8 minute read

Grenzüberschreitende Streitigkeiten und Investitionsschutz

Grenzüberschreitende Streitigkeiten und Investitionsschutz

– in einer aufstrebenden „grünen“ Industrie

Advertisement

Das weltweite Interesse an Cannabis floriert und die therapeutischen Eigenschaften der Pflanze werden von cleveren Unternehmen vermarktet. Viele Länder erkennen den potenziellen Nutzen für ihr Gesundheitssystem – und die öffentlichen Finanzen. Uneinheitliche regulatorische Rahmenbedingungen könnten jedoch schon bald zu einer Zunahme von Investitionsstreitigkeiten führen, zusätzlich zu denen, die bei grenzüberschreitenden Transaktionen naturgemäß entstehen. Von Rodolphe Ruffié

Die Einstufung von Cannabis als verbotene Substanz hat in den letzten Jahren abgenommen, da immer mehr Länder die Pflanze entkriminalisiert oder legalisiert haben, um ihre medizinischen Eigenschaften zu nutzen. Das Marktinteresse hat in den letzten drei Jahren rapide zugenommen, und es gibt verschiedene Anzeichen dafür, dass die Cannabisindustrie bis 2028 weltweit einen Wert von 150 bis 270 Milliarden US-Dollar erreichen könnte. Innovative Unternehmen, die in solch einem aufstrebenden Wirtschaftszweig tätig sind, müssen sich entsprechend vorbereiten, indem sie die kommerziellen Risiken, aber auch die Risiken ausländischer Investitionen abfedern. So könnte die Regierungspolitik dazu führen, dass Genehmigungen und Erlaubnisse für den Anbau, die Herstellung oder die Lieferung widerrufen werden oder dass die Regulierung zu einem konservativeren Ansatz zurückkehrt und die Lieferung oder den Besitz von Cannabis in all seinen Formen verbietet.

Aufstrebende Industrie in aufstrebenden Märkten

Obwohl es sich um traditionell konservative Regionen handelt und trotz des sozialen Stigmas, das der Pflanze anhaftet, erkennen lateinamerikanische, afrikanische und asiatische Länder die Chancen, die dieser Sektor für ausländische Investitionen bietet. So war Thailand das erste Land in Asien, das Gesetze zur Legalisierung von medizinischem Cannabis verabschiedet hat. Kolumbien, Marokko und Südafrika haben ebenfalls in den jeweiligen Regionen der Welt Pionierarbeit in diesem Segment geleistet. Innerhalb von nur fünf Jahren sind Dutzende von Ländern auf der ganzen Welt in diesen Sektor eingestiegen und haben staatliche Lizenzen für den Anbau von Cannabis zu medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken erteilt. Viele Unternehmen sind inzwischen international tätig und beginnen, die Vorteile lockererer Vorschriften in Ländern wie den USA, Kanada und Deutschland als Zielmärkte zu nutzen – oder als Basis für die Ausweitung ihrer internationalen Aktivitäten. Wenn mehrere Interessengruppen im Spiel sind, steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Handelsstreitigkeiten kommt. Der naheliegendste Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten ist die Schlichtung; geschädigte Parteien sollten sich jedoch bewusst sein, dass sie möglicherweise von internationalen Abkommen profitieren können, die zum Schutz ausländischer Investitionen geltend gemacht werden.

Internationale Schiedsgerichtbarkeit als Absicherung

Handelsstreitigkeiten

Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat sich die Schiedsgerichtsbarkeit zur wichtigsten Methode der Streitbeilegung für Unternehmen entwickelt, die in hochspezialisierten Branchen oder allgemein international tätig sind. Aufgrund ihrer Flexibilität bietet die Schiedsgerichtsbarkeit viele Vorzüge, darunter schnelle Verfahren, Kosteneffizienz, Anpassungsfähigkeit und ein hohes Maß an Durchsetzbarkeit, insbesondere im grenzüberschreitenden Kontext. Denn wie nationale Gerichtsurteile sind auch Schiedssprüche für die Parteien verbindlich; im Gegensatz zu nationalen Gerichtsentscheidungen können Schiedssprüche jedoch problemlos im Ausland vollstreckt werden. Insbesondere für Cannabisunternehmen ist eine sorgfältig formulierte Schiedsklausel der Schlüssel, um sicherzustellen, dass alle Streitigkeiten, die sich aus ihren inländischen oder

internationalen Geschäften ergeben, fair, schnell, vertraulich und von den kompetenten Schiedsrichtern ihrer Wahl gemäß den von den Parteien vereinbarten Gesetzen, Regeln und Verfahren entschieden werden können – im Gegensatz zu der Unsicherheit, Unerfahrenheit oder sogar Feindseligkeit, auf welche sie bei einigen nationalen Gerichten stoßen dürften. Die Vertraulichkeit der Verfahren gibt den Parteien die Gewissheit, dass ihr geistiges Eigentum und ihre Streitigkeiten nicht an die Öffentlichkeit gelangen. In bestimmten Jurisdiktionen wird man vor einem Handelsschiedsgericht mit dem Argument, dass ein Vertrag über verbotene Substanzen nichtig sei, vermutlich weniger erfolgreich sein als vor ordentlichen Gerichten. Die große Vielfalt der heute zur Verfügung stehenden Schiedsinstitutionen und schiedsrechtlichen Regelungen erfordert jedoch eine sorgfältige Analyse im Hinblick auf die unterschiedlichen nationalen regulatorischen Rahmenbedingungen für Cannabis. Eine solche Analyse muss für jeden einzelnen Vertrag durchgeführt werden, um die Gültigkeit und Wirksamkeit des in Betracht gezogenen Schiedsverfahrens sicherzustellen.

Streitfälle mit Staaten

Die Schiedsgerichtsbarkeit ist jedoch nicht nur für B2B-Klagen geeignet: Sie ist auch ein wirksames Instrument für ausländische Investoren, um ihre Rechte gegenüber Staaten geltend zu machen, die ihre Tätigkeit beeinträchtigen. Streitigkeiten zwischen einem ausländischen Investor und dem Anlagestaat sind schwierig zu navigieren. Der Investor kann sich aus verschiedenen Gründen, insbesondere wegen einer möglichen Voreingenommenheit der Gerichte, davor scheuen, sich den Gerichten des Anlagestaates zu unterwerfen. Unternehmen mit Fokus auf (medizinischem) Cannabis sollten sich der grenzüberschreitenden Aspekte ihres Geschäfts, der Risiken im Umgang mit ausländischen Regierungen sowie der Prävention und des Schutzes vor diesen Risiken bewusst sein, wenn sie auf ausländischen Märkten investieren.

Welche Risiken gibt es?

Wie andere profitable Industrien, die unter „großer öffentlicher Beobachtung“ stehen (z. B. Bergbau, Öl und Gas), ist auch Cannabis stark reguliert und unterliegt in fast allen Ländern, die den Handel mit Cannabis (teilweise) legalisiert haben, komplexen Erlaubnis- und Genehmigungsverfahren. Die Legalisierung von medizinischem Cannabis gibt den Unternehmen keine freie Hand über ihr Vermögen. Im Gegenteil, ihre Abhängigkeit von Erlaubnissen und Genehmigungen macht ausländische Cannabisunternehmen besonders verwundbar, da ein bloßer Wechsel der Regierung oder der öffentlichen Meinung im Anlageland dazu führen kann, dass ihre Tätigkeit verboten wird und/oder ihre Erlaubnisse und Genehmigungen widerrufen werden, so dass sie (wenn überhaupt) nur sehr geringe Rechtsmittel haben. Dies gilt vor allem dort, wo das politische und juristische Risiko hoch ist (wie in Entwicklungsländern), aber selbst in den am weitesten entwickelten Ländern der Welt sind die genannten Umstände angesichts der stark polarisierten Ansichten über Cannabis nicht auszuschließen. In den meisten Ländern, in denen medizinisches Cannabis (oder Cannabis für den Freizeitgebrauch) legalisiert wurde, regelt ein rechtlicher Rahmen die gesamte Lieferkette, vom Anbau über die Produktion bis hin zum Konsum. Die regulatorischen Rahmenbedingungen können sich mit der jeweiligen Regierung ändern, und so besteht ein Risiko für ausländische Investoren in Form von Gesetzesverstößen aufgrund einer sich ändernden Politik.

Die Verwaltungs- und Verfahrensvorschriften können sich ändern, ohne dass der ausländische Investor davon erfährt, was zu erheblichen wirtschaftlichen oder vermögensrechtlichen Verlusten führen kann. So könnten beispielsweise Änderungen des Systems, das die Erlaubnisse und Genehmigungen für bestimmte Aspekte der Lieferkette regelt, dazu führen, dass das gesamte Geschäft nicht mehr betrieben werden kann. Die jüngsten Änderungen der Cannabispolitik in einigen Ländern lehren uns auch, dass die Legalisierung kein unumkehrbarer Prozess ist.

Wie können diese Risiken verhindert oder abgemildert werden?

Ausländische Investoren können ihre Risiken gegenüber dem Anlagestaat mit Hilfe der Investor-Staat-Streitbeilegung (Investor State Dispute Settlement, ISDS) abmildern. ISDS umfasst einen Rahmen von Investitionsschutzinstrumenten wie Handels- und Investitionsverträgen, der ausländischen Investoren das Recht einräumt, internationale Schiedsgerichte anzurufen, um Streitigkeiten im Zusammenhang mit ihren Investitionen beizulegen. Es bietet ausländischen Investoren eine rechtliche Handhabe gegen Regierungen, die gegen Investitionsverpflichtungen verstoßen.

Wie erhält man ISDS und den damit verbundenen vertraglichen Schutz?

Um das Länderrisiko zu verringern und ihre Investitionen bestmöglich zu schützen, sollten Investoren sog. „Nationality Planning“ in Erwägung ziehen, um den Geltungsbereich von Freihandelsabkommen (Free Trade Agreement, FTA) oder bilateralen Investitionsabkommen (Bilateral Investment Treaty, BIT) zu sichern. Diese Verträge bieten Schutz vor unrechtmäßiger Enteignung und unfairer Behandlung sowie einen eindeutigen Zugang zu internationalen Schiedsverfahren im Falle von Streitigkeiten mit dem Anlagestaat. Nationality Planning ist der Prozess der Unternehmensstrukturierung einer Investition mit dem Ziel, den Schutz solcher FTAs und BITs zu erlangen. Nationality Planning sollte vor der Investition erfolgen, obwohl es möglich ist, die Eigentumsverhältnisse von Unternehmen umzustrukturieren, um einen solchen vertraglichen Schutz zu erhalten, nachdem die Investition getätigt wurde (vorausgesetzt, dass zum Zeitpunkt der Umstrukturierung keine Streitigkeiten zwischen dem Investor und dem Anlageland bestehen oder nach vernünftigem Ermessen nicht vorhersehbar sind). Wenn ein Investor, der unter ein FTA oder ein BIT fällt, von einem Staat Maßnahmen unterworfen wird, die seine Fähigkeit beeinträchtigen, Cannabisprodukte anzubauen, herzustellen oder zu vertreiben, gibt es eine Reihe möglicher Ansprüche, die geltend gemacht werden könnten (jeweils abhängig von den relevanten Fakten der Investition). Dazu gehören Klagen wegen Verstoßes gegen den Standard für faire und gerechte Behandlung und Klagen wegen indirekter Enteignung. Zusätzlich zum Nationality Planning sollten Investoren versuchen, den Investitionsschutz (einschließlich des Rechts, Streitigkeiten vor ein internationales Schiedsgericht zu bringen) durch ein direktes

Wenn mehrere Interessengruppen im Spiel sind, steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Handelsstreitigkeiten kommt.

Abkommen mit ihrem Anlageland zu erhalten. Investoren bemühen sich normalerweise um andere Bedingungen, die gewöhnlich in Investitionsvereinbarungen für große Rohstoffprojekte enthalten sind, wie z. B. Stabilisierungsbestimmungen und den Verzicht auf staatliche Immunität. Allerdings sind relativ wenige Regierungen bereit, Investitionsabkommen für kleinere Projekte mit geringem finanziellem Volumen abzuschließen – eine Tatsache, die es für Investoren noch wichtiger macht, ihre Investitionen so zu planen, dass sie durch ein geeignetes FTA oder BIT abgedeckt sind.

Fazit

Die rasch zunehmende Globalisierung des Cannabisgeschäfts bietet vielversprechende Möglichkeiten, bringt aber auch eine ganze Reihe anspruchsvoller Herausforderungen mit sich. Der Zugang zu angemessenen Streitbeilegungslösungen und einem fairen Verfahren ist eine davon. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist ein wirksames Instrument zur Wahrung der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen von Cannabisunternehmen, sowohl bei Transaktionen mit anderen Unternehmen weltweit als auch bei der Entwicklung ihrer Geschäfte im (oder mit dem) Ausland. Die Anpassungsmöglichkeiten sind nahezu grenzenlos, so dass bereits bei den Vertragsverhandlungen und/oder bei der Entwicklung einer Investitionsstrategie im Ausland eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Thema erforderlich ist. ↙

Rodolphe Ruffié

ist leitender Anwalt bei Clifford Chance in Europa und Australien. Neben der grenzüberschreitenden Investitionsberatung vertritt er Unternehmen und fungiert als Schiedsrichter in internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten, mit besonderem Schwerpunkt auf natürlichen Ressourcen und der Cannabisbranche.

Picture: stock.adobe.com/bakhtiarzein

This article is from: