Bio-Fibel #29 04-2015

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BIO-FIBEL ZEITSCHRIFT FÜR WISSEN AUS DER BIOLOGISCHEN LANDWIRTSCHAFT

Christian Schrefel und Benedikt Härlin – Arche Noah-Präsident trifft Umweltaktivisten Bio-Reis – Wächst neuerdings auch im Burgenland Regionalität extrem – Von der Weide direkt ins Glas Guter Geschmack – Rauchende Fische und süßer Wein

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EDITORIAL

HEUER WÜNSCHE ICH MIR VIEL(FALT)! „Am 25. Februar 2015 hat die EU-Kommission die EU-Saatgutverordnung zurückgezogen. Damit ist der Entwurf auch formell Geschichte. Die EU-Kommission hat jetzt die historische Chance, die Reform von Neuem zu starten und die Saatgutgesetze zukunftstauglich zu machen. Die Arche Noah setzt sich dafür ein, dass in einer neuen Fassung alte Sorten und Raritäten einen gleichberechtigten Zugang zum Markt bekommen, ohne Beschränkungen auf Nischen und kleine Packungen“, schreibt der Verein Arche Noah auf seiner Website. Im Vorfeld dieses großen Votums für die Vielfalt an Sorten und Raritäten und gegen die primär profitgetriebenen Interessen der Saatgutmultis haben über 500.000 Menschen in Österreich unter dem Motto „Freiheit für die Vielfalt“ mit ihrer Unterschrift ihre Stimme für seltene und bäuerliche Sorten erhoben. Diese geballte Stimme war schlussendlich so laut, dass die EU-Kommission die Saatgutverordnung zurückziehen musste. Zumindest vorerst einmal. Sortenvielfalt ist ein hohes Gut, denn die Kulturartenvielfalt ist durch die Wechselwirkung zwischen Mensch und Pflanze bzw. Tier in Jahrtausenden entstanden. Die Vielfalt unserer Nutzpflanzen aber auch –tiere dient also nicht nur als lebenssichernde biologische bzw. genetische Ressource, sie ist auch ein kultureller Wert, den es unbedingt zu erhalten gilt. 2014 wurde der „Traditionelle Samenbau und Saatgutgewinnung“ von der UNESCO in die Liste des Immateriellen Kulturerbes Österreichs aufgenommen. Als Ort der feierlichen Urkundenübergabe konnte kein besserer gefunden werden als der selbstverständlich biologisch geführte Schaugarten der Arche Noah. Wir stellten uns beim festlichen Symposium „Vielfalt ernährt die Welt“ als herzliche Gratulanten zum fünfundzwanzigsten Geburtstag der Arche Noah ein und nutzten die Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit Obmann Christian Schrefel und dem deutschen Umweltaktivisten Benedikt Härlin. Auch wenn der dramatische Rückgang der Biodiversität vor allen durch Gentechnik, Saatgut-Monopole, Klimawandel und Kriege in den letzten Jahrzehnten noch mehr vom kostbaren Erbe zerstört hat, zeigten sich die beiden Herren beim Plaudern überraschend zuversichtlich. Die Regierungschefs (fast) aller Staaten hören die immer lauter werdenden Sorgen ihrer „Schäfchen“ und äußern sich zunehmend ablehnend gegenüber z. B. der grünen Gentechnik. Dass dieser Wahrnehmung auch die entsprechenden Handlungen folgen mögen, das wünsche ich mir heuer vom Christkind.

Reinhard Geßl, Herausgeber

INHALT So gut ist die Welt noch nicht 3 Der Seebauer und sein liebes Vieh (im Glas) 9 Gärten der Vielfalt 11 Im Burgenland geht einem der Reis 13 Mühlviertel: Bio-Perlen im tiefen Österreich 14 Von süßen Weinen und rauchenden Fischen 16 Shortcuts 20-22 Impressum 22

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IM GESPRÄCH

SO GUT IST DIE WELT NOCH NICHT Vielfalt ernährt die Welt, seit Jahrtausenden! Zigtausende Kulturarten haben sich gemeinsam mit uns Menschen entwickelt und sich lau­ fend den standortspezifischen Erfordernissen bestens angepasst. Seit wenigen Jahren wittern Saatgutmultis das große Geschäft und wollen uns weismachen, dass patentierte Einfalt die Ernährungszukunft sei. Christian Schrefel und Benedikt Härlin halten dagegen.

In biblischen Vorzeiten war die Arche Noah als rettendes Schiff weltberühmt. Heute assoziieren wir mit der Arche Noah einen – ebenso rettenden – Verein mit Sitz im Niederösterreichischen Schiltern. Widmete sich der Verein zu Beginn vor allem einem neuen Umgang mit Kulturpflanzen in Acker, Garten und Küche, so dreht sich heute aufgrund großer Veränderungen in Landwirtschaft und Gesellschaft alles

um den achtsamen, schützenden Umgang mit dem Saatgut und der Nutzpflanzenvielfalt. Am 10. November 2015 lud der Arche-Präsident Christian Schrefel aus Freude über den 25. Geburtstag zum Symposium „Vielfalt ernährt die Welt“. Hunderte Freunde feierten mit, wie sich auch weltberühmte Vordenker als Gratulanten einfanden. Einer davon war Benedikt Härlin, deutscher Philosoph, Soziologe, Politiker, Journalist und Vertreter der Nichtregierungs-Organisationen im Aufsichtsrat des Weltagrarberichts. Wir nutzten die Gunst der Stunde und baten den Arche Noah-Präsidenten Christian Schrefel und den agrarischen Vordenker Benny Härlin im Clubraum der Wiener Urania zum Gedankenaustausch. Das Themenspektrum war vielfältig: trügerisches Geraschel von Geldscheinen, vorbildliche Zustände am Balkan, versteckte Hungerarten, ein glücklicher Sieg in Brüssel, kritische Facetten der Agrarmilliarden, aber auch sich rar machende Raritäten.

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IM GESPRÄCH

unter Kontrolle zu bringen, so wie das zum Beispiel auch bei Microsoft der Fall ist.

Herr Schrefel, Sie feiern heuer mit Pauken und Trompeten 25 Jahre ‚Arche Noah‘. Sollte sich Ihr Verein eigentlich nicht schon längst aufgelöst haben – Sie wollten doch den Verlust der Sortenvielfalt stoppen? Das ist jetzt eine paradoxe Frage. Aber es stimmt schon, Umweltorganisationen und soziale Initiativen sollten genaugenommen immer das Ziel haben, sich wieder auflösen zu können. Vorausgesetzt, sie haben ihre Vereinsziele wirklich erreicht. Das haben wir – das muss ich zugeben – leider noch nicht ganz geschafft. Was hat die Arche Noah an einer erfolgreichen Auflösung gehindert? Wir kämpfen mit unserem Engagement für die Sortenvielfalt gegen sehr große, starke Interessen an. Wie es ausschaut, werden solche Vereinigungen wie die Arche Noah noch länger unbedingt gebraucht werden. Aber ich denke, die 25 Jahre zeigen gut die Kontinuität und Erfahrung unserer Arbeit auf – Sortenvielfalt lässt sich ja nicht in ein paar Jahren oder gar Wochen abhaken. Das ist eine Jahrhundertgeschichte. Herr Härlin, Sie kämpfen seit Jahrzehnten gegen die grüne Gentechnik. Wie sieht es da mit erfreulichen Auflösungs­ tendenzen aus? Mit unserer Kritik an der sogenannten „Grünen Gentechnik“ sind wir schon ganz gut voran gekommen. Als ich damals angefangen habe, hat man mir gesagt: Du bist leider schon zu spät, Du hättest schon zehn Jahre früher beginnen müssen, da wäre noch eine Chance gewesen. Diese Einschätzung war zum Glück falsch. Denn heute kann ich sagen: Sämtliche Regierungen wollen in der Zwischenzeit aus der Gentechnik raus, sie wollen keine Gentechnik. In dem Sinne haben wir uns vielleicht schon wegrationalisiert. Geht es bei Ihnen also bald in die wohlverdiente Umwelt­ aktivisten-Pension? So gut ist die Welt nun leider auch wieder nicht. Es gibt ja schon die nächsten neuen Technologien. Wenn wir uns ein Unternehmen wie Monsanto anschauen, dann ist denen ja wurscht, ob sie mit Gentechnik oder etwas Ähnlichem das Geld verdienen. Denen geht es darum, große Lebensbereiche

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Aber zumindest auf den europäischen Äckern scheinen ­solche Kontroll­gelüste nicht aufzugehen? Wir stehen in Europa gut da! Ich glaube, es ist allgemein anerkannt, dass Gentechnik kein Weg nach vorne ist. Das ist nicht die Art von Innovation, die wir brauchen. Auch in den USA entsteht nun eine massive Verbraucherbewegung, die sagt: „Wir wollen, dass Lebensmittel gekennzeichnet werden.“ Da werden im Moment von Firmen Millionen investiert, um das zu verhindern. Auf der anderen Seite ist China die große Unbekannte. Die meisten Gentechniker sind ja Chinesen. China hat bisher aber nur Gentechnik-Baumwolle am Markt zugelassen und keine Lebensmittel. Dass das aber weiter so sein wird, dafür müssen wir kämpfen. Bleibt die Frage nach Afrika? Das ist auch ein großes „Schlachtfeld“. Hier versuchen gerade die Bill und Melinda Gates Foundation, aber auch die Rockefeller Foundation und viele Staatschefs und Universitätsdirektoren die Grüne Gentechnik durchzusetzen. Natürlich mit dem entsprechenden Geraschel der Dollarnoten. Zurück zur Arche Noah, Herr Schrefel. Ist Österreich ein guter Boden für Themen wie Sortenvielfalt und Biodiversität? Wir haben hier generell ein durchaus hohes Umweltbewusstsein. Bei uns gibt es ja auch einen großen Anteil an Biolandbau in der Landwirtschaft, mit einer langen Tradition. Also ein echtes Schlaraffenland für die Arche Noah… Zumindest was das Umweltbewusstsein betrifft. In den Balkan­ ländern gibt es freilich ganz andere Traditionen im Gemüse­ anbau, die noch erhalten sind. In Österreich pendeln wir immer zwischen dem, was wir erhalten, sammeln und wieder auf den Markt bringen, und dem, was anderswo erhalten werden muss. Da fällt unser Blick natürlich auch auf den Balkan: Hier gibt es zwar von Natur aus noch eine tolle Biodiversität, aber keine Einrichtung, die diese Vielfalt schützt. Wie sieht es diesbezüglich in Deutschland aus, Herr Härlin? Wir schauen schon ein bisschen neidisch nach Österreich. Die Bewunderung gilt dabei vor allem der Professionalität der Arche Noah, also wie dieses Thema angegangen wird. Ein vergleichbares Pendant gibt es in Deutschland leider noch nicht. Wobei die Bereitschaft für den Schutz der Vielfalt in Deutsch­ land vielleicht ähnlich groß ist wie in Österreich. Es fehlt allerdings an den entschlossenen Akteuren. Von da her: Gratulation und Applaus für die Arbeit der Arche Noah! Lob aus Deutschland zählt doppelt, Herr Schrefel… Danke. Von unseren 14.000 Mitgliedern sind auch gut 2000 im süddeutschen Raum zu Hause. Diese Menschen kommen

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IM GESPRÄCH

zu Gartenbesichtigungen nach Schiltern und bestellen auch Pflanzen und Saatgut. Trotz des Engagements der Arche Noah schreitet der Sorten­ verlust voran. Alleine in den letzten 100 Jahren sollen rund 75 Prozent der Sortenvielfalt verschwunden sein. Da gibt es unterschiedliche Zahlen. Ich würde sogar meinen, es waren 90, 95 – ja, sogar 98 Prozent. Sind die Zahlen wirklich so dramatisch, Herr Härlin? Viele messen die Sortenvielfalt nur daran, was als eine neue Sorte behördlich angemeldet und für den Verkauf erwogen wird. Die große Mehrheit der Sorten wird aber nie bei einer Behörde angemeldet. Was ein philippinischer Bauer an Reis­ sorten hinterm Haus anbaut, entzieht sich der Statistik. Also von daher sollte man mit den Zahlen vorsichtig sein. Wenn man aber darauf schaut, was kommerziell angebaut wird, dann haben wir tatsächlich ein großes Problem. Hier halbiert sich nämlich die Vielfalt ungefähr alle 20 Jahre. Herr Schrefel, wie bringt man alte Sorten wieder ins Be­wusst­ sein von Konsumenten, Handel und Landwirtschaft? Wir von der Arche Noah arbeiten seit 25 Jahren mit Bauern und Konsumenten auf regionaler Ebene. Bis hin zur Förderung der Sortenvielfalt in großen Handelsketten. Die Supermärkte müssen ja für die Konsumenten laufend attraktiver werden. Und dazu gehört seit wenigen Jahren auch eine Sortenvielfalt mit bunten Paradeisern, bunten Erdäpfeln, verschiedenen Wurzelgemüsen und Salaten. Diese Vielfalt haben wir mittlerweile auch gut im Handel untergebracht. Das ist für einige Bauern in den letzten Jahren eine echte Existenzsicherung und Perspektive geworden. Aktuell arbeiten wir intensiv mit rund 100 Betrieben in Österreich zusammen. Herr Härlin, Sie sind Initiator und Mitverfasser des Welt­ agrar­ berichts. Glauben Sie ernsthaft, dass sich die Welt­ bevölkerung mit einer Vielfaltsromantik ernähren lässt?

Sie können grundsätzlich, und das gilt für die ganze Welt, zunächst einmal sagen: Angebaut wird, was sich für die Landwirte auch halbwegs rechnet. In dem Moment, wo wir Städter bereit sind, einen gewissen Preis dafür zu bezahlen, wird auch wieder mehr Vielfalt produziert. Wenn Sie auf die globale Ernährungssituation schauen, haben wir zwei Entwicklungs­stränge um die es vor allen Dingen geht: Das eine ist, wie passen wir uns in den verschiedensten Regionen der Welt an den bereits stattfindenden Klimawandel an? Und da sind Vielfalt und vor allem auch das Wissen über die Vielfalt der Sorten und Pflanzenarten entscheidend. Wir können mit den wenigen Arten, die wir heute in Monokulturen weltweit versuchen zu kultivieren, in vielen Regionen der Welt die Menschheit nicht mehr ernähren. Und schon gar nicht in 20 Jahren, das wissen wir. Das macht die Vielfalt sogar notwendig. Diese Argumentation hat den Beigeschmack, dass die Menschen zwar viele Sorten, aber zu wenig am Teller haben. Stimmt! Aber die Versorgung mit Kalorien ist längst nicht das vordringlichste Problem, wenn es um die Welternährung geht. Wir haben heute doppelt so viele krankhaft Übergewichtige wie krank­ haft Unterernährte. Wissenschaftler nennen das „the hidden hunger“, also den versteckten Hunger. Das ist ein Mangel an Mikronährstoffen, nicht an Kalorien. Es ist häufig so, dass selbst adipöse Kinder Mangelerscheinungen haben, weil sie gewisse Vitamine, bestimmte Mikronährstoffe nicht ausreichend zur Verfügung haben. Und hier spielt die Vielfalt wieder eine ganz entscheidende Rolle – vor allem auch für jene, die sich von ihrem kleinen Stück Land selbst ernähren müssen. Solange die Berater ihnen sagen: „Baut Hochleistungssorten vom Mais an“, solange werden sie vielleicht in guten Jahren viele Kalorien bekommen, aber feststellen, dass ihre Kinder Ernährungsdefizite haben. Vielfalt ist also auch ein Überlebensprinzip für die Ärmsten der Armen. Apropos „Überlebensprinzip“: Die EU wollte ja mit der um­strittenen EU-Saatgutverordung die Sortenvielfalt emp­

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IM GESPRÄCH

Es gibt keine gemeinsame europäische Aufbruchs­stimmung, die eigentlich notwendig wäre. Von da her hat ja auch die letzte EU-Agrarreform vor allem darin bestanden, den einzelnen Mitgliedsstaaten sehr viel mehr Handlungsspielraum zu geben als bisher. Im Moment müssen wir die notwendigen Veränderungen leider Gottes in kleinen Schritten machen, vor Ort auf nationaler Ebene. Von diesem handlungsunfähigen Europa können sich also die Bürger nichts mehr erwarten? Nein, das wäre jetzt die falsche Schlussfolgerung. Ich würde eher sagen, die Nationalpolitik ist nicht europafähig. Wenn Sie sich den Erfolg der FPÖ in Österreich anschauen, dann ist das antieuropäisch. Das heißt auch, die große Koalition getraut sich nicht mehr europäisch zu sprechen, zu handeln, zu agieren. Man soll keinesfalls einen Zungenschlag hinein bringen, Europa könne nicht handeln und deshalb müssten die Nationalen handeln. Die Nationalen erweisen sich als unwillig und unfähig europäisch zu handeln und das schadet allen.

Aber eben auf Initiative der Arche Noah… Wir haben schon zwei Jahre vorher in Brüssel ein Büro aufgemacht und mit allen befreundeten Organisationen und Gruppierungen zusammengearbeitet – vom Biolandbau bis hin zu Bauernorganisationen und Umweltinitiativen. Ein Erfolg in Brüssel ist ja nie singulär. Und natürlich hatten wir auch eine gute Kampagne, vor allem in Deutschland und Österreich. Eine halbe Million Unterschriften für den Erhalt der Sortenvielfalt sind schon ein starkes Signal nach Brüssel.

Ist auch die österreichische Agrarpolitik ein Uraltmodell, Herr Schrefel? Also in Österreich haben wir flächenmäßig rund zwanzig Prozent Biolandbau. Das ist schon ein großer Erfolg. Auch bei der Wissensbildung ist viel passiert, dank FiBL und anderen Ein­richtungen. Wir wissen heute, was konventionelle Agrar­ politik anstellt, welch enorme gesellschaftliche Folgekosten beispielweise durch die Grundwasserverunreinigung entstehen. Das Wissen in Österreich ist in der Landwirtschaft und auch in der Bevölkerung mehr geworden. Heute stellen in Österreich Betriebe mit 100 Hektar und mehr auf Bio um – vor 30 Jahren waren das noch Betriebe mit 3 bis 15 Hektar. Das ist schon eine Veränderung, die nicht irrelevant ist. Und parallel dazu diskutieren wir ja gerade in Österreich das Zukunftskonzept „Bio 3.0“, wo wir uns mit den großen, neuen Fragen auseinandersetzen.

Herr Härlin, als ehemaliger EU-Parlamentarier haben Sie die Agrarpolitik in Brüssel hautnah erlebt. Braucht es da nicht generell ein völlig neues Denken und Handeln? Ja. Wir brauchen eine ganz fundamentale Renovierung der europäischen Agrarpolitik. Das hat auch damit zu tun, dass die Ziele, die die EU heute verfolgt, noch bis auf das Komma mit jenen identisch sind, die sie sich 1960, also vor mehr als einem halben Jahrhundert, gesetzt hat. Damals ging es um Rationalisierung – da ging es um die Ernährung der Nachkriegsbevölkerung, die gehungert hat. Also um vollkommen andere Ziele als heute.

Haben Sie da in punkto Ernährung einen konkreten Vorschlag? Wir brauchen Eiweiß. Und zwar alle! Solange wir uns aber Eiweiß übers Fleisch zuführen, geht sich das auf der Fläche Österreichs nicht aus. Auch nicht auf jener von Europa und schon gar nicht global betrachtet. Wenn alle auf diesen hohen Fleisch­ konsum setzen, geht sich das nirgendwo aus. Wir müssen weg von der Fleischernährung und hin zu einer vielfältigen Ernährung mit Pflanzen. Das Eiweiß muss über die Pflanzen kommen. Wir brauchen Erbsen, Bohnen und andere Eiweißbringer am Teller. Das ist die Herausforderung für die Zukunft!

Weshalb gelingt der EU keine fundamentale Renovierung? Wenn wir derzeit in der EU von einem großen, neuen Wurf sprechen, lächelt da nur jeder müde. Ganz egal, ob es um Agrarpolitik oder Flüchtlingspolitik oder auch um Menschen­ rechte geht. Nichts geht im Moment in Brüssel gemeinsam.

Diese „fleischlichen Einschränkungen“ werden aber bei uns niemandem schmecken. Wohin unser gegenwärtiger Ernährungs- und Lebensstil führt, verdeutlicht ein großes, europäisches Forschungsprojekt: Möchten alle Menschen bis 2050 den gleichen Lebensstandard

findlich reduzieren. Wie ist es Ihnen mit der Arche Noah gelungen, das zu verhindern? Da gab es neben der Arche Noah viele Mitstreiter. Das war ein gemeinsamer Erfolg im Netzwerk. Von sehr vielen kleinen Vereinen, auch in vielen anderen EU-Ländern. Wir sind im richtigen Moment an einem Tisch zusammen gekommen.

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haben, dann müsste jeder in einer 20 m² großen Wohnung leben, also seinen Flächenbedarf und die Energiekosten stark reduzieren. Und reisen dürften wir nur noch rund 10.000 Kilometer pro Jahr – mit der Bahn und dem Rad, aber fast nicht mehr mit dem Flugzeug. Ernähren würden wir uns selbstverständlich vegetarisch. Nur so ginge sich weltweit ökologisch ein gerecht verteilter Standard aus. Wenn wir aber auf 150 m² wohnen, Fleisch essen und 70.000 km im Jahr mit dem Auto rumfahren, dann tun wir das immer auf Kosten anderer. Dieser moralischen Frage muss sich Europa stellen! Die Flüchtlinge sind ja übrigens ein sehr wesentlicher Teil dieser Frage. Denn genau mit unserer Wirtschaftspolitik schaffen wir solche Notstände. Herr Härlin, Sie kritisieren unter anderem auch die Verteilung der EU-Agrarmilliarden. Was läuft da falsch? Ich glaube, wenn wir öffentliche Mittel in die Hand nehmen, also jemandem Steuergelder bezahlen, dann müssen wir sehr klar die Leistungen definieren. Einfach nur Land zu besitzen, Land­eigen­tümer zu sein, ist keine Leistung, die wir öffentlich subventionieren müssen. Dieses Land anständig zu bewirtschaften, auf diesem Land eine Vielfalt anzubauen, die auf dem Markt so im Moment nicht konkurrenzfähig ist, das ist eine Leistung, dafür lohnt es sich Geld zu investieren. Derzeit heißt es aber für die Landwirte, größer werden und immer mehr vom Gleichen produzieren, oder? Das ist der falsche Weg und führt dazu, dass ich die Kuh nicht mehr beim Namen kenne. Dass ich das Stück Land nicht mehr wirklich persönlich bewirtschafte. Es ist ein falscher Weg, bei dem Arbeitsplätze durch billige Energie ersetzt werden. Ich plädiere dafür, dass mit der Landwirtschaft auch die richtigen Maßnahmen für die Ernährungspolitik gefördert werden. Und dass Landwirtschaftspolitik Arbeitsplätze möglich macht, also Existenzen schafft!

Ein­satz von Erdöl inklusive die aus Erdöl und Erdgas produzierten Kunstdüngermittel. Eigentlich geht es darum, mit der Förderung die Bewirtschaftung von Großflächen technisch zu ermöglichen. Wir diskutieren zwar über den VW-Skandal, reden über Klimaschutz und Einsparungen – aber die Landwirtschaft klammern wir dabei völlig aus. Erdöl darf in der Landwirtschaft nicht gefördert werden, das hat keinen Sinn! Von den Fördertöpfen nun ein „Griff“ in Ihren Kühlschrank: Wie viele Raritäten finden sich dort, Herr Schrefel? Na ja, die Tochter ist gerade Veganerin, also gibt es verschiedene Humusaufstriche und anderes… Und wie sieht es mit der gelobten Gemüsevielfalt aus? Ein bisserl Gemüse ist schon drinnen. Das aus dem eigenen Garten haben wir eingefroren. Und aus meinem kleinen Weingarten haben wir die Weingartenpfirsiche eingekocht – die kommen dann in der Früh in den Porridge. Sie haben Ihren Kühlschrank vor dem Flug nach Wien hof­ fentlich nicht ausgeräumt, Herr Härlin? Nein, nein! Meine Frau macht Suppen in Berliner Suppenläden und ist im Moment ganz auf dem grünen Smoothie-Trip. Da haben wir also die verschiedensten Gemüsesorten, teilweise von unserem Kleingarten, im Kühlschrank. Auch tiefgefrorenen Kohl und Blumenkohl und so Geschichten wie Mangold. Raritäten machen sich aber gerade etwas rar. Danke für das Gespräch Reinhard Geßl und Wilfried Oschischnig

Wäre es richtig, die Agrarmilliarden zu kürzen und das Geld beispielsweise für jugendliche Arbeitslose zu verwenden? Also, ein jugendlicher Arbeitsloser zu sein ist auch keine Leistung, die wir automatisch fördern sollten. Aber sofern diese Arbeit für unsere Ernährung, für unsere Land­wirtschaft und für die Umwelt einen Nutzen hat – ja, dann soll es auch an die Arbeitslosen gehen. Es gibt doch überall Hofstätten, die heute verlassen werden. Gleichzeitig kommen Menschen zu uns, die einen Hintergrund als Landwirte haben und die ein Interesse daran hätten. Flüchtlingspolitik ist auch eine Frage der ländlichen Entwicklungspolitik und da sind öffentliche Mittel ebenfalls gut eingesetzt. Herr Schrefel, wie beurteilen Sie die gegenwärtige Förderpolitik? Grundsätzlich ist die Zielsetzung jeder Förderpolitik kritisch zu hinterfragen. Gerade in der Landwirtschafts­ förder­ politik wird derzeit ein ganz wichtiges Thema völlig ausgelassen, der Klima­schutz­. Wir fördern derzeit in der Landwirtschaft den

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Foto: Ingo Pertramer

Seebauer Klaus Dutzler pflegt mit seinen Pustertaler Sprinzen einen guten Kontakt


BIO-WISSEN

DER SEEBAUER UND SEIN LIEBES VIEH (IM GLAS) Klaus Dutzler kommt als Reporter der ORFDokumentation „Am Schauplatz“ immer dann ins Bild, wenn es um einen Blick auf die aktuelle Land­wirtschaft geht. Die meiste Zeit aber bewirt­ schaftet er einen Bio-Betrieb am Gleinkersee. Dort kann es schon passieren, dass ein Ochs in 1000 Gläser gefüllt wird.

Gleich in der ersten Folge der achtteiligen DienstagabendDoku „Ochs im Glas“ passierte etwas arg Verbotenes. Der fast 650 Kilo schwere Galloway-Ochse Carson wird vor laufender Kamera nicht im Schlachthaus mit einem Bolzenschussapparat, sondern direkt auf der Weide des Seebauern Dutzler mit einem Gewehrschuss betäubt. Auch wenn diese Methode der Betäubung für Einzeltiere auf der Weide die stressfreieste wäre, auch wenn Wildtiere zu tausenden so getötet werden, ist die Anwendung dieser Methode in Österreich bei Nutztieren gesetzlich verboten. „Weil es die EU-Gesetzgebung verbiete“, heißt es, während in Deutschland Einzelgenehmigungen sehr wohl erteilt werden. Neben den wuscheligen Galloways und den schwarzen Angus­ rindern tummelt sich am Gleinkersee eine bunte Schar an seltenen Nutztierrassen: Pustertaler Sprinzen, Turopolje, Mangalitza, Schwäbisch Hällische oder auch Duroc. Alle Tiere genießen die optimalen Lebensbedingungen mit Weidehaltung, bestem Wiesenfutter oder Heu, aber auch die gute persönliche Betreuung, bis hin zur stressfreien Schlachtung im betriebs­ eigenen Schlachthof. Der Bio-Pionierfleischer Heinz Schmeissl veredelt die „Seekühe“ und „Gleinkersauen“ zu gar köstlichen Fleisch- und Verarbeitungsprodukten. Der Großteil der so gewonnenen Fleischspezialitäten wird ohne jeglichen Transport im 100 Prozent Bio- und Slowfood-zertifizierten Ausflugsgasthaus „Seebauer“ zubereitet. Bio-Regionalität auf den Punkt gebracht! Dass „Ochs im Glas“ gerade beim idyllisch am oberösterreichischen Eingang zum Toten Gebirge gelegenen Seebauern gedreht wurde, hat mit persönlichen „Zufällen“ zu tun. Der

Fotograf Ingo Pertramer ist nicht nur Freund, sondern seit Kurzem auch Besitzer eines hundert Jahre alten Kochbuchs. In diesem wurde, sozusagen als Meisterprüfung des Haltbar­ machens, ein ganzes Rind aufgearbeitet und in Gläser gefüllt. Aus dem staunenden Buchlesen wurde eine Idee, aus der Idee wurde mit eifriger Unterstützung des kochenden Künstlers Thomas Nowak und des Gastrokritikers Florian Holzer ein Projekt. Gestartet wurde das Unterfangen, ein Rind zu kaufen, dieses selber zu schlachten und dann „from nose to tail“ zu verarbeiten und haltbar zu machen, ohne Finanzier und ohne Sendezusage. Die mediale Vernetzung der Protagonisten dürfte für die erfolgreiche Entwicklung des Wagnisses kein Nachteil gewesen sein. Jedenfalls läuft die charmant improvisiert wirkende Doku seit Mitte Oktober sehr erfolgreich im ORF-Dienstagabendprogramm. Dabei werden die großen Überthemen der Ernährung, wie zum Beispiel Herkunfts­ sicherheit, Nachhaltigkeit, Respekt vor dem Tier, Abfall­ vermeidung, en passant behandelt, dass es eine Freude ist. Die weltweite Vermarktung der lehrreich unterhaltsamen Serie beginnt gerade zu laufen. So wie es derzeit aussieht, wird der eingerexte Carson posthum noch eine mediale Berühmtheit werden. Reinhard Geßl

ZAHLEN UND FAKTEN Filmdokumentation „Ochs im Glas“: gedreht beim Bio-Bauern Klaus Dutzler vulgo Seebauer am Gleinkersee Nähere Infos auf www.gleinkersee.at und www.ochsimglas.at Infos: - Napoleon Bonaparte schrieb für die Erfindung eines Verfahrens zum Haltbarmachen von Lebensmitteln einen Preis von 12.000 Franken aus. Den Preis gewann 1810 Nicolas Appert. - Der Chemiker Rudolf Rempel ließ seine Erfindung, Gläser mit geschliffenen Rändern mit Gummiringen und Deckeln zu verschließen, 1892 patentieren. Johann Carl Weck zählte zu seinen ersten Kunden.

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Foto: Christian Vogl

Eine historische Aufnahme: Brigitte Vogl-Lukasser empf채ngt von ihrer Mutter b채uerliches Hausgartenwissen


BIO-WISSEN

GÄRTEN DER VIELFALT Statt sich mit fader Einheitsware zufrieden zu geben, erfreuen sich immer mehr Konsumenten an intensiven Geschmackserlebnissen und be­ ­ sinnen sich auf der Suche nach kulinarischer Ab­wechslung auf die kaum überschaubare Viel­ falt unserer Kulturpflanzen.

Trotz dieser erfreulichen Entwicklung sind laut Schätzungen weltweit mittlerweile 75 Prozent der Kulturpflanzensorten von wenigen Hochleistungssorten verdrängt worden, weniger als 30 Pflanzenarten übernehmen heute 95 Prozent der Welternährung. Unsere Ernährungsweise ist also ziemlich eintönig geworden. In früheren Zeiten als Gemeingut getauscht, nachgebaut und selektiert, hat sich heute rund ums Saatgut ein gewinnbringender Wirtschaftszweig entwickelt. Die Züchtung verlagert sich immer mehr vom Feld ins Labor, aus dem Saatgut ist ein handelbarer Rohstoff geworden, von dem vor allem wenige Konzerne profitieren. Um einer Monopolisierung entgegenzutreten, setzen sich daher immer mehr Menschen und Initiativen für den freien Zugang zu Saatgut und den Erhalt der Sortenvielfalt ein. Gerade in den bäuerlichen Hausgärten wird sehr viel dazu beigetragen, diese Vielfalt zu erhalten und ständig weiterzuentwickeln. Man baut an, was schmeckt, wirkt oder einfach nur schön ist. Und da die Menschen und ihre Ansprüche verschieden sind, sind auch die Gärten und die dort angebauten Arten und Sorten äußerst vielfältig. „Gärten sind weltweit Forschungslabors, in denen Kulturarten und deren Sorten ausprobiert und entwickelt werden. Für die dauerhafte Erhaltung und Weiterentwicklung der biologischen Vielfalt reicht es daher nicht aus, traditionelle und lokale Sorten in Genbanken zu konservieren, sie müssen kultiviert und genutzt werden“, meint Christian Vogl, Professor am Institut für ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur. Auch seine Frau Brigitte Vogl-Lukasser beschäftigt sich seit Jahren mit bäuerlichem Erfahrungswissen und widmet sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit besonders den bäuerlichen Hausgärten und der dort anzutreffenden biologischen und kulturellen Vielfalt, die die lange Geschichte des Saatguts als Kulturerbe bäuerlichen Wirtschaftens widerspiegelt. Wobei auch hier gilt: früher war nicht alles besser, es gibt durchaus

auch alte Sorten, die gravierende Mängel haben und denen moderne, samenfeste Bio-Sorten oft weit überlegen sind. „Doch mit jeder alten Sorte gehen nicht nur eine bestimmte Eigenschaft oder ein besonderer Geschmack, sondern auch Kulturwert und traditionelles Wissen unwiederbringlich verloren. Mit der Vielfalt verschwindet auch ein Handwerk, besonderes Wissen und die Kunst jene Sorten zu erhalten, die für die Region typisch waren oder die sich besonders gut zu regionaltypischen Speisen verarbeiten ließen“, unterstreicht Brigitte Vogl-Lukasser nur einige der kulturellen Auswirkungen, wenn Sorten verloren gehen. Der gebürtigen Osttirolerin ist es daher wichtig auch ganz praktisch zur Erhaltung der Vielfalt beizutragen und so kultiviert sie am familieneigenen Bergbauernhof eine Vielzahl an traditionellen Lokalsorten. Der Erhalt der Agrobiodiversität ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern Basis für die Stabilität von Agrarökosystemen, wichtiges Kulturgut und wesentliche Voraussetzung zur weltweiten Ernährungssicherung. Agrobiodiversität ist eng an menschliche Nutzung gekoppelt, denn was nicht produziert, verarbeitet, gekauft, gegessen oder anderweitig genutzt wird, verschwindet. Erhaltung, Selektion und Züchtung von Saatgut erfolgt – abseits der Konzerne – zwar bei Bauern und Gärtnern, aber indirekt auch bei uns Konsumenten, die wir mit unserem Einkauf ein deutliches Zeichen für die Vielfalt setzen können. Elisabeth Klingbacher

ZAHLEN UND FAKTEN Institut für Ökologischen Landbau der Universität für Bodenkultur; Arbeitsgruppe „Wissenssysteme und Innovationen“ mit Focus auf lokalem, bäuerlichem Erfahrungswissen und Agrobiodiversität. Arbeitsgruppenleiter: Prof. Dr. Christian Vogl. Nähere Infos unter www.nas.boku.ac.at/ifoel/arbeitsgruppen Info: - Unter Agrobiodiversität versteht man die biologische Vielfalt der für Land-, Forst-, Fischereiwirtschaft und Ernährung genutzten oder potenziell nutzbaren Flora und Fauna. - Hybridsorten machen im Erwerbsgemüsebau über 70 % des verfügbaren Saatguts aus. Hybride müssen jedes Jahr neu zugekauft werden, da die gewünschten Eigenschaften bei einer Weitervermehrung verloren gehen.

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Tradition trifft Innovation: Ramona und Erwin Unger im nรถrdlichsten Reisfeld der Welt


BIO-WISSEN

IM BURGENLAND GEHT EINEM DER REIS Reis zählt nicht unbedingt zu jenen Getreide­ sorten, die einem zur österreichischen Land­ wirtschaft spontan einfallen. Das könnte sich ändern, denn heuer wurden im Burgenland die ersten größeren Bio-Reisfelder geerntet.

Wallern liegt im burgenländischen Seewinkel, sehr nahe der ungarischen Grenze. Im Cafe Mocca geht es um acht Uhr in der Früh schon hoch her. Dort treffen sich, weil es immer etwas zu besprechen und zu erfahren gibt, die männlichen Vertreter des Ortes. An einem Morgen im späteren Oktober dreht sich am Tisch der Bio-Bauern alles lautstark um den Reis von Erwin Unger, der am Nachmittag geerntet werden soll. Wird der Mähdrescherfahrer wohl Zeit haben? Wird sein Fahrzeug aus den 60er Jahren mit der wahrscheinlich reistauglichen Spezialtrommel, der einzigen in Österreich, auch richtig funktionieren? Wie groß wird schlussendlich die Menge sein? Und, und, und. Erwin Unger sitzt mit seiner Frau Ramona ruhig daneben und lächelt. „Ja, der Reis – der ist zu einem Herzensanliegen geworden. Heuer habe ich mich viel, viel mehr als ich wollte mit ihm beschäftigt“, erzählt der leidenschaftliche Bio-Bauer und -Gärtner. Die Geschichte des burgenländischen Reisanbaus beginnt im Jahr 1864. Damals war der Neusiedlersee fast ausgetrocknet und es wurde versucht, im zurückgebliebenen Schlamm Reis anzubauen. Mit mäßigem Erfolg. Dann passierte reismäßig 150 Jahre nichts. Inspiriert von einem Schweizer Projekt stellte sich der Bio-Pionier Erwin Unger der Herausforderung, den nördlichsten Bio-Reis der Welt anzubauen. Der Seewinkel ist klimatisch für den Reisanbau geeignet. „Das schon, aber die Reispflanze ist eine Diva“, erzählt Unger weiter. „Um zu reifen, braucht Reis mindestens 150 Tage mit einer Durchschnittstemperatur von 18 Grad. Zur Windbestäubung muss es trocken sein, in der Wachstumsphase braucht es genügend Feuchtigkeit und zum Abreifen soll es länger kühl, aber trocken sein.“ Dazu kommen die ganz grundsätzlichen Fragen

nach der geeignetsten Sorte, dem idealen Pflanzabstand, dem Nährstoffbedarf und der besten Art der Unkrautregulierung. Die Sortenwahl fiel heuer auf eine rote aus Indien und eine schwarze aus China. Erwin Unger entschied sich weiters, um die schwierige Keimung am Feld zu umgehen, für die Anzucht und Auspflanzung von Setzlingen. „Ein unglaublicher Arbeitsaufwand! Die Pflänzchen entwickelten sich trotz der Fürsorge zögerlich, die Beikräuter dafür umso besser. Schon bald war vom Reis nichts mehr zu sehen. Striegeln ging nicht, spritzen so oder so nicht. Wir entschieden uns für das mehrmalige händische Jäten, wieder ein unvernünftig hoher Aufwand. Für einen kurzen Zeitraum auch für eine sehr intensive Bewässerung. Wir setzten das Feld – auch wenn das für die Bodenfruchtbarkeit und die Klimabilanz nicht unbedingt optimal ist – quasi unter Wasser, dem Reis gefällt das, das Unkraut erstickt.“ Kurz vor der Ernte steht der Reis jedenfalls prächtig da. Und wie schmeckt jetzt der burgenländische Bio-Reis? Glaubt man den Auskennern, dann sehr, sehr gut. Obwohl dieser Reis nicht poliert wird, also quasi als Vollkornreis verkauft wird, schmeckt er nicht so gesund, sondern vielmehr süß-würzig, etwas nussig oder auch nach warmer Milch. Noch dauert es ein wenig, bis die neue, heimische Bio-Spezialität von ja! Natürlich verkauft werden wird. Wahrscheinlich zu einem erschreckend hohen Preis, der aber – wie Sie nun wissen – jedenfalls gerechtfertigt ist. Reinhard Geßl

ZAHLEN UND FAKTEN Projekt: Burgenländischer Bio-Reis bei Erwin Unger, www.ungerblumen.at. Nähere Infos auf http://blog.janatuerlich.at > Wenn BioPioniere ihre Saat aussäen: Der noerdlichste Bio-Reis der Welt Info: - Reis zählt zu den wichtigsten sieben Getreidearten und bildet die Nahrungsgrundlage eines großen Teils der Menschheit.

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JS AUF ACHSE

MÜHLVIERTEL: BIO-PERLEN IM TIEFEN ÖSTERREICH Wir starten mit Bier. Und in Neufelden. Hier steht die erste Bio-Brauerei Oberösterreichs. Hier leben die Brauer eine tiefe Verbundenheit mit der Region, dem Mühlviertel.

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Foto links: Neufeldner, Foto rechts: Geßl

Seit fast 500 Jahren wird in Neufelden Bier gebraut. Eine der tragenden Säulen der Neufeldner Philosophie ist der Erhalt dieser langen Brau-Tradition. Daraus ergibt sich auch der starke Fokus auf Nachhaltigkeit, der Förderung bio-bäuerlicher Kleinstrukturen und regionaler Wertschöpfung. Von Beginn an ist die Neufeldner Brauerei der handwerkliche Gegenentwurf zu industrieller Bierherstellung. Nach Pale Ales sucht man hier vergeblich, findet dafür aber s’Hopferl, ein geradliniges Bier mit klarem Charakter und deutlich hopfiger Note. Auch s’Zwickl oder das naturtrübe Pils gehen auf den ersten (ober-

flächlichen) Blick nicht als craft beer durch. Holen wir uns aber den Kern der Definition ins Gedächtnis – handwerkliche Produktion – so sind die Neufeldner Biere nichts anderes, als herausragende Vertreter der craft beer-Szene. Besonders auffällig ist dabei der Bio-Weizenbock. Was hinter diesem – scheinbar unscheinbaren – Namen steckt, ist atemberaubend. Süßlicher Antrunk, davor ein ganzer Korb vollreifer exotischer Früchte von Banane über Pomelos hin zu eingelegten Pflaumen und Lychees. Der kräftige Alkohol macht einerseits zwar enorm Druck, sorgt andererseits aber auch für ein herrlich vollmundig-cremiges Gefühl am Gaumen. Der Bock bleibt lange präsent und überrascht am Schluss noch einmal mit einer rauchig-bitteren Note. Mühlviertlerisch eben.


Jürgen Schmücking

Foto ganz oben: Thauerböck, alle anderen: Schmücking

Weiter nach Kaltenberg. Hier liegt – mitten in der Bioregion Mühlviertel – auf stattlichen 900 Metern Seehöhe – der Biohof Thauerböck. Ein Familienbetrieb, bei dem die Jungen schon kräftig mitmischen, mit dem für die Region typischen Angebot an Bio-Getreide, Bio-Beef und einer kleinen, aber maßstabsetzenden Brennerei. Gebrannt wird alles, was als Grundlage Getreide hat. Moment – das stimmt nicht ganz. Es gibt eine Reihe von Geisten und Likören von Aronia bis Tannenzapfen. Aber richtig grandios sind die Getreidebrände. Der Kornmandlkorn zum Beispiel. Oder der Whiskey: Schlägler Bio-Roggen, Bad Zeller Holzfass, hofeigene Quelle. Viel regio­ naler geht es nicht mehr. Auch geschmacklich ist der AlmWhiskey eine Wucht. Mit seiner herb-nussigen Note ist er Dauergast in den oberen Rängen diverser Prämierungen. Last but not least das aktuelle Bio-Vorzeigeprojekt des Mühlviertels. Der Schwarzbergerhof in Schönau. Der verantwortungsbewusste Umgang mit Nutztieren ist hier oberstes Prinzip. Deshalb wird aus Respekt vor dem Tier auch jeder Teil verarbeitet. Ab sofort sind Frischfleisch-Edelteile wie Lungenbraten, Beiried, Steaks, Schnitzel, Gulaschfleisch perfekt abgehangen und gereift, aber auch Innereien wie Leber, Herz, Nieren bis hin zu Wangerl und Zunge im Hofladen erhältlich. Jeden Freitag von zwölf bis siebzehn Uhr sowie jeden Samstag von zehn bis fünfzehn Uhr gibt es im Hofladen zudem frisches Brot aus der hofeigenen Holzofenbäckerei, warme Gerichte aus dem Holzofen, aber auch Jausengerichte wie kalte Braten, Würste und Speck, Aufstriche, Schmalze, sowie österreichische Klassiker als Bio-Gerichte im Glas. Zugegeben, einfach zu erreichen ist der Hof nicht. Aber die Anreise zahlt sich aus. Im Hauptgebäude wurden sogar ein paar einfache Zimmer eingerichtet. Außerdem sind im Schwarzbergerhof auch eine kleine Brauerei und Destillerie geplant.

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GUTER GESCHMACK

VON SÜSSEN WEINEN UND RAUCHENDEN FISCHEN Die grauen Tage der letzten Wochen hatten durch­ aus ihre lichten Momente: Für zwei davon sorgten wohl auch die beiden letzten Tasting_foren dieses Jahres. Nicht zuletzt weil es neben Altbewährtem durchaus eine Novität zu verzeichnen gab.

WENN FISCHE RAUCHEN Ein abwechslungsreiches, oft überraschendes BioProduktsortiment, charmante und fachkundige Produzenten sowie ein gemütlicher Rahmen zählen zu den wesentlichen Zutaten der Tasting_foren. Der Verkostungsabend „Wenn Fische rauchen“ hatte all das und war trotzdem anders: Zum ersten Mal wurde nämlich zu einer Tasting_Werkstatt geladen und es hätte nicht besser sein können. Bio-Fischmeister Marc Mößmer öffnete die Tore seiner Biofischmanufaktur im

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17. Wiener Gemeindebezirk und ließ die interessierte Schar nicht nur kosten, sondern auch selbst Hand anlegen: Da galt es Millstättersee-Reinanken aus der fernsehkochmäßig vorbereiteten Salzlake zu nehmen und fürs Räuchern aufzuhängen. Trocken- und nasssalzen wurden ebenso erklärt wie die geheimen Temperaturprogramme beim Kalt- und Warmräuchern preisgegeben. Und auch zu den Sorten der Räucherspäne samt bestgeeigneten Bio-Gewürzen gab es profundes Expertenwissen. Während kalt- und warmgeräucherte Karpfen und Lachs verkostet wurden, gewährte Marc Mößmer einen Einblick in seine Fischzucht und erzählte interessante Dinge: über

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GUTER GESCHMACK

Fangmethoden, über Lebendfischtransport, über Fischräuber aller Art, über Energieeffizienz der Futterverwertung, über den Einsatz von und den Verzicht auf Fischmehle, aber vor allem über die unzähligen Vorzüge von Bio-Fisch. Auch wenn beim Live-Räuchern der Reinanken Murphys Gesetz unbarmherzig zuschlug und die Späne einfach nicht glimmen und rauchen wollten – am Ende nahm jeder „seinen“ geräucherten Fisch und eine Menge an neuen Erfahrungen mit nach Hause. Wer sich mit fangfrischem Biofisch eindecken möchte, sollte sich gerade jetzt auf den Weg zu den Wiener Biomärkten machen bzw. einen Blick auf www.biofisch.at werfen.

SWEET DREAMS ARE MADE OF THIS Edelsüße Weine fristeten im Bio-Weinbau lange ein Schattendasein. Es gab sie. Allerdings deutlich unter der Wahrnehmungsschwelle. Im Ausland sah die Sache nicht viel anders aus. Das hat sich massiv verändert. Österreich

brilliert mittlerweile mit feingliedrigen und mineralischen edelsüßen Rieslingen jeder Qualitätsstufe, hochwertige Beeren- und Trockenbeerenauslesen gibt es aus beinahe jeder Weinbauregion und die Auswahl an Spezialitäten im Dessertweinbereich ist umfangreich. Doch wie kommt die Süße in den Wein? Eine Möglichkeit ist, die Trauben einfach weit in den Herbst hinein hängen zu lassen. Also spät zu lesen. Daher auch der Name Spätlese. Spätlesen gibt es – der erzählten Geschichte nach – seit 1775. Damals mussten die Winzer im Rheingau auf die fürstliche Ernte-Erlaubnis warten, bevor sie mit der Weinlese beginnen durften. Um diese Erlaubnis zu erteilen, schickte der Fürst Reiter aus, und irgendwie verspätete sich einer der Reiter um ein paar Wochen. Die Mönche warteten mit der Ernte, kelterten die Trauben und waren ob der Qualität und Süße des Weins begeistert. Die Johannisberger Spätlese war geboren. Konkret hat das Gotteswunder Photosynthese Licht in Zucker umgewandelt.

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GUTER GESCHMACK

Eine weitere Möglichkeit ist fast so etwas wie ein Prinzip. Man kann den Most in der Beere konzentrieren, in dem man Wasser entzieht. Das funktioniert bei Süßweinen, die auf Basis edler Fäule entstehen durch das Verdampfen von Wasser durch klitze­kleine Löcher, die die Pilzsporen durch die Beerenhaut bohren. Eisweine funktionieren nicht unähnlich. Dadurch, dass das Wasser bei entsprechend klirrender Kälte gefriert, bleibt der konzentrierte, süße Most übrig. In Italien – oder überhaupt im mediterranen Raum – werden die Trauben getrocknet. Der Effekt ist der Gleiche. Gute Süßweine sind daran zu erkennen, dass sie – trotz üppiger Süße – ein kräftiges Säure-Rückgrat sowie klare Fruchtnoten, meistens getrocknet oder kandiert, haben und wenn es edelfaule Weine sind, immer nach frischem Blütenhonig riechen. Und von denen gab es beim Tasting_forum „Sweet dreams“ einige:

2014 SCHÖNER RIESLING, VEYDERMALBERG 2014 war ein Jahr der Herausforderungen. Klimatisch gesehen. Vor allem in der Wachau. Peter Veyder-Malberg, der sonst eigentlich ausschließlich trockene Rieslinge mit präzise herausgearbeitetem Lagencharakter keltert, hat sich entschieden, aus dem gesunden Traubenmaterial seiner Rieden einen eher weniger typischen Riesling zu machen. Grandios gelungene „Restlverwertung“. Hochgradig mineralisch, gelbfruchtig und von herber Süße getragen. Der Name macht dem Wein alle Ehre!

2011 RIESLING SPÄTLESE PÜNDERICHER MARIENBURG, CLEMENS BUSCH Bekannt ist Pünderich für Süßweine der anderen Art. Dort, wo die Mosel auch etwas flachere Ufer hat, entstehen viele belanglose Moselweine im halbtrockenen und lieblichen Bereich. Bar jeder Mineralik und ohne Charakter. Und dann gibt es in Pünderich noch das Weingut Busch, und das fährt das Kontrastprogramm dazu. Elegante, filigrane Rieslinge, getragen von der schiefrigen Mineralik der steileren Pündericher Marienburg und – die edelsüßen Vertreter – geprägt von kristallklaren Steinobstnoten. Beim 2011er kommen auch schon die ersten Reifetöne dazu. Charmant und verführerisch, diese Moselaner. www.clemens-busch.de

2005 NIKOLAUSWEIN, TROCKENBEERENAUSLESE, NIKOLAIHOF Interessante Parallele. So stelle ich mir den Nikolaus vor. Freundlich, sympathisch, opulent, warmherzig und in Würde gereift. Sein Jutesack duftet nach getrockneten Feigen, Orangenschale und Nüssen. Genau so präsentiert sich auch der Nikolauswein. Die Farbe gleicht strahlendem Bernstein, der Duft ist sauber und klar, reif und ausdrucksstark.

www.veyder.malberg.at

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2005 ROESLER AUSBRUCH, MEINKLANG Roesler ist eine pilzwiderstandsfähige Rebsorte. Der Ausbruch vom Weingut Meinklang ist das gelungene Ergebnis des Experiments, aus Roesler einen opulenten Süßwein zu machen. Obwohl jetzt schon zehn Jahre am Buckel, hat der Ausbruch immer noch Gerbstoff, Druck und viel getrocknetes Obst in seiner Aromatik. Und er ist tiefdunkel. Der dunkelste Wein des Abends.

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2011 CHÂTEAU GUIRAUD, SAUTERNES Bio-Weinbau im Bordelais ist so eine Sache. Obwohl sich hier gerade in den letzten Jahren viel getan hat, ist der Region biologischer Weinbau immer noch suspekt. Im Sauternes, dort, wo die größten edelsüßen Weine der Welt wachsen, sind es drei oder vier Betriebe, die sich dem Biowein verschrieben haben. Dass mit Château Guiraud nun auch ein großes und bedeutendes Château mit von der Partie ist, freut natürlich. 2011 ist der erste zertifizierte Jahrgang und ein extrem gelungener noch dazu. Bei den Primeur-Bewertungen überschlugen sich die Verkoster mit Höchstnoten für Guiraud. Und wirklich: frischer Blütenhonig, Korinthen, Zibeben, getrocknete Marillen, dazu der immerwährende Grundton von Champignons und feuchtem Moos. www.chateauguiraud.fr/de

2010 RECIOTO DI SOAVE SAN ZENO, GINO FASOLI Gino Fasoli ist der Bio-Star der Gegend um Verona. Westlich der Stadt macht er grandiosen Amarone und guten Ripasso, östlich davon zeigt er, was aus Soave entstehen kann. Wenn man will. Unter anderem ist das ein Recioto di Soave aus der Rebsorte Garganega. Die Trauben werden getrocknet, der konzentrierte Most ist reiner Nektar. Der Wein zeigt die klassischen Dörrobstnoten, aber auch Rumtöne, rustikale Waldhonigaromen und gleichzeitig eine frappante Frische. Hoher Trinkspaßfaktor und ein Dessert für sich.

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So verbleiben Erinnerungen an zwei großartige Tasting_forumAbende, die sich harmonisch in den Bio-Verkostungsreigen einfügen und vielleicht auch als Anregung dienen, womit man sich über die Weihnachtsfeiertage eindecken sollte. Fotoalben dazu siehe https://www.flickr.com/photos/105864147@N08/ sets/ Jürgen Schmücking und Elisabeth Klingbacher

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TÜRKEI VEGETARISCH

HORMONE IM HOCHGEBIRGE

Istanbul! Die geteilte Stadt am Bosporus, mit der man kulinarisch nicht nur herrlich duftendes Gebäck assoziiert, sondern vor allem auch einen unvergleichlich souveränen Umgang mit reifem Gemüse, aber auch mit Hülsenfrüchten und Getreide der Saison. In den Meze verbinden sich beispielsweise die Sonnenaromen von Melanzani, Zucchini, Paradeiser, Paprika mit Kichererbsen oder Bohnen zu gar köstlichen Kleinigkeiten. An Sonne und Hitze mag es uns in der kalten Jahreszeit ja mangeln, nicht aber am Rezeptefundus der orientalischen Küche. Orkide und Orhan Tançgil haben unter bekannt gewissenhafter Herausgeberschaft von Katharina Seiser der Vegetarisch-Serie des Brandstätter-Verlags ein neues „MussHaben-Kochbuch“ hinzugefügt. In der so lieb gewordenen, wunderschönen Serienauf­machung finden sich saisonal geordnet Rezepte zu Suppen und Eintöpfen, Meze und Salaten, Gerichten in Olivenöl, Gemüse und anderen Hauptgerichten, Teigwaren und Pilaw sowie Süßem. Nun heißt es nur noch, beim Bio-Greißler des Vertrauens vorbeizuschauen und der (kulinarische) Urlaub zu Hause kann schon beginnen.

Über verschiedene Umwelt­ gifte gelangen auch immer mehr hormonähnlich wirkende Chemikalien in unter­s chiedlichste Öko­ systeme. In Europa sind sogar entlegene Bergseen damit belastet. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung, in der Forscher Fischpopulationen in neun, weit von Städten, Äckern und anderen Emissionsquellen entfernten Hochgebirgs-Seen in der Tatra und den Pyrenäen unter die Lupe nahmen. Trotz der entlegenen Standorte wurde in Blut, Leber und Muskelgewebe der Fische eine ganze Reihe von hormonähnlich wirkenden Chemikalien gefunden. Viele dieser langlebigen und schwer abbaubaren Stoffe wirken wie das weibliche Sexualhormon Östrogen. Reichern sie sich im Körper an, verweiblichen männliche Tiere und werden unfruchtbar, viele dieser Substanzen können zudem Krebs auslösen. Da weibliche Fische von Natur aus höhere Östrogenkonzentrationen aufweisen, macht sich bei ihnen die Wirkung der hormonähnlichen Substanzen weniger stark bemerkbar. Noch ist nach Einschätzungen der Forscher das Überleben der Fische in den untersuchten Bergseen nicht gefährdet. Trotz der erhöhten Östrogenwerte der männlichen Fische findet offenbar noch eine Fortpflanzung statt. Angesichts der Tatsache, dass hormonähnliche Chemikalien inzwischen selbst in entlegenen Gebieten verbreitet sind und sich damit offenbar schon nahezu überall in der Nahrungskette finden, sehen die Wissenschaftler jedoch Handlungsbedarf und betonen, dass diese Ergebnisse angesichts der zunehmenden Effekte hormonell aktiver Stoffe auf den Menschen sehr ernst genommen werden sollten.

Brandstätter Verlag, www.brandstaetterverlag.com rg

ERFOLGREICHER START DER MESSE „BIO ÖSTERREICH“ Am Abend des 30.11.2015 zogen die Verantwortlichen der Messe Wieselburg sowie deren Kooperationspartner Bio Austria zufrieden Bilanz. Über 6500 Konsumenten und Fachbesucher machten sich an zwei Tagen ins niederösterreichische Erlauftal auf, um eine Bestandsaufnahme zum Zukunftsthema Bio zu machen, aber auch, um zu diskutieren und kräftig einzukaufen. Im Rahmen der Bio Österreich wurden zudem auch die Sieger der erstmals abgehaltenen BioGastro-Trophy gekürt. Die Preise gingen als Ergebnis eines Publikumvotings an den Salzburger Schützenwirt (St. Jakob/ Turn), das Wiener Zustellservice Rita bringt’s sowie das St. Pöltner Lokal Supperiör. Mit der neuen Messe scheint es auf Anhieb gelungen zu sein, der großen und weiter wachsenden österreichischen Bio-Branche ein kleines, aber feines Pendant zur Weltleitmesse Biofach in Nürnberg anzubieten.

Quelle: Jarque, S. et al. (2015): Background fish feminization effects in European remote sites. Sci. Rep. 5, 11292; doi: 10.1038/srep11292; www.scinexx.de

Quelle: www.messewieselburg.at rg

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MANIPULIERTE LACHSE

THE MONSANTO YEARS

In den USA liegt nun erstmals ein gentechnisch verändertes Tierprodukt in den Kühlregalen der Supermärkte. Die US-Arzneiund -Lebensmittelbehörde FDA genehmigte Ende November 2015 den Verkauf von besonders schnell wachsenden, gentechnisch veränderten Lachsen. Die Zulassung des sogenannten Aquadvantage Salmon ist umstritten, unabhängige Wissenschafter haben ihn als bedenklich eingestuft, Konsumentenschützer haben vor möglichen Gesundheitsrisiken gewarnt. Der doppelt so schnell wachsende Gentech-Lachs könnte sich, wenn er in die freie Wildbahn gelangt, außerdem mit wild lebenden Lachsen kreuzen und in deren Populationen erheblichen Schaden anrichten. Auch der Handel scheint nicht auf den genmanipulierten Lachs gewartet zu haben: In den USA haben sich bereits mehr als 60 Lebensmittelketten mit 9000 Filialen gegen den Verkauf ausgesprochen. Und in der amerikanischen Bevölkerung regt sich ebenfalls Widerstand: 1,8 Millionen US-Bürger haben eine Petition gegen die Zulassung unterzeichnet – doch Konsumenten haben in diesem Fall keine Entscheidungsfreiheit, denn er kommt ohne Kennzeichnung auf den Markt. Der Gentech-Lachs ist wohl nur ein Vorgeschmack auf weitere Gentech-Lebensmittel. Dies sollte man auch vor dem Hintergrund der geplanten Handelsabkommen zwischen den USA bzw. Kanada und der EU, bei dem es zentral auch um Lebensmittelstandards geht, nicht aus den Augen verlieren.

Der Musiker Neil Young gilt mit seinen bald 70 Jahren vielen als „The Godfather of Grunge“. Wenn dem so ist, dann erhebt er auf seinem neuen Album „The Monsanto Years“ von sehr hoher Position und gar nicht altersmilde seine wütende Stimme gegen Gentechnik und Umweltzerstörung. In seiner melodischen Kampfansage wendet sich der Rocker leidend und leidenschaftlich gegen Korruption und Verletzung von Bürgerrechten, er besingt den Zusammenhang von ubiquitärer Pestizidbelastung und dem Anstieg von Autismus­ störungen und er beleuchtet kritisch den Modus der Gesetz­ werdungen, der oftmals nur den großen Konzernen hilft. Was zu befürchten bleibt, ist, dass die von ihm adressierte Jugend seine Botschaft nicht vernehmen wird, sondern weiterhin verzückt schnulzigen Liebesliedern lauschen wird.

Quelle: www.global2000.at, www.derstandard.at ek

Neil Young & Promise Of The Real – „The Monsanto Years“, CD + DVD, Reprise (2015), www.rollingstone.de rg

EINE IDEE VOM GLÜCK Das Glück ist ein Vogerl, dachte sich wohl der oekom-Verlag und stellte bei einem Treffen der Slow Food-Ikone Carlo Petrini mit dem chilenischen Schriftsteller Luis Sepúlveda ein Tonbandgerät auf. Und tatsächlich plauderten die beiden Weisen munter darauf los, wobei Petrini mehr den Interviewer und der Schriftsteller mehr die Plaudertasche gab. Zu Papier gebracht füllt das Gespräch nun das erste Drittel des handlichen Büchleins. Ergänzt wird das freundschaftliche Philosophieren von sehr persönlich gehaltenen sieben Ideen vom Glück. Petrini bewegt sich dabei wenig erstaunlich nahe der Lebensmittel(produktion), Sepúlvedas Ideen sind stark von seiner Herkunft geprägt. Nicht alle Gedanken sind dabei erhellend, und dennoch finden sich etliche Momente des (Lese-)Glücks. Vielleicht können sie eine Anregung sein, ganz persönliche Ideen vom Glück festzuhalten. oekom Verlag, www.oekom.de rg

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PFLANZEN ALS KLIMASCHÜTZER

195 TEILNEHMER BEI DER 22. FREILANDTAGUNG

Pflanzenvielfalt kann das Klima schützen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie: Neben anderen Faktoren, wie ein hoher Humusgehalt, sorgt auch die biologische Vielfalt der Pflanzen dafür, dass Kohlenstoff im Boden gebunden wird und nicht als CO2 in die Atmosphäre gelangt. In einem Langzeitexperiment wurden Wiesenflächen unterschiedlicher Artenvielfalt miteinander verglichen, wobei alle Flächen über neun Jahre lang den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt waren. Dabei zeigte sich, dass artenreiche Wiesen im Gegensatz zu artenarmen Vergleichsflächen den Mikroorganismen im Boden mehr Nährstoffe zur Verfügung stellten und gleichzeitig günstigere Umweltbedingungen boten. Diese Faktoren führten zu einer höheren genetischen Vielfalt und insbesondere zu einer gesteigerten Aktivität der mikrobiellen Gemeinschaft. Entgegen der ursprünglichen Erwartung, dass dies zu einem verstärkten Abbau von kohlenstoffhaltiger Substanz im Boden führt, hat die mikrobielle Gemeinschaft mehr pflanzliche Biomasse umgewandelt und damit den Kohlenstoff aus Pflanzen vermehrt in organische Bodensubstanz umgewandelt. Kohlenstoff wird dadurch länger im Boden gebunden und nachhaltig der Atmosphäre entzogen, wo er sonst als CO2 klimaschädliche Auswirkungen hätte.

„Für einen besseren Umgang mit (männlichen) Nutztieren“ lautete das Generalthema der 22. FREILANDTagung, die in Kooperation mit der 28. IGN-Tagung Ende September an der Veterinärmedizinischen Universität Wien stattgefunden hat. 195 TeilnehmerInnen aus fünf Nationen bedeuten nicht nur einen neuen Besucherrrekord, sondern belegen auch das große Interesse an Forschungs- und Praxisergebnissen zur ökologisch-tiergerechten Nutztierhaltung. Folgende Schwerpunktthemen bildeten die Basis der vorgestellten Arbeiten: Überblick über aktuelle Tierschutzprobleme bei männlichen Nutztieren, Stand des Wissens und der praktischen Umsetzung beim Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration, Stand des Wissens und der praktischen Umsetzung beim Umgang mit Hahnenküken aus Legelinien, Verladen und Transport von Tieren, Biokitz-Vermarktung in Österreich sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit der (Bio-)Schweinehaltung. Alle Ergebnisse sind im 52seitigen Tagungsband nachlesbar Weitere Informationen: www.freiland.or.at rg

Quelle: www.mpg.de, www.soel.de ek

IMPRESSUM Bio-Fibel – Zeitschrift für Wissen aus der Biologischen Landwirtschaft: Medieninhaber, Verleger und Herausgeber: Freiland Verband für ökologisch-tiergerechte Nutztierhaltung und gesunde Ernährung; Doblhoffg. 7/10, 1010 Wien; Fon 01/4088809; Fax 01/9076313-20; e-mail: office@freiland.or.at; net www.freiland.or.at; DVR-Nummer 0563943; Chefredakteur: Dipl.-Ing. Reinhard Geßl (rg), Leiterin der Redaktion: Dipl.-Ing. Elisabeth Klingbacher (ek); Mitarbeit: Wilfried Oschischnig, Jürgen Schmücking (js), Roswitha Rabe; Redaktion: Forschungs­institut für biologischen Landbau (FiBL Österreich), Doblhoffg. 7/10, 1010 Wien; Fon: 01/9076313-0, net: www.fibl.org/de/oesterreich. Alle nicht anders gekennzeichneten Fotos: Geßl & Wlcek OG; Titelbild: Bio-Wissensmarkt, Johannes Hloch. Druck: gugler GmbH Melk; Layout: Geßl & Wlcek OG. Namentlich ge­kennzeichnete Artikel müssen nicht unbedingt der Meinung des Herausgebers entsprechen. Vertriebspartner: Adamah Biokistl. FREILAND-Spendenkonto: Erste Bank, AT502011100008210993, BIC/SWIFT: GIBAATWWXXX; Reichweite: 10.000 Leserinnen. Hinweis: Eine geschlechtergerechte Formulierung ist uns in der Bio-Fibel ein großes Anliegen. Da wir gleichzeitig eine gut lesbare Zeitschrift herausgeben wollen, haben wir uns entschieden, keine geschlechtsneutralen Begriffe zu verwenden, sondern alternierend entweder nur weibliche oder nur männliche Bezeichnungen. Wir sind uns dessen bewusst, dass diese Generalklausel einer geschlechtergerechten Formulierung nicht ganz entspricht, wir denken aber, dass die gewählte Form ein Beitrag zur publizistischen Weiterentwicklung für mehr sprachliche Präsenz weiblicher Begriffe sein kann.

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DIESEL STINKT DEN BIENEN Und wieder schlechte Nachrichten für unsere Honigbienen: Ein Forscherteam der University of Southampton hat nun einen Faktor ausgemacht, der nicht nur Mensch und Umwelt schadet, sondern auch für die Bienen eine noch größere Gefahr darstellt, als bislang gedacht: Dieselabgase. Bereits in einer früheren Studie hatten die Wissenschaftler festgestellt, dass die damit verbundenen hohen Stickoxid-Werte in der Luft einzelne Duftstoffe aus Rapsblüten zersetzen, so dass die Bienen den Duft nicht mehr erkennen können. Dadurch fällt es ihnen auch schwerer, die Blüten anzusteuern, Nahrung zu sammeln und die Pflanzen zu bestäuben. In ihren aktuellen Experimenten haben die Wissenschaftler nun nachgewiesen, dass fünf der elf häufigsten Blütenduftstoffe durch Stickoxide für die Bienen bis zur Unkenntlichkeit zerfallen oder sich verändern. Der Effekt der Dieselabgase ist damit noch drastischer als zunächst gedacht. Zwar glauben die Forscher nicht, dass die Abgase allein den Bienen schwer zu schaffen machen würden. Zusammen mit den vielen anderen Stressfaktoren könnten sie aber ein weiterer kleiner, aber fataler Beitrag zum Bienensterben sein. Die Wissenschafter wollen nun auch untersuchen, welche direkten Folgen Dieselabgase für Honigbienen haben können. Quelle: Lusebrink, I. et al. (2015): The Effects of Diesel Exhaust Pollution on Floral Volatiles and the Consequences for Honey Bee Olfaction, Journal of Chemical Ecology; www.scinexx.de, ek

ManchMal entsteht unter Druck BesonDeres. Deshalb widmen wir uns unseren kleinen Kunstwerken der Natur mit großer Hingabe. Unverändert, seit 1926. Bio-Fibel 4/2015

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Das gemeinschaftliche EU-Biologo kennzeichnet verpflichtend alle verpackten Bio-Lebensmittel, die nach den EU-Bioverordnungen Nr. 834/2007 und Nr. 889/2008 hergestellt wurden. Das AMA-Biosiegel steht als Gütesiegel für 100 Prozent biologische Zutaten und ausgezeichnete Qualität. Eine Reihe von Qualitätsfaktoren wird konsequent unter die Lupe genommen, z.B. produktspezifische chemische, mikrobiologische und sensorische Kriterien. Zusätzlich wird absolute Transparenz bei der Herkunft garantiert. Die Farben rot-weiß-rot bedeuten beispielsweise, dass die wertbestimmenden Rohstoffe aus Österreich stammen und die Be- und Verarbeitung in Österreich erfolgt. www.bioinfo.at

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