Seniorenzeitung Teltow und Fläming 04/2010

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TELTOW-FLÄMING Seniorenzeitung

Buchbesprechung

Wer nicht mit dem Wolf heult Autobiographische Aufzeichnungen eines Wagner-Urenkels Von Ingeborg Spittler Gottfried Wagner, Urenkel von Richard Wagner, Sohn von Wolfgang Wagner. Geboren 1947, Multimediaregisseur und Publizist, der über Kurt Weill und Bertolt Brecht promoviert hat. Lange hat er sich mit deutscher Kultur und Politik und mit der jüdischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt. Er hat uns bemerkenswerte autobiografische Aufzeichnungen vorgelegt, die mich sehr beeindruckt haben.

Ohne seinen Fund preis zu geben, fragt er den Vater erneut nach den Verbindungen der Familie zu Hitler. Die Antworten des Vaters sind noch geprägt von den begeisterten und faszinierenden Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus. Wie denn seine Meinung zu den Juden sei will der Sohn wissen. Herumgerede, antwortet der Vater, Hetze. Hätte Hitler sich mit den Juden verbündet, hätte er den Krieg gewonnen. Die Juden waren Hitlers einziger Fehler, erklärt Wolfgang Wagner seinem fragenden Sohn. Besonders die Briefe von Winifried an Hitler haben ihn tief beeindruckt und erst recht will er wissen, wie es wirklich war. Er erfährt, dass seine Großmutter auch nach 1945 weiter Kontakte zu ehemaligen Nationalsozialisten aufrecht erhielt. Zu Edda Göring, Ilse Heß und anderen Prominenten, die in diese Zeit verstrickt waren. Winifried Wagner ihrerseits stellt ihren missratenen Enkel Gottfried bereits als Freund der Bolschewiken und Juden vor.

Ich werde sie Ihnen nicht vollständig darstellen, denn viel zu viele Fakten hat Wagner umfangreich recherchiert, um der Wahrheit um seine Familie und ihre Verstrickungen mit den Nationalsozialisten möglichst nahe zu kommen. Ich fasse statt dessen das Vorwort von Ralph Giordano zusammen und hoffe, dass es mir auch damit bereits gelingt, Ihr Interesse an einem aufschlussreichen Kapitel deutscher (Kultur-) Geschichte zu wecken. Die Brüder Wolfgang und Wieland Wagner sind zerstritten, die Kinder beider dürfen nicht miteinander spielen. Gottfried wächst sehr behütet und abgeschirmt auf. Winifried Wagner, die Frau des 1930 verstorbenen Richard Wagner-Sohnes Siegfried, übt die Herrschaft über die Familie und die Festspiele nach dem zweiten Weltkrieg aus. Sie war seit 1923 eng befreundet mit Adolf Hitler, den sie „Wolf“ nannte. Vor und nach dem zweiten Weltkrieg huldigt sie dem Nationalsozialismus. Die Probleme damit werden verdrängt. Dokumente, Fotos, Beweise aus jener Zeit werden unter Verschluss gehalten.

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und Schulfilmveranstaltungen. Aufmärsche, Eroberungen, Riesenkundgebungen, Aufnahmen von Leichenbergen aus den Konzentrationslagern, Bilder, die teilweise mit der Musik von Richard Wagner untermalt sind, lassen ihn nicht mehr los. Er möchte wissen, was damals wirklich geschah und in wie weit seine Familie darin verstrickt ist. Als er seinen Vater 1957 danach fragt, wird ihm klar gemacht, er sei mit seinen knapp 10 Jahren noch zu klein und er solle seine Hausaufgaben erledigen.

Je mehr sich der Sohn mit der Familiengeschichte während der Nazizeit beschäftigt, um so mehr bricht die Vater-Sohn-Beziehung auseinander. Gottfried Wagner leistet sehr gründliche Arbeit. Er will es genau wissen, reist nach Israel und spricht öffentlich über den „Fall Wagner“. Er stellt heraus, dass ein großer Künstler nicht gleichzeitig ein großer Charakter sein muss. Seine Tante Friedelind, die Schwester seines Vaters, bringt dem Neffen Achtung entgegen, erkennt, dass er eine ehrliche, aufrichtige Aufarbeitung der Familiengeschichte leisten will. Aber außer von seiner Mutter, die sich 1976 von Wolfgang Wagner scheiden lässt, schlägt Gottfried von seiner Familie nur Feindseligkeit entgegen.

Aber genau zu dieser Zeit findet Gottfried den Schlüssel zum so genannten Malersaal im Festspielgebäude. Er findet Fotos mit Winifried und Hitler, handgeschriebene Briefe und Dokumente. Beweise der Anhängerschaft zum Freund „Wolf“. Von der „Tragödie Bayreuth“ mit all den Erb- und Nachfolge-Querelen Mit 16 findet Gottfried in einem Holzschuppen bleibt Gottfried Wagner unbezwei Pappkartons mit Filmdosen. Gegen das Licht rührt. Aber er bekommt selbst gehalten findet er Aufnahmen der Großmutter im Ausland bei seiner Arbeit als Gottfried beschäftigt sich schon Winifried und anderer Familienmitglieder mit dem Regisseur zu spüren, wie weit im früh mit Bildern aus Wochen- Führer als weitere Beweise für die familiäre Ver- Kulturgeschehen die Macht des schauen, Illustrierten, Zeitungen ehrung des Führers. Familien-Clans Wagner reicht.

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