Menschenbilder Kreativer Querdenker, Kenner ferner Kulturen und begeisterter Menschenfotograf: Gert Chesi. In seinem aktuellen Bildband nimmt er sich gesellschaftlichen Randgruppen an und zeigt Menschen in einer bislang unbekannten Ästhetik.
Ein Pendler zwischen den Welten: Gert Chesi.
BIOGRAFIE Gert Chesi wurde 1940 in Schwaz geboren und ist Fotograf, Autor und Journalist. Seine Passion sind die Kulturen der Welt, bevorzugte Reisegebiete Afrika und Asien. In den 60er Jahren veröffentlichte er Publikationen von seinem Aufenthalt im Urwaldspital von Albert Schweitzer in Gabun. Seither beschäftigt er sich mit afrikanischer Kunst und veröffentlichte 1968 gemeinsam mit dem österreichischen Künstler Ernst Fuchs sein erstes Buch: „Im Zeichen der Sphinx“. Ende der 70er Jahre erreichte Gert Chesi durch den Bildband „Die letzten Afrikaner“ internationale Bekanntheit. Von seinen zahlreichen Reisen brachte er Fotografien und Reportagen mit sowie unschätzbare ethnographische Objekte, die Fundament seiner umfangreichen Sammlung sind. 1995 eröff nete Chesi das „Haus der Völker“ in seiner Heimatgemeinde Schwaz. Mit mehr als tausend Exponaten in ständigen Ausstellungsräumen sowie laufenden Sonderschauen liefert das Museum für Kunst und Ethnographie breitgefächerte Informationen zu den Kulturen der Welt. Gert Chesi lebt heute in Togo, Thailand und in Schwaz.
HAUS DER VÖLKER Gert Chesis Museum für Kunst und Ethnographie stand im Jahre 2009 kurz vor dem Aus, weil das angeschlossene Sozialpädagogische Zentrum mehr Platz brauchte. Man einigte sich auf einen Zubau, mit dem im Juni 2012 begonnen wurde. Das neue Haus der Völker mit 1000 m 2 Ausstellungsfläche soll im Mai 2013 wiedereröff net werden. Gert Chesi wird als Obmann des Fördervereines „Haus der Völker“ weiterhin die leitende Funktion übernehmen.
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Gert Chesi gründete 1960 den ersten Jazzclub Österreichs, 1962 hob er die Galerie „Eremitage“ in Schwaz aus der Taufe, die 1974 zum Jazzclub und Kulturverein umbenannt wurde. Noch heute ist das Lokal ein Kultur-Restaurant, in dem Gert Chesis Fotografien aus aller Herren Länder zum kultigen Interieur gehören. Es waren stets die Menschen, die ihn inspirierten und berührten. Beim Kaffeeplausch im „Haus der Völker“, das er seit 1995 als Museum für Kunst und Ethnographie führt, erzählt er: „Ich war immer ein Menschenfotograf. Mit der Zeit bin ich über das Porträt hinausgegangen, weil der Mensch in seiner reinsten Form nackt sein muss.“ Nackte Menschen im Bild würden den Entwicklungsgrad der Gesellschaft messen lassen: „Inwiefern es akzeptiert wird, wenn der Künstler seine Sicht von Nacktheit darstellt und inszeniert.“ In den Anfängen seiner künstlerischen Karriere hat das Bürgertum dies nicht mitgetragen. Nicht selten erntete er herbe Kritik. Heute kommen seine früheren Kritiker zu seinen Ausstellungen, um sich die einst verschmähte „Negerkunst“ anzusehen. Aber auch bei der Eröffnung seiner letzten Ausstellungen im Schwazer Rabalderhaus wunderte er sich: „Das gesetzte Bürgertum findet meine Bilder voller Nacktheit und Exotik wirklich gut? Ohne Aufschrei? Ich habe für mich folgende Lösung gefunden: Menschen, die in den 60er und 70er Jahren jung waren, haben eine gewisse nostalgische Verbindung zu diesen Motiven.“ Gert Chesi steht in einer ständigen Reflexion zum Menschen, die sich in Bildern und Worten widerspiegelt. „In den 70er Jahren wurde die Gesellschaft offener. Heute leben wir im Vergleich dazu in einer Diktatur: Man darf in Lokalen nicht mehr rauchen, man darf nicht schnell fahren und „oben ohne“ im Schwimmbad gilt als unmöglich. In den 70er Jahren war das kein Problem. Wir haben im Hinblick auf die Freiheit eine rückschrittliche Bewegung.“
Das innere Menschenbild Das Bild, das sich ein Mensch vom anderen macht, ist immer in einem Weltbild gefangen, das er aus ideologischen, religiösen oder ethischen Positionen bezieht. Diesem philosophischen Aspekt steht ein ganz realer gegenüber, der zeigt, was ist, und beschreibt, was sein sollte. In frühester Kindheit las Gert Chesi begeistert in Missionszeitschriften, in denen edle, wilde Menschen in Afrika abgebildet wurden. Als er mit 24 Jahren nach Gabun reiste und Afrika an der Seite von Albert Schweitzer zum ersten Mal kennen lernte, war er zunächst enttäuscht. Missionare steckten die Menschen in westliche, minderwertige Kleidung, sie durften plötzlich ihre Nacktheit nicht mehr zeigen. „Seither bin ich ein großer Gegner der Mission, weil sie den Menschen ihre Natürlichkeit geraubt hat.“ Das ursprüngliche Afrika, in dem Menschen mit Masken tanzen und vom Tourismus und anderen schädlichen Einflüssen noch weitgehend unberührt sind, ist längst Geschichte. Gert Chesi beobachtet eine christliche wie islamische Bigotterie und Prediger schüren die Angst der Menschen vor Verdammung. „Die Prediger werden reich, das
Land aber versinkt im Sumpf dieser Sektierer.“ Auch im Laufe seiner zahlreichen Reisen durch Indien und Thailand nahm er zunehmend eine Entfremdung von den Ursprüngen wahr. Eine Entwicklung ging vonstatten, die nirgendwo aufzuhalten ist. Doch wie wollen sich die dort lebenden Menschen selbst sehen?
Das andere Menschenbild Im Fotoprojekt „Menschenbilder aus anderen Welten“ rückte er ganz besondere Menschen in den Mittelpunkt, die sich selbst inszenierten. Die Protagonisten stammen aus drei gesellschaftlichen Randgruppen. Es sind Menschen, die im Umfeld afrikanischer Voodoogesellschaften leben, thailändische Transsexuelle und indische Eunuchen. Sie alle nehmen kulturelle und soziale Sonderstellungen ein, sie sind von ihrer Umgebung oft gefürchtet, selten geliebt. Unter diesen Umständen haben sie sich zusammengeschlossen und eigene Gruppen gebildet, die eingebettet in alte Kulturen neue Wege suchen. Ihre Rezeption innerhalb der Völker, denen sie angehören, ist problematisch. Nur selten erhalten sie Gelegenheit, sich als das zu präsentieren, was sie sein wollen, immer wird ihr Bild von anderen gestaltet, vorzugsweise von jenen, die ihnen mit Argwohn begegnen. Gert Chesi hat eine Fotoserie geschaffen, die abseits ethnografischer Kriterien auf einer künstlerischen Ebene diesen Menschen die
Möglichkeit gibt, sich selbst darzustellen. Attribute aus ihren Kulturen dienen als Hinweise auf ihre Herkunft. „Mir ging es um die Ästhetik, ich wollte niemals eine Ideologie verfolgen oder gar einem sexuellen Vorbild dienen oder entgegensteuern“, erklärt der Fotograf, dem vielfach Voyeurismus vorgeworfen wurde. Ursprünglich fotografierte er seine Nachbarn in Togo, für die Voodooriten alltäglich sind. Das Wort Voodoo stammt auch aus Togo und bedeutet Schutzgeist, aber auch Gott. Voodoo basiert nicht auf Schriften, sondern auf der Praktizierung von Riten. Gert Chesi erklärt die Entstehung seiner Idee: „Ich sah vorerst keine Möglichkeit, diese Bilder öffentlich zu zeigen. Erst als ich in Thailand den sogenannten Ladyboys begegnet bin, dachte ich an eine Gegenüberstellung dieser Parallelwelten.“
Das ästhetische Menschenbild Die Menschen haben sich selbst bemalt und aus einem Fundus an Requisiten ausgewählt, was sie tragen möchten. Fotograf Chesi hat sie in überhöhter Form dargestellt, wollte aber jegliche ethnografische Interpretation vermeiden. Im vorliegenden Bildband ist zu jeder fotografierten Gruppe eine Art Homestory zum zivilen Alltagsleben zu lesen, in den inszenierten Bildern werden die Menschen im rituellen Zusammenhang gezeigt. „Als ich die Gegenüberstellung fertig hatte, sah ich, wie ästhetisch die Bilder geworden waren und hatte Angst,