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»Stimmungsblock«. Die Plätze befanden sich auf der unüberdachten Vortribüne, aber da zur damaligen Zeit insbesondere die Seitenblöcke der Südtribüne nur bei Spitzenspielen verkauft wurden, saßen und standen die Leute fast immer in den hinteren Reihen unterm Dach. Zu Beginn war angedacht, mit gezielten Gesängen die häufig durchschnittliche Stimmung der Westkurve zu verbessern, die Menschen zu animieren und mitzureißen. Das Vorhaben gelang allerdings nicht, denn die Kutten in der Westkurve hielten die Leute auf der Südtribüne
für keine »richtigen Fans«, boykottierten deren Lieder und begannen teilweise sogar, gezielt dagegen zu singen. Bis zum Abriss des alten Stadions nach der Saison 1998/99 konnte der »Mitgliederblock« dennoch einen kontinuierlichen Anstieg verzeichnen, so waren zuletzt etwa 450 Supporters auf der Südtribüne vertreten. Zusammenfassend lässt sich der Block als Schmelztiegel von Allesfahrern, Szeneleuten sowie sonstigem »Fußballvolk« charakterisieren, denen der Verein sehr am Herzen lag. Die Lautstärke und vor allem die Qualität ihrer
Gesänge wurden immer besser und unterschieden sich deutlich von der immer bedeutungsund führungsloser werdenden Westkurve. Die letzten engagierten Fanclubs wie etwa die »Sexmachines«, die nicht auf die Südtribüne wechselten, waren zu diesem Zeitpunkt bereits in den Block A umgezogen und hatten dort einen neuen Stimmungsblock gegründet. Auch das Drumherum prägt WestkurvenErinnerungen bis heute. Stadionsprecher war geraume Zeit die Radiogröße Carlo von Tiedemann. In Richtung Westkurve kam von ihm
Ich wollte ein Teil der Westkurve werden! Angekommen auf dem Parkplatz Braun, pinkelten wir uns beinahe kollektiv vor Aufregung in die Hosen. Das Stadion betraten wir bereits kurz nach Öffnung. Wir hatten unsere Plätze auf der Südtribüne, ein Umstand, den einige der älteren Jungs etwas missmutig zur Kenntnis nahmen. Und mir wurde augenblicklich klar, warum sie so reagiert hatten. Während weite Teile des Stadions noch vollkommen leer waren, hatten sich in der Kurve links von uns bereits zahlreiche, bunt gekleidete Menschen eingefunden und suchten scheinbar fest vergebene Plätze auf. Umgehend ließ ich meine kleine Papierfahne unauffällig verschwinden, denn dort drüben hatten die Typen riesige Fahnen aus Stoff, teilweise zusammengenäht aus zahlreichen
einzelnen Fahnen, jede für sich genommen bereits fantastisch. Das also war der Ort, von dem die Jungs erzählt hatten. Das war der Ort, den wir laut Ansage unserer erwachsenen Begleiter in den nächsten Jahren unseres Lebens nicht betreten würden. Das war der Ort, der während der folgenden drei Stunden meine ungeteilte Aufmerksamkeit genießen sollte. Der über kurz oder lang mein Ziel sein sollte: die Westkurve. An das Spiel selbst erinnere ich mich nicht mehr. Ein Unentschieden gegen den 1. FC Köln, aber das war mir beinahe egal. Ich wollte jetzt unbedingt und umgehend eine Weste mit HSV-Aufnähern haben, eine riesige Fahne, viele Schals und eine Rassel. Ich wollte Teil der Westkurve werden.
Das Ziel aller Fan-Träume: Westkurve, Block E
Foto: Martin Friesecke
Erinnerungen von Thorsten Eikmeier Meinen zweiten Besuch im Volksparkstadion konnte ich erst mit geschlagenen elf Jahren verbuchen. Ein Umstand, der mich im Vergleich oft schlecht abschneiden lässt, doch im Gegensatz zu anderen kann ich mich dafür einigermaßen detailliert an das erinnern, was am Beginn einer grenzenlosen Leidenschaft stand. Mein Papa trainierte damals eine Jugendmannschaft des TV Gut Heil Wrist im Herzen von Schleswig-Holstein. Die Sache wurde für mich spätestens dann interessant, als besagtes Team einen Ausflug nach Hamburg plante. Zu einem Heimspiel des HSV. Eine Fahrt, die Spannung versprach, und da der Papa bei der Tour dabei war und der Sohn den HSV schon immer super fand, gab er nach einigem Gebettel grünes Licht. Eine gute Vorbereitung des Stadionbesuchs ist die halbe Miete, und so liefen die Planungen für alle 50 Teilnehmer auf Hochtouren. Ich allerdings steckte in einer Misere: Während viele der großen Jungs schon ein paar Mal im Stadion gewesen waren und sich mit Fanartikeln ausgestattet hatten, konnte ich lediglich ein trostloses Halstuch vorweisen, das ich auf dem Flohmarkt ergattert hatte – schlechte Voraussetzungen, sollte doch jeder sehen, dass ich eingefleischter Fan war. Doch Not macht erfinderisch, und ich hatte die rettende Lösung: Eine Fahne sollte her. Selbstgemacht, versteht sich. Nähen konnte ich noch nicht, und Mama wollte leider keinen Express-Auftrag entgegennehmen. Es blieb also nur ein Ausweg: Ich musste das Teil auf einem großen Stück Papier malen. Am Ende entstand auf diesem Weg eine HSVPapier-Fahne in Postergröße.