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Eine Pflanze mit vielen Gesichtern

Meine Reise mit dem Hanf

Es ist das Jahr 2006 an der Universität Utrecht in den Niederlanden. Im Kurs Bodenökologie des Studiums Biologie wird mir der Prozess der Phytoremediation vorgestellt. Phytoremediation ist das wissenschaftliche Wort für das Aufreinigen von Böden durch Pflanzen. Schwermetalle und andere Giftstoffe werden durch Pflanzen aufgenommen und damit aus der Erde entfernt. Von Marijn Roersch van der Hoogte

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Als ich in der wissenschaftlichen Literatur stöberte, um ein Thema für die zum Prozess gehörende Arbeit zu finden, stieß ich auf die mir bisher nur aus den niederländischen Coffeeshops bekannte Pflanze Cannabis Sativa L., besser bekannt als Hanf. Was machte die denn hier? Hanf ist doch nur eine Freizeitdroge, dachte ich, und aus Spaß gab ich “Cannabis Sativa L.” in die Suchmaske von Google Scholar ein. Zu meiner großen Überraschung gab es viele Hundert Artikel, die mit Hanf zu tun hatten. Ich war überrascht und begeistert. Nicht nur als Bodenheiler konnte man Hanf nutzen, sondern auch als Rohstoff für eine Vielzahl von (technischen) Anwendungen und sogar als Lebensmittel und in der Medizin.

Die wundervolle Welt des Hanfs

Meine Begeisterung war geboren und eine Reise in die wundervolle Welt des Hanfs begann. Mit Hilfe vieler Bücher und Artikel lernte ich die Geschichte, die Anwendungen, die Potentiale und unweigerlich auch die vielen Theorien über den Niedergang des Hanfs in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts kennen. Ich konnte es nicht fassen, dass eine Pflanze mit so einem Potential einfach von der Bildfläche verschwunden war. Zumal sie bereits in vielen Bereichen der Gesellschaft einen festen Platz hatte. Eine der faszinierendsten Entdeckungen war der Decorticator von Herrn Schlichten aus den USA. Diese erste Maschine zur Aufbereitung der Stängel, welche die bisher schwere körperliche Arbeit der Faseraufbereitung erleichtern würde, stand kurz vor ihrer Einführung, als der Hanf in den USA verboten wurde. Der Erfinder der Maschine hatte lange gebraucht, um einen vertrauensvollen Investor für das Projekt zu finden – zu lange wie sich später herausstellte. Konnte es sein, das genau diese Maschine ein weiterer Grund war, dass Hanf als Gesamtpflanze in Ungnade gefallen war? Bekannt war, das viele der Landwirte die damals den Hanf angebaut hatten, selbst dem Gesetz (Marijuana Tax Act 1937 USA) zugestimmt hatten, welches das teuflische Marihuana und damit in einem Rutsch auch gleich das vielseitige Hanf verboten. Durch diese Namensänderung war vielen nicht klar, dass es sich um den bisher als positiv bekannten Rohstoff und die Medizinalpflanze Hanf handelte. Alles ganz merkwürdig und eine gute Grundlage für viele wilde Theorien, welche wir wahrscheinlich nie ganz verwerfen oder bestätigen können. Mit Verschwörungstheorien möchte ich mich aber nicht beschäftigen. Darüber kann man ganze Bücher schreiben, und die gibt es bereits. Eher geht es mir darum, von meiner Reise und Vision für Hanf zu erzählen. Der Decorticator von Schlichten fand dennoch seine Anwendung, wenn auch viele Jahrzehnte später. Er diente als Grundlage für die weltweit entwickelten Faseraufbereitungsanlagen, die bis heute die Industrielandschaft der Naturfasern prägen. Auch wenn Kunstfasern ein großer Erfolg und Naturfasern in vielen Bereichen erstmal weit überlegen waren, verschwanden die Naturfasern nie komplett vom Markt. Vor allem das Militär konnte nicht auf den Rohstoff verzichten (wie der Film “Hemp for Victory” aus dem Jahr 1942 unterstreicht).

In den vergangenen 25 Jahren ist viel geschehen und die Ernte und Verarbeitung von Hanf ist deutlich einfacher geworden, wodurch mehr und mehr Landwirte und Verarbeiter den Weg des Hanfs gehen und von ihm begeistert sind.

Reich an Fasern, Blüten und Körnern

Aber es war nicht nur die Faser, die den Hanf so besonders machte, auch die Blüten und nahrhaften und ölreichen Körner hatten große Vorteile. Durch die besondere Zusammensetzung von Proteinen und ungesättigten Fettsäuren, bildeten die Körner eine wichtige Nahrungsgrundlage für Mensch und Tier. Sogar Buddha soll mal behauptet haben, von einem Hanfsamen am Tag gelebt zu haben (!). Die in den Blüten anwesenden Cannabinoide und Terpene, welche sich in vielen Tinkturen und mit Hanfexktrakten versetzten Produkten wiederfanden, hatten zudem noch einen heilenden und beruhigenden Effekt. Wie sehr vielleicht auch versucht wurde, all‘ diese Eigenschaften zu verdrängen, gelungen ist es nicht. Zum Glück. Ich habe das Gefühl, dass der Ruf nach seiner Wiederentdeckung und vor allem Wiedereinführung als wichtige Grundlage für unsere Gesellschaft umso stärker wurde, desto mehr man versuchte, den Hanf zu verbannen. Ich hatte diesen Ruf auf jeden Fall gehört und war fest entschlossen, ihm nachzugehen. Eine schöne Analogie hierzu fiel mir ein als ich von dem Endocannabinoid System (ECS) im menschlichen Körper erfuhr. Dieses System, welches dazu dient die Homeostasis (körperliches bzw. zelluläres Gleichgewicht) zu bewahren, ist ein wichtiger Spieler im Körper bei der Heilung und/oder Linderung einer Vielzahl von Krankheiten. Der menschliche Körper besitzt selber Endocannabinoide (Endo = körpereigene), um diese Prozesse zu steuern, hat aber nicht immer genug Rohstoff, sprich ungesättigte Fettsäuren, diese in ausreichender Menge zu produzieren. Hier kommen dann die Phytocannabinoide (Phyto = pflanzlich) ins Spiel, um die körpereigenen Reserven aufzufüllen und deren Wirkung im Ganzen zu entfalten. Wenn man den Hanf also nicht als Gemüse isst, braucht man ihn später als Medizin. Anders gesagt, da wir den Hanf aus unseren gesellschaftlichen Kreisläufen entfernt haben, entstand ein Defizit auf verschiedenen Ebenen, die seine Wiederentdeckung unvermeidlich machte. So gesehen brauchen wir den Hanf mehr als er uns.

Das langsame Comeback einer alten Kulturpflanze

Mit der Wiedereinführung des Hanfs in Europa 1996 begann langsam sein Comeback, wenn auch wirklich langsam. Wir haben den Pionieren aus der Zeit sehr viel zu verdanken! Mit viel Leidenschaft und Herzblut wurde wieder eine Vielzahl an Produkten auf den Markt gebracht und ein Umdenken in der Bevölkerung begann. Auch wenn die jahrzehntelange Anti-Hanf-Propaganda tiefe Gräben hinterlassen hat, eine Wunde sehnt nach Heilung und der Hanf stand hilfsbereit in den Startlöchern, um seinen Teil zu leisten. In einer Gesellschaft abhängig vom Erdöl, ist es aber nicht einfach, als natürliche Alternative Aufmerksamkeit zu gewinnen. Zudem ein weiteres Problem des Hanfs, welches auch vor hundert Jahren an seinem Niedergang beteiligt war, wieder auftauchte: die aufwendige Ernte und Aufbereitung. Durch das hohe Wuchsverhalten, extrem starke Fasern und große Mengen Biomasse, war es für die Erzeuger eine große Herausforderung, den Rohstoff zu produzieren. Innovation, erfinderische Techniker und Ingenieure fanden sich zusammen, diese alte Herausforderung mit moderner Technik und neuem Wissen zu meistern. In den vergangenen 25 Jahren ist viel geschehen und die Ernte und Verarbeitung von Hanf ist deutlich einfacher geworden, wodurch mehr und mehr Landwirte und Verarbeiter den Weg des Hanfs gehen und von ihm begeistert sind. Aber neben der Technik gab es noch ein weiteres Problem, ein gesellschaftliches oder besser gesagt ökonomisches. Auch wenn der Hanf so viel kann, und man die Herstellung mittlerweile

auch technisch meistern kann, stand der Profitabilität oder Wettbewerbsfähigkeit einiges im Weg. Da viele der Vorteile des Hanfs erst langfristig spürbar werden, wie z. B. Verbesserung der Böden, bessere Recyclingfähigkeit, gesündere Lebensmittel und langlebige Bau- und Verbundstoffe, war es schwierig den Rohstoff in eine auf kurzfristige Gewinne ausgerichtete Gesellschaft zu integrieren. Der Hanf war oft “zu teuer!” und die finanziellen Argumente immer stärker als langfristige und vor allem gesundheitliche Argumente. Gerade die gesundheitlichen Argumente wurden einfach ignoriert. An gesunden Menschen und langfristigen Produkten waren die Treiber der Gesellschaft anscheinend nicht interessiert.

Zukunft braucht Weitsicht

Nichtsdestotrotz haben auch kurzfristige Lösungen irgendwann ihre langfristigen Auswirkungen und wir sind, meiner Meinung nach, an dem Punkt angelangt, wo diese Auswirkungen nicht mehr zu ignorieren sind. Der Ruf nach besseren Alternativen wird lauter und lauter. In dieser Zeit finden die nachhaltigen Eigenschaften des Hanfs ein stetig wachsendes Publikum und seine Potentiale als industrieller Rohstoff rücken in die Mitte der Gesellschaft. Durch den weltweiten CBD-Boom nimmt der Hanf mit kleinen Schritten wieder seinen Platz als Medizin und Nahrungsergänzungsmittel ein und wird für alle Schichten der Bevölkerung zugänglich gemacht. Durch seine Vorteile als Bau- und Verbundstoff, Textilrohstoff, Lebensmittel und chemische Grundlage (z. B. für Grafen und Plastik) und mit der bevorstehenden Rohstoffwende, beginnt der Hanf an fruchtbarem Boden bei zukunftsorientierten Unternehmern und Investoren zu gewinnen. Gleichzeitig finden wir uns aber in einem großen Dilemma wieder. Es gibt diejenigen, die Hanf in bestimmter Qualität brauchen, um innovative und zukunftstaugliche Produkte herzustellen, und es gibt diejenigen, die Lust haben diesen Rohstoff für sie zu erzeugen. Allerdings fehlt es hier an der richtigen Infrastruktur, an einheitlichen Standards und vor allem an gegenseitigem Vertrauen, zusammen diese neue Industrie aufzubauen. Meine Vision ist es, Brücken zu bauen und bereits bekanntes Wissen effektiv zu vermitteln, damit jeder in der Industrie mit Sicherheit weiß, was er tun kann und was andere von ihm brauchen. Das kann ich natürlich nicht alleine! Die Hanfbranche braucht kollaboratives Denken statt konkurrierendes Ausstechen. Ein Markt muss erschaffen werden und dabei sind alle Teilnehmer Mitbewerber und nicht Wettbewerber. Ich wünsche mir ein langfristiges Denken unserer Zeitgenossen, um diese Herausforderung gemeinsam zu stemmen. Ich möchte meinen Teil beitragen, diesen Prozess möglich zu machen und helfen, einen stabilen Markt aufzubauen. Ich lade Euch/Sie alle dazu ein mitzugestalten und den Blick auf das Wesentliche zu richten. Der Hanf sorgt nicht nur in unseren Körpern für Gleichgewicht, und so können wir diese neue Industrie auch gestalten. Treten wir gemeinsam diese Reise in eine neue gesunde Welt samt nachhaltiger Industrie an! ↙

Marijn Roersch van der Hoogte

hat gemeinsam mit Partnern die Plattform Hemp Impact (www.hemp-impact.com) gegründet, um alle Mitstreiter an einen Tisch zu holen und sich gegenseitig sinnvoll unternehmerisch zu unterstützen. Für Landwirte, Weiterverarbeiter und Händler bietet die Plattform alle Werkzeuge, um die dringendsten Probleme der Wertschöpfungsketten zu schließen. Zudem gehört er dem Präsidium des BvCW an.

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