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Akteure und Prozesse der Genussmittelregulierung
Ein kommentierender Überblick
Die neue Bundesregierung hat ihre politische Willenserklärung zur legalen Abgabe von Cannabisprodukten am 24.11.2021 kundgetan. Darin heißt es: “Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet.” Aus Sicht der Cannabiswirtschaft ist dies ein erfreulicher und herausfordernder Schritt. Von Jürgen Neumeyer
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Details der kommenden Regelungen sind natürlich noch nicht bekannt. Wer den Weg üblicher Gesetzgebungsprozesse kennt, weiß, dass sich das rund zwei Jahre hinziehen kann (Ausnahmen gab es – z. B. pandemiebedingt – nur wenige). Da es sich hier um ein Thema handelt, das gesellschaftlich noch immer sehr umstritten ist und viele Vorbehalte, aber auch Fehlinformation existieren, wird der Prozess sehr genau und sehr detailliert vorangehen. Niemand will einen Fehler machen, alle wollen genau regulieren und sich möglichst als politischer Akteur nicht angreifbar machen. Cannabis bleibt eine Droge. Und wie bei jeder Droge – ob legal oder illegal – hat die Substanz (in diesem Fall vor allem das THC) ihre Chancen und ihre Risiken. Das ist zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, einen Blick auf einige zentrale Akteure im kommenden Prozess zu werfen.
Die Exekutive (Bundesregierung und untergeordnete Behörden)
Die “Federführung” zur Umsetzung der Cannabislegalisierung liegt im Bereich Gesundheit. Einige weitere Ressorts werden mitberatend sein. Mit Burkhard Blienert als dem neuen Drogenbeauftragten der Bundesregierung wird ein sehr aufgeklärter Experte in diesem Bereich an dem Prozess beteiligt sein. Blienert hat bereits viele klare Aussagen zur Cannabisfrage geäußert, z. B. in einer politischen Diskussionsrunde des Bundesverbands Cannabiswirtschaft BvCW vor der Bundestagswahl [1]. Allein, das reicht natürlich noch nicht. Er ist zwar Mitglied der Bundesregierung – und wir alle hoffen, dass er eine starke Stimme innerhalb dieser entwickeln wird – er steht aber weder alleine, noch kann er unabhängig vom Stimmungsbild der Gesellschaft und schon gar nicht unabhängig vom Stimmungsbild in der “politischen Landschaft” agieren. Wenn man es grob übersetzen will, sind seine “Vorgesetzten” Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundeskanzler Olaf Scholz.
Von beiden, Lauterbach und Scholz, wissen wir, dass Cannabis oder eine progressive Drogenpolitik nicht zu ihren Kernthemen gehören. Das sollte man auch nicht erwarten. Karl Lauterbach hat sich im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen auch mit seiner cannabispolitischen Aussage als “koalitionsfähiger Gesundheits-Ampelminister” gegenüber FDP und Grünen ins Spiel gebracht, in der er sagte: “Immer häufiger wird dem illegal verkauften Straßen-Cannabis neuartiges Heroin beigemischt, das sich rauchen lässt. Damit werden Cannabis-Konsumenten schnell in eine Heroin-Abhängigkeit getrieben. Ich bin deswegen dafür, dass wir in einem möglichen Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP einen Passus zur legalen und kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene formulieren.” Eine Begründung, die bei Insidern etwas Kopfschütteln hervorrief, vom thematischen Ansatz der Qualitätskontrolle und gefährlicher Beimengungen aber in die richtige Richtung ging. Im Laufe des Wahlkampfes ließ sich Olaf Scholz zu der Aussage hinreißen, “seine Jugendorganisation” hätte ihn zu einem anderen Weg in der Cannabispolitik überzeugt. Na dann, immerhin! Beide werden also der fachlichen Ausgestaltung nicht im Wege stehen, aber beide werden sich darum auch nicht kümmern. Das werden andere Akteure machen (müssen), u. a. Burkhard Blienert als einer der zentralen Ansprechpartner in der Bundesregierung. Sabine Dittmar und Edgar Franke (beide SPD) sind die “Parlamentarischen Staatssekretäre“ im Bundesministerium für Gesundheit. Von Frau Dittmar weiß man, dass sie sich in der vergangenen Legislaturperiode als Gesundheitspolitische Sprecherin der SPDFraktion für die Legalisierung von Cannabis einsetzte, wie quasi alle Gesundheitspolitiker und Gesundheitspolitikerinnen innerhalb der SPD damals ebenso. Von den beiden beamteten Staatssekretären, Dr. Thomas Steffen (CDU) und Dr. Antje Draheim (SPD) kennt man keine öffentlichen Aussagen zum Thema Cannabis. Das ist nicht ungewöhnlich, da diese Personen normalerweise selten der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Für den Prozess innerhalb des Ministerium geht man normalerweise davon aus, dass die beamteten Staatssekretäre stärker sind als die parlamentarischen, weil sie mehr Durchgriffsstärke auf “das Haus” und die nachgeordneten Behörden haben (z. B. BfArM, Bundesopiumstelle usw.). Im BMG sind hier z. B. auch die beiden Referatsleiter 122 für Betäubungsmittelrecht, -Verkehr und Internationale Suchtstofffragen, Frau Clauß und Herr Dr. Riehl relevant. Dr. Riehl gilt als langjähriger Experte und agierte quasi als “Exporteur” der deutschen Medizinalcannabis-Frage in die EU. Das Referat 125 “Drogen & Sucht” ist derzeit unbesetzt. Als Unterabteilungsleiterin “Medizinprodukte, Apotheken, BtM” fungiert Frau Brakel und Abteilungsleiter 1 “Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie” ist Thomas Müller. Von beiden gibt es keine öffentlichen Äußerungen zum Thema. Ein Sonderfall unter den Protagonisten der Cannabislegalisierung in der Bundesregierung ist auf alle Fälle der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir (B90/Die Grünen). Er hat sich in verschiedenen Interviews bereits im Vorfeld seiner Ernennung als Bundeslandwirtschafts- und Ernährungsminister positiv zu den Chancen von Cannabis – auch als Wirtschaftsgut – geäußert. [2] Aufgrund der Federführung des Gesundheitsministeriums in dieser Frage kann man allerdings nur hoffen, dass er im eigenen Haus das Thema Cannabis auf Leitungsebene besetzen wird und dementsprechend reagieren kann. Unabhängig von den Legalisierungsfragen beschäftigen die Wirtschaft natürlich auch die Fragen der landwirtschaftlichen Nutzung von Hanf, der Grenzwerte von THC in Lebensmitteln, des rechtssicheren Umgangs mit CBD-Produkten oder die Haltung des BVL zu Cannabis in der Weiterverarbeitung und Vermarktung. Dies sind alles Fragen, in denen Özdemir als Bundesminister sicherstellen könnte, dass es politische Gespräche mit den zumindest dienstaufsichtlich unterstellten Behörden gibt und Einfluss darauf nehmen könnte, welche Fragen hier zu einer Neuregulierung in Angriff genommen werden. Gleichzeitig ist die Repräsentanz seines Ministerium in EU-Gremien und deren Haltung hier künftig (wie bisher) von großer Relevanz für uns als Wirtschaft – natürlich auch EU-weit. Es bleibt abzuwarten, ob der politische Wille auch faktisch zu einem mittelfristigen Umdenken und einer Änderung der Umsetzungspolitik in den untergeordneten Behörden führt.
Die Legislative
In der kommenden Regulierung von Cannabis als Genussmittel wird die Legislative, also der Bundestag, eine wichtige Rolle spielen. Hierbei natürlich vor allem die Ampel-Fraktionen. Es wird eine Art Sondergesetz geben müssen (wie es die Grünen – allerdings in den vergangenen zwei Legislaturperioden sehr befreit in der Opposition – mit dem Cannabiskontrollgesetz [3] vorschlugen). Solch ein Gesetz wird aber viele “Zusatzfragen” beantworten müssen, wie z.B. Jugendschutz, Besteuerung, den weiteren Umgang mit illegalem Cannabishandel, Aufsichts- und Kontrollfragen, usw. Insofern werden etliche andere “Fachbereiche” bzw. Ausschüsse des Bundestags (und auch der beteiligten Bundesministerien und der Bundesrat) mitberaten. Dazu sind dann die federführenden Berichterstatter – und die sind normalerweise im federführenden Ausschuss angesiedelt – von entscheidender Bedeutung. Dieser Ausschuss wird der Gesundheitsausschuss sein, da Cannabis derzeit als Betäubungsmittel (BtM) und damit als bislang illegale Droge klassifiziert ist. Es ist davon auszugehen, dass sich auch – mehr oder weniger – informierte Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen aus den mitberatenden Ausschüssen Justiz, Innen, Ernährung und Landwirtschaft, Familien und Jugend sowie Finanzen und Haushalt damit befassen müssen. In jedem Ausschuss gibt es von jeder Fraktion eine/n weiteren Mitarbeitenden oder zumindest formell zuständigen MdB.
Die regierungstragenden Fraktionen haben ihre “Berichterstatter” im Gesundheitsausschuss zum Thema Cannabis benannt: Dirk Heidenblut (SPD), Dr. Kirsten Kappert-Gonther (B90/Die Grünen) und Kristine Lütke (FDP). Bei B90/Die Grünen ist auch Linda Heitmann zusätzlich für den Bereich Drogen und Sucht benannt. Diese Akteure stehen der Cannabisregulierung/-legalisierung äußerst positiv gegenüber. Kappert-Gonther und Heidenblut waren bereits in vergangenen Legislaturperioden mit dem Thema befasst und haben sehr deutliche Aussagen zum Thema gemacht, Frau Lütke (FDP) hat sich öffentlich mehrfach zum Thema geäußert und es ist davon auszugehen, dass sie sich schnell in das Thema einarbeitet. Aus Sicht der Cannabiswirtschaft ist das sehr begrüßenswert. Bei diesen Akteuren werden entscheidende Voraussetzungen zur kommenden Regulierung zusammen laufen. Zusätzlich werden sich in den kommenden Monaten auch andere Abgeordnete zum Thema äußern, sei es aus Herzensangelegenheit, aus einer regionalen Anfrage oder als mitberatende Berichterstatter in den begleitenden Ausschüssen. Hierzu gehört z. B. auch Carmen Wegge (SPD) für den Innen- und Rechtsbereich. Innerhalb der CDU/CSU-Fraktion ist Simone Borchardt (MdB) neue drogenpolitische Sprecherin. Frau Borchardt steht der Cannabisregulierung skeptisch gegenüber. Die beiden weiteren Oppositionsfraktionen haben bislang (bis Redaktionsschluss) keine Entscheidung zur personellen Besetzung getroffen. Bei der Bundestagsfraktion der Linken war in Social-Media-Kanälen zu vernehmen, dass es mehrere Aspiranten und Aspiranteninnen auf die vermeintlich attraktive Position gibt und eine Einigung auf sich warten lasse. Bei der AfD-Fraktion gab es diese Position bisher noch gar nicht, und es ist sowieso fraglich, ob in dieser Frage konstruktive Vorschläge von dort zu erwarten wären.
Fazit
Insgesamt können wir als wirtschaftlich Beteiligte sicher mit hohen Regulierungen und vielen Anforderungen rechnen, aber auch vielen kenntnisreichen Akteuren als Protagonisten im Umsetzungsprozess der Cannabisregulierung entgegen sehen. Von Seiten der Legislative darf viel Unterstützung erwartet werden, von Seiten der Exekutive müssen wir derzeit noch auf die Durchsetzungskraft des erklärten politischen Willens, d. h. des Koalitionsvertrags, vertrauen. Mitberatende Institutionen, wie z. B. der Bundesrat (die Länder) können ggf. über zu erwartende Steuereinnahmen oder über Druck im potentiellen Vermittlungsausschuss überzeugt werden. Oder sie werden durch neue politische Konstellationen – 2022 finden Wahlen in mehreren Bundesländern statt – zustimmungsfähig. Der BvCW schlug zudem eine Cannabis-Kommission analog der Kohle-Kommission vor, um alle gesellschaftlich relevanten Bereiche mitberatend zu integrieren. Burkhard Blienert hatte auf dem oben erwähnten BvCW-Panel einen Zeit-Fahrplan vorgeschlagen, der für 2022 Vorbereitungen, für 2023 eine erste Vorlage und für 2024 Beratungen und Anhörungen im Parlament sowie die Verabschiedung eines Gesetzes mit allen nötigen Änderungsgesetzen vorsieht. Man darf also hoffnungsvoll davon ausgehen, dass es von Seiten der Regierung nächstes Jahr einen ersten Entwurf für das Gesetz zur Genussmittelregulierung geben wird. ↙
[1]https://www.youtube.com/watch?v=4XAd9Za_ebo [2]https://www.youtube.com/watch?v=wdRDHgeakdQ [3]https://dserver.bundestag.de/btd/19/008/1900819.pdf
Jürgen Neumeyer
war ehrenamtlich zehn Jahre Referent für Drogenpolitik bei den Bundes-Jusos und beruflich 17 Jahre als Mitarbeiter im Bundestag. Nach einer langjährigen Tätigkeit als selbständiger Politikberater, Headhunter und Lobbyist, setzt sich der Diplom-Politologe heute als Geschäftsführer des Branchenverbandes Cannabiswirtschaft e.V. (BvCW) für die Interessen der Cannabiswirtschaft ein.
Photo: stock.adobe.com/DavidBautista