdringt, bringt jederzeit deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck, was er will. Wie sonst hätte Jaeger als 23-Jähriger die Kü-
«
Jaeger denkt Geschmack und schmeckt Gedanken
»
Jetzt hört der Vater der Cuisine du Bonheur, die von ihm 1978 geschaffene kulinarische Verbindung zwischen Asien und Europa, auf. Die treffendsten Worte dafür fand der Exil-Schaffhauser und Hotelier in Gstaad, Thomas Frei: «Eine Träne sei mir für André gegönnt. Ein grosser Koch tritt ab und hinterlässt eine noch grössere Lücke. Schaffhausen, seine und meine Heimatstadt, wird erst nach seinem Rücktritt merken, was sie an André Jaeger für einen Botschafter hatte. Nie bekam er die Anerkennung der Schaffhauser zu
spüren. Zu anders, zu wenig fassbar war er für die beschauliche kleine Stadt am Rhein. Was steht in Schaffhausen am Schwabentor? ‹Lappi tue d’Auge uf.› Die Schaffhauser machen sie zu spät auf.» Aber was soll man auch von einem halten, der Ende der 70er-Jahre in einem klapprigen Bus in die Bretagne fährt, sich durch den Pastis
«
Die Schaffhauser machen die Augen zu spät auf
»
Thomas Frei, Hotelier Gstaad
und die ländlichen Bistros trinkt, um Beziehungen zu knüpfen, und eine Tonne Fisch einkauft, diese nach Schaffhausen karrt, um damit in Schaffhausen eine Woche lang ein Bretonisches Fischbüfett zu veranstalten? Die Schaffhauser zeigten dem Ausserirdischen wohl den Vogel. Doch das Fischfestival wurde bis heute 75-mal durchgeführt, und es ist längst legendär. Heute haben die kantonalen Gesundheitslabore, die Beamten und sonstigen Amtsschimmel das Sagen, das wissen wir alle. Sie fungieren als Totengräber der kulinarischen Wirtekultur. Eine kulinarische Entwicklung wie seinerzeit sei heute nicht mehr möglich, Jaeger sagt das nicht direkt, aber mit einem Bedauern in seinen Augen, und es ist zwischen den Zeilen zu lesen: Er würde heute als 30-Jähriger kein Restaurant mehr übernehmen. Wie auch? Heute, im Zeitalter der 3D-FoodDrucker und der Fremdbestimmung durch Paragrafenreiter werden all die schönen, emotionalen, geschmackvollen Entwicklungen abgewürgt. Zum Stichwort 3D-Food-Drucker sagt Jaeger, dass man diese Entwicklung nicht aufhalten kann und zulassen müsse, und schildert gleichzeitig gestochen scharf die dreidimensionale Tiefe einer Scheibe dunkel gebackenen Bauernbrotes, dick mit frischer Butter bestrichen. «Das», lacht er, «wird kein 3D-FoodDrucker jemals zustandebringen».
En français
Page 11
Wer ein Smartphone ohne Telefonabo kaufen will, hat ein Problem. Jedes noch so veraltete Teil, das im Zusammenhang mit einem 24-Monate-Abo jedem Kunden für 0 Franken nachgeworfen wird, wird zum ursprünglichen Markteinführungspreis angeboten, in der Regel weit über 600 Franken. Weshalb unterliegen die Smartphones nicht einem natürlichen Preiszerfall, wie das zum Beispiel bei TV-Geräten der Fall ist? Das hat einen einfachen Grund: Funkantennen und Funkwellen sind alle gleich, es geht also nur um den Preis. So haben alle marktbeteiligten Firmen kein Interesse an einem freien Kunden, der sich ein Telefonabo mit einem Monat Kündigungsfrist aussucht, um vernünftigerweise jederzeit den Anbieter wechseln zu können. Die Anbieter sprechen sich untereinander ab. Auch direkte und schärfste Konkurrenten – sowohl Telekommunikationsfirmen als auch Mobileproduzenten – sind sich einig und nett miteinander. Die Telekommunikationsfirmen garantieren den Mobileanbietern die Geräteabnahme. Die Geräteanbieter garantieren, die Preise hochzuhalten. Kunden, die ein zahlbares Smartphone wollen, müssen sich mit einem Knüppelvertrag langfristig binden. Würden GastroSuisse oder die Cafetiers den Mitgliedern empfehlen, ein Café Crème um 10 Rappen zu erhöhen, gäbe es in der Presse ein Riesengeschrei, und Wettbewerbskommission und Konsumentenschutz würden sofort den Verdacht der Preisabsprache erheben. Wieso eigentlich wird in der Gastronomie immer mit anderen Ellen gemessen? Romeo Brodmann
Weniger Steuern, mehr Gebühren Zürich nimmt mittlerweile mehr Geld mit Gebühren ein als mit ordentlichen Steuern. Der Vorteil von Gebühren ist, dass sie erstens am Volk vorbei erhöht werden können und zweitens immer nur eine Interessengruppe betreffen – dahingegen Steuererhöhungen immer alle tangieren. Alle staatlichen Ebenen nutzen diese Vorteile der Gebühren für sich. Der Kanton Luzern hat im Jahr 2013 über 100 Millionen Franken mit Gebühren eingenommen – so viel wie noch nie. Die Regierung gibt zu, dass die Gebühren in gewissen Branchen erhöht wurden, darunter das Gastgewerbe. Die Städte Rapperswil und St. Gallen drohen und drohten mit 30-prozentigen Gebührenerhöhungen für die Nutzung des öffentlichen Bodens. Ähnliches sieht auch das neue Reglement der Stadt Aarau vor: Für die bisherige Gratisfläche von 18 Quadratmetern werde sie künftig 100 Franken verlangen. Am Tag nach Ostern lief die Einsprachefrist ab.