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KÖPENICKER SENIORENZEITUNG 6-2012

Christa Wolf zum ersten Todestag Wer erinnert sich nicht an sie? Ich glaube, jeder , der in der DDR gelebt hat, kennt ihren Namen und mindestens ein Buch: „Der geteilte Himmel“. Sie beschrieb darin ein so wichtiges Stück unseres Lebens, das auch verfilmt wurde mit Eberhard Esche und Renate Blume in den Hauptrollen. Christa Wolf hat wohl ständig geschrieben über unsere Wünsche, über die Widerstände in unserem Leben und in uns. Nicht immer war ich mit ihr einverstanden, weil es piekte, was sie schrieb. Einfach war es schließlich nicht und auch nicht so aktionsbetont wie heutige Bücher sind. Einmal war ich auch zu einer Lesung. Da saß vorn eine Frau, wie es sicher viele gab, nicht so aufgeputzt wie andere Prominente, nicht geziert, eher so, als wenn sie eine ältere Schwester wäre. Und sie las mit recht leiser Stimme aus einem Buch vor, wie es ihr in

ihrem Leben ergangen ist. Nicht geschraubt, aber treffend und manchmal überraschend im Ausdruck. Sie hat sicher viel gearbeitet an ihren Texten, denn sie waren wie aus einem Guss. Haben Sie sich mal mit ihrer „Kassandra“ oder mit „Medea“ beschäftigt? Mit „Kein Ort. Nirgends“ oder mit der „Sommergeschichte“? Ich erinnere mich auch an ihre Rede auf der Demonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz. Keine Aufforderung zum Umdrehen, nein, eine Aufforderung zum Denken. Leider musste es nun irgendwann so kommen, dass auch dieser Frau am Zeuge geflickt werden sollte. Eine unsägliche Behörde hatte etwas gefunden, was gegen sie verwendet werden konnte! Und schon stimmten alle ein in den Chor, stürzten sich auf sie, um sie zu demontieren. Warum eigentlich?

„Märchenzirkus…

Miriam Stephanie Reese: „Märchenzirkus“, Schauermärchen Verlag, Berlin 2912, 75 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-3-943002-o3-4 -en

Wie eine Weihnachtsgeschichte entsteht

…und wenn sie nicht gestorben sind“ ist der Titel einer Neuerscheinung im Schauermärchen Verlag (Berlin). Wir haben ja schon mehrere seiner Editionen annotiert. Diesmal hat sich die Autorin und zugleich Inhaberin des Verlags, Miriam Stephanie Reese, 15 der bekanntesten Märchen vorgeknöpft und verfremdet, scheinbar realitätsnäher dargestellt. Desillusionierend, aber spannend ist das allemal. Aufwendig, doch zu empfehlen wäre, die Märchen jeweils vorher noch einmal im Original zu lesen, um sie dann in der Schauermärchen-Version zu konsumieren, sich überraschen zu lassen und seinen Spaß daran zu haben.

Weiß in seiner strahlenden Sauberkeit liegt das Papier auf Bettis Schreibtisch. Heute muss die Geschichte entstehen. Der Verleger von der Zeitschrift „Die freundliche Bäuerin“ hat den Termin festgesetzt. Eine Weihnachtsgeschichte fordert er. Aber auf Bettis Stirn stehen unzählige Schweißtropfen und dahinter steckt nichts als Leere. Es ist ja auch August und der Wetterbericht hat 30° im Schatten angesagt. Wo soll ich jetzt und hier Weihnachtsstimmung hernehmen? Denkt Betti verzweifelt. Plötzlich hat sie aber doch eine Idee und nimmt das Schreibpapier, eine Kerze und Streichhölzer. Betti steigt in den kühlen, dunklen Keller. Hier findet sie auch noch den Karton mit dem Weihnachtsbaumschmuck vom vergangenen Jahr. Sorgfältig drapiert sie alles auf ein Regal, zündet die Kerze an, setzt sich auf eine der Kisten und lässt ihre Phantasie treiben. Bald erscheint auch die erste Idee und Betti schreibt und schreibt. Endlich schien die Arbeit fertig zu sein. Betti liest sich die Geschichte laut vor und denkt,

Sie hatte sich doch nie als eine moralische Überfigur präsentiert. Immer habe ich ihre Zweifel gespürt. Ich fand, in Christa Wolf hat man jeden DDR-Bürger angegriffen und beschimpft. Das Perfide hierbei ist, dass der „Angeklagte“ in diesem Fall beweisen soll, dass er ein Mensch ist! Das war 1992. Und deshalb habe ich ihr einen Brief geschrieben und über ihren Verlag ihr nachsenden lassen nach Los Angeles. Siehe da, es kam sogar Antwort, nicht gleich und nur kurz, denn sie musste in dieser Zeit viel schreiben und hatte auch ihr Forschungsthema. In meinem Brief fragte ich sie, wofür es sich jetzt noch lohnt (zu kämpfen). Und ich will hier diesen Teil ihrer Antwort zitieren: „Es lohnt immer, mitzuhelfen, daß nicht das Allerschlimmste passiert, und sei es nur, um sich selbst noch im Spiegel ansehen zu können.“ So werde ich sie in Erinnerung behalten. Christa Wolf, 18.3.1929 – 1.12.2011, beerdigt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Gesine Reinwarth besonders gelungen ist mein Werk ja nicht, aber der Termin drückt und der Verleger muss zufrieden sein. Nun sortiert sie noch das Papier und will die Kerze ausblasen, doch stattdessen fällt sie um und die mühsame Arbeit stirbt den Feuertod. Hektisch versucht Betti, die Flammen zu löschen. Es gelingt ihr auch, doch der Schreck hat sie tief gepackt. Sie sieht die Flammen hoch über das große Haus lodern, Menschen schreiend flüchten und sieht sich von der Polizei als Brandstifterin verhaftet. Langsam schleicht Betti die Treppe hinauf in ihre Wohnung, aber nicht ohne vorher noch einmal in alle Ecken zu gucken, ob nicht doch irgendwo ein Funken glimmt. Auf ihrem Schreibtisch liegen noch viele unbeschriebene Blätter. Jetzt, unter dem Eindruck des Erlebten, fällt ihr sofort eine spannende Weihnachtsgeschichte ein, sogar eine lustige, die außerdem einem Krimi sehr ähnelt. U. Schirmer

Jahrbuch erschienen Es hat schon seine Fangemeinde, das Jahrbuch Treptow-Köpenick, in dem viel zu lesen ist über Geschichte, Persönlichkeiten und viel anderes Wissenswertes über unseren Stadtbezirk. Jetzt ist der Jahrgang 2013 erschienen – der 12. Jahrgang dieses von Ehrenamtlichen geschriebenen interessanten Werks. Beziehen kann man es zum Preis von 9,95 € in allen gut geführten Buchhandlungen unseres Bezirks oder bei der Kunstfabrik in der Friedrichshagener Straße 9. Git


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