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DIE WISSENSCHAFT ÜBER DIE WISSENSCHAFT

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LUFT NACH OBEN

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Bereits seit 2014 forschen Wissenschaftler an der Universität Innsbruck intensiv im Bereich Metascience, deren Ziel es ist, den Prozess der Wissensgenerierung besser nachvollziehen zu können und ihn zugleich transparenter und offener zu gestalten – kurzum: Wissen robuster zu machen.

INTERVIEW: MARINA BERNARDI

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ichael Kirchler ist einer mehrerer Forscher, die sich an der Universität Innsbruck eingehend mit dem Thema Metascience auseinandersetzen. Warum es das überhaupt braucht, darüber – und über anderes – haben wir mit ihm gesprochen.

ECO.NOVA: Metascience ist quasi die Wissenschaft der Wissenschaft. Warum beschäftigt sich die Wissenschaft

mit sich selbst? MICHAEL KIRCHLER: Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Art der Qualitätssicherung. Wissenschaft und Forschung sind nichts, das irgendwann abgeschlossen ist, sondern ein sich laufend verbessernder Prozess. Die technischen Möglichkeiten entwickeln sich weiter oder der Zugang zu Proband*innen wird breiter. Somit verändern sich die wissenschaftlichen Methoden. Letztlich geht es darum, sich ständig selbst zu hinterfragen, sich weiterzuentwickeln und entsprechende Lehren aus diesen Entwicklungen zu ziehen.

Forschung und Wissenschaft sind also nie absolut? Im Bereich der Naturwissenschaften gibt es durchaus wissenschaftlich fundierte und wohl auch unumstößliche Fakten, die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, also der Bereich, in dem ich mich bewege, sind stets eine Momentaufnahme. Es kann vorkommen, dass Ergebnisse, die mit dem heutigen Wissens- und Technikstand erzeugt wurden, in zehn Jahren angepasst werden müssen, weil man neue, modernere Methoden entwickelt

„WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG SIND NICHTS, DAS IRGENDWANN ABGESCHLOSSEN IST, SONDERN EIN SICH LAUFEND VERBESSERNDER PROZESS.“

MICHAEL KIRCHLER

hat. Metascience spielt in diesem Veränderungs- und Verbesserungsprozess eine wesentliche Rolle, weil sie den Prozess der Wissensgenerierung kritisch hinterfragt.

Es geht dabei auch darum, Methoden transparenter und offener zu gestalten. Führt mehr Transparenz zu ande-

ren Ergebnissen? Vor allem erwartet man sich robustere Ergebnisse. Es geht darum, Ergebnisse breiter aufzustellen, nicht nur zwei oder drei Studien heranzuziehen, sondern 40 oder 50, Probandengruppen weiter zu fassen. Arbeitet man mit sehr kleinen Stichproben, kann es zu weit größeren Differenzen und Zufallsergebnissen kommen. Bei Stichproben mit einer großen Anzahl an Teilnehmer*innen glätten sich diese Zufälle heraus, die getroffenen Aussagen sind gesicherter.

Sie haben im vergangenen Jahr gemeinsam mit Kolleg*innen aus Stanford, Tel Aviv und Stockholm ökonomische Experimente in einem MRT-Scanner durchgeführt. Die Daten haben Sie zur Auswertung an 70 internationale Forschungsteams weitergegeben, die unabhängig voneinander die Auswertung derselben Daten durchführten. Und zu unterschiedlichsten Schlüssen kamen. Nun lässt sich schwer sagen, wer davon und ob überhaupt jemand falsch liegt. Was aber sagt das über die Sicherheit von Studienergebnissen generell aus?

In der Regel gibt es eine Forschungsfrage, die von einem Team bearbeitet wird. Vor allem im Bereich der Neurowissenschaften ist das mitunter schwierig, weil es sich um teilweise sehr komplexe Ausführungen handelt. Das Team entscheidet sich also für einen Analysepfad und erhält am Ende ein Ergebnis. Arbeiten mehrere Forscher an derselben Frage, steht am Ende als Durchschnitt all dieser Einschätzungen ein wesentlich besseres, fundierteres und klareres Bild und damit ein weitaus robusteres Ergebnis. Vielleicht mag es unter

den Teams ein paar Ausreißer geben, die fallen aber nicht so sehr ins Gewicht. Der Großteil der Auswertungen unterscheidet sich zwar – einmal mehr, einmal weniger –, aber am Ende steht als Querschnitt ein bedeutend gesicherteres Ergebnis als bei einem einzelnen Team. Und darum geht es. Dass Ergebnisse unterschiedlich ausfallen, liegt mehr in der Natur der Daten denn im Können der Forscher. Bei ganz einfachen Experimenten gibt es hingegen wenige Variablen, die Komplexität der Daten ist niedrig und somit werden sich die Ergebnisse kaum voneinander unterscheiden. Nun gibt es aber gerade in manchen Bereichen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften oft sehr komplexe Datensätze und folglich unterschiedliche Herangehensweisen. Es kann daher zu größeren Abweichungen der Teams untereinander kommen im Vergleich zu simplen Experimenten. Deshalb liegt aber eine Forschergruppe nicht eher korrekt als eine andere. Und genau deshalb ist es so wichtig, Fragen von verschiedenen Seiten zu beleuchten, um aus dem Schnitt aller zur wahrscheinlichsten Lösung zu gelangen.

Macht es demnach überhaupt Sinn, Forschungsfragen von nur einem einzigen

Team beantworten zu lassen? Gerade in unserem Bereich können wir bereits auf vielfältige Studien der letzten Jahre und Jahrzehnte aufbauen. Man fängt also fast nie bei null an. Und mit unseren Ergebnissen werden andere Teams später weiterarbeiten. Das ist die klassische wissenschaftliche Arbeitsteilung. Selbst wenn man aktuell als einziges Team an etwas arbeitet, ist man dennoch nicht allein. Die Ansätze der Metascience versuchen diesen Prozess zu beschleunigen, indem sie gleichzeitig 50, 70 oder 180 Teams zur selben Zeit am selben Thema forschen lassen. Hierin sehen wir die Zukunft, weil viele Teams das Rauschen und die Unschärfe aus den Ergebnissen nehmen. Bis dato ist dies über einen längeren Zeitraum, teilweise über Jahrzehnte passiert, indem man sozusagen „hintereinander“ geforscht hat, die Zukunft – und das hat auch die Pandemie und die Erforschung des Impfstoffes gezeigt – ist die Gleichzeitigkeit, bei wohl wesentlich robusteren Ergebnissen.

Kann Wissenschaft und Forschung jemals gänzlich objektiv sein? Im naturwissenschaftlichen Bereich – beim Gravitationsgesetz oder bei Auswirkungen von

© ANDREAS FRIEDLE

Mag. Dr. Michael Kirchler ist Professor am Institut für Banken und Finanzen der Universität Innsbruck und untersucht in Metascience-Studien vor allem die Wirtschaftswissenschaften und Psychologie.

CO2 auf die Atmosphäre – oder bei klassischen physikalischen Grundgesetzen gibt es wenig wissenschaftlichen Dissens. Je mehr man sich in Richtung Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und Psychologie bewegt, desto größer werden in der Tat die Unschärfen. Menschen verhalten sich nicht immer gleich.

Gibt es in der Forschung überhaupt fal-

sche Antworten? Wenn 70 Teams an derselben Forschungsfrage arbeiten und – vereinfacht gesagt – 67 die Frage mit „ja“ und drei mit „nein“ beantworten, werden die drei wohl nicht ganz richtig liegen. Wenn man bei seinen Forschungen das genaue Gegenteil der breiten Durchschnittsmeinung herausfindet, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass man falsch liegt. Motive, vom breiten wissenschaftlichen Kanon abzuweichen, sind dabei wohl nicht selten persönlicher Natur: Profilierungswille, Überoptimismus in die eigenen Fähigkeiten und Forschungen – manchmal glauben Wissenschafter auch tatsächlich an ihre Theorie, selbst wenn 99 Prozent der anderen zu einem konträren Ergebnis kommen.

Kann Metascience dabei helfen, Forschung „unvoreingenommener“ zu

machen? Letztlich muss man an jede Forschungsfrage unvoreingenommen herangehen und nicht auf ein Ergebnis „hinforschen“. Deshalb ist es für uns zum Beispiel auch eine Antwort, keine Antwort zu finden. Es darf auf keinen Fall so sein, dass man glaubt, ein Ergebnis müsse auf eine bestimmte Art und Weise ausfallen. Und entsprechen die Daten nicht den Vorstellungen, macht man vielleicht noch ein paar Extratests, um sein im Kopf erdachtes Ergebnis zu bestätigen. Damit das nicht passiert, ist es seit einigen Jahren üblich, dass man Studien präregistrieren muss. Es wird also schon im Vorfeld klar festgelegt, wie das Experiment designt und ausgewertet wird oder wer die Proband*innen sind. Erst dann wird mit der eigentlichen Arbeit begonnen. In der Medizin ist das schon länger der Fall. Auf diese Weise kann man nicht mitten im Experiment oder der Studie die Methodik ändern. Es ist eigentlich erstaunlich, dass diese Vorgehensweise in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften noch recht neu ist.

Rektor Wolfgang Fleischhacker, Manuela Groß, Vizerektorin für Finanzen und IT, Christine Bandtlow, Vizerektorin für Forschung und Internationales, und Wolfgang Prodinger, Vizerektor für Lehre und Studienangelegenheiten

ERFOLGSKURS FORTSETZEN

Der von Rektor Wolfgang Fleischhacker und seinem Team eingeschlagene zukunftsorientierte Weg der Medizinischen Universität Innsbruck geht in die Verlängerung. Mit 1. Oktober 2021 begann die zweite Amtszeit.

DIE UNIVERSITÄRE MEDIZIN SOLL IN DEN NÄCHSTEN VIER JAHREN IN INNSBRUCK WEITER AUSGEBAUT WERDEN. UNTER ANDEREM WERDEN FORSCHUNGSFELDER GESTÄRKT UND FÜR DIE ALLGEMEINMEDIZIN EIN NEUES, ZUSÄTZLICHES ERWEITERUNGSSTUDIUM GEPLANT.

Anfang März 2020 hatte der Universitätsrat nach positivem Votum des Senats einstimmig für eine weitere Amtszeit von Wolfgang Fleischhacker als Rektor gestimmt. Erstmals tritt damit ein Rektor an der Medizinischen Universität Innsbruck eine zweite Amtszeit an. Im Team gibt es dementsprechend auch nur eine personelle Veränderung: Peter Loidl hat nach acht Jahren im Amt des Vizerektors für Lehre und Studienangelegenheiten den geplanten Ruhestand angetreten. Ihm folgt der Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie, Wolfgang Prodinger, nach. Vizerektorin Christine Bandtlow (Forschung und Internationales) und Manuela Groß (Finanzen und IT) setzen ihre Arbeit in ihren bisherigen Ressorts fort.

VERBESSERTE ZUSAMMENARBEIT Gerade die vergangenen eineinhalb Jahre haben die Bedeutung universitärer Medizin und Forschung für die gesamte Bevölkerung sichtbarer gemacht. „Internationale wissenschaftliche Bemühungen haben uns mit der Impfung das Werkzeug in die Hand gegeben, die Pandemie zu beenden“, sagt Fleischhacker. Auch an der Medizinischen Universität Innsbruck wird in zahlreichen Forschungsprojekten zum Verständnis von SARS-CoV-2 und seinen vielfältigen dramatischen Folgen beigetragen. Zudem hat sich die Verbesserung der Kommunikationsprozesse und der Abläufe im klinischen Bereich in den vergangenen vier Jahren mit den tirol kliniken in der Pandemie bewährt. „Expertinnen und Experten der Medizin-Uni Innsbruck waren zum Teil federführend in allen Krisenstäben der tirol kliniken, des Landeskrankenhauses Innsbruck und des Landes Tirol vertreten“, erklärt Fleischhacker. Auch die entsprechenden Stäbe im Bundeskanzleramt und im Bundesministerium für Gesundheit wurden aus den Reihen der Medizin-Uni Innsbruck gestärkt.

Für Forschung, Lehre und Ausbildung sowie PatientInnenversorgung auf höchstem Niveau ist vor allem engagiertes und qualifiziertes Personal Voraussetzung. So hat das Rektoratsteam in der vergangenen Funktionsperiode eine sehr aktive Personalpolitik betrieben und 33 Professorinnen und Professoren berufen. Darüber hinaus wurden 27 Laufbahnstellen, die insbesondere für die Förderung von qualifiziertem Forschungsnachwuchs wichtig sind, besetzt. „Wir haben damit wichtige Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen“, erklärt Fleischhacker.

Ein weiteres Anliegen bleibt nach wie vor die Stärkung der universitären Pathologie. Die Modernisierung von Infrastruktur und Räumlichkeiten wird in Kürze abgeschlossen sein. „Gemeinsam mit den tirol kliniken und dem Land Tirol arbeiten wir gerade an neuen Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit. Durch die getätigten Investitionen von mehreren Millionen Euro konnten hierfür von universitärer Seite die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden.“

STARKER FORSCHUNGSOUTPUT

In fast allen Universitätsrankings ist die Medizinische Universität Innsbruck zuletzt vergleichsweise gut vertreten oder aufgestiegen. Besonders erfreulich war das Abschneiden beim Times Higher Education Young University Ranking. Beim Vergleich der in den vergangenen 50 Jahren „gegründeten“ Einrichtungen konnte sich die Medizinische Universität Innsbruck mit dem 19. Platz vor den Med-Unis Graz und Wien behaupten. „Die Medizin-Uni Innsbruck ist wegen ihrer Gesamtleistung, aber natürlich insbesondere der konsistent ansteigenden guten Forschungskennzahlen international deutlich sichtbar geworden“, resümiert Christine Bandtlow, Vizerektorin für Forschung und Internationales. So weist beispielsweise die aktuelle Wissensbilanz für 2020 auf den hohen Publikationsoutput der vergangenen Jahre eindrücklich hin. „Darüber hinaus werden wir unser Profil durch die Stärkung von Forschungsfeldern, wie ‚Seltene Krankheiten‘, der Präzisionsmedizin oder im Bereich der Organtransplantationen weiter schärfen. Am Standort gibt es hier bereits starke, interdisziplinär arbeitende Cluster.“ Wichtige Voraussetzung dafür seien die geplanten Investitionen in den Infrastrukturausbau, der unter anderem zu den Agenden von Manuela Groß, Vizerektorin für Finanzen und IT, zählt. Ein großes Zukunftsprojekt in diesem Feld ist das Bauprogramm „Klinik 2035“. Rund 43 Millionen Euro sind im Rahmen dieser Baumaßnahmen von Bund und Land Tirol für patientenorientierte Lehre und Forschung direkt am Klinikareal vorgesehen. „Die Modernisierungen sind wichtig, um unsere Erfolge in Forschung, Lehre und Krankenversorgung weiter ausbauen zu können.“

KONTINUIERLICH WEITERGEHEN Das hohe Niveau von Kennzahlen im Bereich der Lehre zu halten, ist eines der Ziele des neuen Vizerektors für Lehre und Studienangelegenheiten, Wolfgang Prodinger. Der Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie ist seit 2001 in verschiedensten, auch leitenden Funktionen im Bereich der Lehre an der Medizinischen Universität Innsbruck tätig. „In Bezug auf die Indikatoren der Studienplatzfinanzierung, dazu zählen beispielsweise die Zahlen prüfungsaktiver Studierender, liegen wir österreichweit an der Spitze“, erklärt Prodinger. So ist die Drop-out-Quote in allen Studienrichtungen an der Medizinischen Universität Innsbruck deutlich unter fünf Prozent, der Anteil der prüfungsaktiven Studierenden liegt bei rund 90 Prozent. Besonders stärken will der neue Vizerektor die Lehre in der Allgemeinmedizin. Im Oktober 2022 beginnt ein Erweiterungsstudium für Allgemeinmedizin. Studierende der Humanmedizin können sich dann schon während ihres Studiums mit den Inhalten dieses Faches ausführlicher auseinandersetzen. PR

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