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MENSCH VOR MASCHINE
Der Osttiroler Hermann Erlach ist als General Manager von Microsoft Österreich sehr nahe am technologischen Puls der Zeit. Wir haben mit ihm über die Gegenwart und Zukunft der Informationstechnologie, Digital Wellbeing, die Zukunft der Arbeit und eine chancenorientiertere Wahrnehmung digitaler Transformation gesprochen.
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INTERVIEW: MARIAN KRÖLL
ECO.NOVA: Wir bewegen uns heute mit
dem Internet und allen darauf aufsetzenden Technologien, der Miniaturisierung der Hardware, immer leistungsstärkeren Smartphones, Apps und Cloud-Dienstleistungen in einer hochvernetzten Welt, in der fast alles mit allem zusammenhängt und zunehmend auch kommunizieren kann. Wie wird die Entwicklung aus Ihrer Sicht weitergehen? Steht uns – die Debatte hat vor allem Facebook jüngst angestoßen – tatsächlich so etwas wie
ein Metaversum ins Haus? HERMANN ERLACH: Die Technologiesprünge sind zwar enorm, gleichzeitig hat sich unsere Welt nur relativ wenig verändert, was die Abläufe, das Change Management und vor allem die menschliche Anpassungsfähigkeit betrifft. Wir sind als Menschen nicht wirklich viel schneller geworden. Die Technologien überholten uns teilweise, der Mensch hält mit dieser Entwicklung kaum Schritt. Das heißt, dass sich die Innovationsgeschwindigkeit an die Organisationen und Menschen anpassen wird müssen. Der Mensch steht im Mittelpunkt und nicht die Technologie. Davon sind wir bei Microsoft überzeugt. Ich bin kein Freund der Überregulierung, weil sie immer Innovationskraft bremst, aber bei gewissen Themen wie der Künstlichen Intelligenz müssen Regulatorien und Governance-Models geschaffen werden, die den Umgang mit diesen Themen regeln. Das Wichtigste ist mir persönlich, die Perspektive dahingehend zu verändern, dass wir mehr über die vielen Chancen der Veränderung reden und weniger über die Ängste und Gefahren. Darüber, wie uns die Technologie dabei helfen kann, die großen Zukunftsthemen zu bewältigen. In der Nachhaltigkeit – ein sehr wichtiges Thema – spielt die Technologie eine entscheidende Rolle, auch die Lehren aus Corona sind teils nur mit Technologie zu beherrschen. Von vielen unserer Kunden bekommen wir die Rückmeldung, dass – wesentlich auch durch die stärkere Verbreitung des Homeoffice bzw. der Remote Work – die Menge der Informationen rasant gestiegen ist. Wir haben als Microsoft begonnen, mit Technologie diese Informationsflut beherrschbar zu machen.
Ist damit das sogenannte Digital Wellbeing gemeint, das Microsoft seit gerau-
mer Zeit zu verfolgen scheint? Ja. Wir haben jahrelang auf den Produktivitätsfaktor gesetzt, der natürlich immer noch wichtig ist. Der nützt aber nichts, wenn es den Menschen nicht gut geht und sie nicht produktiv arbeiten können, weil sie aus allen Richtungen über sämtliche Kanäle gleichzeitig mit Daten und Informationen zugeschüttet werden. Um das wieder beherrschbar zu machen, muss man Technologie, insbesondere Cloud-Technologien, einsetzen.
Sofern ich das richtig interpretiere, geht es dabei darum, Daten zu strukturieren und zu priorisieren. Welche Rolle spielt
dabei das Maschinenlernen? Darum geht es, und das immer auf Basis des eigenen Nutzungsverhaltens. Dahinter steckt ein lernendes System, das den Menschen nicht bevormundet, sondern ihm bei der Priorisierung von Informationen hilft. Man stellt sich in der digitalisierten Arbeitswelt immer häufiger die Frage, wo gewisse Informationen zu finden sind, weil es immer mehr Kanäle gibt, über die Informationen übermittelt werden. Das ist mühsam. Deshalb denken wir ganz stark darüber nach, wie Technologie dabei helfen kann, eine Bedienungsoberfläche zu bieten, wo alle diese Informationen gebündelt werden.
ZUR PERSON
Der Osttiroler Hermann Erlach ist seit 2015 Mitglied der Geschäftsleitung und seit Mai 2021 General Manager von Microsoft Österreich. Der Diplomingenieur in Engineering und Industrial Management ist stolzer Vater einer elfjährigen Tochter und verbringt seine Freizeit gerne in den Bergen, bevorzugt am Mountainbike. Erlachs erklärtes Ziel ist es, die Digitalisierung des Wirtschaftsstandorts Österreich aktiv voranzutreiben.
„DIE TECHNOLOGIESPRÜNGE SIND ZWAR ENORM, GLEICHZEITIG HAT SICH UNSERE WELT NUR RELATIV WENIG VERÄNDERT. WIR SIND ALS MENSCHEN NICHT WIRKLICH VIEL SCHNELLER GEWORDEN.“
HERMANN ERLACH
Was hat Microsoft Österreich als Unter-
nehmen aus der Pandemie gelernt? Wir hatten eine extrem steile Lernkurve. In den ersten zwei Monaten hat sich die Cloud versiebenfacht, weil der Traffic so enorm gestiegen ist. Das war eine Kraftanstrengung. Diese Veränderungen haben aber für viele Unternehmen und Organisationen einen Innovationsschub und eine Art Befreiung gebracht, weil auf einen Schlag Dinge vorstellbar geworden sind, die wenige Monate davor noch undenkbar waren. Unternehmen haben eine Vertrauenskultur entwickelt. Sie glauben jetzt, dass ihre Mitarbeiter auch von zu Hause aus produktiv arbeiten können. Das war vorher in Österreich nicht so. Damit verbunden sind Fragen aufgetaucht, denen man sich widmen muss: Was heißt Kernarbeitszeit in diesem Kontext? Wann arbeite ich überhaupt? Früher war die Arbeitszeit damit assoziiert, für eine gewisse, vordefinierte Zeit in ein Gebäude zu gehen. Die Zeit, die man dort saß, wurde bezahlt.
Hat Corona auch bei einem Softwareunternehmen, das für die Remote Work geradezu prädestiniert scheint, Änderungen in der Unternehmenskultur ge-
bracht? Absolut. Wir befassen uns intensiv damit, wie sich die Arbeit in Zukunft weiterentwickelt. In Österreich haben wir ein vergleichsweise extremes Experiment durchlebt, weil uns die Vorgaben unseres Konzerns lange nicht gestattet haben, persönlich zusammenzukommen. Wir sind seit 19 Monaten mit der gesamten Belegschaft zu annähernd 100 Prozent im Homeoffice. Das führt dazu, dass wir heute sehr genau wissen, was in so einer Remote-Arbeitsumgebung funktioniert und was nicht. Eine ganz wesentliche Limitation sehe ich tatsächlich in der Innovationskraft.
Inwiefern? Produktives Arbeiten funktioniert teils von daheim sogar besser und wir haben gesehen, dass die Produktivität in einem hybriden Arbeitsumfeld gestiegen ist. Was dagegen schwierig ist: Gemeinsam Innovation zu treiben. Innovation kann geschehen, wenn man sich mit anderen Personen physisch in einem Raum aufhält, etwa bei einer Pizza, einem Glas Wein. Diese Atmosphäre virtuell nachzubilden, ist ganz schwierig. Der Zusammenhalt im Unternehmen und vor allem zwischen den Abteilungen lebt von der persönlichen Begegnung. Wer nur von zu Hause aus arbeitet, sinkt immer weiter in die eigene Abteilung ab. Der abteilungsübergreifende Austausch und damit auch die Identifikation mit dem Unternehmen leidet.
Die Zukunft wird also eine Mischform zwischen Präsenzarbeit mit sozialer Interaktion, mit gemeinsamen Veranstaltungen, und Remote Work sein? Es gibt dafür kein Copy & Paste. Jedes Unternehmen ist anders, hat eine andere Unternehmenskultur, andere Voraussetzungen. Deshalb kann man nichts kopieren, sondern muss seinen eigenen Weg finden. Wenn man von Remote Work redet muss man zudem aufpassen, dass man sich nicht in eine Blase begibt. 40 Prozent der Österreicher haben diese Möglichkeit gar nicht, weil sie physisch an ihren Arbeitsplatz gebunden sind. Microsoft hat erst unlängst eine globale Studie herausgebracht, in der mit einer Attrition Rate von 41 Prozent gerechnet wird. Das ist die Zahl der Mitarbeiter, die abwandern bzw. den Job wechseln möchte. Wir stehen am Anfang einer extremen Arbeitskräftewanderung, weil sich die Leute im Rahmen dieser Krise neu orientieren und häufig sagen: Das, was ich bisher beruflich gemacht habe, will ich nicht weitermachen. Viele Menschen wollen nicht länger pendeln, viele wechseln die Branche, denken Sie nur an den Tourismus. Wir haben in Österreich jetzt schon einen Arbeitsmarkt, der stark von einem „War of Talents“ geprägt ist. Es ist derzeit schon schwer, gute Mitarbeiter zu finden, und es wird noch schwieriger.
Innovation will auch Probleme lösen und Bedürfnisse wecken. Wie sieht Ihre Per-
spektive dazu aus? Der Innovationsbegriff ist ein sehr breiter. Man kann ihn sich als mehrstufige Pyramide vorstellen. Ganz unten steht die Modernisierung. Da wird vieles als Innovation verkauft, was eigentlich Modernisierung ist. Es ist leichter, bestehendes moderner zu machen als fundamental Neues ins Unternehmen zu bringen. Auf der zweiten Ebene stehen sogenannte Use Cases. Dahinter steckt tatsächlich ein Innovationsprozess. Ausgehend von konkreten Anwendungsfällen werden digitale Prozesse neu gebaut und dadurch Innovation geschaffen. Ganz oben auf dieser Pyramide steht ein Thema, das selten ist, über das aber am meisten gesprochen wird: Digitale Transformation. Das ist tatsächliche Änderung bzw. signifikante Weiterentwicklung des Geschäftsmodells.
Die vielzitierte Disruption? Eine solche geht häufig von kleinen, wendigen Unternehmen oder Start-ups aus. Große Unternehmen mit 10.000 und mehr Mitarbeitern tun sich enorm schwer mit einem derartigen Veränderungsprozess. Es ist eine Frage des Timings, wann man als großes Unternehmen in Veränderung investiert. Microsoft hat etwas beinahe Einzigartiges gemacht, nämlich antizyklisch zu investieren. Vor 15 Jahren, als noch lange nicht sicher war, dass das Thema Cloud tatsächlich groß wird, hat Microsoft damit begonnen, massiv zu investieren. Denn wenn der Hut brennt, ist es meistens zu spät, in die Digitalisierung einzusteigen.
Liegt die Zukunft in der Cloud und im
Ansatz „Everything as a Service“? Ich bin kein Cloud-Sektierer. Es wird immer hybride Anwendungsszenarien geben, aber auch Dinge, die mittlerweile reine Cloud-Themen geworden sind. Viele denken noch in der Entweder-oder-Kategorie: Mache ich etwas in der Cloud oder vor Ort, On-Premise? Das hat sich teilweise erübrigt. Modern-Workplace-Themen sind reine Cloud-Themen. Sobald es sich um Kollaboration und Kommunikation dreht, geht es in die Cloud.
Wenn es um geteilten Content in Echtzeit geht, ist also die Cloud gefragt? Und wenn es mobil und sicher sein soll. Aber auch bei
Big-Data-Anwendungen. Mittelständische Unternehmen haben kaum die Möglichkeit, sich um zwei Millionen Euro die Hardware dafür hinzustellen. Die Demokratisierung der IT – das heißt, dass jedes kleine Unternehmen für verhältnismäßig wenig Geld enorme Rechenpower nutzen kann – bietet dem KMU-Standort enorme Chancen. Sicherheit wird zudem immer wichtiger. Wirklich professionell lässt sich das eigentlich nur in der Cloud abbilden. Neben dem Mindset und den Regulierungen ist es die größte Innovationsbremse in Österreich, die passenden Mitarbeiter zu finden. Und auch da ist die Cloud für Mittelständler gerade in der Peripherie eine große Chance, weil man sich als sogenanntes Microservice für wenig Geld einen Innovationsprozess mieten kann, den man in seine Lösung einbauen kann. Die Cloud ist eine riesige Chance für das Mittelstandsland Österreich.
Microsoft will mehrere Rechenzentren
in Österreich bauen lassen. Es sind drei Rechenzentren, ein Verbund, der es auch der öffentlichen Hand erlaubt, stärker auf Services zu setzen, weil die Daten in Österreich bleiben und sämtliche Regulative eingehalten werden.
Ist Österreich ein guter Boden für Rechenzentren? Könnte man dasselbe nicht beispielsweise in Osteuropa viel billiger
haben? Es ist eine mutige Entscheidung, die gut überlegt und kalkuliert wurde. Einer der Treiber für die Investitionsentscheidung ist die Nachhaltigkeitsagenda von Microsoft. Wir wollen bis 2025 alle unserer Rechenzentren weltweit mit sauberer Energie betreiben. Diese Möglichkeit gibt es in Österreich. Wir bauen hier weltweit das effizienteste Datacenter, das 95 Prozent weniger CO2 emittiert als jedes andere Rechenzentrum im Land. Es ist ein Leuchtturmprojekt, über dessen Umsetzung ich mich als österreichischer General Manager sehr gefreut habe. Derzeit verbrauchen Rechenzentren ein bis zwei Prozent der weltweiten Energie, in 15 Jahren werden es zwischen 15 und 30 Prozent sein. Der Datenbedarf steigt so enorm, dass Effizienz in Rechenzentren das Thema schlechthin wird. Dabei geht es auch um die Umwelt.
Welche (auch digitalen) Kompetenzen sollten junge Menschen heutzutage aufbauen? Im Zentrum muss die Frage stehen, welche Kompetenzen braucht es, um Inno-
„INNOVATION KANN GESCHEHEN, WENN MAN SICH MIT ANDEREN PERSONEN PHYSISCH IN EINEM RAUM AUFHÄLT. DIESE ATMOSPHÄRE VIRTUELL NACHZUBILDEN, IST GANZ SCHWIERIG.“

HERMANN ERLACH
vation treiben zu können? Wir müssen mehr Menschen mit Fachkompetenzen, die wir brauchen, nach Österreich bringen. Das ist aber leider politisch ein sehr schwieriges Thema. Von den Arbeitskräften in Österreich würde ich mir mehr Mobilität wünschen, sowohl physisch als auch geistig, im Hinblick auf das lebenslange Lernen. Das ist in weiten Teilen der Bevölkerung noch zu wenig angekommen. Ich bin außerdem überzeugt davon, dass die Digitalisierung vor allem interdisziplinäre Skills treiben wird. Reine Fachexpertise genügt nicht mehr. Zweitens: Digitalisierung hängt mit Nachhaltigkeit zusammen. Wer keine Daten managen kann, kann auch keine Nachhaltigkeit managen. Dabei geht es nicht darum, gewisse Prozesse nicht mehr zu machen, sondern sie digital anders zu machen. Ein weiteres Thema ist der versierte Umgang mit digitalen Plattformen, um Innovation zu beflügeln, und das vierte Thema – ein Herzensanliegen von mir – beinhaltet Sicherheit, Datenschutz und Compliance. Das ist enorm wichtig, kann aber gerade für Österreich bei falscher Anwendung zum Innovationskiller werden. So kann etwa ein falsch interpretierter Datenschutz jede Innovation vernichten.