eco.nova Juni/Juli 2020

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tirol.innovativ

P R O F. D R . M I C H A E L K R A X N E R H E A D O F R E S E A R C H & D E V E L O P M E N T, PROFESSOR FOR MECHANICAL PROCESS ENGINEERING AM MCI | THE ENTREPRENEURIAL SCHOOL®

INVESTITION IN HOCHQUALIFIZIERTES HUMANKAPITAL

Welche Technologien haben künftig das größte Potenzial – im Allgemeinen und im Speziellen in der Industrie? MICHAEL KRAXNER: Hier gäbe es eine Reihe von Optionen, allerdings ist eine gezielte Potential- und Relevanzanalyse für die gewünschte Prozessinnovation unerlässlich, um relevante Innovation im Unternehmen zu integrieren. Absolut gehypt ist zurzeit die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen und Arbeitsabläufen, welche gepaart mit künstlicher Intelligenz weitreichende Optionen eröffnen. Als Beispiele hierfür sind neben Preventive/Predictive Maintenance auch IOT-Systeme zu nennen, die aus dem Internetverhalten von Kunden den ferngelegenen Rohstoffeinkauf, die Produktion und die anstehende Logistik ebendieser Produkte in Echtzeit steuern. Bei allen verschiedenen Einsatzmöglichkeiten ist jedoch vorab die Sinnhaftigkeit zu hinterfragen, denn nicht alles ist nach der Digitalisierung zwingend effizienter bzw. besser. Somit gilt wie immer der Slogan „Never trust the hype“, weil vorab eine intensive Auseinandersetzung mit den zu erwartenden Effekten auf kurze und lange Sicht gemacht werden muss, um die Potentiale auch wirklich nachhaltig ausschöpfen zu können.

ECO.NOVA:

Welche Voraussetzungen braucht es für die Anwendung neuer Technologien? Qualifiziertes Fachpersonal für die Auswahl und Integration von Technologien, Breitband-Infrastruktur und exzellente Cybersecurity, Experten in der Datenanalyse und Interpre-

tation sowie reflektierende Mitarbeiter mit Willen zur ständigen Veränderung

Wo steht Tirol?Aufgrund fehlender natürlicher Ressourcen (mit Ausnahme von Wasser) ist dem internationalen Wettbewerb hierzulande nur durch Investition in hochqualifiziertes Humankapital zu begegnen. Tirol hat in den genannten Voraussetzungen hinsichtlich Personal eine gute Ausgangsposition. Die Lehrlingsausbildungsstätten, Schulen und Hochschulen hierzulande bilden exzellente Fachkräfte aus. Leider ist die Nachfrage von Auszubildenden in den bekannten Zukunftsfeldern stark ausbaufähig, weswegen eine Zuwanderung von Fachkräften unerlässlich ist. Hinsichtlich des Infrastrukturausbaus hat das Land Tirol mit den Breitbandanbietern eine Vorreiterrolle in Österreich eingenommen. Österreich war zudem erstes 5G-Testland in Europa. Die Coronakrise hat auch Abhängigkeiten von anderen Märkten aufgezeigt. Werden technologische Innovationen auch dazu

beitragen können, weniger global, sondern wieder mehr lokal produzieren zu können? Ja, das ist möglich, sofern Produktionen nicht aufgrund von Ressourcen- und Rohstoffverfügbarkeit an ferne Standorte gebunden sind. Die vor Jahren anvisierten Produktionsländer industrieller Großkonzerne wie China oder Indien haben ihren Charme verloren. Steigende Lohnkosten, fehlende örtliche Qualifikationsniveaus und steigende Unsicherheiten für entsandte heimische Experten in der Ferne haben die Attraktivität schwinden lassen. Die laufende Digitalisierungs- und Automatisierungswelle lässt den Lohnkostenvorteil schwinden. Zukünftig verschiebt sich das Qualifikationsniveau des Personals hin zu mehr Experten, die dünn gesät sind und unabhängig vom Ort auf dieser Erde ihren Preis haben. Somit gilt es Humankapital in relevanten Berufsfeldern vorausschauend und in relevanter Anzahl hierzulande aufzubauen bzw. auszubilden, um Produktionen in hochindustrialisierter Weise wertschöpfend zu halten und heimzuholen. Das Rennen um die schlausten Köpfe hat längst begonnen, jedoch zählt Österreich eher zu den Exportländern hierbei. Deswegen ist die Politik gefordert, neben attraktiven Wohnsituationen und Familienunterstützungsprogrammen für heimische Fachkräfte auch Integrationsmodelle für ausländische Experten sowie internationale Schulen aufzusetzen, sodass Tirol nicht nur zur Hochsaison im wöchentlichen Rhythmus des Urlauberwechsels gastfreundlich ist.

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