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chon die erste Ausstellung der Architekturstiftung Südtirol und des Südtiroler Künstlerbundes im Jahr 2006 in Meran hat gezeigt, wie lebendig und innovativ die Architekturszene jenseits des Brenners in den vergangenen Jahren geworden ist. 2012 folgte eine Neuauflage, weil vor allem seine besondere geopolitische und kulturelle Dimension Südtirol weithin zu einer wahren „case history“ zeitgenössischer Baukunst macht, sich das Land auch in der Architektur immer weiter von traditionellen Mustern befreit und seinen eigenen Stil findet. Hier trifft der schroffe Berg auf südliche Milde. Das spiegelt sich auch in der manchmal etwas schizophren wirkenden Architektur wider. Lange fehlte in Südtirol der Mut, sich aus gewachsenen Traditionen zu lösen. Die Natur, die Umgebung gab den Rahmen vor, innerhalb dem man sich bewegt hat. Kühnheit war der Südtiroler Sache nicht. In den letzten gut 20 Jahren hat sich das Bild gewandelt, die Architektur ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht, wurde innovativer, charakterstärker, mancherorts vielleicht auch ein bisschen vorlaut. Geschadet hat’s nicht. Im Gegenteil. Dass diese Evolution indes nicht reibungslos verlief, erklärt der Südtiroler Architekt Zeno Abram im Vorwort des aktuellen Südtiroler Architekturführers: „Die Konflikte zwischen Dorfentwicklung, Landwirtschaft, Tourismus und Natur sind beträchtlich. Urlauber suchen unverfälschte Natur, der Bauer will seine Flächen möglichst produktiv verwerten, die alte Tiroler Baukultur weicht hybriden Formen. Bauten sind die sichtbaren Zeichen dieser einander wiederstrebenden Kräfte. Schließlich entsteht Architektur infolge von wirtschaftlichen Abläufen und gesellschaftlichen Anliegen. Um es ganz einfach zu sagen: Es ist die Wirtschaft, die Chancen für die Architektur bereitet. Natürlich spielt auch der Wohnungsbau eine Rolle, genauso wie Schulen, Kirchen und andere öffentliche Einrichtungen gebaut werden. Doch der Bedarf
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„DURCH DIE BEZIEHUNG ZUR LANDSCHAFT GEWINNT DIE ARCHITEKTUR AN EIGENART. DURCH DAS ANPASSEN, ANFÜGEN, MODELLIEREN IM GELÄNDE ENTSTEHEN SICHTACHSEN, KULISSEN UND FREIRÄUME VERSCHIEDENSTER ART.“ Architekt Zeno Abram, aus: Südtiroler Architekturführer
an Schulen war in den Jahren nach 1970 gedeckt, in den Achtzigerjahren war der soziale Wohnbau das zentrale Anliegen der öffentlichen Hand und ab 1990 waren wieder andere Aufgaben vorherrschend: Die Architektur reagiert auf diese sich ändernden Ansprüche der Gesellschaft.“
CULTURE-CLASH
Südtirols Baukultur ist geprägt von der wechselvollen Geschichte des Landes, wie es der Südtirol Tourismus erklärt. Der Adel hinterließ über die Jahrhunderte zahlreiche Burgen, Schlösser und Ansitze. Kirchenbauten und Klöster aus allen Stilepochen sind Zeugnisse einer Architektur Südtirols, die von der religiös geprägten Gesellschaft Tirols beeinflusst wurde. Mit dem Anschluss an Italien fließt der italienische Rationalismus mit seinen geometrischen Formen, seiner Funktionalität und Monumentalität mit ein. Heute bestimmen ein schonender Umgang mit der historischen Bausubstanz, der Einsatz heimischer Materialien und Respekt vor der Umgebung die Architektur des Landes. Garniert mit viel Kreativität, Innovation und dem Mut, Neues zu probieren und damit an manchen Stellen auch anzuecken. Südtirols Architektur ist erwachsen geworden. Architektonische Revolutionen sind in Südtirol übrigens eher im ländlichen Bereich passiert. Was Abram vorrangig mit den zwei Kulturen erklärt, an deren Schnittstelle Südtirol sitzt: „Die ita-
lienische Bevölkerung des Landes hat eine ausgeprägte Stadtkultur, der auch die Architektur Rechnung trägt: Ihre Bauten spiegeln meist die moderne Szenerie der urbanen Zentren. Für sie zählen die Vorbilder aus Mailand, Florenz, Rom. Die innovative Architektur siedelt sich mehr im ländlichen Bereich an. Während am Land die Privatinitiative stark ist und Planern den nötigen Freiraum bietet, sind die Städte oft in der Hand von Investoren. Diese haben meist starre Vorstellungen und gezielte Forderungen. Die öffentliche Verwaltung wiederum schickt Architekten durch eine Menge an Auswahlverfahren, Planungsstufen und über bürokratische Hürden. Der entwerferische Elan bleibt da leicht auf der Strecke. Abseits der Stadtzentren kann sich architektonische Kreativität entfalten. Hier findet die von den deutschsprachigen Südtirolern geprägte Architektur meist ihren Ort: Sie erscheint vielfach in malerischen Naturlandschaften und bewegtem, geneigtem Gelände. Das macht die Entwürfe schwieriger, aber lebendiger.“ Eine Auswahl an innovativer, kreativer und mutiger öffentlicher wie privater, ländlicher und urbaner Architektur finden Sie im Anschluss. Was Sie in Südtirol sonst noch sehen müssen, wenn Sie sich für Architektur interessieren, finden Sie im Südtiroler Architekturführer, Edition Raetia, 176 Seiten, EUR 17,90