Kinder der Westkurve | Auszug

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Das Bielefelder »OWT«-Urgestein »Onkel-Heini« erinnert sich: »Es war in der Saison 1984/85, als plötzlich morgens etwa 50 Hamburger vor unserer Kneipe am Jahnplatz standen. Außer dem Wirt und mir war noch niemand vor Ort. Ich ging hinaus und konnte die Hamburger, von denen ich die meisten kannte, dazu bringen, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Die Stimmung war tagsüber geladen, aber niemand rechnete damit, dass unsere Kneipe abends nach dem Spiel noch überfallen werden sollte. Solche organisierten Übergriffe waren damals noch nicht an der Tagesordnung. Es kam aber so, dass sich die Hamburger mit Autos nach Halle/Westf. zurückzogen und etwas später nach Bielefeld zum Jahnplatz zurückkamen. Völlig überraschend klirrten bei uns die Scheiben, und unser Haufen ging sofort nach draußen, wo es

für damalige Verhältnisse sehr hart zur Sache ging. Unvergessen ist auch der Mercedes des Hamburgers ›Elvis‹, der direkt vor der Tür stand. Einer der Insassen stieg mit einem geklauten Kegel aus, um ihn als Waffe zu benutzen. Das Resultat war, dass er das gute Stück abgenommen bekam und der Kegel durch die Autoscheibe seinen Weg wieder zurück in den Mercedes fand. Dass einige Hamburger diesen Angriff schmerzhaft bereuen sollten, steht bis heute außer Frage.« Dirk Mansen meint sich zu erinnern, dass es bereits zu Beginn der Achtziger, 1981 oder 1982, einen Zwischenfall gegeben habe, bei dem Hamburger nach dem Spiel auf der Alm von Bielefeldern in der Altstadt angegriffen worden waren. Mansen kann sich zwar nicht genau erinnern, vermutet allerdings, dass es sich bei dem Kneipenangriff 1985 um einen Racheakt gehandelt habe.

Die Blue Army, Bielefelder Fans der härteren Gangart

Foto: Hans-Michael Heyn

In dieser Zeit war es üblich, dass auf den Hamburger Fan-Kutten neben den Aufnähern von Dortmund und Frankfurt stets ein Bielefeld-Aufnäher prangte. Es gab verschiedene Freundschaftsaufnäher, und wenn der HSV im Westen zu Gast war, waren immer Bielefelder auf Hamburger Seite vor Ort. Bis zum Gastspiel des HSV 1985 in Bielefeld wurde die Freundschaft ständig weiter gepflegt und ausgebaut. Doch dann zogen dunkle Wolken am Freundschaftshimmel auf. Anfang der Achtziger Jahre hatte sich in Hamburg eine neue Generation an Fans und Fanclubs etabliert, die Mitglieder von »Hamburg Nord« und »Halstenbek« gingen vermehrt nach ihren englischen Vorbildern zivil ins Stadion. Neben den »Löwen« gehörten sie zu damaliger Zeit zu den führenden Fanclubs in Sachen Fußballgewalt in der Hansestadt. Schon vor dem Spiel des HSV 1985 in Bielefeld hatte es zwischen Mitgliedern der drei neuen Hamburger Fanclubs und den Bielefeldern kleinere Auseinandersetzungen gegeben. Nach dem Spiel kam es schließlich zur ersten großen Schlägerei: Die Hamburger fuhren zunächst aus Bielefeld heraus, kamen einige Stunden später aber wieder und griffen, für die Bielefelder völlig unverständlich, die Kneipe »Herforder Pils Stuben« an. Die Bielefelder verteidigten ihren Laden unter der Führung des »Ostwestfalen Terrors« (OWT), sodass es zu wilden Auseinandersetzungen vor der Wirtschaft und in den umliegenden Straßen kam. Die überforderte Polizei bekam die Lage nur schwer in den Griff. Als sie endlich Herr der Lage war, bewies ein Hamburger, der einiges von einem Bielefelder abbekommen hatte, die ganze Dreistigkeit des Angriffs: Er zeigte ihn wegen Körperverletzung bei der Polizei an.


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