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GEHEIMNISSCHUTZ
SIE HABEN EIN GEHEIMNIS?
Oder eine gute Idee oder sonst wichtige Daten? Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) bietet einen digitalen Service zum Nachweis des Zeitpunkts der Existenz von Daten und geistigen Vermögenswerten.
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TEXT: STEFAN WARBEK
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Rechte an geistigem Eigentum (so genanntes Intellectual Property, kurz IP) hat in der Regel nur der erste Entwickler. Häufig ist es für den Innovativen und Kreativen jedoch schwierig nachzuweisen, dass eine geistige Leistung bereits zu einem bestimmten Datum existierte. Kommt es wegen verratener Geheimnisse, geklauter Daten oder abgekupferter Ideen zu juristischen Streitigkeiten, stehen sie regelmäßig vor der Herausforderung, nachweisen zu müssen, dass sie der primäre Schöpfer sind und zu welchem Zeitpunkt die Schöpfung entstanden ist.
Welche Möglichkeiten bestehen also, um einen solchen Nachweis zu erbringen? Neben den herkömmlichen Beweismitteln wie Urkunden oder Zeugenaussagen gibt es im IP-Bereich nach wie vor „beliebte Klassiker“. Zum einen ist dies die Versendung eines Briefs an sich selbst. Diese Methode ist nicht zuletzt deshalb recht beliebt, weil sie verhältnismäßig kostengünstig und einfach ist. In einem Briefumschlag wird der mit der Information versehene Datenträger versiegelt und an die eigene Adresse versandt. Anhand des Poststempels des ungeöffneten Briefs ergibt sich der zumindest denkbar späteste Entstehungszeitpunkt. Zum anderen kommt die Verwahrung bei einem Rechtsanwalt oder einem Notar in Frage.
Inzwischen ist eine moderne Form der Beweissicherung dazugekommen: Im letzten Jahr hat die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) ihren neuen Onlinedienst WIPO PROOF (https://wipoproof. wipo.int/wdts/) gestartet. Die Plattform soll Innovative und Kreative dabei unterstützen, ihr geistiges Eigentum zu schützen, indem sie einen mit Datum und Zeitstempel versehenen digitalen Fingerabdruck (einen so genannten „Token“) für eine bestimmte digitale Datei erstellt, die auf die Webseite hochgeladen wird. Mit WIPO PROOF kann manipulationssicher nachgewiesen werden, dass eine digitale Datei zu einem bestimmten Zeitpunkt existierte. Da der Beweis fälschungssicher ist, ist er auch im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten als Beweismittel geeignet. Weiters könnte diese Technologie eine Grundlage für eine neue Art der formellen Registrierung von IP sein.
JETZT IST’S AMTLICH Der Nachweis, wann ein digitaler Inhalt von einem Benutzer erstellt wurde oder für ihn verfügbar war, ist mit herkömmlichen Methoden durchaus umständlich. WIPO PROOF bietet nun einen amtlichen Service, der eine digitale Datei beliebiger Größe und jeglichen Formats mit einem digitalen Fingerabdruck
mit Datums- und Zeitstempel versieht. So können Innovative und Kreative einen Token für Dateien mit ihren zum Beispiel Texten, Grafiken, Videos, Fotos oder Musikstücken anfordern.
Die WIPO-PROOF-Webseite ist für jedermann frei zugänglich. Der Dienst verwendet die bewährte kryptographische Public-Key-Infrastructure-Technologie (PKI-Technologie) zur Generierung der Tokens, somit sind Datum und Uhrzeit auf dem Token exakt abgebildet und nicht veränderbar. Der Token wird auf den Servern der WIPO gespeichert.
Wichtig zu wissen ist, dass die Datei selbst aber niemals auf WIPO PROOF hochgeladen wird. Auch der Inhalt der Datei wird von der WIPO weder gelesen noch gespeichert, es wird nur ein „Hash-Wert“ erzeugt, der die mit dem Token gekennzeichnete Datei eindeutig identifiziert. Nur der erzeugte Token muss heruntergeladen und mit der zugehörigen originalen Datei, die das jeweilige IP enthält, an einem vom Benutzer gewählten Ort gespeichert werden. Der Benutzer verfügt also weiterhin alleine über seine digitale Datei. Er kontrolliert aber auch als Einziger, ob seine Datei für einen zukünftigen Verifizierungsprozess verfügbar bleibt. Jede Änderung an der Originaldatei, auch jede noch so geringfügige Formatänderung, macht den Token ungültig, so dass keine Verifizierung mehr erfolgt. Es ist daher wichtig, dass die Originaldatei zusammen mit dem ursprünglichen Token sicher vor Änderungen aufbewahrt wird.
Im Fall einer Auseinandersetzung um den Entstehungszeitpunkt einer geistigen Leistung kann die Verifizierung des Tokens erfolgen. Dafür müssen Originaldatei und Token über WIPO PROOF hochgeladen werden. WIPO PROOF überprüft die Übereinstimmung des vom Benutzer gespeicherten Token mit dem ursprünglich über WIPO PROOF erzeugten Token. Das Prüfungsergebnis kann dann wiederum heruntergeladen werden. Die WIPO bewahrt den erzeugten Token gegen Zahlung einer Gebühr von CHF 20,00 für einen Zeitraum von fünf Jahren auf. Dieser Zeitraum kann gegen Zahlung der von der WIPO festgesetzten Verlängerungsgebühren jeweils um fünf Jahre verlängert werden.
BIETET WIPO PROOF EINEN SICHEREN BEWEIS? Wichtig ist zu bedenken, dass die über WIPO PROOF erzeugten Token nicht die Richtigkeit der in den Dateien enthaltenen Informationen bestätigen. Sie bestätigen nur die Übereinstimmung mit einer Originaldatei und damit die Existenz einer Datei mit einem bestimmten Inhalt zu einem bestimmten Zeitpunkt. Da laut WIPO ein Token aus WIPO PROOF nach den höchsten Standards für Integrität und Vertraulichkeit erzeugt wird, kann ein solcher auch nach österreichischem Prozessrecht als Beweis in Betracht kommen. Auch ein solches Beweismittel unterliegt – wie jedes andere Beweismittel – im Streitfall natürlich weiterhin der freien Beweiswürdigung eines Richters: Es bietet also keinen „apodiktischen, zwingenden“ Beweis. Weiters ist zu bedenken, dass WIPO PROOF die Anmeldung von Schutzrechten nicht entbehrlich macht, wenn geistige Leistungen nur durch registrierbare Schutzrechte wie Designs oder Patente rechtlich geschützt werden können.
Besondere Bedeutung kann WIPO PROOF in der Sicherung von Geschäftsgeheimnissen und in Design-, Patent- und Urheberrechtsstreitigkeiten zukommen: Seit einiger Zeit hängt eine rechtliche Anerkennung von Geschäftsgeheimnissen nicht mehr bloß von „subjektiven Einschätzungen“, sondern von konkreten, objektivierbaren Absicherungsmaßnahmen ab. Gerade im Bereich des Know-how-Schutzes können zum Beispiel Forschungsdaten (einschließlich biochemischer und genetischer Daten, Sequenzen usw.), Herstellungsprozesse, Rezepturen oder Software-Algorithmen in einer Datei nachweisbar abgespeichert werden.
Auch für Urheber ist die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Schöpfung eines kreativen Werks nachweisen zu können, ein wichtiger Aspekt für den Schutz ihrer Werke. Diesem

Dr. Stefan Warbek
Urhebernachweis kommt besonders bei Gemeinschaftsarbeiten Bedeutung zu, bei denen für verschiedene Werke (z.B. Musik und Text bei einem Lied) getrennte Urheberrechte gelten können. Dies kann dazu beitragen, künftige Unstimmigkeiten über Fragen der Urheberschaft oder des Zeitpunkts der Entstehung zu vermeiden.
Der Nachweis von Originalität und Urheberschaft kann auch im Designrecht von Bedeutung sein, insbesondere für „nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster“. Schließlich kann WIPO PROOF auch dazu dienen, ein „Vorbenützerrecht“ („prior use“) nachzuweisen: Wird ein Unternehmen wegen angeblicher Patentverletzung angegriffen und hatte das Unternehmen im Zeitpunkt der Patentanmeldung des Gegners die Erfindung bereits genutzt, geht der Vorwurf der Patentverletzung ins Leere. Insoweit ist es empfehlenswert, den Zeitpunkt der Entstehung von Erfindungen über WIPO PROOF nachzuweisen – gerade dann, wenn die Erfindung nicht über ein Patent geschützt werden soll, sondern als geheim zu haltendes Know-how genutzt wird.
Unabhängig von WIPO PROOF gilt aber weiterhin unverändert: Geistige Vermögenswerte erfordern eine Schutzrechtsstrategie. Langfristig lassen sich diese nur so wirtschaftlich erfolgreich umsetzen.
WARBEK RECHTSANWÄLTE
ist eine auf die Innovations- und Kreativwirtschaft spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei. www.warbek.at