Der Schatz der Spionin - Teil 2 der Yurumi-Reihe

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Bernd Gieseking

Der Schatz der Spionin

Yurumi-Gang, Band 2

Illustrationen von Bettina Brökelschen


Yurumi-Gang Der Schatz der Spionin Alle Rechte vorbehalten. DSW21 Deggingstraße 40 44141 Dortmund www.yurumi-gang.de Yurumi-Gang ist ein eingetragenes Warenzeichen von DSW21, deinem Unternehmensverbund für das Leben in dieser Stadt. Denn Zukunft braucht Bewegung.

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt ISBN: 9783839120613 Bibliografische Information der Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesen Titel in der Deutschen Nationalbibliothek, deatillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. DSW21 2009 Autor: Bernd Gieseking Illustrationen: Bettina Brökelschen Satz und Layout: Christine Wand-Kunert


Bernd Gieseking

Der Schatz der Spionin

Yurumi-Gang, Band 2

Illustrationen von Bettina Brökelschen



1 Anfang am Hafen Maradonna erzählt Hallo, ich bin es wieder, Maradonna. Ich bin jetzt noch sauer, wenn ich daran denke. Ich war an dem Tag voll ge­ nervt. Es war der Tag, an dem das zweite große Abenteuer der Yurumi-Gang begann. Ich wollte raus, zu meinen Freunden von der Yurumi-Gang, zu Musti und Doktor. Ich wollte mit ihnen in den Zoo fahren und Sandra füttern. Sandra ist eine Ameisenbärin und wir haben eine Patenschaft für sie übernommen. Aber ich musste Schlagzeug üben. In einem Container. Im Dortmunder Hafen. Das war so ätzend. Es war sehr, sehr warm. Ich schwitzte. Nur ein Lichtstrahl fiel durch die Tür herein. Um mich herum die Metallwände des Containers, auf die die Sonne brannte. Ich dachte, ich würde sogar lieber zu Hause aufräumen, wenn ich endlich aufhören könnte zu üben. Ich würde den Abwasch machen. Sogar eine Woche lang. Nein. Stopp. Eine Woche wäre zu lange. Aber zwei Tage lang würde ich den Abwasch machen. Oder einmal mein Zimmer aufräumen. Nein. Stopp. Mein halbes Zimmer aufräumen. Da! Wie Makka mich jetzt ansah. Makka ist mein Schlagzeuglehrer. Cooler Typ eigentlich. Aber grad hatte ich keinen Bock, hier zu üben. Makka sagte etwas, aber ich hörte es nicht richtig. Kinder üben Schlagzeug mit Ohrschützern oder mit Stöpseln im Ohr. Also, ich hätte schon hören können, was Makka sagte, aber ich wollte nicht. Na gut. Ich nahm den Stöpsel aus dem linken Ohr. Und schon hörte ich ihn. Er hat eine tolle, tiefe Stimme. Der

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singt auch cool. Aber er sang grad nicht. Er nölte! „Maradonna, konzentrier dich. Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders.“ „Ach, Makka!“ „Stick control. Du musst mit deinen Fingern genau kontrollieren, was die Trommelstöcke machen.“ „Ich weiß, Makka!“ „Dann denk auch dran und mach es auch!“ „Ja, aber...“ „Nix aber. Du hast dein Tempo verschleppt. Maradonna, du bist der Motor der Band. Ohne dich stottern alle. Du legst den Groove, den Rhythmus, du bist das Fundament!“ „Aber ich hab noch gar keine Band!“ „Kein Wunder!“ „Oh, Makka, du bist gemein!“ „Nein, Maradonna, du bist sehr gut, wirklich, du entwickelst dich fantastisch. Aber du musst noch mehr dran bleiben. Du musst üben, üben und üben. Die Bewegungen müssen ganz automatisch kommen, deine Muskeln müssen genau

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wissen, was sie tun, ohne dass du noch darüber nachdenkst.“ „Ich kann nicht mehr!“ „Maradonna, du bist mir heute zu unkonzentriert. Ich muss jetzt rüber zu Century Media zur Arbeit.“ Century Media ist ein Plattenlabel, die machen Platten mit Heavy Metal Bands. Und Speed Metal. Schnell und hart. Die arbeiten weltweit, aber die sitzen hier bei uns in Dortmund im Hafen. Cool, oder? Und da arbeitet Makka. Makka unterbrach wieder meine Gedanken. „Spiel langsam und präzise. Das merken sich deine Muskeln. Wir stellen dein Metronom auf 92. Ich geh jetzt rüber zur Arbeit. Also, in drei Tagen wieder hier?“ „Ja, Makka.“ „Mehr Begeisterung!“ „Geh arbeiten!“ „Der Unterricht mit dir ist eigentlich Arbeit genug!“ „Das war gemein, Makka.“ „Ja. Entschuldige.“ „Das reicht also, wenn man gemein war? Einfach nur: Entschuldige?“ Makka grinste mich an. „Hatte ich dir schon letztes Mal sagen wollen – wenn du dich weiter so entwickelst, wenn du dran bleibst und übst, darfst du demnächst mal bei meiner Band im Übungsraum ein oder zwei Songs mittrommeln.“ „Echt?“ „Klar. Wenn du übst! Also, hau rein!“ „Habt ihr endlich einen Namen für die Band?“ „Nein, immer noch nicht.“ Ich grinste und sagte: „Nenn sie doch: The Terrible Drum Teachers.“

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„Die schrecklichen Schlagzeug-Lehrer? Jetzt bist du gemein, Maradonna!“ Aber Makka lachte auch. Dann stellte er das Metronom auf 92 Schläge pro Minute. Das Metronom ist ein Taktgeber, der mit Pieptönen oder Leuchtzeichen die Schläge pro Minute anzeigt. Er ging und sagte noch über die Schulter: „Üb noch. Du hast es wirklich drauf!“

2 Beinharte Kontrolle Onkel Herbert erzählt Also, ich bin Onkel Herbert. Ich bin der Onkel von Clara, also von Maradonna. Den Namen hat sie von mir. Immer wenn sie mich nervt, wenn sie zum Beispiel stundenlang Fußball spielt und auf mein Garagentor schießt und rumbollert, dass ich keinen Mittagsschlaf machen kann, dann rufe ich: „Maradonna, Donna Clara!“ Und als ich das zum allerersten Mal gerufen hatte, war es, als ob wir Clara auf den Namen getauft hätten. Am nächs­ ten Morgen hieß sie bei allen so. Aber sie spielt auch wirklich gut Fußball, so wie dieser ehemalige Fußballstar aus Argentinien, Maradona. Sie hat einen Hammer-Schuss. Mit dem hat sie letztes Jahr sogar einen Verbrecher ausgeknockt. Was rede ich. Zwei Verbrecher hat sie ausgeknockt. „Mantel“ hieß der eine und der andere, sein Boss „Klunker“. Klunker natürlich, weil er lauter Ketten um den Hals und Ringe an den Fingern hat, und Mantel, weil der immer, egal

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wie warm es ist, in einem langen Mantel rumrennt, als wäre er grad aus einem Western-Film gesprungen. Ich hatte der Yurumi-Gang, Clara und ihren Freunden Mustafa und Richard, damals ein bisschen geholfen, die Gangster zu fangen. Ich arbeite im Container-Hafen und fahre hier die Container-Brücken. Und ein alter Container steht jetzt hier im Hafen, ein wenig abseits, und den habe ich als Übungsraum für Clara fertiggemacht. Hier kann sie Schlagzeug üben, ohne irgendjemand zu stören. Bei uns in Hörde wohnte ja der alte Stapenhorst nebenan, und der beschwert sich schon wegen Ruhestörung, wenn nur einer hustet. Ich hatte gerade Schichtende und wollte mal sehen, ob Clara vielleicht grad üben würde. Heute müsste sie eigentlich bei Makka Unterricht gehabt haben. Tatsächlich, die Tür zum Container stand offen. Und gerade als ich kam, trat Makka raus. Als er mich sah, sagte er: „Herbert. Grüß dich. Was machst du hier?“ „Na, bisschen zuhören.“ „Du bist der einzige, den ich kenne, der Spaß hat, beim Trommel-Unterricht zuzuhören.“ „Naja, war eben immer ein Traum von mir.“ „Nimm doch Unterricht.“ „Jetzt? Wo ich so ein alter Dösel bin? Nee, die Zeit habe ich verpasst.“ „Schade. Herbert, ich muss weiter, die Arbeit ruft.“ „Grüß die Jungs in deiner Plattenfirma.“ „Danke. Mach ich. Bis bald. Und pass auf, dass Maradonna noch ein bisschen übt.“ „Bestimmt. Machs gut!“ „Machs besser!“

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Und dann ging Makka, während vor mir die Container-Tür aufschwappte. Heraus kam Clara, den Rucksack über der Schulter. „Maradonna, Donna Clara! Wo willst du schon wieder hin?“ Clara sah mich an und sagte: „Oh nein!“ „Muss ich was sagen?“ „Onkel Herbert, bitte!“ „Nix!“ „Muss ich wirklich noch?“ Ich nickte. „Manno! Makka und du, ihr haltet immer zusammen!“ „Weil wir das Beste für dich wollen!“ „Ich weiß aber selber am besten, was das Beste für mich ist!“ „So, was ist denn das Beste für dich?“, fragte ich. „Wenn ich mich mit den Yurumis treffen kann und wenn wir Sandra im Zoo füttern.“ Ich lachte Clara an und sagte: „Dann muss das Beste wohl noch ein bisschen bis nach der Übungsstunde warten!“

3 Clara schmollt Maradonna erzählt Ich war total sauer auf Onkel Herbert. Da stand er und passte auf, dass ich weiter üben würde. Ich wollte aber weg. Ich schmollte und setzte mich noch mal hinter mein Schlagzeug. Als ich anfing, sagte ich deshalb trotzdem noch mal: „Onkel

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Herbert, Ich hab keine Zeit mehr zum Üben. Ich muss zu den Yurumis.“ Und er antwortete in diesem typischen Dortmunder Slang: „Erzähl mir nix. Ihr trefft euch immer erst später.“ „Aber heute nicht! Heute treffen wir uns eher.“ „Mir egal. Üben!“ „Ach, Onkel Herbert! Bitte!“ Und jetzt wurde Onkel Herbert mit einem Mal ganz still. Dann sah er mich lange an und sagte endlich ganz langsam und leise: „Maradonna, ich sage dir jetzt was. Ich wollte mein Leben lang Schlagzeuger werden. Und was war? Keile hab ich gekriegt von deinem Opa! So war das! Ich durfte das nicht. Ich wäre froh gewesen, wenn ich damals Musik hätte machen können. Und du hast heute keine Lust? Du übst jetzt weiter, ist das klar?“ Ich wusste genau, was Onkel Herbert als nächstes sagen würde. Das erzählte er jedes Mal, wenn er bei mir im Übungscontainer war. Und da ging es auch schon los. „Ich wollte Musiker werden, Clara. Aber wir hatten kein Geld für so was und sowieso auch keinen Platz für so was. Wo hätten wir denn zu Hause ein Schlagzeug hinstellen sollen? Du kennst doch noch die Butze von deinem Opa. Wir Jungs alle in einem Zimmer, das Wohnzimmer, die Küche! Stell dir das mal vor.“ Ich brauchte mir das gar nicht vorstellen. Ich kannte die kleine Wohnung von Opa Stollen genau. Opa hieß Opa Stollen, weil er unter Tage gearbeitet hatte und immer erzählte, wie es unten in den Stollen gewesen war, wie schwer die Arbeit war und wie heiß unter Tage und das alles. Onkel Herbert redete weiter: „Und du hast hier alles und machst nix!“

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Ich sagte nur: „Aber ich hab doch schon geübt. Ganz lange. Und Makka hat mich gelobt!“ Aber Onkel Herbert hörte gar nicht richtig zu. Seine Gedanken wanderten zurück, in seine Jugend und er redete einfach weiter: „Ich wollte Musiker werden, und was bin ich heute? Containerbrückenfahrer. Und abends hör ich mir die Platten von früher an.“ Und er wiederholte sich dann dauernd: „Ich hatte keinen Platz für ein Schlagzeug. Und du hast hier alles und machst nix! Ich hab dir extra den alten Container hier in den Hafen gestellt. Hier kannst du üben so lange du willst.“ Er hatte zwar ein bisschen recht, aber warum sollte ich denn jetzt üben, nur weil er das früher gar nicht durfte? Ich sagte: „Hier kann ich üben, so lange DU willst, Onkel Herbert!“ „Mensch, Clara. Hier störst du keinen! Und dein Schlagzeuglehrer arbeitet auch gleich um die Ecke. Century Media liegt quasi nur über die Straße! Los, jetzt mach und üb.

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Alles andere sind brotlose Künste, aber Schlagzeug! Ich weiß noch, damals...“ Das kannte ich schon. Dies ewige „damals“. Aber Onkel Herbert ließ sich auch von meinem genervten Blick nicht aufhalten und redete weiter. Begeistert. Mit leuchtenden Augen. „Ja, genau, damals! Am 17. Juni 1980. Da war Led Zeppelin in der Westfalenhalle. Ihre letzte Tour. Und ich war dabei! Oder 1970. The Who in Münster. Mit Keith Moon. Das war das Größte, was ich je gesehen und gehört habe. Ich weiß noch genau, wann das war! 12. September. Da bin ich hingefahren. In meinem ersten Käfer!“ Onkel Herbert erzählt Clara schaute mich ganz verdattert an. „In einem Käfer?“, fragte sie entsetzt. „Da kannst du mal sehen, wie jung du bist. Das war ein Auto. Von VW. Eine richtige Legende in Deutschland. Den haben die später noch mal gebaut. Bis vor ein paar Jahren sogar. Der hieß dann Beetle.“ Clara hatte die Stirn kraus gezogen. „Ach so, DER Käfer. Den kenne ich. Mama hatte doch früher auch einen. Den kenne ich von den Fotos.“ „Eben. Und mit so einem war ich damals unterwegs von Konzert zu Konzert. Ich war ein richtiger Fan. Bin ich heute noch. Auch von dem Auto. Das ist ja heute ein richtiger Oldtimer.“ Clara lachte: „Wie du!“ Das war zu viel! Es platzte aus mir heraus: „Maradonna, Donna Clara! Los, üb jetzt!“

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Sie stöhnte: „Ich kann nicht!“ Sie schlug einmal auf die Snare. Sie sah wirklich unglücklich aus. Ich verstand ja, dass sie nicht immer Lust hatte zu üben, aber ich wollte sie motivieren. „Und wie du das kannst! Und, Clara, ich hatte dir das noch nicht gesagt, aber den Käfer von damals, den habe ich immer noch.“ „Echt? Wo steht der denn? Den hab ich noch nie gesehen.“ „Der steht in einer Garage beim Hafen. Und wenn du das erste Mal spielst, dann fahr ich in dem Käfer zu dir. Zu deinem Konzert! So wie damals zu The Who... Und jetzt mach!“ Sie ergab sich in ihr Schicksal, steckte die Ohrstöpsel in die Ohren, stellte das Metronom an und begann. Erst haute sie ein paar Mal schwer neben den Takt, aber dann kam sie wieder rein und spielte sauber und, glaube ich, wirklich begeistert. Ich schlich mich aus dem Container, um ihr konzentriertes Üben nicht weiter zu stören. 4 Dortmund-Gang Ein Busfahrer erzählt Ich kam mit meinem Bus an die Haltestelle. Dort wartete ein Mädchen. Rucksack auf dem Rücken und Skateboard unter dem Arm. Das Mädchen kannte ich gut. Erstens aus der Zeitung und zweitens aus meinem Bus. Sie fuhr häufig mit meiner Linie mit und meistens zusammen mit zwei Freunden, mit zwei Jungen. Ich öffnete die Bustür,

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sie stieg ein und zeigte mir ihr SchokoTicket. „Ah, die Jogi-Gang. Jedenfalls eine davon!“ Das Mädchen blinzelte mich an. Dann sagte sie langsam und deutlich: „Yurumi-Gang!“ Und dann wiederholte sie langsam und deutlich für mich: „Yu-ru-mi!“ Sie schaute mir in die Augen und fügte hinzu: „Und ich weiß, dass Sie das extra falsch aussprechen!“ Ich lachte und sagte: „Ja, stimmt! Ich habe alles über euch in der Zeitung gelesen.“ Sie lachte auch. Sie setzte sich hinter mich und ich sagte, während ich anfuhr und mich in den Verkehr einfädelte: „Das war aber auch ein Ding, das ihr erlebt habt letztes Jahr. Wo sind denn die anderen?“ „Wir treffen uns gleich am Zoo!“, antwortete sie. Ich setzte den Blinker und fuhr an die nächste Haltestelle. Hinten im Bus wollten zwei aussteigen. „Ich bin jedes Mal stolz, wenn ihr in meinem Bus mitfahrt, zum Zoo.“

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In meinem Innen-Rückspiegel sah ich, wie das Mädchen grinste. Und dann sagte sie: „Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen. Die 450 ist n ­ ämlich unsere Lieblingslinie!“ Ich musste laut lachen! Das war ja nun wirklich witzig, frech und charmant zugleich. „Danke für das Kompliment“, sagte ich. „Gerne!“ Sie grinste weiter. Ein tolles Mädchen. Nun war ich dran. Das war uns beiden klar. Ich musste gar nicht lange überlegen und sagte: „Und für mich ist es eine große Ehre, euch Gangsterjäger zu fahren. Oder mindestens eine von euch!“ Sie kugelte sich auf ihrem Sitz und sagte: „Sie machen aber auch Komplimente! Danke schön! Ich heiße Clara. Aber Sie dürfen Maradonna zu mir sagen.“ „Okay. Maradonna. Herzlich willkommen in der Linie 450. Ich heiße Turbo.“ „Das ist doch nicht Ihr echter Name! Turbo! So heißt doch kein Busfahrer bei DSW21.“ „Nein. Ist mein Spitzname. Weil ich am schnellsten von allen Fahrern Fahrplanfragen beantworten kann. Einer sagt Startzeit und Ziel und ich muss sagen, welche Linien da hin fahren, welche Abfahrtszeiten und wo man umsteigen muss. Haben wir mal aus Spaß als Wettbewerb veranstaltet, unter uns Busfahrern. Und seitdem habe ich diesen ollen Spitznamen.“ „Meinen finde ich gut.“ „Deinen finde ich auch gut! Und jetzt sind wir auch schon da, Maradonna.“ Ich fuhr an die Haltestelle. Maradonna stand auf, nahm das Skateboard und den Rucksack und ging an mir vorbei aus

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dem Bus. Sie drehte sich noch mal um zu mir und sagte: „Tschüss Turbo. Bis bald mal wieder. Und toll, wenn man den Fahrplan der ganzen Stadt so gut kennt.“ Ich rief: „Tschüss dann und viel Spaß gleich bei eurem Ameisenbären.“ Maradonna schaute noch mal zu mir und sagte: „Ameisenbärin! Und sie heißt Sandra und hat keinen Spitznamen wie wir beide.“ Ich lachte und fuhr weiter. Maradonna erzählt Ich wollte mich mit der Yurumi-Gang treffen. Die anderen von der Gang warteten bestimmt schon wieder und ich beeilte mich, nachdem ich aus dem Bus ausgestiegen war. Die Yurumi-Gang sind Mustafa, den wir Musti nennen, und Richard. Der heißt bei uns Doktor. Weil er den totalen Plan hat, besonders bei Computern und so. Eigentlich sind wir Skater. Musti ist ein cooler Sportler, der kann alles. Und er steht total auf Hip-Hop! Manchmal gibt das Stress, wenn wir zusammen Musik hören. Ich hör viel Metal, wegen Makka, meinem Schlagzeuglehrer. Der spielt in einer Metal-Band. Und er arbeitet bei diesem MetalLabel. Century Media heißen die. Hab ich ja schon alles erzählt. Die arbeiten mit Bands aus dem Heavy-

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Metal-Bereich auf der ganzen Welt. Sogar Schweden, Kanadier und Finnen hab ich bei denen schon getroffen. Ich lerne extra mehr Englisch, damit ich mit denen reden kann. Die Jungs und Mädels in der Firma sind meist schwer tätowiert, und die Musiker oft noch mehr. Die sehen ziemlich hart aus, aber die sind total nett. Musti, Richard und ich haben letztes Jahr ein fettes Abenteuer erlebt. Seitdem sind wir richtig berühmt in Dortmund. Sogar die Zeitungen haben über uns geschrieben und manche Leute kennen jetzt unseren Namen. Wir heißen „Die Yurumi-Gang“. Yurumi ist der indianische Name für den großen Ameisenbären. Diese Tiere leben in Südamerika. Wir, die Yurumi-Gang, haben eine Patenschaft für einen übernommen. Also, für eine. Für Sandra. Ameisenbären sind vom Aussterben bedroht. Und der Zoo hier in Dortmund ist weltweit am erfolgreichsten bei der Nachzucht von Ameisenbären. Und letztes Jahr wollte Mantel, das ist ein echter Fiesling, der immer so einen langen Mantel trägt, auch im Sommer, der sieht immer aus wie ein verhinderter Cowboy und Revolverheld, der wollte unsere Sandra klauen. Für Klunker, den Oberbösewicht, für seinen Privatzoo in Persebeck. Klunker erkennt man sofort, der hat immer nur weiße Klamotten an und alle Finger voller Klunker, also voller Ringe. Und wir, die Yurumi-Gang, wir haben Sandra gerettet. Onkel Herbert hat uns dabei geholfen. Der fährt eine der Containerbrücken im Hafen. Und Klunker und Mantel sind in den Knast gekommen. Also, ins Gefängnis. Wenn wir mit dem Bus zum Zoo fahren, skaten wir ab der Bushaltestelle den Rest der Strecke die Mergelteichstraße runter. Natürlich auf dem Bürgersteig. Ich freute

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mich schon auf meine Jungs von der Yurumi-Gang. Und auf Ilona, das ist die Tierpflegerin der Ameisenbären. Ilona hatte uns letztes Jahr auch bei Sandras Befreiung geholfen, zusammen mit meinem Fußballtrainer. Musti erzählt Richard, also, Doktor und ich, warteten schon vor dem Eingang. Unser einziges Mädchen aus der Gang kam mal wieder ein bisschen zu spät. Okay, sonst bin ich der, der immer etwas zu spät kommt, ich gebe es zu! „Hey Maradonna.“ „Hey Musti. Hallo Doktor.” „Hallo Clara”, sagte Richard. Sie grinste: „So förmlich heute? Mit meinem richtigen Namen?” Er grinste zurück: „Als Strafe für das Zu-spät-kommen!“ Ich sagte: „Okay, unser Zeichen!“ Unser Zeichen geht so: Wir sprechen unseren Gang-Namen im Rhythmus. „Big Bang Yurumi-Gang! Ooooh. YURUMI” Wer das Zeichen einfordert, beginnt. Der hält bei „Big“ seine Hand mit der Innenfläche nach unten hin, diesmal also ich, und im Rhythmus unseres Raps legt bei „Bang“ dann der nächste seine Hand auf meine, bei „Yu“ dann der dritte, bei „ru“ wieder ich, bei „mi“ noch mal Nummer Zwei und bei „Gang“ Nummer Drei. Dann werfen wir die Hände hoch und rufen langgezogen „Oooooooh“ und dann klatschen wir uns bei „YURUMI“ gegenseitig in der Luft ab! Und das machten wir auch jetzt. Ich, dann Maradonna, dann Doktor. Super. Ich sagte: „Ich habe eine Avokado mit für Sandra.“

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Maradonna nickte: „Ihr Lieblingsessen!“ Doktor, unser Alleswisser ergänzte natürlich noch: „Außer Vanillepudding.“ Wir lachten. Über alles zusammen, über den Vanillepudding, darüber, dass eine Ameisenbärin überhaupt Vanillepudding isst, und darüber, dass Doktor immer das letzte Wort haben musste. Wir zeigten am Eingang unsere Jahreskarten, aber die Frau an der Kasse kannte uns sowieso und sagte: „Herzlich willkommen. Hoffentlich ist nicht wieder einer unserer Ameisenbären geklaut, wenn ihr kommt.“ Das fand die wohl witzig. Na, uns war es egal. Wir gingen am Teich entlang, rechts hoch, an den Kängurus vorbei, die grad alle faul im Sand lagen. Danach beobachteten wir die roten Pandas, die im Baum kletterten, und zwei stritten sich grad darum, wer auf dem Ast den anderen vorbeilassen sollte. Anschließend gingen wir über den Spielplatz zum Tamandua-Haus und schauten dort zuerst ins Außengehege, wo eine Ameisenbärin gerade am Zaun entlang stolzierte. „Schau mal, Shakira mit ihrem Jungen“, sagte ich. Doktor schaute sich um. „Wo ist denn Ilona?“ Maradonna antwortete: „Die ist bestimmt im neuen Nashornhaus. Kommt, wir gehen mal rüber!“ Wir gingen vorbei am leeren alten Nashornstall und betraten dann das Nashornhaus. Wir schauten von der kleinen Plattform hinunter. Ilona verteilte grad Stroh in den durch Betonstelen getrennten Boxen. Maradonna rief: „Hallo Ilona. Alles Congo oder was?” Sie schaute von ihrer Arbeit hoch und winkte uns zu: „Ah, meine Berühmtheiten.“

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5 Elisabeths Vermächtnis Ilona erzählt Mustafa fragte: „Willst du ein Autogramm von uns?“ Ich schüttelte den Kopf und sagte: „Typisch Musti! Gar nicht eingebildet!“ Ich machte grad etwas Ordnung für die Tiere, verteilte neues Stroh und hatte alles schon sauber mit Wasser ausgespritzt. Jetzt rief Richard mit gespielter Bescheidenheit zu mir herunter: „Wer ist denn hier berühmt?“ Ich sah sie nebeneinander stehen, Clara, Mustafa und Richard. Tolle Kinder. Ich sagte: „Na, ihr seid berühmt! Ihr seid die Yurumi-Gang! Nachdem ihr es geschafft habt, Mantel und Klunker ins Gefängnis zu bringen, seid ihr doch richtig prominent.“ Clara quietschte vor Vergnügen: „Du meinst, so richtig wie Popstars oder so?“ „Genau!“ Richard unterbrach unsere freundschaftliche Kabbelei. „Ilona, ich muss dich noch was fragen.“ „Klar, jederzeit.“ „Wir haben eine neue Katze! Sie heißt Tiffy. Also, eigentlich ja Tiffany.“ Clara schaute ihn erstaunt von der Seite an: „Tiffany?“ „Ja, wie meine Tante in Brechten.“ Wir mussten lachen. Er redete weiter: „Tiffany muss jetzt geimpft werden.“ Mustafa fragte: „Wer muss geimpft werden? Die Tante oder die Katze?“

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Wir mussten schon wieder lachen. „Die Katze natürlich! Weißt du einen Tierarzt, zu dem ich gehen könnte?“ „Eine unserer Tierärztinnen hier im Zoo, die arbeitet manchmal noch in einer Praxis in Mengede, bei Frau Doktor Schöndorfer. Die sind eigentlich ganz klasse da.“ „Mengede ist aber weit draußen“, sagte Clara zu Richard. Mustafa meinte aber nur: „Ach, wir fahren Bahn oder Bus. Da geht was.“ Ich überlegte: „Oder ihr sucht euch einfach einen Arzt in der Nähe. Das ist natürlich auch praktischer. Andererseits...“ Richard hakte sofort nach: „Andererseits? Andererseits was?“ „Naja“, sagte ich. „Aber... nee... ist eigentlich Quatsch.“ Jetzt waren die Kinder natürlich neugierig geworden. Kein Wunder, wo ich nur in halben und unvollständigen Sätzen gesprochen hatte. Also erzählte ich weiter. „Ich dachte nur, weil ihr doch eine Abenteurer-Gang seid. Diese Tierarztpraxis ist in der Schragmüller-Villa.“ Richard überlegte kurz: „Schragmüller-Villa? Kenne ich nicht.“ Auch Clara schüttelte ihren Kopf. „Nie gehört.“ „Na wie auch! Das war ja lange vor eurer Zeit! Elisabeth Schragmüller lebte dort in dieser Villa.“ Ich redete jetzt leiser. Es musste ja nicht jeder zufällig vorbeikommende Zoo-Besucher hören, was ich mit den Kindern so redete. „Die war eine deutsche Spionin. Man weiß natürlich nur ganz wenig von ihr. Aber das ist ja typisch. Spione wollen nicht, dass die Welt was über sie weiß.“ Mustafa staunte: „Und die hat da gewohnt? Da gehen wir hin mit deiner Katze, Doktor.“

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Ich wollte die Kinder jetzt doch lieber wieder bremsen. Ganz geheuer war mir bei diesen abenteuerlustigen Dreien nicht, wenn ich denen jetzt so eine Geschichte erzählte. „Das ist aber schon lange her. Die Schragmüller ist 1940 gestorben. Spionin war sie wohl im 1. Weltkrieg. 1914 bis 1918 war das.“ Clara hatte schon ein sicheres Gespür für die Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen, Männern und Frauen: „Spioninnen gab es aber nicht oft, Ilona, oder?“ „Nein. Das war sehr ungewöhnlich. Überhaupt gehörte sie zu den ersten Frauen, die Abitur gemacht haben, die studiert haben, und sie hat sogar ihren Doktor gemacht.“ Das interessierte Richard. „War die auch Ärztin?“ „Nein, Doktor hat zwei Bedeutungen. Einmal eben Arzt, und dann noch ein Zweite. Wenn man den „Doktor“ macht, das ist so etwas wie ein Diplom, man hat etwas sehr Besonderes wissenschaftlich untersucht. Und man ist dann eben ein Experte. Man kann einen Doktor machen, wenn man an einer Universität arbeitet. Und weil die Schragmüller so gut ausgebildet war, haben die Franzosen, gegen die sie spioniert hat, sie deshalb „Mademoiselle Docteur“ genannt.“ Clara war richtig aufgeregt. „Klingt ja echt spannend!“ Mustafa fragte mich: „Woher weißt du das eigentlich?“ Das konnte ich schnell beantworten. Ich war in Mengede aufgewachsen. Das wurde manchmal von den alten Leuten erzählt. Abends in den Wohnstuben, oder in den Kneipen, bei Festen. Es war immer wieder irgendjemand da, der sich an Elisabeth Schragmüller erinnerte. Ich beendete meine Erklärung mit dem Satz: „Aber viel weiß man nicht über sie. Natürlich gibt es Gerüchte.“

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Clara hatte ihre Ohren aufgestellt wie ein Fuchs auf der Jagd: „Was denn für Gerüchte?“ Ich seufzte. Ich hatte schon zu viel erzählt. Die Neugierde der Kinder war mit den Händen zu greifen. Aber zurück konnte ich jetzt auch nicht mehr: „Ach, irgendwas mit einem Schatz, der irgendwo unterirdisch versteckt sein soll.“ Mustafa fragte sofort: „In dem Haus?“ Ich erzählte, dass es die alte Schragmüller-Villa längst nicht mehr gibt. Aber das sogenannte Kutscher-Haus steht noch. Und da drin ist auch die Tierarztpraxis. Ich wollte die Kinder aber nicht auf die Idee einer Schatzsuche bringen. Auf keinen Fall. Und ich versuchte, das alles wieder ein bisschen kleinzureden: „Ich glaube nicht an diesen Schatz, den hätte man sonst sicher schon gefunden. Aber trotzdem, es ist doch eine schöne Geschichte.“ Ich lachte. Die drei lachten aber nicht mit. „Kommt“, sagte ich. „Gehen wir zu Sandra.“ „Au ja“, rief Mustafa. „Ich habe eine Avokado mitgebracht.“

6 Finstere Pläne Mantel erzählt Ich bin es, Mantel. Ja. Es stimmt. Von Beruf bin ich Verbrecher. Ich kann eben ein paar Sachen, die in anderen Berufen nicht so gefragt sind. Schlösser knacken und so weiter. Ich habe auch schon ein paar Mal im Gefängnis gesessen. Gut, ich bin da nicht besonders stolz drauf. Besser wäre

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gewesen, ich wäre gar nicht erwischt worden. Ich bin nicht eigentlich böse, aber es war eben nicht alles erlaubt, was ich gemacht habe. Ich habe zum Beispiel letztes Jahr diesen Ameisenbären klauen sollen, für Klunker, meinen Boss. Für seinen Privatzoo. Klunker ist verrückt nach Tieren. Eigentlich der größte Tierfreund, den man sich denken kann. Aber jetzt fühlte ich mich auch nicht so viel besser als vorher im Gefängnis. Rund um mich herum waren Gitterstäbe. Den ganzen Tag. Wie vorher im Gefängnis. Zugegeben, so schlimm wie im Gefängnis war es nicht, weil ich selber die Türen auf- und zumachen konnte. Ich war verantwortlich für Klunkers Tiere. Klunker lebt auf einem Bauernhof in Persebeck. Ich wollte eigentlich mal irgendwo leben, wo es keine Gitter gibt. Ich hatte gerade drei Eseln Futter und Wasser gebracht, da kam Klunker von seinem Haus rüber zu mir. Er sah wieder aus wie geleckt: Weiße Hose, weißes T-Shirt, weiße Jacke, lauter Klunker an den Fingern und dicke Ketten um den Hals, manchmal nannte ich ihn heimlich „der weiße Rapper“! Klunker sagte: „Na, Mantel? Wie geht es meinen Tieren?“ Ich sagte: „Wie es mir geht, interessiert dich nicht?“ „Du kannst selber auf dich acht geben, aber die Tiere brauchen Sorgfalt und Pflege.“ Ich sagte: „Klunker, ich dachte, ich bin jetzt in der Freiheit!“ „Na, das bist du doch wohl.“ „Ich sehe aber nur Gitter rund um mich rum.“ „Das ist mein Privatzoo, Mantel. Und du stehst jetzt außen und nicht in der Zelle. Ach, ich liebe meine Tiere. Mein ganz privater Zoo.“

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„Dein privater Zoo? Das ist im Moment noch nichts anderes als ein stinknormaler Bauernhof mit stinknormalen Tieren, wie sie auf jedem Bauernhof stehen. Drei Esel. Zwei Katzen, vier Hühner. Ein Hahn. Schöner Zoo. Nicht mal eine Ziege oder ein Schwein. Nur diesen komischen Hasen.“ „Schnauze, Mantel. Ich will dein Gemecker nicht hören. Wer ist hier der Boss?“ „Du bist der Boss, Klunker!“ „Aha!“ Und er tippte mir mit seinem dicken Zeigefinger, auf dem sogar zwei Ringe saßen, vor die Stirn. Ich hasste das! Und dabei sagte Klunker: „Und wenn ich der Boss bin, dann werde ich schon wissen, was ich hier mache. Stell dir vor, ich hätte sofort einen Orang-Utan hier in meinem Zoo. Oder eine Giraffe. Da hättest du doch noch gar keine Ahnung, wie man der was zu trinken gibt.“ „Ich soll einer Giraffe was zu trinken geben? Dann brauche ich ja eine Leiter!“ „Siehst du. So bekloppt bist du nämlich! Die beugt sich schon runter. Das alles hier ist nur der Anfang. Die anderen Tiere kommen schon noch.“ Jetzt war ich aber sauer. Ich sagte: „Und ich sollte dir einen Ameisenbären klauen!“ Klunker war von einer Sekunde auf die andere mindestens so sauer wie ich: „Und du lässt dich erwischen, Mantel!“ „Hör mal, wenn, dann sind wir beide zusammen erwischt worden. Und mit der Yurumi-Gang konnte keiner rechnen!“ Klunker nickte und fluchte und knurrte mit aufeinandergepressten Zähnen: „Ausgefuchste Bande!“ Das fand ich auch. „Kannst du wohl sagen!“, stimmte ich ihm zu.

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Klunker atmete durch und sagte langsam: „Naja, aber die kommen uns so schnell nicht wieder in die Quere.“ Ich grinste und nickte: „Ja, weil wir denen nicht in die Quere kommen.“ Klunker erzählt Mantel konnte mich manchmal zur Weißglut bringen. Er ist nicht der Hellste. Da oben im Oberstübchen bei ihm, da funktionieren die Verbindungen manchmal nicht ganz so schnell wie normal. Gut, Mantel war auch kein Blödmann, aber er war weit davon entfernt, so etwas wie genial zu sein. Er war zuverlässig. Und er war brutal und im Großen und Ganzen konnte ich mich auf ihn verlassen. Aber ich war der Kopf in unserem Team. Das Gehirn. Mantel ist mehr der Mann für das Grobe, für das Große und Ganze eben. Für das Kleine, für die Details, da braucht man schon einen Kopf wie meinen. Und Mantel läuft rum wie ein Spinner. Egal wie warm es ist, er hat einen Mantel an. Und einen Hut auf. Ein verhinderter Cowboy. Der sieht immer aus, als wäre er direkt von der Leinwand aus einem Westernfilm zu uns in das wahre Leben hinuntergestiegen. Mantel! Viel zu auffällig der Kerl. Ich dagegen bin gepflegt. Ich trage weiß, weiß und edel. Edelmetall. Ringe, Ketten, Schmuck. Klunker eben. Und so heiße ich auch. Klunker! Ich wollte jetzt auch gar nicht lange mit Mantel streiten. Man muss nicht streiten, wenn man der Boss ist. Ich war froh, dass er endlich mit dem Füttern meiner Tiere fertig war. Ich wollte ihn jetzt in meine nächsten Pläne einweihen und sagte: „Mantel, hör zu. Als Nächstes drehen wir ein Ding, wo diese verflixte Yurumi-Gang garantiert nichts mit zu tun hat.“

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Mantel sah mich an und fragte: „Hast du schon einen Plan?“ Ich war schon wieder sauer. Was dachte der sich? Natürlich hatte ich einen Plan. Ich hatte immer einen Plan. Ein guter Boss hat immer und jederzeit einen Plan. Sogar einen Plan für nach dem Plan. Aber so was war für Mantel undenkbar. Mantel konnte gar nicht denken. Arbeiten ja, denken nein. Aber es ist auch für einen Kriminellen wie mich extrem schwierig, einen qualifizierten Mitarbeiter zu finden. Die meisten denken doch, Gangster werden, das kann jeder. Aber das ist Quatsch. Wer nichts kann, wird ruckzuck erwischt. Aber ich will jetzt nicht grundsätzlich werden. Ich sagte zu Mantel. „Klar hab ich einen Plan. Ich hab immer einen Plan!“ Er sah mich erwartungsvoll an: „Und?“ Ich wollte es spannend machen. Und außerdem fiel mir etwas ein. Während wir redeten, waren wir zu den Stallungen gegangen. Ich hatte ein neues Tier bekommen. Wir standen vor einer Holzbox. Ich sah hinein. Da saß er. Sah wunderschön aus. Weiß und flauschig und groß, die Ohren

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aufgestellt, starrte er zu uns rüber. Ich zeigte auf das Tier und fragte: „Hast du Kurt-Felix gefüttert?“ Augenblicklich trat ein Schrecken in Mantels Augen und er schüttelte dann langsam den Kopf. Ich schrie ihn an: „Soll der verhungern?“ Leise sagte Mantel, ohne zu dem Tier zu sehen: „Kurt-Felix ist mir aber unheimlich.“ „Das ist ein Kaninchen!“ Jetzt wurde Mantel laut. „Ja, aber was für eins. Das ist ein Riesenkaninchen.“ In diesem Augenblick wurde es mir klar. Mantel war laut, weil er Angst hatte. Angst vor meinem Kaninchen? Dieser Kerl von einem Mann? Der hatte schon Männer umgehauen, die einen Kopf größer als er selbst waren. Und er war schon ziemlich groß! Fast ängstlich sagte Mantel jetzt: „Mit deinem Kaninchen könntest du Horrorfilme drehen!“ Es war wirklich ein großes Tier. Trotzdem war ich sprachlos: „Das ist ein weißer Riese!“ Mantel sah mich irritiert an „Das ist ein was?“ „Weißer Riese. Ein weißer Riese!“ Mantel sah aus wie ein einziges Fragezeichen. Ich sagte weiter. „So heißt die Rasse. Weißer Riese. Stammt aus Gent.“ Mantel verstand gar nichts mehr: „Gent?“ Es half nichts. Ich musste versuchen, ihm das zu erklären: „Gent. Eine Stadt in Belgien! Der weiße Riese ist eine Sonderrasse der Deutschen Riesen. Diese Tiere wurden 1904 zum ersten Mal auf einer Ausstellung gezeigt!“ Mantel stand vor mir mit offenem Mund: „1904? Das Tier ist über 100 Jahre alt?“

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„Nur die Rasse, du Hornochse! Und diese Rasse gehört mit zu den größten Kaninchen weit und breit! Wertvolle Tiere. Und ich werde die jetzt züchten.“ Jetzt dachte er nach. Mantel dachte nach. Ich überlegte, ob ich den Tag im Kalender anstreichen sollte. Dann zog sich sein Mund zu einem Lächeln. Mantel hatte eine Idee: „Und die sind genauso weiß wie deine Klamotten.“ Ich nickte. „Darum gefallen die mir ja so!“ Jetzt grinste Mantel: „Nur die roten Augen von dem Tier sind anders!“ Dann lachte er etwas zu laut: „Es sei denn, du hast was getrunken!“ Ich knurrte: „Schnauze, Mantel!“ Mantel erzählt Ich war wohl etwas zu frech geworden. Klunker wurde echt sauer. Ich versuchte ihn zu beruhigen: „Ist ja schon gut! Aber wozu willst du jetzt Kaninchen züchten? Willst du eine Pelzfarm aufmachen?“ Klunkers Augen wurden ganz weit. Das machte mir beinah Angst. Dann zischte er mich an: „Bist du bekloppt? Ich züchte doch keine Tiere, um die zu schlachten. Die sind viel zu wertvoll. Und überhaupt. Ich schlachte doch nicht.“ „Der ist nur dazu da, dass er hier rumhoppelt?“ „Rumhoppelt? Wie redest du von Kurt-Felix? Der ist jetzt quasi mein Wappentier!“ „Kurt-Felix?“ Klunker nickte. Ich wollte es nicht glauben! „Der weiße Riese?“ „Genau!“ „Wappentier?“

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Klunker nickte weiter. Ich wollte Klunker noch fragen, ob er den Tieren dann auch noch eine goldene Kette um den Hals hängen wollte wie sich selbst, aber ich schluckte die Frage einfach runter. War bestimmt besser so. Klunker hatte sich wieder beruhigt. „Mein Wappentier macht mir Sorgen. Mit dem Kaninchen fahren wir nachher mal zum Tierarzt!“ Ich schaute mir das Tier an: „Zum Tierarzt? Das ist doch ganz gesund, das Kaninchen.“ Er sah mich vielsagend an, aber ich verstand gar nichts. Klunker meinte: „Wir fahren ja nicht zu irgendeinem Tierarzt.“ „Sondern?“ „Wir fahren zu einer Frau. Doktor Schöndorfer. Tierärztin.“ „Kenn ich nicht“, sagte ich. „Und warum ist die nicht irgendein Tierarzt?“ Klunker flüsterte: „Weil sie im Schragmüller-Haus wohnt.“ Ich flüsterte auch: „Warum flüsterst du?“ „Damit es keiner hört!“ Ich flüsterte ebenfalls weiter: „Wer soll das denn hören? Glaubst du, die Yurumi-Gang steht hinter der Hecke?“ Klunker sagte sofort und sauer und laut: „Red nicht von denen! Halt bloß die Klappe!“ „Ist ja gut. Aber was soll das mit dem Schrägstollen-Haus?“ „Schragmüller!“ „Von mir aus. Was soll das?“ Klunker beobachtete seinen weißen Riesen, während er weitersprach: „Was hab ich im Knast gemacht?“ „Du hast deine Strafe abgesessen!“ „Ja, du Hornochse. Aber was hab ich da noch gemacht!?“ „Du hast gelesen. Immer wenn du konntest, hast du gelesen.

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„Und warum hab ich das gemacht, Klunker? Weil Lesen bildet! Und du hast nichts gelesen!“ „Doch, Krimis!“ „Krimis?“ „Ja, um mich als Verbrecher fortzubilden!“, sagte ich lachend. Klunker schüttelte den Kopf. „Mantel. Ich habe im Knast alle möglichen Bücher über Dortmund gelesen. Warum wohl? Warum habe ich wohl gelernt, wie man im Internet surft? Weil ich was wissen will! Weil ich clever bin! Weil man Pläne machen muss! Verstehst du?“ Wieder hämmerte er mir seinen Zeigefinger vor die Stirn. Ich hasste das. „Finger weg!“, knurrte ich. „Nützt ja doch nichts, dass man in deinem Oberstübchen mal anklopft. Da rührt sich absolut nichts drin!“ Ich war wirklich sauer, wenn er so mit mir redete. Ich kapierte nämlich ganz viel ganz schnell. Ich wusste wohl, dass ich nicht alles kapierte, aber bei manchen Dingen, zum Beispiel, wie man ein Schloss aufbricht oder so, da macht mir keiner was vor. Da könnte ich zu „Wetten, dass...“. Wetten, dass ich zehn Zahlenschlösser an ihrem Klicken erkenne? Ich schluckte meinen Ärger runter und sagte zu ihm: „Na ja, ich brauche ja keine Pläne machen. Die Pläne machst du ja immer, Klunker. Und ich mach einfach immer, was du sagst. Oder meinst du, ich sollte mal einen Plan machen?“ Klunker sah mich drei Sekunden lang an und überlegte, was ich da grad gesagt hatte. War ihm wohl zu schnell gegangen. Dann sagte er fast hektisch: „Bloß nicht! Du kannst ja noch nicht mal machen, was man dir sagt, ohne dass du erwischt wirst. Und jetzt quassel nicht so viel.

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Morgen fahren wir mit Kurt-Felix zur Tierärztin ins Schragmüller-Haus.“ „Was ist denn so besonders am Schragmüller-Haus?“ „Das zeige ich dir morgen, wenn wir da sind. Und gib KurtFelix jetzt seine Möhren.“ „Chef! Ich hab aber...“ Klunker schnitt mir meinen Satz ab: „...sonst geb ich dir was auf deine Öhren!“ Das fand Klunker wohl witzig. Einen Reim mit einem Wort, dass es noch nicht mal gibt. Öhren! Mir war aber egal, ob mein Chef Grammatik-Fehler machte oder nicht. Dann würde ich eben den weißen Riesen füttern. Aber ich würde ihm seine Möhren nur in die Box werfen. Ich würde da nicht reingehen! Der war mir unheimlich! Und Kurt-Felix war ja wohl auch ein selten bescheuerter Namen.

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7 Günthers Überraschung Musti erzählt Doktor und ich waren schon seit 20 Minuten am Treffpunkt, dem kleinen Vorplatz am alten Hafenamt. Doktor stromerte noch am Wasser herum, da bog Maradonna endlich um die Ecke. Wir wollten uns mit Onkel Herbert treffen. Mit Doktor war ich, während wir warteten, schon auf einer kleinen Expedition gewesen zwischen Brückenpfeilern und Spundwänden. Wir hatten quasi schon das nächste Abenteuer erlebt. Jedenfalls fand ich das alles sehr abenteuerlich. Wir gaben uns „High Five“, Maradonna und ich, ganz cool, und sie sagte: „Hallo Musti. Ist Doktor noch nicht da?“ „Der kommt gleich. Der sucht noch etwas da unten am Wasser. Bei der Brücke. Doktor hat in einem der Pfeiler eine Tür gefunden.“ „Was denn für eine Tür?“ Aber noch bevor ich antworten konnte, war Richard schon bei uns. „Hallo Maradonna!”, sagte Doktor. „Alles Congo?“ fragte Maradonna. Ich rief: „Unser Zeichen!“ und hielt meine Hand in die Mitte und die beiden legten nacheinander ihre darauf und riefen: „Big Bang Yurumi-Gang! Ooooh YURUMI.” Und dann klatschten wir uns ab. Die Yurumi-Gang war unterwegs! Maradonna sah Doktor an und fragte: „Was hast du denn für eine Tür gefunden?“ „Na ja, eine Tür führt ja immer irgendwohin!“

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„Doktor, du sprichst in Rätseln“, sagte sie. „Also, ich war ein bisschen surfen im Internet. Und da bin ich auf ein paar sehr interessante Informationen gestoßen. Ich habe da gelesen, dass es hier in Dortmund jede Menge unterirdische Wege und Stollen gibt.“ „Genau“, sagte ich. „Und jetzt fasst Doktor an jede Tür und grabbelt jede Klappe an, als wäre er Indiana Jones, und schaut, ob er irgendwo reinkommt.“ Doktor griff in seine Tasche und zeigte uns eine kleine Stabtaschenlampe und einen Kompass. „Das habe ich immer dabei!“ Maradonna bekam große Augen: „Du steigst da einfach in diese dunklen Gänge ein? Da ist doch garantiert nicht erlaubt.“ „Wenn ich immer warten würde, bis alles erlaubt ist, was ich grad machen will, würde ja gar nichts passieren in meinem Leben. Aber diese Tür hier im Brückenpfeiler ist zu. Nichts zu machen. Soll ich sie euch trotzdem noch mal zeigen?“ Maradonna sah mit großer Neugierde rüber, aber dann sagte sie: „Ich würde total gerne. Aber wir haben jetzt keine Zeit, wir müssen zu Onkel Herbert. Er hat uns doch eingeladen.“ Ich nickte und sagte „Alles Congo. Dann auf zu Onkel Herbert.“ „Müssen wir wirklich?“, fragte Doktor. „Wir müssen!“, sagte ich und dann stiegen wir alle auf unsere Boards und skateten vorbei am Hafenamt und in Richtung Containerhafen, zu den Containerbrücken. Wir fuhren dicht zusammen und redeten weiter. Ich fragte Maradonna: „Wozu hat er uns eigentlich eingeladen?“ „Weiß nicht“, rief Maradonna. „Bestimmt wieder auf Pommes in der Hafenschänke“, sagte ich.

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„Er hat gesagt, es wird eine Überraschung.“ Doktor sagte: „Bestimmt nimmt er uns heute mit auf seine Containerbrücke.“ In diesem Moment waren wir schon da, wir hielten und ich kickte mein Board hoch. Doktor zeigte nach oben: „Kuck mal, da sitzt er.“ Onkel Herbert steckte seinen Kopf aus dem Fenster seiner Containerbrücke und rief runter: „Tach ihr Ameisenbären!“ Wir drei riefen im Chor: „Das heißt Yurumi-Gang!“ „Das weiß ich doch, ihr Ameisenbären!“, tönte es fröhlich von oben. Maradonna formte mit ihren Händen einen Trichter und rief zu ihm hoch: „Und wir hätten dich fast zum Ehrenmitglied der Yurumi-Gang gemacht. Aber wenn du nicht mal den Namen der Gang richtig sprechen kannst, dann wird das wohl nichts!“ Wir mussten alle lachen. Wir kannten dieses gegenseitige Ärgern zwischen Maradonna und ihrem Onkel Herbert nur zu gut. Der rief uns zu: „Wartet noch ein paar Minuten, ich setz noch grad den Container ab. Meine Schicht ist schon zu Ende. Ich komme dann runter.“ Wir schauten zu, wie er die Containerbrücke auf den Schienen über das Gelände steuerte. An Seilzügen hielt die Brücke einen Container und Onkel Herbert setzte ihn auf einen Stapel von schon drei anderen Containern. Mir ist das ein Rätsel, wie man in so einem riesigen Containerhafen den Überblick bewahrt. Hunderte, tausende Container, mit unterschiedlichen Zielorten auf der ganzen Welt. Und in jedem Container ist irgendwas anderes drin. Doktor neben mir sah hoch und sagte: „Die Containerbrücke sieht cool aus, wie ein Rieseninsekt.“

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Doktor erzählt Ich finde das immer total spannend hier im Containerhafen. Der Warenumschlag. Wie alles organisiert ist, wann Container ankommen und wann sie abtransportiert werden. Von den LKWs zum Schiff und auf die Eisenbahn oder ins Lagergelände und dann irgendwann wieder auf LKWs, Schiffe oder Bahnen für den Weitertransport. Musti riss mich aus meinen Gedanken. „Da kommt er.“ „So“, sagte Onkel Herbert, der ja eigentlich nur Maradonnas Onkel Herbert war, aber zu dem wir auch „Onkel Herbert“ sagten. Eigentlich sagte jeder zu ihm „Onkel Herbert“. Ich habe den Verdacht, dass sogar seine Frau zu ihm „Onkel Herbert“ sagt. Aber das sagte ich Onkel Herbert natürlich nicht und zu fragen habe ich mich nicht getraut. Maradonna sah ihren Onkel fragend an: „Und jetzt?“ Musti grinste: „Pommes essen, oder?“ Onkel Herbert sah Musti stirnrunzelnd an: „Pommes? Ich hab mich wohl verhört. Kinder, wir fahren mal was für eure Bildung tun!“ Jetzt war ich irritiert: „Wir fahren was tun? Was für unsere Bildung? Das klingt aber erst mal wie falsches Deutsch.“ Onkel Herbert sah mich an: „Kein Wunder, dass du Doktor heißt. Noch ein bisschen und ich nenne dich Professor.“ Maradonna quengelte: „Was soll das denn? Was machen wir denn jetzt?“ Onkel Herbert grinste: „Wir fahren quasi ins Museum!“ Ich fragte: „Wieso quasi? Fahren wir ins Museum oder nicht?“ Maradonna war ganz geschockt: „Ins Museum? Was denn für ein Museum?“

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Und Musti war noch geschockter: „Wieder alte Steine und ausgestopfte Tiere! Da waren wir grad mit der Schule!“ In diesem Moment hörten wir Geräusche. Ein Spritzeln und Quäken. Und es kam aus Onkel Herberts Brust. War Onkel Herbert ein Alien? Ein Wesen aus einer anderen Welt? Er griff in die Innentasche seiner Arbeitsweste und holte ein Walkie-Talkie raus, eine Sprechfunkanlage, drehte an einem Knopf und sprach in das Ding rein: „Bist du so weit?“ Wir hörten eine seltsame Stimme mit Spritzeln und Quäken antworten: „Alles klar, Kumpel. Over.“ Jetzt sprach wieder Herbert: „Gut, wir kommen. Over and out!” Musti starrte irritiert auf das Gerät in Onkel Herberts Hand: „Was soll das?“ Und Maradonna fragte: „Mit wem redest du da?“ Onkel Herbert ignorierte unsere Fragen komplett und dirigierte uns zu seinem Auto, das er gegenüber geparkt hatte: „Los, einsteigen und nicht lange rumquatschen!“ „Und wo fahren wir hin? Ins Naturkundemuseum?“, fragte Maradonna. „Es geht in eine Art Freilichtmuseum.“ Onkel Herbert fuhr einen alten Golf. Wir saßen zu dritt hinten und schnallten uns an. Dann fuhren wir los, die Kanalstraße runter und dann rechts in die Schäferstraße. „Da links arbeitet Makka, da ist Century Media“, rief Maradonna. „Und da rechts auf dem Gelände steht mein Schlagzeug. Da übe ich immer.“ „Da haben wir doch Sandra gerettet, letztes Jahr“, erinnerte ich mich. Onkel Herbert sagte vorne: „Ich habe Maradonnas SÜC fast an die gleiche Stelle gebracht, an der letztes Jahr Klunker

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seinen Container hatte.“ Musti fragte: „Was ist denn ein SÜC? Das klingt ja fast schon türkisch.“ Maradonna grinste: „Na, ein Schlagzeug-Übungs-Container.“ Vor uns ging die Schranke an den Bahngleisen herunter. Onkel Herbert bremste sofort, stellte den Motor ab und sprach dann wie ein ganz schlechter Schauspieler: „Oh, die Schranke geht runter. Seit wann geht denn hier die Schranke herunter?“ Ich dachte mir erst gar nichts dabei und es ist selten, dass ich mir gar nichts denke. Also antwortete ich: „Ich denke, die Schranke geht immer runter, wenn ein Zug kommt.“ Onkel Herbert aber redete weiter in diesem komischen, gestelzten Ton: „Ja. Aber hier ist schon lange kein Zug mehr gekommen! Kommt heute etwa ein Zug? Sollten wir nicht aussteigen und nachsehen?“ Maradonna verdrehte die Augen: „Was ist denn mit dir

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los? Sollten wir nicht lieber sitzen bleiben und warten bis die Schranke wieder hochgeht?“ Onkel Herbert grinste vergnügt, ich konnte ihn in seinem Rückspiegel sehen. „Schaut mal, da kommt ja was. Wir sehen mal lieber nach!“ Musti sagte: „Und dann geht die Schranke hoch und wir sind nicht im Auto und...“ Onkel Herbert drehte sich zu uns um: „Keine Widerrede. Alles aussteigen. Die Yurumi-Gang kann jetzt das Geheimnis der geschlossenen Schranke erkunden.“ Maradonna sagte: „Wenn da jetzt wirklich ein Zug kommt, können wir nicht einfach warten, bis der vorbei ist?“ „Nu lasst euch mal nicht länger bitten, raus. Alle drei“, sagte er. Wir kletterten murrend aus dem Auto. Und dann fuhr er fort, während wir an der Schranke standen: „Das, meine lieben Yurumis, ist nämlich unser Freilichtmuseum für heute.“ Von links hörten wir Geräusche und dann sahen wir langsam eine Lok auf uns zurollen. Onkel Herbert redete weiter: „Die Lok da vorne, die hab ich selber früher noch auf dem Hoesch-Gelände gefahren!“ „Du bist mal Lok gefahren?“,fragte Maradonna erstaunt. „Ich hab schon allerhand gemacht in meinem Leben, und eins davon war Lok fahren.“ „Wusste ich gar nicht.“ „Tja, man braucht ja auch Geheimnisse.“ In diesem Moment knarrzte wieder das Walkie-Talkie, das Onkel Herbert in die Hand genommen hatte. „Ich seh euch! Over.“ Onkel Herbert antwortete: „Dann komm an Land!“

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Maradonna erzählt Ich war ganz irritiert. Da kannte ich meinen Onkel schon mein ganzes Leben lang, und dann kamen immer noch neue Überraschungen an den Tag. „Ich denke, du bist Tischler?“ „Und dann bin ich jahrelang Lok gefahren. Durch ganz Dortmund. Auf den Betriebsgleisen von Hoesch. Von ­Hoesch zum Hafen und zurück. Ich habe Erz geliefert und Stahlrollen zurück zum Wasser! Seht ihr den Lokführer? Der uns winkt? Das ist Günther.“ Jetzt war das Lokomotiv-Geräusch so laut, dass wir schreien mussten. Onkel Herbert rief: „Tach Günther, schön dich mal wieder zu sehen!“ Und der rief von oben zurück: „Tach Herbert. Na? Heute mit Großfamilie unterwegs? Seit wann hast du eigentlich Kinder?“ Onkel Herbert lachte: „Jau, und dann auch noch gleich drei Stück!“ Günther fragte aus der Lok: „Sind das die Gangster-Jäger? Ist das die berühmte Jummi-Gang?“ Mit Musti und Doktor rief ich sofort und im Chor und laut und empört: „Yurumi-Gang!“ Konnte sich denn keiner diesen Namen merken? Onkel Herbert lachte über uns und sagte: „Jau, das sind sie! Die haben Klunker und Mantel in die Kiste gebracht.“ „Kompliment, Kinder!“ Und dabei nickte Günther. „Ich bin seitdem ein echter Fan eurer, sagt noch mal...“ Wir drei verdrehten die Augen, das heißt, ich verdrehte die

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Augen, Musti und Doktor liefen neugierig an der Seite auf und ab, aber wir alle drei sagten noch mal: „Yurumi-Gang!“ „Yurumi-Gang?“, wiederholte Günther. „Genau!“ Musti bekam den Mund nicht mehr zu: „Ist das cool! Eine echte Lok.“ Doktor fragte Onkel Herbert: „Und der Günther, der die fährt, das ist dein Kumpel? Onkel Herbert nickte. „Das ist mein alter Kollege.“ Musti sagte mehr für sich: „Und mit dem hast du über das Walkie-Talkie geredet.“ Onkel Herbert nickte. Doktor starrte auf das Gerät in Onkel Herberts Hand. „Warum nehmt ihr keine Handys? Das ist doch Steinzeit!“ Onkel Herbert zog seine linke Augenbraue hoch und starrte Doktor entgeistert an. Nach ungefähr fünf Sekunden erst sagte er: „Hör mal, du Schlaumeier...“ Ich flüsterte: „Er meint dich, Doktor!“ Onkel Herbert holte tief Luft: „Erst mal, das Ding hier kostet keine Gebühren und ich kann so lange quatschen wie ich will. Das reicht durch ganz Dortmund. Und ich brauch auch keine Sendemasten. Das sendet sogar unter Tage. So, und nu kommst du!“ Doktor schaute etwas betreten zu Boden. Klar, er war mal wieder vor lauter Wissen etwas vorlaut gewesen. Aber Günther half ihm: „Nu lass den Lütten man in Ruhe, Herbert!“

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Der war aber immer noch leicht verärgert. „Immer alles besser wissen! Dabei hab ich sogar noch eine Überraschung...“ Aber das hatte außer mir wohl keiner so richtig verstanden. Musti fragte sogar regelrecht ungeduldig: „Und warum fährt der die Bahn jetzt?“ „Günther hat mit Freunden einen Verein gegründet, und die, also wir, wir reparieren die alten Dinger und halten die fahrbereit.“ Günther nickte zustimmend: „Genau. Das machen wir.“ Musti sah ihn etwas ungläubig an: „Und das macht ihr nur so?“ Günther schaute erst, als ob er die Frage nicht verstanden hätte. Dann holte er Luft und erklärte: „Wenn wir das nicht machen, dann macht das doch keiner! Und das wäre schade, wenn das verloren ginge! Nicht nur Bilder, Möbel, Klamotten und so was gehören ins Museum. Auch die alte Technik! Und heute machen wir eine Probefahrt auf der alten Strecke! Wir stellen dann die Lok gleich hier ab. Nächstes Wochenende ist Museumstag, da fahren wir rüber mit der Lok nach Altenbeken.“ 8 Hartes Metall Musti erzählt Die Lok sah super aus. Und dann traute sich Doktor zu fragen, was ich die ganze Zeit schon fragen wollte. „Dürfen wir mal rauf?“ Onkel Herbert grinste. „Deshalb sind wir hier!“

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Maradonna fragte ganz ungläubig: „Wir dürfen mitfahren?“ Günther nickte mir und den beiden anderen zu: „Also, rauf mit euch!“ Onkel Herbert rief: „Ich parke noch kurz mein Auto ordnungsgemäß an der Seite.“ Maradonna war schon oben. Ich kletterte als Zweiter an der Außenleiter hoch und dachte nur: „Das glaubt mir zu Hause keiner!“ Doktor war wie immer etwas vorsichtig und interessiert zugleich. Wir sahen uns im Fahrstand um. Jede Menge Technik. Metall. Hebel. Schalter. Armaturen. Thermometer. Anzeigen. Faszinierend. Ich hatte einen neuen Berufswunsch. Ich wollte Lok-Führer werden. Bislang hatte ich ja gedacht, ich würde Stuntman werden. Inzwischen war auch Onkel Herbert auf die Lok geklettert. Günther fuhr los, rückwärts den Weg zurück, auf dem die Lok gekommen war. Maradonna rief: „Hey! Da! Wir fahren direkt am Haus von Century Media vorbei! Guck mal, die sind grad auf dem Dach und machen Pause!“ Dann schrie sie: „Hey, Makka, Makka!!“ Wir sahen, wie der sich in alle Himmelsrichtungen umdrehte. „Hier, Makka. Auf der Lok!“ Jetzt entdeckte er uns. „Was ist das denn? Wie kommt ihr auf die Lok?“ Maradonna rief: „Die Fahrt hat uns Onkel Herbert geschenkt! War eine Überraschung.“ Günther bremste den Zug noch mal. Makka lachte und rief: „Wundert mich nicht. Der ist ja Metall-Fan!“ Wir mussten alle lachen über Makkas Wortspiel mit dem deutschen Wort „Metall“ und der englisch benannten

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Musikrichtung „Heavy Metal“. Makka schrie weiter: „Wo ist der Metaller?“ Onkel Herbert steckte seinen Kopf aus dem Fahrstand: „Hier bin ich, du Metal-Jungspund! 1980. Led Zeppelin in der Westfalenhalle. 1970. The Who in Münster. Und ich war dabei! Da hast du grad mal in die Hose gemacht!“ Makka lachte. „Kannst du mir nicht mal ne andere Geschichte erzählen?“ „Erzähl du das mal deinen Kollegen da! Die wissen doch nicht mal, wie Led Zeppelin geschrieben wird. Aber tätowiert sind die, als wären sie in den Malkasten gefallen!“ Makka und seine Kollegen lachten herzlich. Onkel Herbert rief: „Wir wollen weiter. Bis denn, ihr HilfsMetaller!“

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Doktor erzählt Günther fuhr mit uns über das Streckenetz im Hafen und erklärte, dass es auch für Lokomotiven Verkehrszeichen gibt und Verkehrsschilder, der Verkehr muss da genauso geregelt werden wie auf den Straßen. Ganz früher gab es überall immer nur eine Bahnstrecke, also nur ein Gleis, und man musste immer abwarten bis eine Bahn aus der einen Richtung gefahren war, bevor eine in die Gegenrichtung losfahren konnte. Onkel Herbert erzählte uns, dass man mit der Bahn früher durch die ganze Stadt fahren konnte, zu den Stahlwerken und den Produktionsstätten, und umgekehrt zu den Bahnhöfen und zum Hafen. Zu den Schachtanlagen. „Bis runter zu Phoenix“, sagte er. Doktor fragte: „Da, wo sie jetzt den See bauen?“ Onkel Herbert nickte und erzählte, wie früher der Transport fast ausschließlich mit Eisenbahn und Schiff gemacht wurde und dass der Dortmund-Ems-Kanal so wichtig war für den Transport. Ich hatte ein bisschen nachgedacht und mir den Dortmunder Stadtplan vorgestellt. Plötzlich hatte ich eine Frage: „Ihr habt erzählt, die Eisenbahn wäre früher bis zum Phoenix-Gelände gefahren. Aber dazwischen liegt doch die B1.“ „Da gab es eine Unterführung, Richard“, sagte Onkel Herbert. „Was ist da eigentlich mit geworden, Günther?“ „Die Schienen liegen noch! Aber da ist ewig keiner mehr langgefahren.“ „Fahren wir schon zurück?“, fragte Musti plötzlich. Ich hatte schon länger gemerkt, dass wir wieder auf der Rückfahrt und jetzt fast schon wieder bei Century Media waren. Bei denen saß aber keiner mehr auf dem Dach. Klar,

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da musste ja auch gearbeitet werden und die Pausen dauerten nicht ewig. Günther nickte: „Ja. Das war es, Yurumis. Da sind wir. Wir lassen die Lok hier im Hafen stehen. Herbert, da kannst du dann ein Auge drauf werfen.“ Onkel Herbert lachte: „Ja, oder eine Runde damit fahren!“ Wir stiegen ab. Musti sagte: „Das war eine tolle Rundfahrt! Vielen Dank!“ Maradonna pflichtete ihm bei: „Das war super!“ „Ja, danke!“, sagte ich auch. Ich hätte gern noch mehr gefragt, wie der Motor funktioniert, wie und wo die Dieselzuleitung verlegt ist, und so weiter, weil ich mich ja für alles immer interessiere, aber ich wollte die anderen nicht nerven, und Lokomotiven wie diese waren eher aussterbende Arten, wie Saurier. Die würde es nicht mehr lange geben. Ich beschäftige mich lieber mit den Techniken der Zukunft, mit Computern und so was. Trotzdem war ich aber total begeistert, denn aus allem, was mal war, aus allen alten Erfindungen ist schließlich all das Neue erst entstanden. Darum gehe ich auch gerne in die DASA in Dorstfeld. Herbert dankte Günther. Der sah ihn an: „Du wolltest doch noch was.“ Onkel Herbert schüttelte den Kopf und sagte wieder in seiner komischen Ich-bin-ein-ganz-schlechter-Schauspieler-Sprache: „Nee, die Kinder finden Walkie-Talkies ja blöd. Hat mir der Doktor ja erklärt.“ Maradonna sah ihn an: „Was soll das denn jetzt? Du willst doch was!“ „Naja, ich wollte euch drei Walkie-Talkies schenken. Ich dachte, ne Gang kann die vielleicht gebrauchen.“

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Sie strahlte: „Echt? Das ist doch super.“ Onkel Herbert gab Maradonna drei Sprechfunkgeräte. „Hier. Ich hab euch einen Kanal eingestellt, auf dem kann ich euch auch empfangen. Auf dem quasseln Günther und ich auch. Ihr könnt dann quasi jederzeit mit mir Verbindung aufnehmen. Sogar von unter Tage!“ „Hier sind eure.“ Sie gab Musti und Doktor die anderen beiden. „Wie geht das, Onkel Herbert?“ „Es kann immer nur einer sprechen. Deshalb sagt man am Ende am besten „Over“. Dann weiß der Gegenüber, dass der jeweils andere fertig ist mit reden. Und dann musst du die Sprechtaste drücken, wenn du was sagen willst. Und? Was meinst du, Clara?“ „Cool“, sagte Maradonna. „Das probieren wir nachher gleich aus, ich steck meins in den Rucksack.“ Onkel Herbert sah sie an: „So, cool ist das also. Und wie hieß „cool“ früher?“ Maradonna schaute ihn an: „Danke!“ Hier musste ich aber doch etwas verbessern. „Das ist aber nicht die richtige Übersetzung von cool.“ Onkel Herbert hob wieder seine linke Augenbraue: „Nee, die richtige Übersetzung ist das nicht. Aber angebracht war das. Auch von dir übrigens.“ Ich verstand ausnahmsweise nicht sofort, was er meinte. „Was denkst du, Doktor? Oder ist das Gerät so sehr Steinzeit, dass man nicht mal mehr Danke sagen muss?“ fragte er noch mal. Da kapierte ich. „Ja. Schon. Also, gut. Danke. Aber wenn du einen so anpfeifst, Onkel Herbert, das ist echt uncool.“ Günther rief: „Dann ist also „streng sein“ die richtige Übersetzung für „uncool“?“

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Jetzt mussten wir alle lachen. Trotzdem konnte ich mir einen weiteren Satz nicht verkneifen und sagte: „Kann als Übersetzung manchmal richtig sein. Muss aber nicht!“ Günther lachte. „Na, Herbert ist eben so! Ihr kennt ihn doch. Raue Schale außen und innen ein weicher Kern!“ Onkel Herbert wehrte sich sofort: „Nix! Ich hab keinen weichen Kern!“ Maradonna lachte am lautesten von uns allen, denn sie kannte ihren Onkel am besten. „Und den Metallern von der Plattenfirma hat er vorhin aber auch gezeigt, wo der Hammer hängt, oder?“, fragte Günther. Das musste ich zugeben: „Ja. Das war ... ja, das war richtig cool.“ Onkel Herbert wehrte ab: „War doch nur Spaß, die Frotzelei zwischen Makka und mir. Die Jungs sind goldrichtig. Auf die ist immer Verlass. Wenn was ist, stehen die da wie eine Eins! Und die Musik von denen ist immer voll auf die Zwölf! Und ich hab bei deren Konzerten manchmal eine Ehrenkarte. Ich steh dann auf der Gästeliste mit Einladung nach Backstage. Hinter die Bühne. Wisst ihr, weil ich doch 1980 bei Led Zeppelin...“ Günther unterbrach ihn: „Weil du da in der Westfalenhalle warst. Und 1970 bei The Who in Münster. Weiß ich! Kann ich sogar schon auswendig.“ Herbert zog schon wieder die linke Augenbraue hoch: „Hatte ich das schon mal erzählt?“ Wir lachten nicht, wir brüllten! Ich war mir immer etwas unsicher, was Onkel Herbert ernst und was er wirklich nur witzig meinte. Aber das machte die Sache ja erst interessant. Dann änderte sich die Stimmung. Günther wurde plötzlich leise.

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„Hört mal. Yurumis. Und du auch, Herbert. Ich muss euch noch was sagen. Das ist jetzt überhaupt nicht witzig. Ich weiß etwas, was ihr scheinbar noch nicht wisst.“ Wir schauten ihn erwartungsvoll an. Das klang irgendwie geheimnisvoll. „Ich wollte das erst gar nicht sagen. Ich glaube aber, es ist besser, wenn ihr das erfahrt!“ Herbert schaute Günther aufmunternd an. „Mach es nicht so spannend!“ „Klunker und Mantel sind draußen!“ Plötzlich war alles still. Wir alle hörten keine Geräusche mehr. Dieser Gedanke setzte sich nur ganz langsam in unsere Gehirne. Onkel Herbert sagte schließlich nur: „Aber ...“ Ich platzte jetzt richtig raus damit: „Die müssten doch bis nächstes Jahr sitzen!“ Günther sagte leise: „Die sind vorzeitig rausgekommen. Wegen guter Führung.“ Maradonna dachte kurz nach und meinte dann: „Die und gute Führung!“ Musti war sofort richtig sauer: „Die wollten unsere Sandra klauen.“ Ich konnte nicht anders. Ich musste ihn verbessern. „Die hatten Sandra schon geklaut.“ Günther verstand kurz nur Bahnhof, also nichts: „Sandra?“ Maradonna erklärte es ihm: „So heißt der Ameisenbär, den die entführt hatten.“ Und Musti ergänzte: „Für den wir eine Patenschaft haben.“ Jetzt kratzte sich Onkel Herbert am Kopf: „Günther, woher weißt du, dass die draußen sind? Ich meine, über so was macht man keine Witze.“

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„Mein Schwager arbeitet in der JVA.“ Maradonna sah Günther fragend an. „Justizvollzugsanstalt“, erklärte der. Musti ergänzte: „Er meint Knast.“ Maradonna fragte: „Und die beiden, Mantel und Klunker ...“ Sie brach ab. Onkel Herbert beendete ihren Satz: „Die sind jetzt beide draußen. Wenn das mal gutgeht!“

9 Intensive Behandlung Maradonna erzählt Das waren wirklich überraschende Nachrichten. Sogar erschreckende Nachrichten. Mantel und Klunker waren also wieder aus dem Knast entlassen. Eigentlich ging uns das ja gar nichts an. Wir hatten verhindert, dass unsere Sandra geklaut wurde und die Diebe waren verurteilt worden. Aber trotzdem hatten wir ein ungutes Gefühl. Würden sich die beiden an uns rächen wollen? Wie verhält man sich, wenn man jemandem wieder begegnet, mit dem man mal richtig Streit hatte? Am besten, ganz normal. Aber ganz normal waren Klunker und Mantel nun mal nicht. Das waren Gangster. Kriminelle. Verbrecher. Würde Klunker immer noch unsere Sandra haben wollen? Wohl kaum. Wenn man die noch mal klaute, wüsste die Polizei ja sofort, wo sie nachsehen müsste. Würden die beiden sich an uns rächen wollen? Immerhin hatten wir sie in den Knast gebracht. Viele Fragen, einige Sorgen. Aber Richard, also Doktor, brachte uns dann wieder in die Welt zurück, weil er

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ja eine ganz eigene, spezielle Sorge hatte. Tiffy. Seine Katze musste versorgt und geimpft werden. Also schoben wir alle Sorgen und Gedanken um Mantel und Klunker schließlich beiseite, und fuhren am nächsten Tag nach Mengede. An der U-Bahn-Haltstelle Zeche Minister Stein stiegen wir um in den Bus der Linie 473. Wir hatten Tiffy in einem Transportkäfig und wechselten uns mit dem Tragen ab. Ich trug sie grade, als wir in den Bus einstiegen. Ich erkannte ihn im gleichen Moment wie er mich. „Turbo!“ Ich freute mich und war aber auch überrascht. „Ach nee, die Yurumi-Gang!“, sagte er. Ich stellte Turbo den anderen vor und natürlich auch die ihm. Ich war erstaunt, ihn hier zu treffen: „Ich denke, Sie fahren die Linie zum Zoo.“ Turbo grinste mich an: „Na, hör mal. Wir sind flexibel und auf allen Strecken einsetzbar! Wo soll’s denn heute hingehen? Oh, und ihr seid mit Haustier unterwegs.“

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Doktor stellte ihm seine Katze ordentlich vor: „Meine Katze! Sie heißt Tiffany!“ Turbo schaute Doktor an: „Ich kenne auch eine Tiffany. Die wohnt aber in Brechten und ist keine Katze, sondern ein Mensch.“ Jetzt war Doktor etwas verdattert: „In Brechten? Tiffany Eichler etwa?“ Unser Busfahrer schüttelte ungläubig den Kopf: „Ja klar! Woher kennst du die denn?“ „Das ist meine Tante.“ „Nee!“ „Doch!“ Turbo konnte es nicht fassen: „Ich werde verrückt. Dortmund ist ein Dorf! Wo wollt ihr denn heute hin? Das ist hier doch gar nicht eure Richtung.“ Ich erklärte ihm, dass wir zum Tierarzt wollten. Musti ergänzte: „In der Schragmüller-Villa.“ Turbo nickte: „Dann weiß ich, wo ihr raus müsst. Wie war es denn gestern im Zoo?“ Doktor glaubte, sich verhört zu haben: „Woher wissen Sie denn, wann wir im Zoo waren?“ Turbo grinste: „Na, wenn solche Berühmtheiten wie Maradonna bei mir im Bus mitfahren!“ Nach fünf Minuten hielt der Bus, wir stiegen aus und verabschiedeten uns bis zum nächsten Mal. Dortmund ist schließlich ein Dorf und man trifft sich. Doktor erzählt Wir gingen an ein paar hohen Bäumen vorbei, an einem kleinen Platz entlang und da sah ich die Schragmüller-

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Villa. Beziehungsweise, um genau zu sein, den ehemaligen Pferdestall des ehemaligen Kutscherhauses der Schragmüller-Villa. Ich hatte das vorher im Internet nachgelesen und mir die Bilder angesehen. „Das Haus ist es.“ Musti sah mich an. „Woher weißt du das schon wieder?“ „Internet“, sagte ich nur kurz. Musti staunte: „Das Haus ist im Internet zu sehen, Doktor?“ Wir bogen ein auf den Hof und gingen am Haus entlang, um den Eingang zu suchen. „Die Ärztin hat da sogar eine eigene Web-Seite! Und da schreibt sie auch über die Geschichte ihres Hauses, über die Familie Schrag...“ Plötzlich hielt Maradonna mich am Arm fest. Leise sagte sie: „Geh weiter, aber dreh dich mal unauffällig um. Auf der anderen Straßenseite!“ Musti blickte kurz zurück, sah sofort wieder nach vorn und zischte: „Ein weißer Straßenkreuzer!“ Ich hielt die Kiste mit Tiffy darin auf dem Arm und drehte mich unauffällig, als würde ich auf dem Grundstück was suchen. Dabei kam auch mir der Wagen ins Blickfeld. Ein amerikanischer Sportwagen. Weiß. Weiße Autoreifen. Weiße Felgen. Das weiße Klappdach unten. Das waren doch nicht etwa...? Ich flüsterte: „Klunker?“ Maradonna ergänzte: „Und Mantel?“ Musti stotterte fast: „Das kann doch gar nicht sein!“ „Los, unauffällig weitergehen “, sagte Maradonna. „Sind die das echt?“, fragte Musti. Ich schaute noch mal mit mehr Ruhe hinüber: „Es sitzt keiner im Wagen. Wo sind die?“ Wir schauten auf der Straße in alle Richtungen und gingen

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dann zum Eingang. An der Haustür hing das Praxis-Schild und Musti drückte die Tür auf. Ich ging mit Tiffy rein, dann Maradonna, dann Musti. Wir flüsterten. Ich sagte: „So ein Auto gibt es kaum noch mal. Und dann diese weiße Karre. Wisst ihr noch? In Wambel? An der Rennstrecke letztes Jahr? Musti kicherte: „Der fährt zwei Jahre lang das gleiche Auto? Läuft wohl nicht so gut mit seinen Geschäften!“ Wir prusteten alle los. Maradonna sagte: „Was wollen die beim Tierarzt?“ Ich überlegte: „Vielleicht sind die ja gar nicht beim Tierarzt?“ Musti führte unseren Gedanken weiter: „Und wenn doch? Kommt, wir schleichen da lieber ganz vorsichtig rein. Ich zieh die Tür etwas auf.“ Maradonna schaute vorsichtig: „Hier ist gleich das Wartezimmer. Da ist nur ein Hund drin.“

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Ich entschied: „Okay, gehen wir rein. Langsam wird mir die Kiste mit meiner Katze auch etwas schwer.“ Im Warteraum sahen wir uns um. Fotos von Tieren an den Wänden. Wir trauten uns kaum zu sprechen und fingen gerade an, uns mit Handzeichen zu verständigen, als eine Tür sich öffnete. Wir erschraken alle drei, vielleicht sogar alle vier, denn Tiffy ist ein sensibles Tier und spürt immer, wenn etwas nicht stimmt. Wenn ich traurig bin, kommt sie und schmust, und wenn ich fröhlich bin, kommt sie und will spielen. Nun merkte ich, wie sie sich im Käfig auf den Boden presste. Gebannt starrten wir auf die Tür. Eine Frau im weißen Kittel trat durch die Tür. Sie kam auf uns zu. Sie lächelte. „Hallo, ich bin Frau Doktor Schöndorfer. Herzlich willkommen in meiner Praxis. Wartet ihr schon lange?“ Die Tür hinter ihr stand offen. Da ging es wohl in die eigentliche Praxis. Und wenn dort Mantel und Klunker lauern sollten? War das alles eine Falle? Nein, das konnte keine Falle sein. Jetzt nur nicht in Panik geraten, sagte ich zu mir. Wenn wirklich Mantel und Klunker hier sein sollten, konnte das nur ein Riesenzufall sein. Die konnten doch gar nicht wissen, wo wir mit meiner Katze Tiffy hingehen würden. Die konnten noch nicht mal wissen, dass ich eine Katze hatte. Oder hatte ich über Tiffy was ins Internet geschrieben? Tausend Gedanken rasten mir in einer Zehntelsekunde durch den Kopf. Ich wusste gar nicht, dass man in so kurzer Zeit so viel denken kann. Wenn man das alles aussprechen würde, was man da denkt, würde es viel länger dauern als es nur zu denken, dachte ich gerade. Und dann hatte ich noch einen Gedanken. Wenn hinter der Praxistür wirklich

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Mantel und Klunker lauern sollten, so würden die dort auf keinen Fall lauern, denn sie konnten ja gar nicht wissen, dass wir hierherkommen und wann wir hierherkommen würden. Aber wenn ich jetzt etwas sagte, dann könnten vielleicht unseren Stimmen uns verraten und wenn die beiden Bösewichter erst einmal erfahren würden, wer hier im Wartezimmer wartete, dann würden sie bestimmt sehr sauer sein auf die drei, die sie in den Knast gebracht hatten. Sie durften uns nicht erkennen. Aber sie würden uns hören können. Also sprach ich mit verstellter Stimme. Das war die Lösung. Ich sprach mit einer ganz tiefen Stimme: „Nö, wir warten nöcht langö.“ Ich versuchte, noch tiefer zu sprechen. „Wör sönd gröd gökömmen! Äh, gekommen!“ Mist. Das letzte Wort war mir fast wieder normal raus gerutscht. Die Ärztin sah mich einen Moment zweifelnd an. Dann lächelte sie: „Ah, ich seh schon. Eine hübsche Katze.“ „Töffy!“ sagte ich mit wieder verstellter Stimme.

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„Hallo Töffy!“ sagte Frau Dr. Schöndorfer durch das Sichtgitter in den Tragekäfig, nun auch mit einer ähnlich verstellten Stimme wie ich. „Ich kömme glöich“, sagte sie und lachte mich dabei an. „Ich habe grad noch einen Patienten hier drin. Einen weißen Riesen! Wartet ihr bitte noch etwas? Meine Sprechstundenhilfe ist krank, darum ist niemand hier vorne und es dauert alles etwas länger. Ich muss alles allein machen heute. Bis gleich.“ Sie drehte sich um und ging wieder in ihr Praxiszimmer, dabei zog sie die Tür zwar etwas hinter sich zu, schloss sie aber nicht ganz. Wir standen ganz starr und bewegten uns nicht. Wir atmeten schwer. Musti flüsterte: „Sie hat die Tür aufgelassen!“ Maradonna sagte: „Habt ihr gehört? Sie hat einen weißen Riesen da drin. Die meint Klunker! Das ist doch völlig klar!“ Ich sagte: „Warum soll ein Mensch zu einem Tierarzt gehen?“ Maradonna sagte: „Weiß ich nicht. Aber Klunker ist doch ein weißer Riese. Der hat doch immer weißes Zeug an und ist so ein großer Kerl.“ Irgendwie redeten wir alle drei ziemlich panisch durcheinander. Musti fragte jetzt: „Und warum hast du so komisch geredet, Doktor?“ „Ich habe meine Stimme verstellt, damit Klunker uns nicht erkennt. Also, falls er da ist und falls er dieser weiße Riese ist!“ Maradonna sagte: „Stell dir vor, Klunker bekommt Tiermedizin!“ Musti hielt sich schon die Hand vor den Mund und kicherte: „Impfungen!“

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Ich sagte leise: „Gegen Spulwurm und Bandwurm!“ Musti sagte: „Und Mantel wird gleich mit entwurmt!“ Wir bissen uns in die Hände, um nicht laut loszulachen. Maradonna japste: „Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr! Klunker ist auf Entwurmungskur!“ Ich sagte: „Extra in Bad Dortmund!“ Wieder hielten wir unsere Hände vor den Mund, unsere Körper schüttelten sich in lautlosem Glucksen. Dann beruhigten wir uns. Und Musti stellte die einzig richtige Frage: „Was will Klunker überhaupt hier beim Tierarzt?“ Wir legten alle den Finger auf die Lippen und bedeuteten uns gegenseitig, leise zu sein. Dann versuchten wir zu hören, was nebenan gesprochen wurde. Musti erzählt Ich erkannte Klunkers Stimme sofort wieder. Ich erinnerte mich noch genau, wann ich ihn das erste Mal gehört hatte. Als wir ihn belauschten auf der Tribüne der Rennbahn letztes Jahr. Und dann auf seinem Bauernhof in Persebeck. Als er fast seinen Hund auf uns gehetzt hätte. Diese Stimme würde ich ein Leben lang nicht vergessen. Hier klang seine Stimme jetzt aber ganz anders. Nicht mehr aggressiv und kalt, sondern viel wärmer und stolz. „Ein fantastisches Tier, oder?“, hörten wir ihn sagen. „Wirklich, ein sehr besonderes Exemplar“, antwortete die Ärztin. Die dritte Stimme, die ich nun hörte, das musste Mantel sein. Ja klar, ich erinnerte mich an Mantel, diese Stimme, dieser schlacksige, lange Kerl, der immer etwas brutal

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wirkte, in seinem Mantel, mit dem Cowboyhut. Ich wusste noch genau, wie ich ihm das Abhör-Handy letztes Jahr im Billard-Salon in die Manteltasche geschmuggelt hatte. Mantel sagte jetzt: „Das ist ein weißer Riese!“ Sofort blaffte ihn Klunker an: „Die Frau Doktor ist Tierärztin! Die weiß besser als du, was das für ein Tier ist!“ „Entschuldigung, Chef.“, sagte er sofort. „Frau Doktor...“ „Ja?“ Und schon sprach Mantel weiter. „Er hat den weißen Riesen, weil das Kaninchen genauso weiß ist wie seine Klamotten!“ Wir hörten die Ärztin lachen, als sie sagte: „Diese Ähnlichkeit ist unübersehbar!“ Mantel kicherte leicht. „Nur dass Klunker keine roten Augen hat!“ Nun kicherte auch die Ärztin. Dann hörten wir Klunker, sehr sauer und laut: „Halt die Fresse und quatsch keine Opern, Mantel!“ Mantel sagte sofort: „Opern werden aber gesungen, Chef!“ „Du findest dich wohl gerade sehr witzig, was?“, brummte Klunker. „Bitte! Kein Streit in meiner Praxis“, versuchte die Ärztin zu schlichten. Maradonna flüsterte: „Die sind es!“ Doktor nickte: „Tatsächlich!“ „Und der weiße Riese ist ein Kaninchen?!“, sagte und fragte ich gleichzeitig. Doktor machte eine Bewegung und wir schwiegen wieder alle drei und hörten zu, was nebenan gesprochen wurde. Die Ärztin musste das Tier gerade gewogen haben und

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meinte anerkennend: „Acht Kilo. Beachtlich.“ Dann wieder Mantel: „Und ich muss den dauernd tragen und hin- und herschleppen! Aber, schaff ich schon, wenn’s nicht länger als eine Viertelstunde ist! Jedenfalls wenn er in dieser Kiste sitzt. Ohne Kiste ist mir der nicht ganz geheuer. Schon diese Zähne vorne.“ „Schnauze, Mantel“, sagte Klunker. Zur Ärztin gewandt sagte er weiter: „Ich habe schon überlegt, ob ich mit dem Tier mal auf eine Ausstellung gehe. Was meinen Sie, Frau Doktor, habe ich mit dem eine Chance bei Ausstellungen?“ „Ich denke, schon.“ „In den letzten Tagen hat er aber wenig gefressen. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“ Die Ärztin sagte: „Bei Kaninchen sind manchmal die vorderen Zähne zu lang, obwohl das hier noch ganz normal aussieht. Ich lege mal kurz einen Ordner an. Moment bitte. Ich schau mal grad im Computer nach.“ Maradonna flüsterte noch schnell: „Sie kommt zurück!“ In diesem Moment war Frau Dr. Schöndorfer auch schon bei uns. „Na, alles okay bei euch?“ Sie senkte ihre Stimme und zwinkerte Doktor zu: „Wos möcht Töffy?“ Doktor sagte aus Versehen, um sie zu berichtigen: „Tiffy.“ Mit seiner normalen Stimme. Dann merkte er es. Und sagte: „Äh. Ja, Töffy. Natörlich. Töffy.“ Während sie am Computer saß und ein Formular anlegte, sagte die Ärztin zu Doktor: „Du sprichst so komisch.“ Doktor lief rot an. Ich kam ihm zu Hilfe und flüsterte ihr zu. „Er kommt in den Stimmbruch.“ Dr. Schöndorfer sah auf, sah jedem von uns ins Gesicht, sagte erst „Aha!“ und dann: „Ich habe gleich Zeit für euch. Mist, kein Papier mehr im Drucker. Wo ist denn..? Na, ich

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geh schnell in meine Wohnung vorne.“ Dann rief sie Richtung Behandlungszimmer: „Einen kleinen Augenblick bitte, ich muss grad neues Druckerpapier holen. Ich bin sofort zurück.“ Maradonna erzählt Ich wartete, bis sich die Wartezimmertür hinter ihr schloss. Nebenan die Tür zum Behandlungszimmer war weiter nur angelehnt. Ich war ratlos, mir fiel gar nichts ein, darum flüsterte ich erst mal: „Sie ist raus.“ Musti sagte: „Ja, sie ist raus und nebenan sind Klunker und Mantel.“ Doktor zischte: „Ruhe! Die reden wieder!“ Ich hörte Klunker. „Endlich ist sie draußen, jetzt können wir suchen.“ „Aber was suchen wir denn?“, hörten wir Mantel fragen. „Hinweise, Mantel! Wir suchen Hinweise! Hinweise auf den Schatz der Spionin!“ Wir drei zuckten zusammen. Musti flüsterte: „Habt ihr das gehört?“ Doktor war nicht mehr rot. Jetzt wurde er weiß. Fast tonlos sagte er mit großen Pausen: „Die... die beiden... die... wissen von dem Schatz!“ Musti plusterte sich auf: „Woher wissen die das? Das ist unser...“ Ich unterbrach ihn sofort: „Seid leise!“ Von nebenan hörten wir Geräusche. Klunker fluchte. „Los, such! Wir haben nicht ewig Zeit.“ Wir hörten, wie Türen geöffnet wurden, Schiebetüren wurden geschoben, Schubladen wurden aufgezogen und

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wieder geschlossen, wir hörten beide in den Schubladen suchen, Papier raschelte. „Bring bloß nichts durcheinander. Wenn die was merkt, sind wir geliefert!“ Das war Klunker. Mantel zischte: „Ich finde nix!“ „Nicht da. In den Schubladen ist nur so Tierarztkram drin.“ Ratlos hörte ich Mantel fragen: „Wo denn dann?“ Es entstand eine Pause. Dann hörten wir Klunker: „Vielleicht hinter den Bildern? Vielleicht gibt es einen versteckten Tresor.“ „Glaubst du, dass die seit über 80 Jahren da hängen? Die haben doch bestimmt zwischendrin mal gestrichen. Ich renoviere meine Wohnung alle fünf Jahre.“ Man merkte, dass Mantel mehr aus dem praktischen Leben kam. Klunker fluchte. „Aber irgendeinen Hinweis muss es doch geben. Such auch mal im Wartezimmer.“ Wir waren sofort auf höchster Alarmstufe. Denn im Wartezimmer warteten – wir! Musti sagte panisch, aber immer noch leise genug: „Mist. Sie kommen!“ Doktor sah kurz nach allen Seiten und flüsterte dann: „Los, raus!“ „Und wohin?“, fragte ich, während wir schon unterwegs waren. Ich riss die Tür auf. Musti stürmte an mir vorbei und lief als erster raus, sah kurz zur Seite und rief: „Da rechts in den Garten, los in den Schuppen.“ Wir rannten hinter ihm her. Er riss die Schuppentür auf, ich sprang hinter ihm hinein und hinter mir stolperte Doktor

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über eine Bodenschwelle. Ich rief noch „Vorsicht, Doktor!“ Aber da war es schon zu spät. Doktor war gestürzt. Mit der Transportkiste und mit Tiffy drin. Er versuchte noch, im Sturz die Kiste hochzuhalten, damit Tiffy nichts passierte, aber dann schlug er unglücklich auf die Seite und die Kiste auf einen Holzstapel, und stürzte dann von dort runter, dass sich erstens die Transportkiste überschlug und zweitens deren Tür aufsprang. Arme Tiffy. Der war aber scheinbar und glücklicherweise nichts passiert, außer dass sie natürlich einen Riesenschreck bekommen hatte. Sie flitzte aus der offenen Tür ihrer Kiste heraus und hinein in das Dunkle des Schuppens und ich sah noch, wie sie einen großen Brennholzstapel emporjagte und sich oben versteckte. Unten rappelte sich erst Doktor wieder auf, dann zog aber auch schon Musti die Schuppentür hinter uns zu und mit einem Mal war es sehr dunkel in diesem Raum. „Was ist...“ sagte Doktor. „Ssst“, sagte Musti. „Kein Wort. Falls sie hinter uns her sind.“ „Was ist mit Tiffy?“ flüsterte Doktor. „Ich glaube, ihr ist nichts passiert“, sagte ich. „Sie ist aber aus der Kiste abgehauen und auf den Stapel da hochgeklettert.“ „Mist!“ fluchte Doktor. Und im nächsten Augenblick sagte er traurig: „Arme Tiffy.“ „Ist dir was passiert?“, fragte ich. „Das Knie tut weh. Ist wohl aufgeschlagen. Ist aber nicht schlimm.“ Dann rief er leise nach Tiffy.

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Mantel erzählt Auf was für Ideen Klunker immer kommt! „Schatz der Spionin“. Und dann liest er monatelang Bücher und liest in diesem Internet und dann weiß er immer noch nicht, wo der Schatz steckt und ich muss wieder ran und den ganzen Kram suchen. Also, ich schaute hinter jedem Bild nach, ob ich irgendwas dahinter fände. Hoffentlich kommt diese Ärztin nicht sofort zurück, dachte ich. Und kaum hatte ich das gedacht, stand sie auch schon hinter mir. Ich hatte gerade ein Bild in der Hand von der Hörder Burg. Kein Tresor dahinter. Ich wollte es gerade wieder hin hängen, zehn Sekunden später und alles wäre gutgegangen. Aber da hörte ich schon ihre Stimme: „Was machen Sie da?“ Mir fiel so schnell nichts Intelligentes ein. „Ach, äh, ich sehe mich nur um!“ „Bitte?“, fragte sie und stand vor mir und stemmte die Hände in die Hüfte. Tierärztin. Wer weiß, mit was für Tieren die sonst zu tun hatte. Tiger vielleicht. Jaguare. Elefanten. Wildgewordene Affen. Riesige und wilde Tiere. Und wenn die mit denen fertig wurde, dann schon lange mit mir. Vielleicht hatte die so ein Betäubungsrohr und konnte mir einen Pfeil an den Hals blasen. Oder in den Hintern. Wie nachmittags in den Zoo-Sendungen im Fernsehen. Ich wollte jedenfalls sehr, sehr vorsichtig sein. „Ich guck nur so.“ „Was gucken Sie denn nur so, wenn ich mal fragen darf?“ „Ach, dies Bild“, sagte ich. „Das gefällt mir... irgendwie.“ Ich hielt ihr den Bilderrahmen hin, sie nahm ihn und schaute darauf.

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„Die Hörder Burg“, sagte sie. „Das ist eine Zeichnung von Elisabeth Schragmüller.“ „Von der Spionin?“, schoss es mir schneller raus, als ich gewollt hatte. „Sie kennen Frau Schragmüller?“ Ich sah sie an. Wer war denn jetzt Schöndorfer und wer war Schragmüller? Sie hier war eine von den beiden. Das eine war eine Spionin, die andere war die Tierärztin. Ich kann mir Namen einfach nicht merken. Aber wenn sie nach der einen fragte, musste sie ja die andere sein! Ich fand mich ziemlich clever und war nicht sicher, ob Klunker auf so etwas kommen würde. Ich sah sie an und sagte: „Wie war noch mal die Frage?“ „Ob Sie Frau Schragmüller kennen!“ Dann war sie Schöndorfer. Ich sagte: „Nee, Klunker, der kennt die. Also, der kennt die besser.“ In diesem Moment kam Klunker zu uns in das Wartezimmer und dabei hatte er Kurt-Felix auf dem Arm und streichelte ihn. Dabei sagte er: „Ich interessiere mich für, sagen wir, für Heimatkunde. Dortmund und so.“ Frau Doktor Schöndorfer sah ihn an: „Interessant, sind Sie auch bei den Volkshochschulkursen?“ Ich sagte: „Nee, der hat das im Knast gemacht!“ Klunkers Augen blitzen auf wie nach einem Leberhaken. Ich hatte mich verquasselt. Und die Ärztin reagierte natürlich auch mehr als erschrocken: „Im Knast gemacht?“

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Klunker regelte seinen Ärger sofort runter, streichelte sein Kaninchen und sagte dann etwas zögernd, aber ganz sanft: „Nee, der, äh, der Mantel wollte sagen, ich hab das im Knast gemacht, weil..., ich... ich hab da Kurse gegeben.“ Frau Schragmüller sah ihn an und ihr skeptischer Gesichtsausdruck wechselte zu einem mit einer gewissen Anerkennung: „Das ist aber toll, dass Sie sich so für Strafgefangene engagieren.“ Ich sagte schnell: „Ach, das macht der gerne. Natürlich.“ Sie sah mich an: „Und Sie?“ Gute Frage. Ja. Und ich? Ohne weiter nachdenken zu können, sah ich das Kaninchen auf Klunkers Arm und sagte: „Ich, äh, ich kümmere mich um die Tiere, das Riesenkaninchen und so, wenn er im Knast ist.“ Die Ärztin lachte: „Naja, so ein Kurs dauert ja nicht so lange.“ Wieder sagte ich etwas zu schnell: „Och, der Klunker, der war da schon ein paar Jahre dr...“ Ich biss mir auf die Zunge. Erst denken, dann reden. Aber fröhlich rief jetzt Klunker von der Seite: „Ja, so lange mach ich das schon. Hör jetzt auf damit, Mantel, Frau Doktor interessiert das gar nicht!“ Er war ein großartiger Schauspieler. Ich dachte, vielleicht sollte er mal bei den Gerichtssendungen im Fernsehen mitspielen. „Ach, das ist schon interessant“, unterbrach Frau Dr. Schöndorfer meine Zukunftsplanungen für Klunker. Klunker erzählt Ich konnte mich kaum noch zurückhalten. Mantel. Dieser Blödmann. Dauernd verquatschte der sich. Verriet hier fast,

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dass wir schon jahrelang im Knast gesessen hatten. Die Ärztin würde uns hochkant rauswerfen, wenn die erst mitbekam, in welchem Berufsfeld wir arbeiteten. Die war doch nicht blöd. Blöd war hier nur einer. Mantel. Ich sagte schnell: „Jedenfalls interessiere ich mich auch ganz viel für alte Steine...“ „Edelsteine vor allem“, rutschte es Mantel schon wieder raus. Ich könnte den erwürgen! Trotzdem versuchte ich zu lachen. Klang nicht ganz echt. Ich bin schließlich kein Schauspieler. Jetzt musste ich aber schnell was sagen. „Das mag ich so an Mantel. Immer einen Scherz auf den Lippen. Nein, mich interessiert eher so Altes. Ausgrabungen und so.“ Wieder hakte Frau Dr. Schöndorfer nach und sah mir in die Augen: „Ausgrabungen? Es werden doch grad Ausgrabungen gemacht an der Hörder Burg. Weil der Phoenix See dort gegründet wird, ist zur Zeit ein internationales Team an der Hörder Burg mit Ausgrabungen beschäftigt. Und diese Zeichnung hier...“ Was sagte sie da? Ich war plötzlich mehr als interessiert: „Genau. Warum hat die olle Schragmüller denn die Burg gezeichnet?“ Die Ärztin verzog ihr Gesicht. Klar. „Olle“. Hätte ich nicht sagen sollen. Jetzt hatte ich mich selber reingerissen. So spricht man nicht über Frauen. Frau Doktor ließ sich aber nichts anmerken und erzählte weiter: „Ach, die Burg und das Gelände rund um Phoenix. Das waren wohl irgendwie, ja, man kann wohl sagen, das waren Lieblingsorte von ihr hier in Dortmund.“ Ich sagte laut, was ich dachte: „Aha. Romantische Agentin.“ Frau Schöndorfer sagte weiter: „Ja. Sie hat hier sogar

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etwas auf den Rand der Zeichnung geschrieben. Ein Gedicht. Wohl von ihr selbst. Lesen Sie ruhig.“ Sie gab mir das Bild im Rahmen und ich las laut vor: „Das Liebste, was ich habe Was ich in meinem Dortmund sehe Sehe ich wohl jedes Mal Wenn ich zur Burg in Hörde gehe“ Frau Doktor lachte: „Bisschen schwülstig, oder?“ Mantel sah sie an: „Warum? Das ist doch ganz gut gereimt. Also ich könnte das nicht!“ Frau Doktor stand neben mir, roch gut und zeigte auf das Bild in meinen Händen: „Es ist noch so eine kleine Zeichnung daneben. Fast wie eine Schatzkarte.“ Dann lachte sie. Mir war gar nicht nach Lachen zumute. Mir schlug das Herz

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bis zum Hals. Wir waren ganz nah dran. Jetzt nur ruhig bleiben. Ich fühlte mich aufgeregt wie ein Rennläufer vor dem Start. Jetzt nur keinen Fehlstart mehr hinlegen. Wenn nur Mantel die Klappe halten würde! Sie redete weiter: „Verrückt, oder? Sie war ja angeblich eine echte Spionin.“ Mantel flüsterte vor sich hin: „Schatzkarte. Aha.“ Frau Doktor schaute nur kurz auf zu ihm und sagte dann, zu mir gewandt: „Es gibt ja einige Gerüchte über den Schatz der Spionin.“ Ich versuchte ganz cool und unbeeindruckt zu wirken. Ich suchte nach meiner neutralsten Stimmlage: „Und wurde der je gefunden? Oder eher noch – glauben Sie, dass es ihn gibt?“ Sie antwortete spontan, hatte sich also scheinbar schon häufiger Gedanken dazu gemacht: „Nein. Gefunden wurde der nie. Und in diesem Haus kann er nicht sein. Wir haben alles komplett renoviert. Ich glaube auch nicht, dass es wirklich je einen Schatz gegeben hat. Andere sagen, es wäre tatsächlich ein Goldschatz. Mit Gold, das sie von der Regierung damals einerseits als Lohn bekam, zum anderen aber auch, um ihre Spionagearbeiten zu finanzieren. Aber ich glaube da nicht dran.“ Sie hängte das Bild an die Wand. „Kommen Sie noch mal kurz mit in die Praxis. Und unterschreiben Sie bitte hier.“ Ich wollte keine Spuren und keine Adresse hinterlassen. Man weiß ja nie. „Ich würde gerne bar zahlen “, sagte ich. „Mantel, pack schon mal den weißen Riesen in die Transportkiste.“ „Aber Chef...“ „Kein aber. Mach!“

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Frau Doktor sah kurz auf: „Barzahlung. Auch gut, ich gebe Ihnen eine Quittung.“ „Ich brauche keine Quittung!“ „Aber ich muss den Geldeingang bei mir verbuchen. Dann werfen Sie Ihre Quittung eben einfach weg.“ „Kann ich die gleich hierlassen?“ „Bitte? Ja. Ja, natürlich. Wenn Sie die denn so gar nicht mitnehmen wollen.“ „Ich hab es nicht so mit Papier. Liegt nur zu Hause rum und macht Unordnung.“ „Und Ihre Steuer? Na, geht mich ja nichts an. Dann eben keine Quittung für Sie, sondern nur eine für mich. Tragen Sie Ihre Adresse bitte noch oben auf dem Formular ein.“ „Ich komme bestimmt wieder, aber ich ziehe grad um und ich weiß noch nicht genau, wohin, und wenn ich hier bei Ihnen keine Schulden mehr habe, dann ist es ja nicht so schlimm, wenn Sie nicht sofort meine aktuelle Adresse haben. Oder?“ Jetzt musste ich eine Karte ziehen, die ich nicht so gern zog. Ich musste mich etwas unbeliebt machen. Ich sagte: „Oder wollen Sie heute noch auf ein Glas Champagner vorbeikommen?“ Frau Doktor Schöndorfer sagte sofort: „Nein. Entschuldigen Sie, das sollte, das sollte nichts Privates werden. Das ist nur unser ganz normaler bürokratischer Gang.“ Ich legte ihr einen Zwanzig-Euro-Schein hin. Merklich abgekühlt sagte sie noch: „Das war es dann wohl. Mehr kann ich heute nicht für Ihren weißen Riesen tun.“ Ich beugte mich vor, um ihr einen Handkuss zu geben. Sie zuckte erschrocken mit ihrer Hand zurück. Super. Die würde sich nicht weiter für uns interessieren. Wir uns aber

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sehr für sie. „Auf Wiedersehen, Frau Doktor Schöndorfer.“ „Wiedersehen“,sagte sie sehr kurz. „Man sieht sich“, sagte Mantel und trug Kurt-Felix in der Transportkiste aus der Wohnung. Klar, dachte ich, wir sehen uns, aber wenn Mantel und ich das nächste Mal hier rein kommen, siehst du uns nicht. Ich hatte schon wieder einen Plan! Frau Dr. Schöndorfer erzählt Das waren ja seltsame Gestalten, die ich da grad bei mir in der Praxis hatte. Einerseits ganz interessiert an der Welt und vor allem auch an unserer Stadt Dortmund. Schienen auch Dortmunder zu sein. Bisschen komisch angezogen waren sie, der eine mit diesem Mantel wie ein verhinderter Cowboy und der andere wirkte wie ein Provinz-Krimineller. Am Ende war der mit den Klunkern in so eine eklige Anmach-Nummer verfallen. Wollte mir sogar einen Handkuss geben. Ich musste mir sofort noch mal die Hände waschen. Aber einen schönen Hasen hatten sie. Und welcher Kriminelle hält schon Tiere? Und das Tier war wirklich super gepflegt. Die ganze Arbeit musste aber scheinbar der im Mantel machen. Dabei hatte der sogar etwas Angst vor dem Tier. Ich musste noch mal lachen. Na gut, es gab sogar Menschen mit Angst vor Spinnen oder Angst vor Mäusen. Phobien heißen diese Ängste übrigens und manche fürchten sich eben vor so was. Tja, so welche werden wohl auf keinen Fall Tierärzte mit Kleintier-Praxis. Ah! Plötzlich fiel es mir siedend heiß ein. Ich hatte doch eine Kleintier-Praxis. Und in meinem Wartezimmer waren eben noch drei Kinder und eine Katze gewesen. „Töffy“.

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10 Jenseitiger Brief Doktor erzählt Es war ziemlich dunkel im Schuppen. Maradonna flüsterte: „Hier lagert sie Brennholz. Und Werkzeug.“ Mir war das alles egal. Ich machte mir Sorgen um Tiffy. Sie musste sich total erschrocken haben bei unserem Sturz. Vielleicht hatte sie sich sogar verletzt. Katzen können zwar aus großer Höhe fallen und diesen Sturz fast immer abfangen, aber hier flog nicht sie, sondern sie flog in der Kiste und sie konnte gar nichts sehen von unserem Sturz. Die Arme. Sie tat mir total leid. Mein aufgeschlagenes Knie war mir ganz egal, Hauptsache Tiffy war nichts passiert. Ich rief sie, leise und vorsichtig: „Tiffy. Tiffy komm. Tiffy.“ Nichts rührte sich. Sie war bestimmt ohnehin verängstigt durch den Transport in der Kiste. Mittlerweile hatten sich unsere Augen an das Dunkel gewöhnt. Plötzlich sagte Musti: „Da oben, sie sitzt auf dem Holzstapel. Direkt unter dem Dach da. Los, mach eine Räuberleiter, ich hole sie.“ Ich überlegte kurz: „Dich kennt sie nicht, ich hole sie runter.“ „Okay“, sagte Musti. Er schob seine Hände ineinander, die Handflächen nach oben und in diese Trittstufe der Räuberleiter stieg ich mit meinem linken Fuß. Erst hielt ich mich an Mustis Schultern, dann streckte ich mein Bein durch, Musti hob seine Hände und drückte mich dadurch noch ein Stückchen höher. „Reicht nicht“, sagte ich.

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„Steig auf meine Schulter!“, ächzte Musti. Maradonna stützte uns beide, damit wir im Gleichgewicht blieben. Ich tastete auf dem Holzstapel herum, dann fand ich Halt für einen Fuß und stand nun halb auf Mustis Schultern und halb auf dem Holzstapel. „Wackel nicht so!“ flüsterte ich. Musti stemmte seine rechte Hand in seine Seite, um sich selbst zu stützen, seine linke hielt mein linkes Bein. „Du hast es gut. Du stehst ja oben!“ Maradonna ermahnte uns: „Seid leise! Wer weiß, wann Klunker und Mantel da aus dem Haus kommen.“ Ich versuchte es wieder: „Tiffy! Tiffy, komm. Tiffy!” Aus dem Dunkel hinter dem Stapel sah ich erst ihren Kopf, dann kam sie mit langsamen Katzenschritten auf mich zu. Sie stupste mit ihrem Kopf gegen meine Hand. „Ganz ruhig. Liebes Tiffylein, na siehst du, geht doch alles gut, ja meine Süße.“ Ich streichelte ihr über den Kopf. Musti sagte: „Was machst du da oben? Spielst du mit der Katze? Ich kann dich gleich nicht mehr halten. Komm runter!“ „Sie muss doch erst wieder Vertrauen fassen. Ja. Liebe Tiffy.“ Dann fasste ich sie vorsichtig unter den Bauch, ich merkte, wie sie leicht zitterte, anschließend drehte ich mich etwas. „Maradonna, ich gebe sie dir jetzt runter. Kannst du sie von hinten unter den Vorderläufen nehmen?“ „Ja. Ich weiß, wie du meinst.“ „Nicht, dass sie sich erschreckt und noch mal abhaut. Oder dich aus Versehen kratzt.“ „Ich passe auf.“ Ich beugte mich runter. Musti stöhnte. „Moment noch“, sagte ich. Maradonna nahm Tiffy entgegen. „Die ist wirklich toll, deine Tiffy. Und so ein schönes Fell“, sagte Maradonna.

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„Die hat drei Farben“, stöhnte Musti unter mir. „Katzen mit drei Farben nennt man Glückskatzen. Ich kann dir das...“ Plötzlich brach ich im Satz ab. Ich hatte etwas entdeckt. „Erklär mir das, wenn du unten bist“, stöhnte Musti. „Moment. Warte. Ich sehe was. Halt noch mal durch.“ „Was ist denn jetzt noch? Ich kann nicht mehr!“ Ich sah zwischen den Holzritzen etwas Gelbliches hervorschauen. Sah fast schon aus wie das Holz rundum, mindestens in diesem dämmerigen Schuppen. Was war das? Musti rief verärgert: „Komm da runter jetzt!“ „Aber hier klemmt was. Ein... eine Art...“ Ich beugte mich, ich nahm langsam den Fuß von Mustis Schulter und stemmte mich auf meinem rechten Bein noch weiter über den Holzstapel. Unter meinem Fuß knackte es verdächtig. Und wenn ich mit dem ganzen Zeug zusammenbrach? Egal. Ich wollte wissen, was das war, ich hatte es fast. Spinnen saßen in der Ecke und flüchteten vor mir. Ich kam schon fast ran, noch drei Zentimeter, ich streckte das Bein, stellte mich auf die Fußspitze, schrammte mir den Bauch auf. Da! Endlich hatte ich die Ecke zwischen den Fingern. Vorsichtig zog ich. Es klemmte. Ich bewegte meine Hand vorsichtig hin und her, ich wollte diesen Fetzen auf keinen Fall abreißen! Millimeter um Millimeter zog ich es hervor. Es schien, ja, es schien ein Briefumschlag zu sein. Und er war nicht leer, das spürte ich zwischen meinen Fingern. Aber er war alt und brüchig und vergilbt. „Ein Brief!“, presste ich zwischen meinen Zähnen hervor. „Musti, ich hab einen Brief gefunden. Hilf mir, dass ich mit dem Bein wieder auf deine Schulter komme.“ „Okay, Doktor!“

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Und dann sang er leise dieses Lied der Schlange Kaa aus dem „Dschungelbuch“. „Hab Vertrauen, glaube mir...“ Dabei musste er sehr kichern und wir anderen beiden auch. Musti führte mit seinen Händen mein linkes Bein auf seine Schulter. „Warte“, sagte Maradonna, „Ich nehme dein rechtes Bein.“ Ich verlagerte vorsichtig mein Gewicht vom rechten Fuß auf den linken auf Mustis Schulter. Langsam richtete ich mich auf, drückte mich mit den Armen hoch und drehte meinen Oberkörper. Ich schaute auf den Umschlag. „Der sieht aber alt aus. Ganz alte Schrift.“ „Wie wäre es, wenn du deine Post unten erledigst und nicht auf meinen Schultern? „Ja, schon gut. Warte. Maradonna, nimm den Brief, ja?“ Tiffy hatte sie inzwischen wieder in die Transportbox gehoben. Sie nahm nun den Brief. Scheinbar konnte sie die Schrift kaum entziffern. Ich war wieder von Mustis Schultern über die Räuberleiter abgestiegen. Musti rieb sich die Schultern. Aber er wollte nicht zugeben, dass ihm was weh tat. Maradonna las: „E Punkt Schragmüller. He? Ist das etwa...“ Und wir vollendeten ihren Satz zu dritt im Chor: „...von der Spionin?“ Einen Moment lang hörten wir unsere Herzen schlagen. Dann hörten wir die Schuppentür. Maradonna erzählt Die Schuppentür ging auf und plötzlich stand die Ärztin vor uns. „Was macht ihr denn hier in meinem Holzschuppen?“

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Wir waren total erschrocken, erstens überhaupt, zweitens, weil wir befürchteten, dass es Klunker und Mantel wären, die da hinter uns hergestürmt kämen. Jetzt stand Frau Dr. Schöndorfer da. Wir waren etwas durcheinander. Musti sagte: „Ah, wir wollten gar nicht...“ Ich sagte: „Und wir haben auch nichts...“ Die Ärztin sah uns an. „Was habt ihr denn nicht?“ Doktor rettete uns wieder. „Tiffy war abgehauen!“ „Tiffy?“ „Meine Katze!“, sagte Doktor mit Nachdruck. Plötzlich lächelte die Ärztin: „Ich denke, sie heißt Töffy?“ Ich hustete, damit sie nicht hört, wie ich den Brief in meine Tasche knüllte. Frau Dr. Schöndorfer erzählt Vor mir standen die drei Kinder und sahen sehr bedröppelt aus. Wieso die ausgerechnet in meinem Schuppen waren, war mir jetzt auch egal. „Und?“ „Wir haben sie wieder!“, strahlte der Junge mit der Brille. „Sie saß oben auf dem Holzstapel.“ „Wie bist du denn da oben raufgekommen?“ „Ich habe Räuberleiter gemacht “, sagte der andere. Ich zeigte hinter sie. „Da wäre eine Leiter gewesen.“ Das Mädchen sagte: „Wir wollten gerade wieder mit Tiffy in die Praxis kommen.“ „Na, dann los“, sagte ich. „Kümmern wir uns also um Tiffy.“ Ich ging vor ihnen her. Ich hörte, wie der eine Junge sagte: „Das war knapp!“ „Was war knapp?“, fragte ich über meine Schulter.

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„Na, fast hätten wir, Tiffy, also, Töffy gar nicht gefunden. Sie saß da ganz oben auf dem Stapel. Wir konnten sie kaum sehen. Und dann ist noch die Tür zugeweht.“ Geweht? Es war doch total windstill. Ach, egal. Nach diesen seltsamen zwei Herren, die grad bei mir gewesen waren, freute ich mich über die drei und meine neue Patientin Tiffy. Der Junge sagte wieder mit tiefer Stimme: „Wör höben dö Kötze erst söit dröi Wöchen.“ Alle drei lachten über seine stimmlichen Verrenkungen. Ich sagte: „Das ist lustig, wenn du deine Stimme verstellst. Aber warum machst du das eigentlich?“ Der andere Junge sagte: „Vielleicht will er ja mal Schauspieler werden.“ Wir waren in meiner Praxis angekommen. Der Junge stellte den Transportkäfig mit der Katze auf meinen Behandlungstisch. Ich öffnete die Klappe und holte die Katze raus. Ein schönes Tier. Mit drei Farben im Fell. Eine sogenannte Glückskatze. Ich schaute noch mal zu den drei Kindern. Und dann fiel es mir ein und auf.

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„Sagt mal, ihr kommt mir bekannt vor. Kann es sein, dass ich schon mal in der Zeitung von euch gelesen habe?“ Das Mädchen sagte: „Könnte sein.“ „Dann habe ich schon allerhand von euch gehört. Mir hilft manchmal eine Kollegin, eine Ärztin, die arbeitet auch im Zoo.... ihr seid diese...“ Mir fiel der Name einfach nicht ein, obwohl ich doch schon so viel über diese Dortmunder Kinder-Gang gelesen hatte. Der Junge, dem die Katze gehörte flüsterte:„Unser Zeichen, los!“ Dann hielt er seine Hand hin und sie legten alle nacheinander ihre Hände auf seine und riefen dabei im Rhythmus „Big Bang - Yurumi-Gang“, und mit einem lauten „Ohohohoho“ warfen sie Hände hoch, riefen noch einmal „YURUMI“ und klatschten sich in der Luft ab. Ich musste lachen und rief: „Ja, genau die!“ Und dann kümmerte ich mich um Tiffy. Musti erzählt Wir waren zu Hause bei Doktor. Tiffy rannte schon wieder durch die Wohnung. Die ganze Aufregung war bei ihr völlig vergessen. Bei uns nicht. Wir hatten Mantel und Klunker wiedergesehen. Und wir hatten einen Brief gefunden. Aber wir hatten den noch nicht aufgemacht. Jetzt lag der Brief auf Doktors Bett und wir saßen drum herum und starrten ihn an. Maradonna sagte: „Diese Ärztin. Die war doch total nett.“ „Und sie ist wirklich klasse mit Tiffy umgegangen“, sagte Doktor. Ich war total neugierig und hätte den Brief am liebsten schon unterwegs gelesen, aber Doktor hatte gesagt: „Zuerst kümmern wir uns um Tiffy. Der Brief hat da schließlich

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schon Jahrzehnte gelegen. Da hat der jetzt auch noch ein paar Minuten Zeit.“ Nun war die Katze versorgt und ich sagte: „Jetzt mach ihn endlich auf, Doktor.“ Doktor hatte einen Brieföffner und ritzte das Papier oben auf. Langsam zog er einen gefalteten Briefbogen heraus. „Schon richtig braun, das Papier“, sagte Maradonna. „Sie hat mit Tinte geschrieben. Die Schrift sieht schön aus, so geschwungen.“ Ich schaute auf den Briefbogen: „Ist aber trotzdem schwer zu lesen. So schnörkelig.“ Doktor rückte sich die Brille zurecht: „Ich probier es mal. Also. Dies ist mein liebstes Vermächtnis. Dortmund Mengede 1921. Ich, Elisabeth Schragmüller, schreibe dies. Es ranken sich immer noch viele Gerüchte um mich und mein Leben. Viele denken, ich war eine Spionin. Das stimmt. Und gerade darum werde ich nichts über mich preisgeben. Denn geheimer als alles Geheime sollte das Leben derer bleiben, die diese Geheimnisse erforschen. Das Leben der Spione muss das Geheimste überhaupt sein. Viele denken, und ich spüre das oft, als hielte ich bis heute einen Schatz versteckt. Reichtümer. Das stimmt und es stimmt gleichzeitig nicht. Diese Karte führt zu meinem geheimsten Schatz. Wer ihn findet, der wird mit meinem Wertvollsten beschenkt. Elisabeth Schragmüller“ Darunter war mit Bleistift eine Wegskizze gezeichnet. Wir waren sprachlos. Dann platzte es aus mir heraus: „Ein Schatz! Also doch!“

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Maradonna sah sehr nachdenklich aus: „Ja, schon. Aber ... das klingt nicht so, als ob der Schatz viel wert wäre.“ Doktor sagte: „Hört sich wirklich nicht nach Gold an.“ Fand ich nicht: „Vielleicht doch. Aber auf jeden Fall ist es ein Schatz.“ Wir diskutierten weiter. Doktor sagte: „Jedenfalls hat sie was versteckt.“ Nun überlegten wir, was sie versteckt haben könnte und wo. Unsere Fantasie machte Purzelbäume. Der Schatz könnte in Paris oder Moskau oder in Lissabon sein. Dann entschieden wir uns. Er musste irgendwo in Dortmund sein! Der Schatz! Denn sie hatte den Brief in Mengede geschrieben. Wir schauten auf die Zeichnung. Keiner von uns konnte sie entziffern. Diese Zeichnung war ein Geheimnis für sich. Und die Stadt war so groß! Wie sollten wir eine Stelle finden, zu der diese Zeichnung passte? Plötzlich sagte Doktor: „Moment. Ich habe eine Idee. Aber dafür brauche ich mehr Zeit. Morgen nach der Schule, könnt ihr da vorbei kommen? Musti? Maradonna?“ „Kein Problem“, meinte Maradonna. „Um drei sind wir da“, sagte ich. „Aber...“ „Ja?“ „Was ist mit Mantel und Klunker? Die sind doch auch dem Schatz auf der Spur“, gab ich zu bedenken. „Aber wir haben die Schatzkarte!“, triumphierte Maradonna. „Trotzdem sollten wir uns beeilen“, sagte Doktor. „Wer weiß, was die beiden noch alles anstellen. Aber wenn wir schnell genug sind, können sie uns nicht in die Quere kommen.“ „Bis morgen haben die vielleicht ihr Kaninchen gefüttert,

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aber nie im Leben eine Schatzkarte und keinen Plan und keine Vorbereitungen gemacht. Nicht mal in zwei Tagen. Nicht diese Woche und nicht diesen Monat. Die Dösköppe!“ Maradonna war sich ganz sicher. Aber, wie sich später zeigen sollte, hatten wir die Verbrecher leider unterschätzt. Und das sollte man nie. Man sollte sich nie zu sicher fühlen. Das kann sonst böse enden. Doktor grinste: „Bis morgen!“ Maradonna strahlte uns zwei an: „Ich glaube, die YurumiGang steckt mitten in einem neuen Abenteuer.“ Ich nickte und sagte langsam: „Trotzdem. Mantel und Klunker hängen auch wieder mit drin!“ Dann hielt ich meine Hand in die Mitte und rief „Big“. Mit „Bang“ schlug Maradonna ein, „Yu“ rief Doktor, dann ich „Ru“, dann Maradonna mit „Mi“ und Doktor sagte „Gang“. Wir warfen mit einem lauten „Ohohohoho“ unsere Arme in die Luft und riefen „YURUMI“ und dann klatschten wir uns ab. Die Gang war wieder unterwegs.

11 Klunkers Nachtaktion Klunker erzählt Das war jetzt heute schon unser zweiter Besuch in Mengede. Ich war diesmal nicht mit meinem eigenen Auto gefahren. Mein weißer Straßenkreuzer war mir zu auffällig für so eine Aktion. Ich wollte dieses Bild aus dem Wartezimmer der Tierärztin. Ich wollte die Karte. Ich wollte den Schatz der Spionin! Wir waren unterwegs in einem alten, roten

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Golf. Ich hatte den, sagen wir mal, besorgt. Also, von jemandem geborgt, den ich vorher aber nicht um Erlaubnis gefragt hatte. Das Auto war gehumpst. Ja. Geklaut. Ich bin schließlich ein Verbrecher. Aber noch war es zu früh, um bei der Tierärztin einzubrechen. Wir parkten gegenüber. So nah, dass wir alles beobachten konnten. So weit weg, dass man uns nicht bemerken konnte. Wir? Ich beobachtete. Mantel lag neben mir, hatte den Fahrersitz nach hinten gedreht und schnarchte. Ab und zu wurde er wach. Jetzt auch wieder. Schläfrig murmelte er: „Und?“ „Wir warten noch. Es ist immer noch Licht an.“ Von einer Sekunde auf die andere schnarchte er wieder. „Schlaf nicht!“, raunzte ich ihn an. „Es ist aber Nacht, da schläft man.“ „Gangster schlafen aber nicht.“

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Mantel öffnete sein linkes Auge und sah zu mir rüber: „Klunker. Kann ich nicht ein Teilzeit-Gangster sein und schlafen, bis die da alle ins Bett gegangen sind? Wie spät ist es eigentlich?“ „Halb eins!“ Mantel fluchte: „Die müssen doch langsam pennen gehen. Morgen früh muss die Ärztin wieder aufstehen!“ Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn die endlich schlafen, brichst du ein. Dann klaust du das Bild von der Schragmüller. Ich gehe jede Wette ein, dass wir auf der Rückseite weitere Hinweise finden. Da, Mantel, das Licht geht aus. Endlich. Wir warten noch ein bisschen.“ Dieser Satz wirkte, als hätte ich Mantel den Befehl zu schlafen gegeben. Er schnarchte, bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte. Ich konnte es nicht fassen, pennte der schon wieder! Eine halbe Stunde später weckte ich ihn: „Los! Werd wach, Mantel!“ Mantel war komplett verpennt. „Häh? Was ist denn, Chef? Wo bin ich überhaupt?“ Er sah sich um und entdeckte, dass er bei mir im Auto saß und dass wir vor der Schragmüller-Villa parkten. Er rieb sich die Augen. „Ach so, ja. Jetzt weiß ich wieder. Schlafen die alle?“ „Seit einer halben Stunde sind alle Lichter aus.“ „Ok, ich geh dann mal.“ „Aber lass dich nicht erwischen!“ Mantel stieg aus, sah sich um und überquerte die Straße. Er betrat das Grundstück und verschwand aus meinen Augen. Einen Moment lang hörte ich noch seine Schritte. Mist. Wenn ich die hörte, konnte die auch jemand anderes

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hören. Warum machte der Kerl auch alles in seinen Cowboy-Stiefeln! Dann hörte ich ein Klirren! Verdammt. Wenn ich das Klirren hören konnte, konnte auch jemand anderes das Klirren hören! Ich dachte noch grad, was Mantel für ein Blödmann sei und dass man das Klirren bis nach Lütgendortmund würde hören können, als ich noch mehr hörte. Ein Fenster an der Hausseite wurde geöffnet und im Rahmen erschien die Ärztin. Sie rief in die Dunkelheit: „Da war doch was! Hallo! Da läuft wer! Bleiben Sie stehen!“ Sie wurde immer lauter: „Ein Einbrecher! Ich rufe sofort die Polizei!“ Ich ließ den Wagen an und machte gleichzeitig das Fenster runter. Mantel kam auf mich zugelaufen. Ich rief ihm entgegen: „Los jetzt, du Lahmarsch.“ Ich sah, dass etwas von seiner Hand tropfte. Er rannte um das Auto herum. Ich hatte mich schon herüber gelehnt und ihm die Tür aufgestoßen. Seine rechte Hand blutete, in der linken hielt er das Bild im Rahmen. „Mist“, fluchte er. „Was ist das mit deiner Hand?“ „Geschnitten!“ „Geschnitten! Blödmann. Hab ich was davon gesagt, dass du dich schneiden sollst? Tropf mir hier nicht das Polster voll. Zum Glück habe ich nicht meinen weißen Cadillac genommen.“ Er schmiss die Tür zu. Ich gab Gas und wir rasten durch das nächtliche Dortmund. Erst zur Autobahn, dann Richtung Hannover. Ich fuhr einmal um die ganze Stadt herum und von der anderen Seite über die B1 wieder hinein, um unsere Spuren zu verwischen.

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Frau Dr. Schöndorfer erzählt Ich war wach geworden, weil ich etwas gehört hatte. Das Klirren einer Scheibe. Ich öffnete meine Schlafzimmertür. War jemand in mein Haus eingebrochen? Ich horchte in das Hausinnere. Seltsam. „Hallo?“ Ich rief ins Dunkel hinunter, wollte aber auch nicht so laut rufen, dass meine Familie wach geworden wäre. Ich wollte ja niemanden erschrecken. Vielleicht war ja gar nichts passiert. Da! Wieder ein Geräusch. Unten. Ich stürzte zum Fenster und riss es auf. In der Dunkelheit erkannte ich unten eine Person, die grad aus meiner Praxis herausstürzte. Die Person sah kurz auf ihre Hand und ich hörte einen leisen Fluch. In der anderen Hand hielt sie etwas. Das musste ein Bild sein oder so was Ähnliches. Oder Papier? Ich konnte es nicht genau erkennen. Genau erkennen konnte ich aber, dass die Person einen langen Mantel trug. Mit weiten Schritten lief die Person nun am Haus entlang, über die Straße und stieg dort in ein Auto, dessen Motor gerade gestartet wurde. Ohne die Lichter anzumachen, fuhr das Auto mit quietschenden Reifen weg! Ein Dieb! Ein Einbrecher. Bei mir. Was sollte der gewollt haben? In einer Tierarztpraxis liegen nun wirklich keine Reichtümer und Schätze. Ich rief die Polizei an. Sie würden sofort hier sein, sagten sie.

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12 Lösung gesucht Doktor erzählt Musti und Maradonna waren gegangen. Meine Mutter hatte kurz in mein Zimmer geschaut und gefragt: „Richard, wollen wir noch einen Spaziergang machen?“ Ich sagte ihr, ich hätte keine Zeit, ich müsste eine Aufgabe lösen. Mama dachte natürlich, dass es eine Schulaufgabe wäre. Sie sagte: „Vielleicht schaffst du es ja früh genug, dass wir noch zusammen raus können.“ Ich nickte. Ich hatte mich sofort an den Computer gesetzt. Ich hatte eine Idee, wie ich dieses Rätsel würde knacken können. Im Internet hatte ich ja schon gelesen, dass es in Dortmund sehr viele Stollen und unterirdische Wege gibt. Wege, von denen viele auf keiner Karte verzeichnet waren. Im Moment rüttelte ich an jeder Tür und an jedem Gully-Deckel und versuchte, Einstiege in die unterirdische Welt von Dortmund zu finden. Musti veräppelte mich deshalb. Und viel Erfolg hatte ich wirklich noch nicht gehabt. Eigentlich hatte ich sogar nur Türen gefunden, hinter denen ein Gang oder ein Stollen sein könnte. Ich hatte noch nie eine offene Tür gefunden. Natürlich sind alle Einstiege in diese Stollenwelt verschlossen. Es wäre viel zu gefährlich, wenn man dort einfach einsteigen könnte. Man würde sich sofort verlaufen. Schächte können einbrechen. Aber trotzdem, mich faszinierte diese Welt der Gruben, Höhlen und Stollen. Dortmund war eine Stadt der Kohle- und Stahlindustrie. Es wurde Kohle abgebaut. Um 1950 gab es noch 15 Kohlebergwerke in Dortmund. Überall führten Stollen und Schächte in die Tiefe.

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Einige dieser Stollen haben manchmal sogar die einzelnen Kohlegruben miteinander verbunden. Man kann also kilometerweit von einer Grube zur anderen unter Dortmund durch laufen. Aber die Stollen sind alle geschlossen. Am nächsten Tag kamen Musti und Maradonna wieder vorbei. Und ich erzählte ihnen noch einmal von dieser Welt und der Arbeit damals unter Tage. Und von den unterirdischen Wegen. Maradonna sah mich an: „Und was hat das mit dem Schragmüller-Brief zu tun?“ „Also“, erklärte ich den beiden, „ich habe diesen Plan genommen, den Elisabeth Schragmüller gezeichnet hat. Den hab ich eingescannt mit dem Computer – und dann habe ich diese Linien von ihrem Plan über den Stadtplan von Dortmund gelegt. Und egal wohin man ihn schiebt, der Plan von Schragmüller stimmt nie mit dem Stadtplan überein.“ Maradonna sah vom Plan auf: „Dann gilt der Plan vielleicht für eine andere Stadt.“ Ich schüttelte den Kopf. Und dann sahen sie und Musti mich an und hatten im selben Moment die Idee, die mir gestern Abend auch gekommen war. „Oder es sind andere Wege. Nicht die Straßen oben ...“, sagte Maradonna. „...sondern Wege unten. Unter der Erde“, führte Musti den Gedanken weiter. Maradonna blickte wieder fasziniert auf die Karte: „Aber wie soll denn die Schragmüller so was rausgekriegt haben. Unterirdische Wege und so was?“

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Musti sagte: „Wenn sie eine Spionin war? So richtig James Bond-mäßig?“ Ich nickte. „Und das war sie wohl. Eine clevere Spionin. Und ihr Plan zeigt uns Wege unter Dortmund.“ Maradonna fragte: „Sind diese Gänge nur geschlossen oder auch zugeschüttet?“ „Wohl nur geschlossen. Jedenfalls die meisten. Die Mühe hat man sich nicht gemacht damals, alles zuzuschütten. Hätte ja auch mächtig viel Geld gekostet. Wäre aber eigentlich richtig gewesen.“ Musti sah skeptisch auf einen Stadtplan von Dortmund, den ich auf unseren Küchentisch gelegt hatte. „Und wenn wir den Schatz der Spionin suchen wollen, müssen wir da rein?“, fragte er und seine Stimme klang wirklich besorgt, obwohl er eigentlich der größte Abenteurer von uns dreien war. Der kühnste Skater, der coolste Rapper. Aber diese Welt da unten schien ihm nicht so recht geheuer zu sein. Maradonna ging es nicht anders. „Da ist es total dunkel, oder?“ „Stockdunkel“, sagte ich. „Und wo müssen wir hin?“ „Auf ihrem Plan ist hier ein Pfeil und am anderen Ende ein Kreuz. Dazu einige Zahlen, die ich noch nicht entschlüsseln konnte. Der Pfeil muss der Einstieg sein, das Kreuz ist das Ziel.“ „Warum gehen wir nicht gleich zum Ziel?“, fragte Musti. „Weil das Ziel nicht näher eingezeichnet ist, nur der Weg. Kreuzungen, Abzweigungen. Das Ziel selber ist so nicht zu entschlüsseln. Dafür müssen wir den Weg gehen.“ „Ja, aber wo ist die Stelle, auf die wir den Pfeil legen müssen. Wo wir einsteigen, also, wo wir irgendwie runtersteigen müssen?“ Maradonna starrte weiter auf die Karte.

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„Das war ein dickes Problem. Ich habe total lange geknobelt. Eins war mir sofort klar. Eine Spionin würde den Plan verschlüsseln. Ein Rätsel einbauen. Eigentlich sind alle Pläne so gezeichnet, dass immer unten Süden ist und oben Norden. Elisabeth Schragmüller wusste, wenn jemand den Schatz findet, findet er ihn später. Also würde, von dem Moment an, in dem sie zeichnete, bis zum Finden der Schatzkarte Zeit vergehen.“ „Aber wie viel Zeit?“, fragte Musti. „Zeit lesen wir ab von Uhren. Oben ist zwölf Uhr, unten sechs Uhr, rechts ist die Drei, links ist die Neun.“ „Das weiß jedes Kind“, nörgelte Maradonna. „Also, um eine ganze Uhrzeit den Plan zu drehen, ist Quatsch. Zurückdrehen ist ja Unsinn, denn wir werden, von ihr aus gesehen, den Plan erst in der Zukunft finden. Den Plan einfach umdrehen, was oben war, nach unten, habe ich auch schon probiert. Ich habe ihn sogar schon gespiegelt, also seitenverkehrt ausprobiert. Brachte aber nichts. Wenn der Schatz gefunden wird, hat sich der Plan erfüllt. Wird die Schatzkarte gefunden, hat sich doch der Plan der Schragmüller fast erfüllt. Also habe ich die Karte zu dreiviertel gedreht. Wenn ihr so wollt, auf neun Uhr.“ Musti sah lange auf den Plan. „Dann hättest du den Plan aber auch eine Viertelstunde zurück drehen können.“ Nun war ich perplex. „Stimmt.“ Maradonna nickte. „Das sind zwei verschiedene Überlegungen. Aber sie kommen zum gleichen Ziel“, sagte ich. Dann habe ich versucht, den Plan über die Stadtkarte zu schieben. So dass Pfeil und hier dies X an bestimmten Orten würden liegen können. Damit kam ich nicht weiter, dann habe ich festgestellt, das X ist gar nicht unser Ziel. Das

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seltsame X ist eine Markierung, eine Straßenkreuzung vielleicht. Also musste ich herausfinden, in welchem Maßstab sie die Karte gezeichnet hat. Ich habe die Karte dann am Rechner vergrößert und so habe ich die Straßenkreuzung gefunden. Und Pfeil und Kreuz lagen sowieso zu nah zusammen. Hier. Die Kreuzung Mergelteichstraße/Stockumer Straße und Am Rombergpark. Das habe ich gefunden. Hier passt das X genau auf die Straßenführung.“ Und ich zeigte auf eine Stelle im Stadtplan, an die für mich der Pfeil gehörte. Da, wo ich den Einstieg vermutete. „Wo ist das?“, fragte Maradonna. „Das ist dann im Rombergpark.“ Musti sah zweifelnd auf die Karte: „Aber wo da? Der ist riesig.“ „Genau hier. Nah beim Haupteingang. Ich bin ganz sicher.“ „In den Pflanzenschauhäusern?“, fragte Maradonna. „Ich hab im Internet nachgesehen. Die gab es damals noch gar nicht.“ Ich schüttelte den Kopf. „Es muss also ein spezieller Ort sein, den es damals schon gab, als Elisabeth Schragmüller gelebt hat.“ Musti erzählt Das war ja alles schön und gut und interessant und wichtig. Aber das Wichtigste war doch – wo war der Schatz der Spionin? Wo war der Punkt, an dem wir unter die Erde steigen könnten? „Doktor, spann uns nicht länger auf die Folter! Wo?“, fragte ich. Und Doktor zeigte mit einem Bleistift auf die Karte. „Genau

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da. Ich bin absolut sicher. Da irgendwo ist der Eingang. Wir müssen ihn nur finden!“ „Da ist ein Platz der Bogenschützen. Ich hab da mal trainiert“, sagte ich. „Dann muss irgendwo etwas sein, wo man in die Tiefe kommt.“ „Im Torhaus vielleicht?“, fragte Maradonna. „Was ist denn das Torhaus?“, fragte ich. „Dieses runde Gebäude. Das steht da in so einer Senke. Sieht entfernt einer kleinen Burg ähnlich. Wenn man reinkommt, rechts. Ich war da mal in einer Kunstausstellung.“ „Du warst in einer Kunstausstellung?“ Das konnte ich mir grad gar nicht vorstellen. Maradonna, die Fußball spielte und Schlagzeug lernte, und die Mantel und Klunker mit einem gezielten Schuss ausgeknockt hatte, die ging in Kunstausstellungen? „Das interessiert dich?“ „Klar. Mich interessiert alles. Ich lese auch Bücher“, sagte sie grinsend zu mir. Sofort wurde ich sauer. „Glaubst du, ich lese keine? Ich habe mich nur gewundert, weil du nie erzählt hast, dass du in Kunstausstellungen gehst.“ „Der Maler ist ein Kumpel von Onkel Herbert. Günter. Günter Rückert. Alle nennen ihn Ganter. Der macht total witzige und schöne Zeichnungen. Und malt abgefahrene Landschaften.“ „Onkel Herbert geht in Kunstausstellungen?“ „Glaubst du, der ist dösig und interessiert sich nicht für Kultur? Nur weil er im Hafen auf der Containerbrücke arbeitet?“ „Schon gut“, beruhigte ich sie schnell. Maradonna wurde wirklich sauer. Es ging hier doch um etwas ganz anderes.

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Maradonna sagte: „Onkel Herbert und dieser Rückert waren früher in Dortmund-Marten zusammen im RingerVerein.“ „Ein Künstler, der im Ringer-Verein war?“ „Wieso? Künstler sind doch auch ganz normale Menschen, wie du und ich.“ Plötzlich musste ich losprusten. „Du bist nicht ganz normal, Maradonna. Und das ist auch gut so. Wir sind alle drei nicht ganz normal.“ Und über diesen Satz lachten wir uns kaputt. Alle drei. Bis Doktor uns erinnerte, dass wir eine Aufgabe hatten. Ein fettes Abenteuer lag vor uns. Und im Augenblick waren wir noch auf der Suche nach dem Eingang zu diesem Abenteuer. Doktor fasste noch einmal zusammen: „Wir haben hier ein Zeichen. Dort muss eine Tür sein. Oder ein Tor. Von dort müssen wir in die Tiefe steigen können. Es muss ein Stück weiter sein als das Torhaus. Aber nicht über den See hinaus. Und es muss ein Gebäude sein, dass es schon gab als Elisabeth Schragmüller lebte. Unauffällig irgendwie, mehr so am Rand gelegen.“ Plötzlich schrie Maradonna auf: „Der Eiskeller!“ Ich sah sie an. „Was denn für ein Eiskeller?“ „Hat Onkel Herbert mir mal erzählt. Das muss es sein.“ „Du sprichst in Rätseln“, sagte Doktor zu ihr. „Was ist das überhaupt? Ein Eiskeller? Soll ich mal im Internet...“ Maradonna unterbrach ihn. „Das war früher, bei dem Baron von Romberg. Das war ein Kühlkeller...“ Ich verstand gar nichts mehr. Maradonna versuchte zu erklären. „Weiß ich alles von Onkel Herbert. Und immer

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wenn ich ihm das erzählen konnte, habe ich hinterher ein Eis bekommen. Also, damals gab es noch keine Kühlschränke...“ Doktor unterbrach mich. „Wann war denn dies damals?“ Er grinste. „Gab es da vielleicht auch noch gar keinen Strom?“ „Ok“, sagte Maradonna. „Doktor, du bekommst jetzt die Rache der Zuhörerin. Dann kommt jetzt eben mein Vortrag über den Rombergpark.“ Ich war entsetzt. „Wird das hier heute eine Geschichtsstunde?“ Maradonna lachte. „Irgendwie schon. Nur interessanter, Musti, oder?“ „Ich überlege schon, worüber mein Vortrag dann gehen wird.“ „Nein!“, riefen Maradonna und Doktor zusammen. 94


„Rap oder Kugellager-Tests an Skateboarden“, sagte ich grinsend. „Ihr könnt wählen!“ Maradonna begann: „Ok. Weiß ich alles von Onkel Herbert. Der Rombergpark. Benannt nach der Familie von Romberg. Das ehemalige Schloss Romberg wurde zerstört und heute sind nur noch das Torhaus und der Eiskeller erhalten. Im Park wachsen Bäume und Pflanzen aus allen möglichen Ländern. Mein Lieblingsname ist der Taschentuchbaum.“ „Taschentuchbaum!“ Ich rollte mich ab vor Lachen. „Das erfindest du jetzt aber, oder?“ „Nein! Der kommt aus China“, erzählte Maradonna weiter. „Es gibt inzwischen einen Heilkräutergarten und Pflanzenschauhäuser, unter anderem mit Farnen und Kakteen. Aber noch mal der Eiskeller. Der ist ja unser Ziel.“ „Eher unser Einstieg“, korrigierte Doktor mal wieder. Maradonna ließ sich nicht irritieren: „Wenn die damals im Schloss Lebensmittel lagern wollten, also kühlen mussten, brauchten sie Eis. Eis natürlich auch möglichst für Monate, in denen es gar nicht mehr fror. Und es gab ja keinen Strom, keine Kühltruhen oder Kühlschränke. Trotzdem konnte man hier Eis für ein paar Monate lagern. Kann man sich kaum vorstellen, oder?“ „Und wie hat das funktioniert?“, fragte ich. „Die haben im Winter Eisbrocken aus dem Teich gehauen und im Eiskeller zwischen das Stroh gelegt. Das schmolz nur ganz langsam und das hielt ganz lange kühl. Meistens bis ins Frühjahr hinein, manchmal länger.“ Doktor sah auf: „Und aus dem Eiskeller...“ „...muss es einen unterirdischen Weg geben“, vollendete Maradonna den Satz. Ich dachte nach und sagte dann: „Ich schätze, ihr habt

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recht. Da müssen wir rein, wenn wir den Schatz der Spionin finden wollen.“ „Wenn es überhaupt einen Schatz gibt“, sagte Maradonna. „Und wenn nicht andere schneller sind als wir.“ „Doktor, du meinst..“, ich brachte meinen Gedanken gar nicht so schnell zu Ende, wie Doktor und Maradonna nacheinander sagten: „Mantel...“ „...und Klunker.“ Ich grinste: „Dann sollten wir uns beeilen.“ Doktor sah uns nacheinander an. „Morgen?“ Wir nickten. Ich sagte: „Also morgen, abgemacht.“ Doktor redete weiter: „Wir sollten noch ein paar Sachen vorbereiten. Ich habe schon eine Liste gemacht, was wir unter Tage dabei haben sollten. Aber ich schlage vor, wir schauen uns jetzt noch mal direkt vor Ort um. Sicher ist sicher.“ „Okay“, sagte Maradonna. „Aber bevor wir losfahren – unser Zeichen!“ Und wieder legten wir nacheinander die Hände ineinander und riefen: „Big Bang - Yurumi-Gang - Oooooh - YURUMI.“ Dann klatschten wir uns ab. Morgen würde das nächste, große Abenteuer beginnen. Und dann sagte Maradonna noch: „Kein Wort. Zu niemand! Auch nicht zu Onkel Herbert.“

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13 Mantels Geistesblitz Mantel erzählt Klunker wurde von Minute zu Minute ungeduldiger. „Und? Was ist jetzt?“, fragte ich ihn. „Lass mich in Ruhe“, blaffte er. „Ich komme mit der Zeichnung überhaupt nicht klar.“ Wir saßen in Klunkers Arbeitszimmer. Wir hatten das Bild, das die Meisterspionin Elisabeth Schragmüller gezeichnet hatte, das Bild, das ich aus der Praxis von Tierärztin Schöndorfer letzte Nacht geklaut hatte, vorsichtig aus dem Rahmen genommen. Es war wie Klunker und ich gehofft hatten. Jedenfalls so ähnlich. Wir hatten hinter der Zeichnung mit der Hörder Burg ein weiteres Blatt im Rahmen gefunden. Mit einer Zeichnung. Mit Wegen. Mit einem Kreuz. Pfeilen. Mit Zahlen. Zum Beispiel einer großen Zahl oben links. 15. Wir hatten tatsächlich eine Schatzkarte gefunden! Das war der Weg zum Schatz der Spionin. Nun lagen zwei Karten vor uns. Der Stadtplan von Dortmund und unsere Schatzkarte. Aber diese Linien stimmten nirgends mit dem Straßenplan überein. „Die von der Yurumi-Gang, die würden das bestimmt rauskriegen.“ „Mantel, mach mich nicht wahnsinnig! Hör mir bloß mit den Blagen auf. Ich bin froh, dass die uns nicht wieder über den Weg laufen!“ Wir schauten auf die Karte. Legten sie auf die Straßenkarte. Schoben die Zeichnung hin und her. Liefen rund um den

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Tisch. Zehn Minuten. 30 Minuten. Zwei Stunden. Immer wieder sagte einer von uns beiden: „Vielleicht hier. Nein, passt nicht!“ Ich sah auf die Uhr. Die Tiere mussten bald gefüttert werden. „Konzentrier dich!“, rief Klunker. „Streng dein bisschen Grips mal an. Muss ich denn hier alles machen?“ Zehn Minuten später rief er wieder laut: „Der Plan passt hier nirgends drauf auf Dortmund. Nirgends.“ Und dann kam mir ein Gedanke! Klar. Warum war ich da nicht früher drauf gekommen! „Klunker. Ich hab ne Idee.“ „Halt’s Maul, Mantel. Ich hab genug von deinen Ideen. Da finden wir eine Zeichnung auf der Rückseite, einen detaillierten Schatzplan geradezu. Und dann? Dann kommen wir nicht weiter. Die war doch Geheimagentin. Als ob die Karte für eine ganz andere Stadt wäre. Vielleicht liegt der Schatz ganz woanders. Vielleicht ist die Karte auch für Timbuktu.“ „Wer ist denn Timbuktu?“ „Wer? Du meinst wohl was und wo. Timbuktu ist eine Stadt.“ „Hier im Ruhrgebiet?“ „Mantel. Du hast überhaupt keine Ahnung von der Welt! Lern gefälligst was. Lies Zeitung. Und Bücher. Timbuktu ist eine Stadt in Mali.“ „Mali? Ich kenne nur Minden.“ „Mensch Mantel! Minden liegt in Ostwestfalen, Mali ist ein afrikanischer Staat.“ „Ich glaube, die Karte ist für Dortmund.“ „Woher willst du das denn wissen, Mantel?“ „Die ist doch eine Geheimagentin.“ „Gewesen!“

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Ich war mir plötzlich ganz sicher, dass meine Idee eine gute Idee war, aber ich wollte Klunker noch etwas schmoren lassen. Er stand weiter über die Karten gebeugt und klimperte mit seinen Ringen. Ich erklärte meine Idee: „Als Geheimagentin wird die doch auch ganz geheime Wege gekannt haben.“ „Mantel, was soll das? Lass mich in Ruhe denken!“ „Und was sind geheime Wege?“ Klunker sah mich an, als würde er mir gleich an den Hals springen wollen. Dann beruhigte er sich plötzlich und sagte: „Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Was hast du da für eine Idee? Was soll das mit deinen geheimen Wegen?“ „Ich meine Wege, die keiner weiß. Oder die keiner sieht.“ Ich machte eine Pause und zeigte nach unten. „Die keiner sieht, weil sie unter der Erde sind!“ Klunker pfiff durch seine Zähne. „Du bist vielleicht manchmal gar nicht so doof wie du aussiehst.“ Dann starrte er wieder auf die Karte und sagte: „Die ganze Stadt ist doch durchgebuddelt. Überall gibt es hier Stollen und Gänge. Genau. Die Karte zeigt uns einen unterirdischen Weg! Grandios, wie wir da drauf gekommen sind!“ „Wir? Das war ja wohl meine Idee.“ „Von mir aus.“ Er sah völlig gebannt auf die Karte. „Aber wo kann dann der Eingang sein? Wie passt das?“ Ich legte meinen rechten Stiefel auf einen Stuhl. Wenn ich das machte, ging er sonst immer die Wände hoch. Aber nun war Klunker froh über meine Hilfe. Und meine Idee war noch längst nicht zu Ende. „Die war doch eine Spionin.“

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„Mantel, nerv mich nicht. Was noch?“ „Die war doch klüger als wir.“ „Klüger als du bestimmt.“ „Wenn du mich immer nur anmachst, dann sage ich eben gar nichts mehr und dann kannst du alleine sehen, wie du mit deiner Schatzkarte durch Dortmund läufst. Immer hackst du auf mir rum!“ So. Jetzt hatte ich ihm das aber mal gesagt. Ich war es satt, dauernd nur rumkommandiert zu werden und dauernd von ihm als der größte Blödmann angebölkt zu werden. Wer hatte denn den Einbruch gemacht letzte Nacht? Das war ich nämlich gewesen. Und ohne meinen Einbruch würden wir die Karte auch nicht haben. Ich war die Hälfte vom

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Erfolg. Und das sollte er jetzt ruhig mal merken, der Herr Klunker. Ich verschloss die Arme vor der Brust und sagte nichts mehr. Klunker sah mich völlig erstaunt an. „Mantel...“ „Du bist hier zwar der Chef, aber du musst mich trotzdem nicht behandeln wie den letzten Deppen.“ Er sah mich an. Dann sagte er: „Nun sei doch mal nicht so empfindlich!“ „Bin ich aber. Irgendwann ist das Fass voll. Du hast nämlich überhaupt keine Ahnung von Personalführung.“ Klunkers Mund stand weit offen. „Keine Ahnung von was?“ „Personalführung! Wie man mit seinen Angestellten umgeht. Wie man die motiviert und fördert. Und dass man die nicht dauernd anpfeift und so was.“ Klunker sah mich an und sagte eine Minute lang gar nichts. Dann sagte er staunend: „Wo hast du das denn her?“ „Aus der Zeitung. Hab ich gestern in der Zeitung gelesen. Da war ein Artikel. Tipps und Fehler in der Personalführung.“ „Seit wann liest du Zeitung?“ „Du sagst doch selber, ich soll lesen.“ „Seit wann machst du, was ich sage?“ „Klunker, frag mir jetzt kein Loch in den Bauch. Also, willst du hören, was ich denke?“ „Natürlich. Man soll doch sicher seine Angestellten mit einbeziehen in die, na, in die Schatzsuche jetzt eben.“ „Also. Die war Spionin und darum total clever. Nur wer clever ist, kann Spion werden. Und die wusste, wir finden den Plan erst später.“ Klunker schaute schon wieder leicht genervt. Ich legte auch noch das andere Bein hoch. Er sagte nichts. Ich machte weiter.

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„Da war die doch ihrer Zeit voraus.“ „Ich versteh dich nicht, Mantel. Du sprichst genauso in Rätseln wie mir die Karte eins ist.“ „Auf Karten ist oben immer Norden. Das ist wie die Einteilung der Uhr. Zwölf ist oben. Man könnte doch die Karte eine Viertelstunde zurückdrehen. Eine Viertelstunde sind 15 Minuten. Und hier steht 15. Als wäre es nicht zwölf, sondern Viertel vor zwölf...“ Klunker begriff, was ich meinte: „Dann wäre das, was jetzt nach Norden weist, gar nicht mehr in Richtung Norden, sondern Richtung Osten.“ Dabei dreht er die Karte. Ich kam mit Osten und Westen immer etwas durcheinander und sagte darum nur: „Äh, das weiß ich jetzt nicht so ganz genau, aber ich meinte nur, dass man die Karte nach vorne drehen muss. Nee, nach hinten. Ist ja auch egal. Jedenfalls drehen.“ Klunker verschob die Karte. „Hier die beiden Kreuze. Der Pfeil. Damit haben wir... Genial. Da müssen wir rein!“ „Aber da ist heute... da ist ne U-Bahn-Station.“ „Karl-Liebknecht-Straße. Wo sie die Tewaagstraße kreuzt. Und irgendwo wird es da in den Untergrund gehen. Und von da an führt uns die Karte. Auf einem Weg oben ist das gar nicht zu sehen. Weil er unterirdisch verläuft!“ „Aber... wie sollen wir denn da in einen unterirdischen Gang kommen?“ Klunker grinste: „Du hattest eine gute Idee, Mantel. Wirklich. Aber ansonsten ist es gut, dass ich hier die Pläne mache. Weil ich eben mehr weiß. Bildung, mein Lieber. Wissen ist Macht! In so einer Bahnstation gibt es viel mehr als Schienen. Es gibt Räume, Werkstätten, Gänge, da ist eine richtige kleine eigene Welt hinter den Wänden, von der

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die Fahrgäste nichts ahnen. Manchmal muss da unten Wasser abgepumpt werden, weil das Grundwasser reindrückt. Wir kommen da irgendwie in den Untergrund. Bestimmt.“ Ich staunte tatsächlich. „Was du alles weißt!“ „Man kann seine Zeit im Knast auch blödsinnig absitzen, oder die Zeit nutzen um zu lesen und zu lernen. Du hast immer nur Karten gespielt mit den anderen.“ „Dabei habe ich aber gut verdient. Und außerdem, wer ist drauf gekommen, dass der Weg unter der Erde sein muss? Und dass wir die Karte drehen müssen? Na? Wer hat das herausgefunden?“ „Schon gut, Mantel. Das war wirklich klasse. Komm, ich gebe einen aus.“ „Wirklich, Chef?“ Ich war total erstaunt. Erst lobte er mich und dann gab er auch noch einen aus. Klunker grinste mich plötzlich an: „Gute Personalführung, oder?“ Musti erzählt Wir waren zum Romberg-Park gefahren und befanden uns nun vor dem Eiskeller. Ein ganz unspektakuläres Gebäude mit ein paar Säulen am Hang. Es war eingezäunt. Ein Drahtzaun. Wir standen auf dem Weg, der hier direkt zum See führte. Man konnte auch auf einem Weg hinter dem Eiskeller über diesen Hügel gehen, hier zweigte auch der Platz der Bogenschützen ab. Wir gingen unauffällig all diese Wege rundum ab und stellten uns endlich an den Zaun.

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Ich sagte: „Da komm ich locker rüber.“ Doktor meinte: „Ja, aber dann müssen wir da rein.“ Maradonna überlegte: „Meint ihr, dass der Keller abgeschlossen ist? Er ist ja schon umzäunt.“ „Weiß nicht“, sagte Doktor. „Durch das Fenster haben wir keine Chance, das ist vergittert. Wenn die Tür da an der Seite auf ist, ist ja alles gut. Aber was machen wir, wenn sie zu ist?“, fragte sie weiter. „Dann müssen wir improvisieren“, sagte Doktor. Ich sagte, lauter als ich wollte: „Was heißt improvisieren? Ein Gangster wie Klunker, der könnte so eine Tür knacken!“ Ich schaute mir das Gebäude an und dachte nach. „Am besten ist, ich springe jetzt mal rüber und schaue nach.“ Ich hatte schon den Zaun oben angefasst, als Doktor sagte: „Bist du verrückt? Hier sind viel zu viele Menschen im Park. Wir fallen doch nur auf. Das muss weiterhin ein Ort bleiben, den niemand anders so richtig bemerkt, an dem man ganz achtlos vorbei schlendert. Kommt, wir sollten jetzt auch woanders hingehen und dort weiter beratschlagen.“ Er hatte recht. Das sahen wir sofort ein. „Dort vorn am See ist ein kleiner Steg mit Bänken“, fuhr er fort. Er ging los und wir dackelten langsam hinterher. Maradonna schien ziemlich ratlos in diesem Moment: „Und da finden wir einen Einstieg nach unten? Darunter sind Gänge? Seht euch doch mal um, hier sind weit und breit nur Park und See und Bäume.“ „Aber warum sollten sie das Ding so einzäunen? Da muss mehr dran sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass hier ein Einstieg nach unten ist“, sagte ich.

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Als wir uns auf die Bänke gesetzt hatten, zog Doktor einen Dortmunder Stadtplan aus seinem Rucksack. „Wenn die Karte stimmt, dann müssten wir da drin was finden! Ich sage euch mal, was wir mitnehmen müssen, vielleicht fällt euch noch was ein.“ „Okay“, rief Maradonna. „Taschenlampen. Ein Klappspaten. Ein normaler Spaten wäre zu groß und würde zu sehr auffallen, wenn wir damit in den Park marschieren.“ „Hat mein Vater“, sagte ich. Sie sahen mich fragend an. Ich grinste: „Wir grillen oft draußen oder fahren zelten. Der gehört praktisch zu unserer Grundausrüstung. Ich bring den mit. Was noch, Doktor?“ „Einen Kompass. Damit wir uns unter der Erde orientieren können. Und, besser als Taschenlampen wären noch Stirnlampen, dann haben wir die Hände frei. Mein Vater geht ab und zu klettern. Ich müsste das alles zu Hause haben. Für alle Fälle ein Seil. Nehme ich dann auch von uns mit. Und ein Brecheisen.“ „Das besorge ich. Aus Onkel Herberts Werkzeugschuppen“, sagte Maradonna. Ich war irritiert: „Wieso das denn? Wozu brauchen wir denn ein Brecheisen?“ „Wenn wir an irgendwelche Türen kommen. Zieht euch Gummistiefel an, da unten ist es bestimmt nass. Also, auch Regenjacken. Und die Karte werde ich extra in eine Folie einpacken, damit die auch nass werden kann. Nee. Es ist besser, ich kopiere sie noch.“ „Wieso das denn?“, fragte ich. „Wer weiß, mit was für Stiften die Spionin da drauf geschrieben hat. Wenn wir Pech haben, verwischt uns die Schrift.“

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Ich pfiff durch die Zähne. „Du bist wirklich genial, Doktor.“ „Ach Quatsch“, wehrte der ab und machte weiter. „Und wir nehmen die Walkie-Talkies von Onkel Herbert mit.“ „Wieso das denn?“, fragte ich. Maradonna sagte: „Du hast auch nur diese eine Frage, Musti, oder? Aber die fragst du zu allem!“ Doktor sagte nur: „Wir nehmen die mit, für alle Fälle.“ „Für was für Fälle?“ „Musti, ich habe keine Ahnung, aber besser ist besser!“ Maradonna nickte: „Alles klar. Jeder hat sein Sprechfunkgerät zu Hause. Denkt morgen dran, die mitzubringen.“ Ich sah auf den See. Wir schwiegen alle drei. Dann sagte Maradonna: „Dann ist das Wetter unser einziges Problem.“ Ich schaute in den Himmel. „Warum? Das Wetter ist doch super!“ „Klar. Aber hoffentlich fallen wir nicht auf, wenn wir bei dem tollen Wetter mit Regenstiefeln rumlaufen!“ Wir lachten. Doktor sah uns an. „Noch Fragen?“ „Nö“, sagte Maradonna. „Du, Musti?“ „Alles Congo bei mir.“ „Dann morgen um halb zwei? Nach der Schule? Dann sind am wenigsten Leute im Park. Die Gäste vom Morgen sind schon wieder weg, die vom Nachmittag sind noch nicht da.“ „Gut. Um halb zwei.“ Ich fragte: „Wo treffen wir uns?“ „Hier am Romberg-See“, schlug Doktor vor. „Dann können wir von hier aus sehen, dass möglichst keine anderen Leute in der Nähe sind, wenn wir in den Eiskeller einsteigen wollen.“

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Klunker erzählt Ich machte einen genauen Plan. Leider machte ich den Fehler, ihn mit Mantel durch zu sprechen. Seit er die Idee gehabt hatte, die Karte zu drehen, meinte er, er müsste zu allem was sagen. Döspaddel der, dachte ich dauernd. Er quengelte regelrecht: „Klunker, was nehmen wir jetzt morgen mit?“ „Alles, was man für eine Schatzausgrabung braucht.“ „Ja, und was ist das?“ „Na, als erstes eine Tasche, in die der Schatz reinkommt.“ Er sah mich mit großen Augen an. „Aber wir wissen ja noch gar nicht, wie groß der ist.“ „Mensch, Mantel. Der ist groß. Natürlich ist der groß. Glaubst du, die versteckt einen kleinen Schatz? Glaubst du, wir suchen nur einen kleinen Schatz? Die Schragmüller war eine Meisterspionin, also wird die auch einen großen Schatz versteckt haben. Und darum brauchen wir eine große Tasche!“ „Klunker, was meinst du denn, was der Schatz für ein Schatz ist?“ „Was weiß ich. Vielleicht Goldbarren. Oder Schmuck. Jedenfalls ist der voll wertvoll. Das sag ich dir! Also brauchen wir eine große Tasche. Und die trage ich. Jedenfalls trage ich die in den Stollen rein. Raustragen kannst du sie, Mantel.“ „Warum trägst du sie nur rein?“ Ich grinste. Was für ein Döspaddel. „Weil die Tasche da noch leer ist.“ Er dachte kurz nach: „Trag ich auch was rein oder trage ich nur den Schatz raus?“

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„Mantel, meinst du, ich bin der einzige, der arbeitet und da was reinträgt? Du trägst das Werkzeug rein!“ „Was denn für Werkzeug? Ich denke, wir suchen nur einen Schatz!“ „Na, die Spitzhacke und den Spaten.“ „Was willst du denn damit?“ „Ich will da gar nichts mit! Da willst du was mit!“ „Versteh ich nicht!“ Er sah mich weiter mit großen Augen an. Der begriff gar nichts. Was würde der ohne mich machen? Ich sagte leise, aber streng: „Du bist manchmal komplett bescheuert, Mantel. Mit dem Werkzeug wirst du nach dem Schatz graben! Kapiert? Der liegt da ja vielleicht nicht einfach so rum. Der hängt auch nicht am Baum wie ein Apfel und muss nur gepflückt werden. Wer weiß, was die Schragmüller sich da noch hat einfallen lassen.“ „Ach so. Verstehe.“ „Verstehe? Verstehe!“ Ich konnte mich kaum noch beherrschen. Ich bekam fast einen Wutanfall. Ich wurde endgültig laut. „Gar nichts verstehst du. Du hast doch von nichts eine Ahnung. Du würdest doch verhungern, wenn du mich nicht hättest.“ „Wenn ich dich nicht hätte, würde ich die Möhren einfach futtern, mit denen ich dein olles Riesenkaninchen füttern muss! Bio-Möhren für ein Haustier. Du hast doch einen Knall.“ „Sag mal, wie redest du mit deinem Boss? Und wenn du mich nicht hättest, dann wären da auch keine Riesen-Kaninchen. Dann hättest du noch nicht mal Möhren. Hast du die Tiere überhaupt heute schon gefüttert?“ „Oh, Chef. Nein. Mist. Das hatte ich ...“

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Ich unterbrach ihn: „Du Riesenhornochse. Kümmer dich um die Tiere. Und morgen fütterst du die eher. Um halb drei morgen Nachmittag geht es nämlich los!“ „Wieso ausgerechnet um halb drei?“ „Kannst du da nicht, oder was?“ „Ich frag ja nur.“ „Da ist überall am wenigsten los. Die meisten sind entweder noch beim Mittagessen oder arbeiten schon wieder und die anderen sind noch nicht los.“ „Und wie soll ich das ganze Werkzeug mitnehmen?“ „Das lass mal meine Sorge sein, ich hab schon einen Plan.“ „Du mit deinen Plänen!“ Ich sah ihn nur kurz an. Ich brauchte nun mal jemand zum Graben. Ich wollte nicht die ganze Drecksarbeit selber machen. Ich sagte also nur: „Halt die Fresse, Mantel. Und geh Tiere füttern!“

14 Nur nicht auffallen Maradonna erzählt Ich lief durch Hörde nach Hause. Links durch den Zaun konnte ich immer wieder auf den künftigen Phoenix-See sehen. Es war noch eine riesige Baustelle, dort wo früher das Stahlwerk Phoenix gestanden hatte. Ich war neugierig, wie diese Arbeiten weiter gehen würden. Und ich freute mich auf den See. Ein See, mitten in der Stadt. Und keine 500 Meter von unserem Haus entfernt. Alles Mögliche sauste mir durch den Kopf. Phoenix-See, die Schule, Musti,

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Doktor, Mantel, Klunker, Sandra, Ilona und mein Schlagzeug­ unterricht, Makka, Onkel Herbert. Moment mal. Mein Schlagzeug-Unterricht! Morgen um halb zwei? Ich hatte Unterricht. Um zwei Uhr hatte ich Unterricht! Mist. Den musste ich absagen. Ich wusste genau, Makka und Onkel Herbert würden mir wieder Stress machen. Und nicht zu knapp! Aber ist egal, dachte ich, da muss ich durch. Am besten, ich würde gleich anrufen. Kaum war ich zu Hause, wählte ich Makkas Handy-Nummer. Nach dem dritten Klingelzeichen nahm er schon ab. „Ja? Makka hier.“ „Hier ist Maradonna.“ „Was willst du denn?“ „Makka, ich muss die Stunde morgen verlegen.“ Seine Antwort haute mich vom Stuhl und nahm mir alle Sorgen. „Oh, das passt mir ganz gut. Wir haben nämlich eine wichtige Besprechung bei Century Media.“ Ich ließ mir meine Erleichterung nicht anmerken. Und ich fand super, dass er mich gar nicht fragte, warum ich die Stunde wohl absagen müsste. Er lachte in das Telefon. Dann fragte er: „Und? Unsere nächste Übungsstunde? Nächster Tag, gleiche Zeit?“ „Ja. Super. Alles Congo. Dann bis übermorgen.“ „Ok, aber üb noch bis dahin!“ „Du nervst, Makka!“ Er lachte wieder. „Machs gut Maradonna.“ „Tschüss, Makka.“ Wir legten auf. Das war ja einfach gewesen. Und ich hatte schon gedacht, ich müsste mir irgendeinen Grund aus den Fingern saugen, warum ich

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nicht zur Probe kommen könnte! Aber eigentlich hatte er recht. Wir würden ja erst morgen in unser großes Abenteuer starten. Ich könnte wirklich noch etwas üben. Ich würde noch mal zum Hafen raus fahren in meinen Übungscontainer und dann mit Onkel Herbert nach dem Ende seiner Schicht nach Hause fahren. Onkel Herbert? Genau. Ich ging als erstes in seinen Werkzeugschuppen. Wir hatten einen Schlüssel für seine Garage bei uns am Schlüsselbrett hängen. Ich holte sein Brecheisen raus und legte es bei mir unter das Bett. Dann konnte morgen nichts schiefgehen. Hauptsache Mama würde nicht jetzt ausgerechnet unter meinem Bett sauber machen. Aber eigentlich putzte ich mein Zimmer meistens selber. Dann rief ich Onkel Herbert an. „Ja?“ „Hier ist Clara. Arbeitest du noch?“, fragte ich ihn. „In zwei Stunden ist Feierabend.“ „Ich fahr noch mal in den Hafen. Schlagzeug üben. Nimmst du mich dann mit nach Hause?“ „Gutes Mädchen! Klar nehme ich dich dann mit.“ „Bis nachher!“ Ich fuhr zum Hafen und ich freute mich auf mein Schlagzeug. Onkel Herbert erzählt Ich war wirklich stolz auf meine Clara. Da fuhr das Mädchen zwei- oder dreimal mindestens in der Woche in ihren Übungscontainer auf dem Hafengelände, setzte sich da alleine rein und hämmerte auf die Drums. Sie ist wirklich talentiert. Ich hatte ihr ein bisschen beim Üben zugehört, bis ich

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vorsichtig die Containertür etwas aufschob. Sie spielte grad einen echt komplizierten Wirbel. Anerkennend rutsche es mir raus: „Maradonna, Donna Clara!“ Sie zuckte etwas zusammen, als sie mich sah und hörte und nahm die Ohrstöpsel raus. „Du hast mich aber erschreckt, Onkel Herbert.“ „Mensch, dass du übst! Ich bin ganz stolz auf dich!“ Clara grinste. „Ich weiß ja, wofür ich das tue“, sagte sie. „So?“, fragte ich, „Wofür denn?“ „Na, hör mal. Ich will doch, dass du mit deinem alten Auto…“ „Käfer! Das ist ein Käfer, Clara!“ „Naja. Mit dem sollst du eben zu meinem ersten Konzert kommen!“ „Hättest du da wirklich Lust drauf?“ Clara strahlte und sagte: „Klar, wär cool.“ „Was wär das?“ „Cool wär das.“ Ich komme mit dieser neuen Sprache bei den Kindern und Jugendlichen nicht immer sofort klar. „Aha“, sagte ich. „Ja, dann wär das also quasi gebongt!“ Nun hatte ich sie! Erstaunt sah sie mich an: „Das wär was?“ Jetzt grinste ich: „Abgemacht!“ Lachend sagte sie: „Okay. Gebongt. Voll cool, Onkel Herbert.“ Ich überlegte, ob es wohl ein Heft gibt mit Vokabeln dieser Jugendsprache.

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Mantel erzählt Wir fuhren wieder in dem alten, roten Golf, mit dem wir schon zum Einbruch bei der Tierärztin gewesen waren. Wieder fuhr Klunker und ich saß auf dem Beifahrersitz. ­ Auf dem Rücksitz lag das Werkzeug. Meine Hand war immer noch verbunden. Ich hatte mir bei dem Einbruch in die Hand geschnitten. Klunker führte grad beinah ein Selbstgespräch. „So. U-Bahn-Station. Karl-LiebknechtStraße. Na. Das ist ja ein tolles Stadtviertel. Jede Menge Parkplätze.“ Er parkte. „Hast du Kleingeld, Mantel? Für den Parkautomat?“ „Klunker, ich denke, wir sind auf Schatzsuche. Und angeblich wartet da ein großer Schatz auf uns. Da habe ich erst gar kein Geld mitgenommen. Nicht mal Kleingeld.“ „Du bist so was von dösig, Mantel.“ „Selber dösig. Du hast doch den Plan gemacht!“ „Naja, ist ja egal. Das Auto ist sowieso geklaut.“ „Wir sind seit Tagen in einem geklauten Auto unterwegs?“ „Natürlich sind wir in einem geklauten Auto unterwegs. Mantel. Wir sind Gangster. Soll ich da in meinem eigenen Auto zum Tatort fahren? Das wäre ja wohl ziemlich bescheuert.“ „Und wenn die Polizei uns erwischt in einem geklauten Wagen?“, sagte ich. „Dann sage ich, wir wären auf einer Probefahrt und wir hätten nicht wissen können, dass der Wagen geklaut sei. Was machen wir jetzt mit dem Parkschein?“ „Wenn es gar nicht unser Auto ist, dann kann uns doch auch egal sein, ob wir einen Parkschein haben oder nicht.

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Dann kriegt doch der Besitzer das Strafmandat.“ „Mantel, du bist manchmal gar nicht so dösig wie du scheinst. Also los, schnapp dir die Tasche.“ Ich machte die Tür auf. Klunker hatte mich abgeholt, das Werkzeug hatte schon hinten im Wagen gelegen. Nun sah ich erst, wie ich die Schippen tragen sollte. Sie steckten in einer Golftasche. Ich flüsterte: „Das merkt doch jeder. Man trägt doch nicht Werkzeug in einer Golftasche.“ „Nimm die Tasche, Mantel. Das ist ein super Plan.“ Ich nahm die Golftasche. Die Schippe, die Spitzhacke und der Spaten schlugen metallisch aneinander. „Ich komm mir blöd vor“, sagte ich. „Du bist blöd“, sagte Klunker. Er öffnete den Kofferraum und nahm eine große schwarze Tasche heraus. Ich staunte. „So einen großen Schatz suchen wir?“ Klunker grinste. „Das ist eine Sporttasche für Eishockeyspieler und Jungs, die American Football spielen. Da passt deren gesamte Ausrüstung rein. Die ganze Schutzkleidung. Oder eben ein großer Schatz.“ Dann ging er vor mir her. „Hast du den Wagen abgeschlossen? Sonst klaut uns den noch einer“, sagte ich. „Mein Auto ist das ja nicht, du Doof. Und es wär doch gut, wenn er geklaut wird. Wir müssen den sowieso los werden.“ „Und wie sollen wir den Schatz nach Hause bringen?“ „Wir wissen ja noch gar nicht, Mantel, wo wir überhaupt raus und wieder an die Oberfläche kommen. Und dann fahren wir einfach mit DSW21. Mit dem nächsten Bus oder der U-Bahn.“ „Mit dem Schatz? In der Bahn?“

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„Das wäre doch die beste Tarnung. Das glaubt doch keiner, dass du mit so was Wertvollem einfach in der Bahn sitzt. Da drüben ist der Eingang“, sagte Klunker und ging vor. Ich kämpfte mich mit dem Werkzeug hinterher. „Wo willst du denn da einen Eingang finden?“, flüsterte ich. „Irgendwo wird der sein. Den finde ich. Ich hab ne Nase für so was.“ „Und ich muss das ganze Zeugs schleppen. In einer Golftasche!“ „Das heißt Golfbag.“ „Mir ist egal, wie das heißt. Mir ist schon zweimal die Spitzhacke ins Kreuz gehauen. Und du trägst nur die leere Tasche.“ „Ich trag auch noch ne Taschenlampe. Da, die Treppe runter.“ „Und dann?“ „Das sehen wir schon, wenn wir unten sind, Mantel.“ Wir gingen die Stufen herab in die U-Bahn-Station. Das Werkzeug war nicht nur schwer, es war auch unhandlich. Meine verletzte Hand schmerzte. Ich schwitzte. Trotzdem war ich froh, dass ich meinen Mantel anhatte. Wenn ich meinen Mantel anhatte, fühlte ich mich sicher. Das war wie für einen Ritter die Rüstung. „Du und deine Pläne“, zischte ich zwischen meinen zusammengepressten Lippen. „Hat schon mal einer meiner Pläne nicht geklappt?“ „Ja, der letztes Jahr mit dem Ameisenbären. Da ist uns nämlich die Yurumi-Gang in die Quere gekommen und am Ende saßen wir im Knast. Das war vielleicht ein super Plan.“ „Sei nicht so pessimistisch, Mantel. Es bleibt immer ein Rest Improvisation.“

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„Das sieht albern aus, das Werkzeug hier so rumzuschleppen.“ „Im Gegenteil. Das ist eine super Tarnung.“ „Eine Tarnung? Du komplett in weißen Klamotten mit deinen ganzen Klunkern an den Fingern und um den Hals, und ich mit dem Werkzeug über der Schulter in einem Golfbag. So was kannst du gar nicht tarnen. Da müssten wir schon eine Decke über uns stülpen. Komplett!“ „Dein Mantel ist wirklich etwas auffällig, Mantel. Das sage ich ja schon lange. Aber ich sehe eher cool aus.“ Ich sah ihn verdattert an und blieb mitten auf der Treppe stehen. „Wie siehst du aus?“ „Cool.“ „Wo hast du das Wort denn her?“ „Das sagt man so!“ „So. Das sagt man so. Cool. Für mich sehen wir beide voll bescheuert aus und für mich ist das eher krank. Am Ende

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denken die Leute noch, ich würde mit solchen Geräten Golf spielen wollen. Die halten mich doch für blöd.“ Klunker grinste mich an. „Die Leute sind manchmal klüger als man glaubt.“ Ich ließ die Tasche fallen. „Du kannst deinen Kram gleich alleine tragen.“ Und da hatte Klunker wieder diesen hinterhältigen, fiesen, cleveren Blick. „Dann gehört mir aber auch der Schatz alleine.“ „Ist ja schon gut.“ Ich nahm die Tasche wieder auf. „Und wie kommen wir jetzt hier irgendwo rein? Und vor allem, wo?“ Klunker zeigte an die Wand. „Siehst du die Tür da?“ Ich hatte völlig übersehen, dass in einer der Wandplatten ein Schloss eingearbeitet war. Zwischen zwei Platten waren Scharniere zu sehen. Eine versteckte Tür! Ich sah auf die Tür, auf Klunker, dann wieder auf diese Tür. „Und?“ Klunker sagte: „Kein Problem für mich. Geh ein paar Schritte weiter runter und schau, ob Leute kommen. Von oben ist grad keiner zu sehen.“ Ich war schon sechs, sieben Stufen weiter. Jetzt waren wir wieder Profis und arbeiteten ohne jeden Streit zuverlässig und präzise. Gelernt war gelernt. „Keiner da“, zischte ich. Ich sah, wie Klunker ein Bündel Dietriche aus der Tasche zog. Mit denen kann man Türen öffnen. Jedenfalls, wenn man so was kann. Dann beobachtete ich weiter die Treppe. Ich hörte von da, wo Klunker stand, metallische Geräusche, ein Klicken, ein Schließen, ein... „Das wars“, sagte Klunker. „Kleinigkeit. Komm. Schnell.“ Ich sprintete die Stufen wieder hoch und ging durch die Tür,

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die Golftasche auf dem Rücken. „Siehst du einen Schalter? Gibt es irgendwo Licht?“ „Yep“, sagte ich und drückte drauf. Schwerfällig flackerte eine kleine Neonröhre über mir auf. Klunker sah noch einmal schnell nach oben und unten. „Alles klar. Kein Mensch zu sehen.“ Dann trat auch er ein und zog die Tür hinter sich zu. Ich sagte leise: „Und du meinst, von hier aus finden wir den Schatz?“ „Mal sehen“, sagte er. „Jedenfalls geht es hinter dir in die Tiefe.“ Ich drehte mich um. Eine lange Treppe führte ins Dunkel hinunter. Mir war das nicht ganz geheuer. „Los. Du gehst vor“, sagte er.

15 Ohne Angst Maradonna erzählt Ich hatte mich fest gelesen. Aber das Buch war auch so spannend, da hatte ich gar nicht gemerkt, wie die Zeit verflog. Ich musste mich tierisch beeilen, wenn ich noch pünktlich sein wollte, und meinen Rucksack hatte ich auch noch nicht gepackt. Als erstes holte ich die Brechstange unter dem Bett hervor. Die schaute weit aus meinem Rucksack raus. Ich überlegte. Dann wickelte ich sie in eine Decke und steckte sie wieder ein. Super. Ich sah aus, als wollte ich zum picknicken. Allerdings sahen meine Gummistiefel nicht nach Picknick aus, schon gar nicht bei dem Wetter. Aber ich konnte ja sagen, ich müsste für den Biolo-

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gie-Unterricht das Seeufer erkunden. Was noch? Genau, das Walkie-Talkie. Ich steckte es ein und machte mich auf den Weg. Ich hatte grad die Haustür abgeschlossen und ging los, da kam ich auf die Idee, doch noch kurz die Batterien des Walkie-Talkies zu testen. Ich stand noch im Hof, nahm das Walkie-Talkie aus dem Rucksack, setzte den neben mir auf den Boden und stellte das Gerät an. Es funktionierte. Und in dem Moment, als ich es wieder einstecken wollte, hörte ich ein Knarzen und wollte grad schon wieder alles ausstellen. Und dann dachte ich, ich hätte Mustis Stimme erkannt. Ich drückte auf die Sprechtaste. „Hier ist Maradonna. Yurumis? Musti? Was soll das? Wir wollten erst um halb zwei einsteigen. Das sind noch 45 Minuten.“ Und dann dröhnte mir Onkel Herberts Stimme entgegen: „Was? Wo willst du einsteigen?“ Ich war total irritiert: „Onkel Herbert, was machst du auf meinem Walkie-Talkie-Kanal?“ „Och, nur aus Spaß. Ich hatte dich grad aus dem Haus gehen sehen... und wollt mal hören, ob du das Dingen auch dabei hast.“ Ich hatte das Gefühl, mich längst verplappert zu haben. Es sollte doch niemand etwas erfahren von unserem neuen Abenteuer. Und schon gar nicht Onkel Herbert. Ich stotterte aus lauter Verlegenheit und etwas schlechtem Gewissen rum: „Äh, ja....äh, hab ich dabei... aber, wenn wir reden wollen, kannst du doch ans Fenster kommen! „Jau. Over and out.“ Na, da hatte ich wenigstens ein bisschen Zeit gewonnen. Und dann ahnte ich es schon. Ich hatte einen zweiten Fehler begangen, als ich ihn ans Fenster rief.

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Er öffnete seines im ersten Stock und rief: „Na, Clara? Wo willst du denn jetzt hin? Und wo wollt ihr einsteigen?“ Ich würde nichts verraten. Also sagte ich: „Wer hat denn gesagt, das wir irgendwo einsteigen wollen?“ „Na, du hast das gesagt... eben in das Walkie-Talkie.“ Nun musste ich ihn ablenken. Ich machte auf ganz, ganz harmlos: „Ach so, das meinst du. In die Bahn, wir wollen in die Bahn einsteigen.“ „Ach so, ihr wollt in die Bahn einsteigen. Du mit den anderen beiden Yurumis.“ Seine Stimme klang enttäuscht. „Und ich dachte, du wolltest wieder üben... Und wo wollt ihr hin?“ Das konnte ich verraten. „Rombergpark.“ Seine Augenbraue zuckte hoch. Das konnte ich von hier aus sehen: „Rombergpark? Was wollt ihr da denn?“ „Nix. Nur so.“ Jetzt ging auch noch seine andere Augenbraue hoch. „Nur so? Ihr macht doch nie was nur so. Naja, wenn was ist...“ Ich sagte schnell: „Nee, da ist schon nix!“ Er entgegnete energisch: „Aber wenn... dann rufst du mich, ist das klar?“ Ich nickte. „Nee, ist klar. Musst du eigentlich gar nicht arbeiten?“ „Gleich erst. Um vier.“ Ich lachte ihn an: „Dann nimm aber das Walkie-Talkie auch mit. Falls wir dich mal rufen!“ „Ja, bis dann. Und gib Gummi!“ Als ich schon um die Ecke war, hörte ich ihn rufen: „Clara, wieso hast du im Sommer Gummistiefel an?“

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Klunker erzählt Wir waren in diesem Schacht. In der U-Bahn-Station. Wir hatten einen zweiten Lichtschalter gefunden. Eine Reihe alter Neonröhren flackerte auf und leuchtete uns den Weg die Treppenstufen hinab. Sie waren in großen Abständen angebracht und einige der Lampen waren schon kaputt. Trotzdem konnten wir ganz gut sehen, wo wir hintreten mussten. Es lag dicker Staub auf den Stufen. Hier war jedenfalls lange niemand mehr gewesen. Ob dies der richtige Eingang war, der uns in das unterirdische Wegesystem bringen konnte, das die Spionin Schragmüller vor vielen Jahrzehnten auf ihrem Schatzplan verzeichnet hatte? Zwei Mal schon war rechts eine Tür gewesen. Beide verschlossen. Ich überholte Mantel auf der Treppe, fasste nur kurz an die Türklinken, drückte sie, rüttelte kurz an der Tür, schüttelte meinen Kopf und ging weiter. Mantel fragte hinter mir: „Meinst du nicht, wir müssen da rein?“ „Nein, wir müssen sicher zum tiefsten Punkt. Und bummel nicht so. Mach hin.“ „Ich kann nicht so schnell mit der Golftasche und dem Werkzeug.“ „Wir müssen hier weg, bevor uns einer sieht.“ „Wer soll uns denn hier unten sehen?“ „Vielleicht merkt einer, dass ich oben das Türschloss geknackt habe. Wer weiß. Besser ist besser. Mist, jetzt hab ich mir die Hose dreckig gemacht. Sieh mal.“ „Ach, das bisschen da unten am Hosenbein. Mal ehrlich, Klunker, wie kann man auch in seinen weißen Klamotten hier unten einsteigen.“

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Ich mochte das gar nicht, wenn Mantel an meiner Kleidung herumkritisierte. In diesem Moment knallte es über mir. „Mist“, fluchte Mantel. „Ich bin gestolpert und wäre fast lang hingeschlagen mit dem ganzen Kram.“ Und mir fast ins Kreuz! „Pass auf wo du hintrittst, Mantel. Ab jetzt gehst du wieder vor.“ Und dann ließ ich Mantel an mir vorbeigehen, der brummte irgendetwas, aber ich fragte gar nicht nach und dann stieg er extrem langsam die Stufen weiter herunter. „Da unten, gleich hören die Lampen auf“, sagte er. „Und nirgends ein Lichtschalter. Kannst du noch was sehen, Klunker? Was machen wir denn unten? Da ist es stockduster.“ „Ich hab ne Taschenlampe mit. Und noch was. Willst du mal sehen?“ „Klunker, mach es nicht so spannend.“ „Ein Kompass. Den trag ich am Arm. Hier. Hab ich mir gestern gekauft. Eine Armbanduhr mit Kompass. Schau doch mal. Super, oder?“ Mantel erzählt Ich war langsam bedient. Bei jedem Schritt schlug mir die Hacke in die Schulter oder die Golftasche an die Beine und manchmal sogar die Schippe an den Kopf. Und er motzte rum mit seiner neuen Armbanduhr mit Kompass. Klunker und seine Ringe und Ketten und Uhren. Ich hatte keine Lust mehr. Sollte er doch seinen Kram alleine tragen. Aber er hatte nur die leere Tasche und die Schatzkarte. Das war alles, was Klunker tragen musste. Ja, und diese Armbanduhr. Hoffentlich wusste er wenigstens, wie wir mit der Suche weitermachen sollten.

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Ich drehte mich zu ihm um. „Und der Plan, Klunker?“ „Geh weiter!“ „Was ist dein Plan, wenn wir unten ankommen?“, fragte ich noch mal. „Bin ich blöd? Den Plan hab ich natürlich mit! Aber erst gehen wir bis unten zur Sohle.“ „Ich meine nicht den gezeichneten Plan, sondern ich will wissen, was dein Plan ist, wenn wir gleich unten sind.“ „Sind wir aber noch nicht!“ „Aber bald. Und dann?“ „Und dann! Und dann! Dann sehen wir weiter.“ „Das ist ja ein super Plan, den du da hast! Ganz toll, Klunker.“ „Schnauze Mantel!“ „Das geht ja noch immer tiefer.“ „Dann sind wir vielleicht richtig.“ „Da, da ist ein Gang.“ „Geh rein, Mantel.“ „Gib mir mal die Taschenlampe. Es ist total düster. Ich sehe auch keinen Schalter.“ Klunker leuchtete an mir vorbei und ließ den Lichtkegel über die Wände huschen. Der Gang war sehr eng. Und niedrig. Und irgendwie schien er weit. „Der ist aber eng... und lang.“ Klunker sagte: „Geh rein. Ich glaube, er führt...“ Klunker sah auf seine Armbanduhr. Ich sagte: „Ich muss jetzt nicht wissen, wie spät es ist.“ „Da ist mein Kompass dran.“ „Ich muss noch nicht mal wissen, in welche Richtung wir gehen. Hauptsache wir finden den Schatz.“ „Mantel, man braucht Informationen, wenn man in der Welt erfolgreich sein will. Sonst bleibt man sein Leben lang nur ein Mantel. Ich hab Informationen. Und wenn ich keine

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Informationen habe, dann besorge ich mir welche. Und darum bin ich kein Mantel, sondern ein Klunker.“ Er lachte und fand sich mal wieder sehr, sehr witzig. „Südlich. Ein wenig süd-östlich. Irgendwann stoßen wir dann auf einen Gang, der west-östlich verläuft – laut Karte.“ Ich sah ihn an und setzte für eine kleine Pause die Golftasche vor mich. „Was ist?“, fragte Klunker. „Kleine Pause vom Schleppen“, sagte ich. „Aber nur eine kleine.“ Es dauerte keine Minute und er sagte: „So. Das reicht. Weiter.“ „Das ist aber dunkel!“ „Hast du Schiss?“ fragte Klunker. „Nee, aber...“ Schiss hatte ich nicht. Trotzdem war es ein komisches Gefühl, wir waren hier mehr als zehn Meter unter der Erde. Was war, wenn wir uns verirren würden? Klunker unterbrach meine Gedanken: „Aber was?“ Es hatte keinen Sinn, weiter zu grübeln. Wenn wir zum Schatz wollten, würden wir diesen Weg gehen müssen, und außerdem war ich ein Top-Gangster der Top-Stadt Dortmund. Wovor sollte ich mich fürchten, dachte ich. Nein, vor so ein bisschen Dunkelheit würde ich mich nicht fürchten. Auch wenn ich mich ein bisschen fürchtete. „Ich geh ja schon“, sagte ich. „Schneller!“, maulte Klunker. „Trag du doch den ganzen Scheiß.“

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16 Portion Glück Musti erzählt Natürlich saßen Doktor und ich schon auf einer der Bänke auf dem kleinen Steg am See. Maradonna kam wie jedes Mal wieder mit einer Verspätung. Ich war leicht sauer. Ich sagte: „Ein Eis für jeden von uns beiden und für jede Minute Verspätung eine Kugel.“ Maradonna grinste: „Ach bitte. Ich musste noch Onkel Herbert ablenken. Der hatte mich plötzlich auf dem WalkieTalkie angerufen. Er soll doch nichts mitkriegen, oder?“ Doktor sagte nur: „Keinen Streit. Ist noch irgendwas unklar?“ Ich grinste: „Wir haben das Wichtigste vergessen.“ Erschrocken sahen mich Doktor und Maradonna an.

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„Unser Zeichen!“, sagte ich und hielt meine Hand nach unten und die beiden anderen schlugen ein und wir riefen: „Big Bang - Yurumi-Gang - Oooooh - YURUMI.“ Und dann klatschten wir uns ab. Unauffällig schlenderten wir Richtung Eiskeller und schauten in alle Richtungen, um einen Moment zu finden, in dem möglichst niemand im Park war und in dem wir unbemerkt über den Zaun würden klettern können. Wir bummelten und ließen noch zwei Frauen mit Kinderwagen vorbeigehen, einen Jogger aus Seerichtung und mussten dann auch noch warten, bis ein alter Mann mit einem kleinen Hund vorbei war, beide waren nicht mehr gut zu Fuß und der Hund schnüffelte an jedem Strohhalm und war noch langsamer als sein Herrchen. Wir wurden etwas ungeduldig! Ich sagte zu Doktor: „Wir gehen da in der Ecke drüber! Mach mir eine Räuberleiter.“ Aber Maradonna stand schon da und hatte ihre Hände ineinandergeschoben. Ich trat vorsichtig in ihre Hände, zog mich an ihren Schultern hoch, fasste den Zaun oben an und stellte mich drauf, über Eck. Dann zog ich sofort Maradonna zu mir

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hoch, dann Doktor, beide sprangen vom Zaun ab und liefen sofort links neben den Säulen zum Eingang in den Eiskeller. Dann folgte ich. Ich hörte Stimmen hinter mir und sagte: „Los, legen wir uns auf die Erde. Schnell. Da kommen Leute. Los!“ Wir schmissen uns auf die Erde. Ich schaute vorsichtig hoch und sah, wie ein paar Erwachsene auf dem Parkweg vorbeischlenderten. Ich wartete, bis sie aus meinem Sichtfeld waren. Dann sprang ich auf. „Sind vorbeigegangen ohne zu gucken “, sagte ich. Maradonna und Doktor standen jetzt auch auf. Doktor sagte zu mir: „Probier mal die Tür...“ Jetzt plötzlich verließ mich von einer Sekunde auf die andere mein ganzer Mut und ich schaute ratlos auf die rostige Klinke: „Ist zu.“ Maradonna lachte: „Musti, was ist denn los? Du hast noch nicht mal an die Klinke gefasst.“ „Aber ich sehe doch, dass die zu ist.“ Maradonna ging an mir vorbei und sagte: „Ja, aber ob sie auch abgeschlossen ist...“ In diesem Moment drückte sie die Klinke runter und es passierte, was ich mir gar nicht hatte vorstellen können. Die Tür knarzte und gab leicht nach. Doktor staunte: „Hätt ich nie gedacht...“ Ich sagte zu den beiden: „Los, nicht staunen. Helft mir drücken!“ Ich warf mich gegen die Tür, Doktor hatte sich neben mich gestellt, Maradonna auch, alle drei stemmten wir nun die Füße in die Erde und drückten mit unseren Schultern die Tür auf. Sie klemmte. Sie stöhnte und ächzte. Drinnen schoben wir jede Menge Laub beiseite. Das Türholz hatte sich

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verzogen, aber sie ging auf. So weit, dass wir schnell und bequem mit unseren Rücksäcken reinkonnten. „Los, wieder zudrücken“, sagte Maradonna. „Danach auf allen vieren laufen, dass man uns nicht durch die Fenstergitter sehen kann“, flüsterte Doktor. Wieder stemmten wir uns gegen die Tür. “Lasst sie einen Spalt offen, falls wir hier schnell wieder raus müssen. Gut. Okay. Reicht“, sagte ich. Doktor sagte noch mal: „Komisch, dass die nicht abgeschlossen war!“ Maradonna war bester Laune: „Wenn da schon ein so dicker Zaun drum rum ist, muss man ja nicht noch die Tür abschließen.“ „Ich hör schon wieder Leute, leise!“ sagte ich. „Voll dunkel hier drin“, flüsterte Maradonna. „Das ist noch gar nichts“, sagte Doktor. „Nachher, unten in den Gängen, da wird es richtig dunkel.“ Wir sahen uns um. Wir saßen in altem Laub und Dreck. Abfall, Papier, Dosen. Irgendwelche bekloppten Leute mussten das hier hereingeworfen haben. Draußen gingen Leute vorüber, wir hörten ihre Stimmen und ihre Schritte auf dem Weg. Als das verklungen war, fragte Maradonna: „Und wie geht es jetzt weiter?“ „Wir suchen eine Tür“, sagte Doktor. Aber an den Wänden war keine Tür zu sehen oder zu entdecken. Ich nahm den Klappspaten aus meinem Rucksack und schob mit ihm das Laub vom Boden zur Seite und untersuchte den Raum. Die anderen beiden hatten Stöcke gefunden und machten das Gleiche. Und dann sah ich etwas. „Oder wir suchen eine Klappe“, sagte ich.

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Ich legte sie frei. Eine quadratische Bodenplatte von etwa einem Meter Seitenlänge. Sie sah schwer aus. Ich untersuchte sie. Sie war aus Holz. Und in der Mitte war ein Ring eingelassen. Ich stellte mich auf und versuchte, an diesem Ring die Klappe hochzuziehen. Ich stöhnte vor Anstrengung: „Die krieg ich so... nee, doch nicht.“ Doktor stand plötzlich neben mir. „Ich fass mit an. Maradonna, du... auch.“ „Tu ich längst“, presste sie zwischen ihren Zähnen hervor. Ich versuchte umzugreifen, und in diesem Moment rutschte uns die Klappe aus den Händen und schlug mit einem Donnern wieder zu Boden. „Ich hätte mir fast die Flossen geklemmt!“ zischte Doktor erschrocken. Maradonna sagte leise: „Ob uns einer gehört hat?“ Wir lauschten nach draußen. Nichts. Ich hatte eine Idee: „Wir heben erst nur ein bisschen an, dann stecken wir die Brechstange dazwischen. Die ist aus Eisen. Darauf legen wir die Platte ab. Dann greifen wir um, heben sie das restliche Stück hoch und kippen die hintenrüber.“ Doktor nickte. Ich zählte vor: „Bei drei heben wir alle im selben Moment. Eins, zwei, drei. Maradonna. Schnell. Die Stange.“ „Liegt schon“, sagte sie. „Ihr könnt das Ding runterlassen.“ „So, jetzt wieder wir alle zusammen “, sagte ich. „Und wieder bei drei?“ Doktor grinste: „Spätestens!“ Und diesmal griffen wir drei unter die Bodenplatte, hoben sie an, stöhnten noch mal, hatten sie aber schon über den schwersten Punkt gehoben und warfen sie mit einem Ruck

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nach hinten. Es staubte reichlich, als die Platte zu Boden fiel. Und wieder hatten wir Glück, dass kein Spaziergänger uns gehört hatte. Wir setzten uns nebeneinander an die Wand und holten Luft, um ein bisschen auszuruhen. Dann stand Doktor auf und schaute in das Bodenloch. „Und?“, fragte ich. „Ich... ich seh was... da, eine Leiter.“ Maradonna stellte sich neben ihn. „Eine Treppe wäre mir lieber!“ Jetzt war ich auch am Bodenloch. „Leuchte mal rein, Doktor.“ Er richtete seine Stabtaschenlampe auf die Leiter und leuchtete langsam an ihr runter in die Tiefe. „Unheimlich.“ Das war mir rausgerutscht. Mir war aber wirklich etwas unheimlich. Ich sah, dass Maradonna nickte. Wir hockten einen Moment am Boden. Dann kroch Doktor los und holte seinen Rucksack und griff hinein. „Setzt erst die Stirnlampen auf.“ Jeder nahm seinen Rucksack, jeder hatte eine Stirnlampe auf. Maradonna fragte: „Wer zuerst?“ Ich sagte nicht sofort etwas. Das war sehr dunkel da drin und man konnte nicht richtig zum Boden sehen. Es musste eine relativ lange Leiter sein. Ich bin sonst kein Schisser, aber jetzt hatte ich mindestens Respekt! Und bekam noch mehr vor Doktor, der nun sagte: „Ich gehe.“ Maradonna hielt ihm die Hand hin, um ihm den Einstieg auf die Leiter zu erleichtern. „Dann ich... und du, Musti, machst den Schluss. Also, runter.“ Ich half Maradonna beim Einstieg, wartete, bis sie einen kleinen Vorsprung hatte, und dann wollte ich auf die Leiter steigen. Doktor rief hoch. „Die Leiter schwingt. Wir gehen einzeln. Wartet bis ich unten bin.“

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„Okay“, rief ich in die Tiefe. Ich setzte mich einfach auf den Rand des Bodenlochs. „Maradonna, jetzt du. Weiter!“, hörte ich nach einer Zeit Doktors Stimme. Dann, wieder später rief Maradonna: „Alles okay, Musti. Du kannst kommen.“ Ich stellte mich auf die Leiter und schaute kurz nach unten. Hätte ich vielleicht nicht machen sollen. Ganz schön steil. Aber dann nahm ich meinen Mut zusammen und begann mit dem Abstieg, von Sprosse zu Sprosse. Nach einer fast unendlichen Zeit stieß mein Fuß auf den Boden! „Schon da, Musti“, sagte Maradonna grinsend. „Ich bin heute wohl nicht ganz schwindelfrei“, sagte ich. „Keine Sorge“, meinte Doktor. „Wir hatten auch Schiss beim Abstieg. Oder Maradonna?“ „Mindestens ein bisschen“, sagte sie. „Bist du okay, Musti?“ „Bisschen wackelig in den Beinen, aber es geht schon.“ „Dann los“, sagte Doktor. „Gewöhnt euch etwas an die Stirnlampe.“ Wie Suchscheinwerfer warfen nun die Lampen von unserer Stirn schmale Lichtstreifen in das Dunkel rundum.

17 Qualvoller Transport Mantel erzählt Ich lief voran und Klunker leuchtete an mir vorbei den Gang aus. So ein Quatsch! Statt mir die Lampe zu geben! Er bräuchte die, um ab und zu auf den Plan zu schauen. Was

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brauchten wir unten den Plan! Der Gang ging geradeaus und irgendwo würde er hinführen. Und zwar völlig egal ob nach Osten, Süd-Westen oder sonst wohin. Da half ihm sein blöder Plan jetzt aber mal grad überhaupt nicht. Jedenfalls nicht, bevor wir an eine Abzweigung oder so etwas kommen würden. Immer wieder leuchtete er mit der Taschenlampe gegen mich, dadurch warf mein Körper lange, unheimliche Schatten in den Gang. Nicht, dass ich mich vor mir selber gefürchtet hätte, aber diese Schattenspiele an den Wänden sahen in dem schmalen Gang schon etwas beängstigend aus. Manchmal beleuchtete er den Gang aber gar nicht, dann traf der Lichtstrahl nur meinen Rücken, und dann sah ich nicht, wohin ich ging und trat. Der Boden wurde jetzt stellenweise feucht. An ein paar Stellen waren kleine Wasserpfützen. An anderen Stellen war es leicht schlammig. Man sank nicht ein, aber die Erde war schlickig. Hinter mir fluchte Klunker, weil er sich immer mehr seine weißen Hosen dreckig machte. Darum leuchtete er immer wieder plötzlich nicht auf den Weg, sondern leuchtete seine Hosenbeine an und ich stand im Dunkeln. Also blieb ich stehen, weil ich nichts mehr sah. Dann rannte er gegen mich, weil ich stehen geblieben war. Einmal rannte er direkt in die Spitzhacke, mit seiner rechten Schulter. Zum einen musste das ganz schön weh getan haben, zum anderen war nun auch seine Schulter dreckig. So eine Schatzsuche ist eben kein Opern-Besuch, dachte ich. Aber das hätte der weiße Herr selber wissen müssen! Tat ja sonst auch so, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Aber das sagte ich ihm nicht, das dachte ich mir nur. Hätte ja doch wieder nur Ärger gegeben. Der wollte ein Schatzsucher sein. Der hatte Glück, dass ich mit dabei war.

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Langsam fand ich aber, dass wir schon ganz schön lange in dieser Richtung unterwegs gewesen waren. Zu lange, fand ich schließlich. „Klunker, in welche Richtung gehen wir eigentlich?“ „Weiß nicht. Immer noch südlich jedenfalls. Aber es gibt ja sowieso nur diese eine Richtung.“ „Und wenn die falsch ist?“ Er hatte wohl selbst schon erste Zweifel. Er hielt und entfaltete die Karte mit der einen Hand, in der anderen hielt er die Taschenlampe und leuchtete die Karte an. „Hier, nach der Karte müssen wir diesen Gang weiter, bis wir auf einen Querstollen stoßen, und dann müssen wir in Richtung Osten, also links ab.“ „Das klingt aber alles sehr ungefähr.“ Ich sah sein Gesicht kaum in dieser Dunkelheit. Nur etwas Licht schien vom Lampenkegel zu ihm hoch. Er sah mich an und plötzlich leuchtete er mir direkt ins Gesicht und blendete mich. „Was soll das, Klunker? Nimm die Lampe runter!“ zischte ich. „Das klingt also ungefähr? Genauer geht ja auch nicht. Ich meine, wenn so ein Schatz eine Adresse hätte, dann hätten wir die natürlich auch in mein Navigationssystem eintippen können.“ Ich stutzte: „Die Schatzadresse ist in deinem Navigationssystem?“ „Du bist selten blöde, Mantel. Geh weiter. Wo wir hier rumund durchstiefeln müssen. Pfützen, Wasser, Grundwasser... meine, meine weiße Hose!!!“ Und er hob bei jedem Schritt seine Füße weit an und versuchte, nicht mit dem Fuß am anderen Hosenbein langzustreifen.

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Ich lachte leise. „Das erste Mal, dass einer in schneeweißen Klamotten auf Schatzsuche geht.“ „Ich versau mir hier die Klamotten... und du quatschst mir ein Ohr ab. Halt die Fresse Mantel und geh weiter.“ „Dann halt die Taschenlampe vernünftig, Klunker.“ „Wenn ich die Lampe anders halte, sehe ich die Pfützen nicht.“ Da fiel mir was auf. Das hätte mir schon eher auffallen müssen. Ich fragte: „Warum flüsterst du eigentlich?“ Klunker stutzte: „Weiß nicht. Aber du flüsterst doch auch.“ Hatte ich gar nicht gemerkt. Aber die Wände ringsum, diese Dunkelheit führten irgendwie dazu, dass man sich etwas bedrückt fühlte. Nein, nicht ängstlich. Denn hier war ja nichts. Also, hier war ja keiner. Kein anderer. Und ein Gespenst würde schon nicht um die Ecke kommen. Gab es ja gar nicht, Gespenster und so was. Hoffte ich jedenfalls. „Dann rede ich eben wieder ganz normal. Und bleib näher an mir dran, damit du besser an mir vorbeileuchten kannst.“ Klunker sagte: „Wenn ich näher hinter dir herlaufe, spritzt du mich voll! Meine Hose sieht sowieso schon aus, als würde ich im Tiefbau arbeiten.“ „Naja“, lachte ich, „den Schatz verstecken hier unten und den Schatz suchen hier unten ist ja beides auch so eine Art Tiefbau. Mindestens tief buddeln. Bin gespannt, wo wir raus kommen.“ „Und ich bin gespannt, wie groß der Schatz ist. Geh weiter jetzt, Mantel.“ In diesem Moment rannte er wieder auf mich drauf. „Mist. Mantel, ich hab die Schippe fast vor die Stirn bekommen. Warum bleibst du dauernd stehen?“

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„Leuchte gefälligst in den Stollen und nicht dauernd auf deine Hosenbeine!“ Doktor erzählt Am Fuß der Leiter war ein kleiner, quadratischer Raum. Hier begann sofort ein Stollen. Absolut dunkel. Wir leuchteten hinein, nickten uns zu und vorsichtig machten wir die ersten Schritte. Wir fassten Vertrauen in den Weg, ich leuchtete mit meiner Stirnlampe Boden und Wände ab. Alles war etwas feucht, aber der Weg fest. Wir kamen super voran, fand ich. Wir sagten wenig. Wir wechselten uns ab, wer vorne jeweils als erster ging und die Führungsarbeit machte. Ich kontrollierte unseren Weg und sah immer wieder auf den Kompass. „Wohin laufen wir?“, fragte Musti. „Ost-Nord-Ost“, sagte ich. „Oder wie die Segler sagen, etwa auf zwei Uhr. Wenn man sich vor uns eine Uhr vorstellt.“ „Keine Vorträge jetzt“, sagte Maradonna. Natürlich waren wir nicht so schnell wie über der Erde. Es ging schon langsam. Aber es

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ging voran. Es war sehr gut, dass wir unsere Gummistiefel anhatten. Es war feucht in den Gängen, es gab kleine Schlammstellen und immer wieder Pfützen. Wir hatten grad wieder gewechselt. Vorne ging jetzt Musti, dann ich, dann Maradonna. Sie sagte von hinten: „Irgendwie unheimlich, jetzt sind wir schon fast eine Stunde unterwegs. Oder, Doktor?“ Ich schaute auf meine Armbanduhr: „Genau 58 Minuten.“ „Ruhe!“, sagte Musti. Was hatte der denn? Ich sagte: „Warum? Ich hab doch nur...“ Mustafa unterbrach mich scharf: „Leise! Ich hör was.“ Wir erstarrten. Und dann, von ganz fern, hörte auch ich Stimmen. Zwei Stimmen. Zwei Männerstimmen. Mir wurde plötzlich kalt. Sehr kalt. Eine Sekunde vorher hatte ich noch geschwitzt in unserem konzentrierten Gehen und Voran. Nun fror ich. Ich hörte ein Wispern. Keine einzelnen Worte. Es klang wie „Wssnichadflüstersdoach.“ Den nächsten Satz sagte eine andere Stimme. „Dann rede ich eben wieder ganz normal. Und bleib näher an mir dran, damit du besser an mir vorbeileuchten kannst.“ Die Stimme kannte ich. „Los, die Lampen aus!“, zischte ich. Keiner fragte warum, alle drehten wir unsere Stirnlampen aus. „Bisschen näher ran“, flüsterte ich jetzt. Ich spürte in der Dunkelheit, wie wir alle drei eng zusammengedrängt vorsichtig vorwärtsschritten, Musti führte. Und dann schrie er fast! „Aua! Mist!“ Maradonna ermahnte ihn sofort: „Sei leise, Musti!“ Der sagte kaum hörbar: „Was war das denn? Ich hab mich voll poliert. Leuchte mal vorsichtig.“ „Wir können jetzt kein Licht anmachen“, sagte ich. „Wir

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müssen tasten. Ihr bleibt stehen, ich untersuche das.“ Ich tastete mich an Maradonna vorbei, berührte Musti und tastete an der Wand entlang, tastete die Wände runter, war schon mit dem Fuß an etwas gestoßen. Gestapeltes Holz. Kanthölzer. Mitten im Weg. Na, vielleicht nicht mitten im Weg, aber mit so einem Hindernis hatten wir nicht gerechnet. Ich sagte sehr, sehr leise: „Du bist vor einen Stapel Holz gerannt.“ Musti brummte: „Kaum ist das Licht aus, schon rennt man irgendwo vor!“ „Kannst du weitergehen?“, fragte ihn Maradonna. „Ja, kann ich.“ Dann fragte sie: „Und jetzt?“ „Zuhören!“ sagte ich. Denn irgendwo da in der Dunkelheit vor uns, irgendwo da waren Mantel und Klunker. Sie waren nicht irgendwo in Dortmund in der Sonne einen Kaffee trinken. Sie waren hier unten in den Gängen und Stollen unterwegs. Ausgerechnet auf dem gleichen Weg wie wir scheinbar. Was suchten die hier? Und außerdem – woher wussten die von diesem Weg? Wir waren doch ganz sicher gewesen, dass sie uns nicht in die Quere kommen könnten. Vor uns war niemand im Eiskeller gewesen. Die Bodenplatte war voller Müll und Laub gewesen. Dort hatten sie nicht einsteigen können. Von woher kamen die? Hatte es etwa eine zweite Schatzkarte gegeben? Hatten Mantel und Klunker sie gefunden? Wir hatten doch die Karte aus dem Schragmüller-Haus!

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18 Richtiges Pech Musti erzählt Mein rechtes Bein tat weh, ich war mit dem Schienbein voll vor diesen Holzstapel gelaufen. Ich stellte mich auf mein linkes, um das andere zu entlasten. Ich spürte meine Herzschläge. Spürte, wie mein Blut puckerte. Wir standen da in der Dunkelheit und trauten uns kaum zu atmen. Und ich wusste, jeder von uns dreien hatte die Stimmen erkannt. Mantel und Klunker. Und jeder von uns fragte sich, wie die ausgerechnet hierher kommen konnten. Dann musste ich fast lachen. Klunker sorgte sich hauptsächlich um seine Hose! Na, kein Wunder. Der hatte ja immer diese weißen Klamotten an. Und nun sprachen sie - das konnte doch nicht sein! - sie sprachen von dem Schatz! Wie groß der wäre. Jetzt rappelte Metall. Und dann fluchte Klunker und wir hörten, dass er beinah vor eine Schippe gelaufen sei. Die hatten Werkzeug dabei. Ich hielt die Spannung kaum aus und sagte, so leise ich konnte: „Das sind Mantel und Klunker!“ „Scht!“, zischte Doktor. Und dann hörte ich auch schon, wie die beiden Gangster weitersprachen. Und ich sah etwas, von ganz entfernt vor uns. Ich sah etwas wie einen Nebel. Licht. Dämmernd. Kaum in der Lage, das schwarze Nichts rundum wirklich zu durchschneiden, und trotzdem war klar, dort musste sich jemand mit einer Lampe nähern. Die eine Stimme. Das war Mantel. Er sagte: „Da, der... der Gang ist zu Ende.“

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Klunker raunzte: „Quatsch. Da kommt der Querstollen. Wir müssen links rum. Richtung Osten.“ Vor uns war also eine Abzweigung, aus der die beiden kamen. Jetzt war es wieder Mantel: „Ich weiß hier unten überhaupt nicht, wo Osten oder Westen oder irgendeine Himmelsrichtung ist.“ Neben mir flüsterte Doktor: „Ja, dafür muss man schon einen Kompass mitnehmen!“ Jetzt sprach Klunker: „Ich kann dir jede Minute sagen, in welche Himmelsrichtung wir gehen, in jeder Biegung, weil ich diesen Kompass an der Uhr habe. Aber auf so was kommst du ja gar nicht!“ „Klüger als ich dachte“, murmelte Doktor. Mantel erzählt Warum mussten wir nach Osten, wenn man sowieso nur rechts oder links gehen konnte? Wer brauchte denn hier überhaupt Himmelsrichtungen unter der Erde, wo man gar keinen Himmel sehen konnte? Es gibt eh nur zwei Richtungen im Leben: Die, aus der du kommst, und die, in die du gehst. Den Satz hatte ich mal irgendwo gelesen. Der war aber so klug, das sagte ich Klunker lieber nicht, der würde das sowieso nicht verstehen. Manchmal wunderte ich mich, wie viel ich denken konnte, während Klunker in der Zeit nur diesen einen Satz gesagt hatte. Vielleicht sollte besser ich der Chef werden. Was dachte der sich eigentlich? Ich sagte: „Gehen wir mal nach rechts?“ Klunker leuchtete mir wieder in mein Gesicht und blendete mich. Ich hasste dass. Ich hob eine Hand schützend vor meine Augen.

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Er sagte: „Warum das denn? Warum nach rechts? Wir müssen nach links.“ „Leuchte mal da hin, Klunker. Da. Siehst du? Der Gang macht einen leichten Knick. Lass uns mal sehen, wo der hin führt.“ „Wozu das denn?“ fragte er. „Weiß man nie“, sagte ich. „Wie? Weiß man nie?“ Ich sagte: „Ich hab da so ein Gefühl.“ Nun machte er meine Stimme nach. Das hasste ich mindestens genauso, wie wenn er mir in das Gesicht leuchtete. Wenn einer dem anderen seine Stimme nachmacht, wenn der den parodiert, so heißt das nämlich bei Schauspielern, dann macht der sich über den lustig, und ich wollte nicht, dass sich Klunker über mich lustig machte. Immerhin war ich ein reguläres Mitglied seiner Bande. Das Einzige zur Zeit sogar. Da kann man etwas Respekt erwarten. Ja. Respekt und nicht lustig machen. Immerhin hatte ich die Idee gehabt, die Karte zu drehen, und ich schleppte hier das ganze Werkzeug und er nur die leere Tasche für den Schatz. Und die Karte und die Taschenlampe. Aber das wog ja alles nichts. Auch nicht der Kompass, der aber sowieso egal war, denn wir mussten sowieso nur nach links. Die ganze Arbeit machte hier wieder mal nur ich. Aber Herr Klunker machte sich über mich lustig und sagte absolut ironisch: „Ich hab da so ein Gefühl?“ Und dann sagte er es gleich noch mal, was ja wohl die Krönung ist beim Sichlustig-machen über einen anderen: „Ich hab da so ein Gefühl? Was für ein Gefühl denn, Herr Mantel?“ Aber ich ließ mich gar nicht provozieren von ihm. Ich wusste ja, dass ich viel mehr denken konnte als er, während er

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redete. Ich dachte immer mindestens fünf Sätze, während Klunker einen sprach. Ich hatte mitgezählt. Dadurch hatte ich nicht immer unbedingt alles mitbekommen von dem, was Klunker sagte, und deshalb meinte er, ich sei manchmal etwas begriffsstutzig, aber ich dachte nun mal mehr als er und die Hauptsache war doch, dass ich das wusste. Was Klunker dachte, war mir ganz egal. Chef hin oder her. „Was für ein Gefühl denn jetzt?“ fragte er noch mal. Ich holte Luft. „Na, so als wären wir nicht alleine hier unten...“ Doktor erzählt Wir waren alle drei wie erstarrt. Wir standen in der Dunkelheit und uns war kalt. Wir froren. Maradonna löste sich als erste und sagte: „Habt ihr das gehört? Die kommen hierher. Wir müssen uns verstecken.“ „Wo denn? Hier ist doch nichts“, sagte Musti und seine Stimme klang hektisch. Ich sagte: „Hinter dem Holzstapel, vor den Musti eben vorgelaufen ist.“ Musti flüsterte: „Wir dürfen aber kein Licht anmachen. Tasten wir uns hin, nicht, dass wir schon wieder davorrennen!“ „Wir? Du bist davor gerannt.“ Und dann kicherte Maradonna. „Das ist nicht witzig. Nicht witzig!“ sagte Musti schon fast zu laut. Ich ermahnte beide: „Ruhe. Beeilt euch. Wir legen uns flach auf den Boden, hintereinander und drücken uns an die Wand. Den Kopf runter, damit nicht unsere Augen leuchten.

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Die Rucksäcke stellen wir vor uns.“ Ich war direkt hinter dem Holzstapel, dann kam Musti und hinter ihm Maradonna. Unser Tasten und Schaben und Schieben schien uns total laut zu sein. Nur den Rucksack etwas hin und her zu ziehen, klang schon irrsinnig geräuschvoll. Dann waren wir still. „Was machen die denn?“, fragte Musti. Klunker erzählt Mantel ging mir wirklich auf den Geist. Der ging mir auf den Senkel. Der nervte mich an. Manchmal suche ich extra für die gleiche Sache verschiedene Worte und Ausdrücke. Das mache ich, um mich in der Zeit wieder etwas abzuregen, in der ich nachdenke. Denn manchmal, wenn ich Mantel höre, könnte ich sofort losschreien. Aber ich kann mich ja beherrschen. Ich muss mich ja nicht über alles aufregen, was der bekloppte Mantel so sagt und tut und denkt. Wobei ich ihm nicht unterstellen will, dass er denkt. Hauptsache er macht, was ich ihm sage. Jetzt sollte ich aber tun, was er mir sagte. Und das gibt es ja wohl gar nicht! Wer war denn hier der Chef? Das war ja wohl ich! Aber Mantel nervte weiter. „Los, Klunker, leuchte mal hinter die Biegung da vorne.“ Ich war kurz davor, zu explodieren: „Wir müssen aber in diese Richtung.“ „Sicher ist sicher, Klunker.“ Sicher ist sicher, sagte er. Tja, da hatte er natürlich recht. Sicher war sicher. Schaden konnte das ja nicht, mal kurz in die andere Richtung zu leuchten. Und meine Hose war sowieso schon dreckig. Das kam auf ein paar Meter in eine

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andere Richtung nun auch nicht mehr an. „Na gut, Mantel. Und siehst du was?“ Ich leuchtete in den Gang nach rechts. Wir gingen ein paar Schritte hinein. Ich ließ den Lichtkegel der Taschenlampe über den Boden und die Wände gleiten „Nee, nur da vorne so einen Stapel mit Stempeln“, sagte er. „Wie?“ fragte ich. „Stempel?“ „So nennt man die Stützhölzer für die Stollengänge unter Tage.“ Ich pfiff durch die Zähne. „Du bist ja ein ganz Schlauer, Mantel.“ „Ich bin ein Ruhrgebietskind und da sollte man einfach ein paar Sachen wissen und auch schon mal in einem Bergwerksmuseum gewesen sein.“ „Wenn der Schatz so groß ist, wie ich denke, dann kannst du dir ein eigenes Museum kaufen, Mantel.“ Obwohl, so viel würde ich ihm doch nicht abgeben. Egal wie groß der Schatz war. Also, egal wie groß der Schatz sein würde. Ich sagte: „Können wir weiter? Genug gesehen?“

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„Ja!“, brummte Mantel. Er ging nun in die Richtung, aus der wir gekommen waren, vor mir her, drehte sich dann aber doch noch einmal um und sah an mir vorbei in das Dunkle des Ganges. „Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, als wäre hier noch wer.“ Ich schüttelte resignierend meinen Kopf. „Quatschkopf. Los, weiter. Unser Schatz wartet nicht ewig!“

19 Schlechte Karten Musti erzählt Wir lagen im Schatten an der Wand. Wir schauten mit dem Gesicht nach unten, aber wir spürten wie der Lichtkegel aus Klunkers Taschenlampe den Gang erleuchtete, wie er über die Wände und den Holzstapel tastete, wie der Schatten des Holzstapels zuckend über uns glitt, als Klunker die Lampe schwenkte. Kamen sie näher? Nein. Sie gingen. Ich atmete tief durch und spürte auch die Erleichterung in den Atemzügen von Maradonna und Doktor. Langsam nahm ich den Kopf hoch und flüsterte in die Dunkelheit: „Das ist nicht deren Schatz! Das ist unser Schatz.“ Maradonna sagte: „Wir müssen hinterher. Sofort!“ „Moment“, ermahnte uns Doktor. „Der Stollen macht immer so leichte Bögen und Knicke. Wir müssen Abstand halten und leise sein. Und wir müssen Abstand haben, um unsere Lampen benutzen zu können.“ Ich stellte die Frage aller Fragen: „Und wenn die uns erwischen?“

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Maradonna sagte: „Noch schlimmer wäre, wenn die vor uns ankommen. Dann gehört denen der Schatz!“ Sogar Doktor war irgendwie ratlos und das ist er wirklich nur ganz selten: „Mist! Was machen wir denn jetzt? Wie gehen wir vor?“ Nur Maradonna sagte ganz ruhig: „Indem wir hinterhergehen!“ In diesem Moment wurden wir durch ein knarzendes Geräusch unterbrochen. Laut. Leicht schrill. Es zerriss unser leises Flüstern, es schraubte sich durch die Gänge, es ritzte uns regelrecht ins Ohr. Doktor fragte erschrocken: „Was ist das denn?“ Und mit ähnlicher Stimmlage flüsterte Maradonna: „Das Walkie-Talkie! Onkel Herbert. Das war noch an! Mist!“ Ich sagte sofort: „Stell das leise. Schnell!“ Und dann hörten wir auch schon eine weitere Stimme in der Dunkelheit der Gänge. „Hier ist Onkel Herbert. Hör mal, Maradonna. Du planst doch irgendwas… das hat mir keine Ruhe gelassen… Gummistiefel und irgendwo einsteigen. Du sagst mir jetzt bitte sofort, wo du bist! Over!“ Fieberhaft kramte Maradonna in ihrem Rucksack, bis sie das Walkie-Talkie in den Händen hatte. Sie drückte den Sprechknopf und flüsterte mit leichter Panik in der Stimme: „Ich kann jetzt nicht, Onkel Herbert. Geht nicht. Nicht jetzt! Over.“ Wieder dröhnte Onkel Herberts Stimme. „Stell das aus“, rief Doktor unterdrückt. „Oder stell es wenigstens leise.“ „Wo denn?“, sagte Maradonna verzweifelt. Und wieder klang Onkel Herberts Stimme scheppernd aus dem kleinen Lautsprecher: „Sag mir, wo du bist. Sofort. Oder ich sag das deinem Vater! Over.“

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Wieder drückte sie die Sprechtaste: „Das geht jetzt nicht! Sei still jetzt! Over.“ „Wie redest du denn mit mir?“, entrüstete sich Onkel Herbert. Und in diesem Augenblick, Maradonna hatte gerade wieder die Sprechtaste gedrückt, glitt ein Scheinwerferkegel über uns und leuchtete uns brutal in die Gesichter. Ich war nach der vorherigen Dunkelheit komplett geblendet und schlug mir die Hände vor das Gesicht. Dröhnend und laut klang Mantels Stimme: „Dachte ich mir doch! Da ist also doch noch jemand anderes hier unten!“ „Mantel!“, zischte ich den anderen beiden zu. Und Doktor sagte: „Klunker!“ Mantels Stimme klang erstaunt. Ich schaute zwischen meinen Fingern durch, als er sagte: „Wie? Die kennen uns? Leuchte die noch mal an!“ „Das sind... Kinder... das ist...“, sagte Klunker langsam. Und dann riefen beide, als wären sie Chorsänger: „... die Yurumi-Gang!“ Mantel fluchte: „Verdammt. Ausgerechnet die!“ Maradonna reagierte als erste und rief in das Walkie-Talkie: „Onkel Herbert, wir brauchen Hilfe...“ Klunker zischte: „Her mit dem Gerät!“ Er sprang auf sie zu. Sie war hinter mir. Er musste an mir vorbei. Ich trat, kurz bevor sein Fuß aufsetzte, seitlich gegen sein Bein. Dadurch rutschte er weg. Er knickte um und fiel hin, nur eine Sekunde. Seine Taschenlampe ließ er aber nicht los und er war wie der Blitz wieder auf den Beinen. Aber diese Sekunde hatte gereicht. „Maradonna, hau ab!“, rief ich. Sie stand nur kurz, drehte sich dann und lief in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

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Klunker fluchte. „Der Kleine hat mir vor das Knie getreten!“ Er leuchtete sich an und schrie. „Mein Anzug! Total dreckig an den Knien und hier an der Schulter. Sieh dir die Sauerei an, Mantel.“ Mantel stand der Mund offen. Dann schrie der auch: „Lass jetzt deinen Drecksanzug. Halt die Kinder fest, Klunker. Und leuchte. Den einen hab ich.“ Er hatte sich Doktor gegriffen. Klunker sah sich nach mir um. Meine Gedanken waren schnell wie ein Formel-1-Rennwagen in der Kurve. Hinter mir lief Maradonna in den Gang. Ich sollte also in die entgegengesetzte Richtung laufen. Ich versuchte, an Klunker vorbeizutauchen. Ich rollte mich ab, wie ich das vom Judo kannte, sprang auf und wollte weiterlaufen. Aber auch Klunker war trainiert. Er hatte unheimlich schnelle Reflexe. Er erwischte mich am Rucksack. Meine Flucht hätte fast geklappt. Klunker sagte triumphierend: „Ich hab den anderen!“ „Und das Mädchen?“ fragte Mantel. Doktor rief: „Los, Maradonna, hau ab!“ Wir hörten ihre Schritte schon weit entfernt. Dann hielt sie wohl an und rief: „Ich lass euch nicht...“ Doktor rief: „Hol Hilfe! Schnell!“ „Halt ihm den Mund zu!“, knurrte Klunker gefährlich. „Au!“ hörte ich Mantel rufen und dann klatschte es. Doktor hatte ihn in den Finger gebissen. Leider hatte Mantel ihm dann sofort eine gehauen. Ich selber tastete nach Klunkers Hand, die mich hielt, ich suchte seinen kleinen Finger. Ich fand ihn, natürlich saß ein Ring drauf. Ich nahm den Finger und bog ihn nach hinten. „Du kleine Ratte!“, rief er schmerzverzerrt, ließ mich kurz los, und packte mich dann aber erneut und zwar so, dass ich an seine Finger nicht mehr rankam!

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„Das ist Mädchenmist, Finger umbiegen und so!“, schnauzte er. Ich sagte: „Nee, das ist Selbstverteidigung. Schon was von Jiu Jitsu gehört? Und außerdem bist du gar nicht meine Gewichtsklasse!“ Jetzt musste er sogar lachen. „Ganz schön frech, du Ratte. Aber du kämpfst gut.“ Ich sah sein Gesicht dicht vor meinem. Er roch nach so viel Aftershave und anderem Stinkezeug, wie er Schmuck an den Fingern und am Hals hatte. Klunker zischte: „Also, pass auf, dass ich dir nicht den Arm auskugeln muss!“ Mantel fragte: „Was ist mit dem Mädchen?“ „Halt die beiden! Ich laufe hinterher.“ Doch Doktor kämpfte gut, auch wenn er keine Chance hatte. Mantel sagte: „Aber ich brauch schon beide Hände für den einen, und wenn ich den loslasse...“ „Hier, untersuch mal die Rücksäcke.“ Klunker leuchtete unsere Rücksäcke an. So fanden sie unser Seil. Tja. Pech gehabt. Doktor und ich wurden mit unserem eigenen Seil gefesselt. Mantel zog das Seil extra fest und sagte bei jedem Ruck: „Verfluchte Yurumi-Gang. Aber jetzt haben wir euch!“ „Maradonna habt ihr aber nicht!“, sagte ich. Klatsch. Mantel hatte mir eine gescheuert. War mir egal. „Und jetzt?“, fragte Mantel, als er uns verschnürt hatte. „Ist doch nur ein Mädchen“, lachte Klunker und lutschte an seinem doch leicht verstauchten Finger. „Die sitzt jetzt bestimmt zitternd hier irgendwo im Stollen...“

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20 Total allein Maradonna erzählt Ich lief durch den dunklen Gang. Ich lief so schnell ich konnte. Also, ich versuchte, jedenfalls, sehr schnell zu gehen. Ich hatte eine Hand an der Wand, um meine Richtung zu fühlen. Ich erinnerte mich noch, dass die ganze Zeit nichts auf dem Boden gelegen hatte. Jedenfalls hatte ich nichts bemerkt. Jedenfalls konnte ich mich nicht erinnern. Eigentlich konnte ich nirgendwo vor laufen. Aber ich traute mich doch nicht, mich schneller zu bewegen als schnell zu gehen. Dabei hielt ich mit einer Hand Kontakt zur Wand, meine andere hielt ich vor mich, um nicht im Dunkeln doch irgendwo vorzurennen. Und in dieser Hand vor mir hielt ich auch das Walkie-Talkie. Panisch überlegte ich, ob Mantel und Klunker wohl immer noch hinter mir her waren. Ich hielt ganz kurz an. Ich lauschte. Ich hörte nichts. Doch. Ich hörte meinen stoßweise gehenden Atem. Und ich hörte meinen rasenden Herzschlag. Dann ging ich schnell weiter. Meter um Meter ging ich weiter zurück in die Dunkelheit. Ich sah nur das kleine rote Kontrolllicht am Walkie-Talkie. Ich hielt. Ich lauschte noch mal. Ich hörte nichts. Nun traute ich mich endlich, doch wieder in das Walkie-Talkie zu sprechen. Ich drückte die Taste und sagte, atemlos zwar, aber sehr, sehr leise: „Onkel Herbert, Onkel Herbert, bist du noch dran? Over.“ Onkel Herbert klang panisch: „Klar bin ich noch dran. Was ist da los? Maradonna, Donna Clara! Red mit mir! Over.“

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Ich hatte also noch Kontakt. Kurz ließ ich das Gerät sinken. Ich versuchte wieder zu Atem zu kommen, ich lehnte mich an die kalte Stollenwand. Ich horchte weiter in die Richtung, aus der ich gekommen war. Folgten mir die beiden Gangster? Ich hob das Walkie-Talkie und sagte: „Onkel Herbert. Hör zu und unterbrich mich nicht. Ich hab jetzt keine Zeit für Erklärungen. Wir sind im Eiskeller vom Rombergpark in einen Stollen eingestiegen. Wir sind unter Tage Richtung Osten gegangen, also mehr so Ost-Nord-Ost. Wohin der Stollen führt, weiß ich nicht. Jedenfalls sind wir hier unten mit Klunker und Mantel zusammen gestoßen. Over.“ „Was? Das kann doch gar nicht...Egal. Over.“ „Vielleicht verfolgen sie mich. Ich bin in den Stollen zurückgelaufen. Ich glaube, sie haben Musti und Doktor. Over.“ „Aber warum trefft ihr unter Tage die Gangster? Was ist da los? Over.“ „Klunker und Mantel sind auch hinter dem Schatz der Spionin her. Over.“ „Schatz? Und was für eine Spionin? Over.“ „Ist doch egal jetzt. Komm und hilf uns. Over.“ Meine Stimme klang fast weinerlich. Wieder hörte ich Onkel Herberts Stimme: „Clara? Bist du okay? Over.“ Ich schniefte. „Bin okay. Over.“ Ich rutschte an der Wand runter und saß fast auf der Erde und hatte das Walkie-Talkie umklammert. Rings um mich herum war es dunkel. Dunkel und feucht. Ich saß allein irgendwo unter der Erde von Dortmund. Allein in einem unterirdischen Gang. Ich wollte nur noch, dass Onkel Her-

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bert kam und mich rausholte. Aber langsam beruhigte ich mich wieder. Langsam überwand ich meine Panik und vor allem auch den Schreck, auf die beiden Verbrecher getroffen zu sein. „Hol uns hier raus. Over.“ Einen Moment hörte ich nur das Rauschen des Gerätes. Dann sagte er: „Na, du bist gut. Wie soll ich denn... und wohin überhaupt? Ich hab ne Karte vor mir. Vielleicht kriegen wir das zusammen raus. Wo seid ihr rein? Over.“ „Im Eiskeller! Over.“ „Im Rombergpark? Was habt ihr da denn gemacht? Over.“ „Bitte, Onkel Herbert. Nur Fragen, die zum Ziel führen. Over.“ „Das ist nicht einfach. Ich hab da nämlich jede Menge Fragen. Richtung Nord-Osten. Das ist...Richtung... Richtung Hörde? Over.“ „Ja, kann sein. Wir gehen auf zwei Uhr, hat Doktor gesagt. Verstehst du das? Over.“ „Ja, versteh ich. Ist das etwa ein Bergbaustollen, in dem ihr da rumkriecht? Over.“ „Nee, eher nicht. Over.“ „Wie lange seid ihr da schon drin? Over.“ „Onkel Herbert! Wozu musst du so was wissen? Komm! Over.“ „Ich will doch nur mal schätzen, wie weit ihr da unten gelaufen seid. Mensch, Clara. Du bist aber auch... Egal. Over.“ „Bestimmt eine Stunde sind wir hier schon unter Tage gelaufen. Over.“ „Da bewegt man sich ja viel langsamer als hier oben, ihr könntet also, von da los...

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Clara, seid ihr vielleicht im Burgstollen? Over.“ „Was denn für eine Burg? Over.“ „Na, die Hörder Burg! Over.“ „Du meinst, ich bin hier unter Tage fast wieder zu uns nach Hause gelaufen? Over.“ „Könnte sein. Da sollen so Fluchtstollen unter der Erde durchgehen. Over.“ „Aber dann bist du ja ganz nah, Onkel Herbert. Over.“ „Nee, ich bin ganz weit weg. Ich bin doch auf Schicht. Ich bin im Hafen. Also, ich müsste jedenfalls gleich anfangen. Und jetzt ist es fast vier. Die Stadt ist zu. Da ist überall totaler Feierabendverkehr... Over.“ Wir schwiegen beide einen Moment. Ich gewann langsam meine Kräfte und meine Zuversicht zurück. Darum stellte ich mich wieder hin und drehte mich schon in die Richtung, aus der ich vor Mantel und Klunker geflohen war. Vielleicht war das tatsächlich die Richtung zur Hörder Burg. Ich atmete wieder normal. Und auch mein Gehirn begann wieder zu arbeiten. „Ich hab eine Idee. Wenn du die Lok nimmst. Over.“ Onkel Herbert verstand mich nicht. „Die Lok? Was denn für eine Lok? Over.“ „Na, die von Günther. Die steht doch bestimmt noch im Hafen. Und die Schienen führen doch hier rüber, hatte Günther gesagt. Over.“ Er atmete hörbar erleichtert in sein Walkie-Talkie. „Klar, das ist die Idee. Durch die Stadt, an Hoesch vorbei, wie früher. Nach Hörde. Rüber nach Phoenix. Clara, das könnte sogar klappen. Over.“ Ich hörte ihn atmen. Dann sagte er: „Und was machst du in der Zeit? Over.“

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Ich musste nicht eine Sekunde nachdenken: „Ich verfolge Klunker und Mantel. Die haben Doktor und Musti gefangen. Over.“ „Clara, lass das, sag ich dir. Over.“ „Soll ich die etwa im Stich lassen? Over.“ „Nein, das nicht. Aber Mantel und Klunker! Over.“ „Aber ich kann doch auch nicht mitten hier im Gang irgendwo in Dortmund unter der Erde sitzen bleiben und hoffen, dass du mich eines Tages findest. Over.“ „Eines Tages? So lange wird das hoffentlich nicht dauern. Mensch Clara, Mantel und der Klunker, das sind ganz schwere Jungs! Over.“ Da hatte ich noch eine Idee. „Schwere Jungs, das ist es. Onkel Herbert. Bring Makka und die anderen mit, du fährst mit der Lok ja direkt an denen vorbei. Das sind auch schwere Jungs. Over.“ Ich hörte, wie Onkel Herbert lachte. Dann hörte ich wieder seine Stimme. „Ich beeil mich. Wir hören uns wieder. Mach kein Quatsch. Und geh da unten kein unnötiges Risiko ein. Over.“ „Versprochen, Onkel Herbert. Und, ach. Egal. Over.“ „Was denn noch? Over.“ „Danke, Onkel Herbert. Over.“ „Was soll der Scheiß denn jetzt? Bis später. Und sei vorsichtig, Clara! Over.“ „Mit so einer Stimme redest du sonst nie zu mir. Und Clara sagst du auch selten. Over.“ „Nur wenn ich mir Sorgen mache. Ich muss los jetzt. Over and Out!” Ich stand in der Dunkelheit. Und auch ich flüsterte: „Over and out.“

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21 Unterstützung naht Onkel Herbert erzählt Ich stand da und schüttelte mich. Das konnte doch wohl alles nicht wahr sein! Wo waren die Kinder denn da wieder reingeraten? Unter der Erde liefen die rum. Man konnte doch nicht einfach in einen unbekannten Gang einsteigen und da unten loslaufen. Was da alles passieren konnte! Gar nicht auszudenken. Und dann passierte ihnen ausgerechnet noch was, was man sich gar nicht ausdenken kann. Trafen die da unten ausgerechnet auf Mantel und Klunker. Ich versuchte mich zu beruhigen und die große Sorge um die Kinder irgendwie so zur Seite zu schieben, dass ich wenigstens wieder klar denken konnte. Ich musste jetzt sehr klar denken können, um ihnen zu helfen. Ich nahm das Walkie-Talkie, um Günther anzufunken. Ich drückte die Sprechtaste. „Herbert an Günther. Over.“ Nun knarzte es in meinem Gerät und schon hörte ich Günthers Stimme: „Du musst nichts sagen, Herbert. Ich hab über mein Walkie-Talkie alles mitgehört. Ich war sowieso grad in Deusen am Kanal, also ganz in der Nähe. Wir treffen uns an der Lok und fahren rüber. Over and out.“ „Du bis ein echter Freund! Over and out.“ Günthers Lachen klang scheppernd im Lautsprecher: „Was soll der Scheiß denn jetzt? Bis gleich an der Lok. Over und endgültig out.“

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Ich sprang in mein Auto und fuhr rüber. Zwei Minuten nach mir war Günther da. Er kam um die Ecke und schleuderte mit seinem Wagen wie in einem Action-Film. Er war früher mal Rallyes gefahren, er konnte das. Er bremste neben meinem Wagen. Wir gaben uns kurz die Hand und nickten uns zu. Dann stiegen wir auf die Lok. Wir wussten, was zu tun war, und wir wussten, die Zeit drängte. Irgendwo in Hörde waren die Kinder in großer Gefahr. Ich machte mir zwar Sorgen um alle drei Kinder, aber am meisten sorgte ich mich um Clara, die nun allein durch den Stollen lief. Günther brachte die Lok zum Laufen. „Da vorne ist Century Media. Du läufst rein und holst Makka“, rief er mir zu. Ich nickte und schaute nach vorne. „Nicht nötig“, sagte ich dann. „Die sitzen mal wieder alle auf dem Dach und machen Päuschen.“ Sie saßen zu dritt. Makka, Gerrit und Jan. Ich rief: „Hört mal, Pause ist vorbei!“ Makka rief zurück: „Bist du Chef, oder was?“ Gerrit rief: „Schon wieder dieser Metal-Freak auf der Lokomotive. Fahrt ihr jetzt täglich? Wird das ne feste Strecke?“ Wir kabbelten uns ja gerne, aber jetzt musste ich den Ernst der Lage klarmachen, und zwar schnell. „Hört mal, kein Witz jetzt. Das ist ganz dringend. Clara hat ein Problem. Und zwar ein dickes.“ „Was Ernstes?“ fragte Makka. „Mantel und Klunker haben die Yurumis gekidnappt.“ „Das ist doch nicht wahr, oder?“ „Das ist hier nicht die Versteckte Kamera. Das ist bitterer Ernst. Und Clara hängt alleine irgendwo in den Gängen um die Hörder Burg fest. Wir brauchen eure Hilfe, alles andere erkläre ich unterwegs. Seid ihr dabei?“

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Oben auf dem Balkon war Bewegung. Nun liefen sie los. Sie hatten alles gehört und es musste nichts mehr erklärt werden. Sie liefen über die Straße und enterten unsere Lok. Sie sahen total hart aus. Schwarze Klamotten. Nietengürtel in ihren Lederhosen, schwere Stiefel. Sie wirkten mächtig aggressiv, waren aber total liebe Jungs. Makka war auch Vater. Deshalb gab es keine Sekunde des Zögerns, um der Yurumi-Gang gegen die Gauner zu helfen. Makka rief: „Sind schon da. Jungs, alle an Bord.“ Jan lachte: „Wow, ich hab schon immer mal auf einer Lok mitfahren wollen.“ Günther grinste: „Heute brauchst du nicht mal eine Bahncard!“

Inzwischen zuckelte unsere Lok um die ersten Kurven, fuhr aus dem Hafengebiet heraus und wir fuhren Richtung Hörde. Ich erklärte, was ich von Clara am Walkie-Talkie erfahren hatte, Günther erklärte die Lok und den Weg und dass wir früher hier langgefahren seien, dass die Gleise

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immer noch liegen würden, und zur absoluten Freude der Heavy-Metaller mussten sie auf dem Weg dreimal absteigen und Weichen umstellen. Weichen, die schon lange nicht mehr genutzt wurden, die aber scheinbar trotzdem ab und zu noch gewartet und geschmiert worden waren. Ihre Muskeln spannten sich, wenn sie die Weiche herumdrückten! Danach stiegen sie bestens gelaunt und johlend wieder auf die Lok. Fast übermütig sangen sie dabei das Lokomotiv-Lied von Jim Knopf, „Eine Insel mit zwei Bergen“. Dreistimmig! Die konnten was, in jeder Beziehung. Makka erzählt Das war der Hammer. Wir saßen grad auf dem Dach, da kam Herbert wieder vorbei, mit der Lok, die sein Kumpel fuhr. Und dann das. Maradonna sitzt irgendwo unter der Erde fest, Mantel und Klunker haben die Kinder überfallen. Wir mussten gar nicht nachdenken, wir sind auf die Lok gestürmt und nun waren wir auf dem Weg, um der YurumiGang zu helfen. Ehrensache war das. Was für eine miese Sache von den Gangstern. Man vergreift sich nicht an Kleineren. Und schon gar nicht an Kindern. Ich habe selbst einen Sohn und Jan eine Tochter. Ich war stinksauer auf Klunker und Mantel. Und meine Jungs waren das auch. Die Gangster würden sich wundern. Herbert erzählte alles was er wusste. Die große Frage war jetzt aber: Würden wir noch rechtzeitig kommen, um die Yurumi-Gang zu retten? Würden wir die wirklich finden in der riesigen Stadt Dortmund? Würden wir einen Eingang finden, sodass wir zu ihnen konnten in diese unterirdischen Gänge? Waren die wirklich unterwegs zur Hörder Burg? Es gab viele Fragen und viele

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Unsicherheiten. Ich sah Herbert von der Seite an und fragte: „Machst du dir Sorgen?“ „Makka, Sorgen ist gar kein Ausdruck!“ „Schaffen wir schon!“, versuchte ich ihn zu beruhigen und zu bestärken. „Weiß ich!“, knurrte er. „Günther, gib Gummi!“ Der lachte: „Gib Gummi! Das sind Stahlräder auf Stahlschienen, aber ich beeile mich!“ Gerrit fragte: „Wo fahren wir hier eigentlich lang?“ Er wohnte noch nicht lange in Dortmund. „Eigentlich fast zu mir nach Hause, zur Hörder Burg“, erklärte Herbert. „Und die Gleise laufen wirklich mitten durch die Stadt. Wo sind wir hier?“ Günther beschrieb die Fahrtstrecke: „Das ist jetzt Körne, dann kommt Gartenstadt und dann kommt auch schon das Phoenix-Gelände.“ „Da kommt ne Brücke“, rief Gerrit. „Passen wir da drunter durch?“ „Früher ja“, sagte Günther weiter lachend. Aber ganz ehrlich, das war ein seltsames Gefühl, auf diese kleine Brücke, diese kleine Öffnung in diesem Tempo zuzufahren und dann da durchzuzischen. „Aus dem Phoenix-Gelände, da wird doch jetzt der See, oder?“ fragte Jan weiter. Herbert nickte. „Haben die denn schon das Wasser drin?“ Herbert sah Jan an: „Nee, das kommt noch, die haben erst mal noch ein paar Bauten mehr unter Tage entdeckt als gedacht.“ „Genau wie die Yurumi-Gang auch“, sagte ich. Und Günther ergänzte: „Ja, und wie Mantel und Klunker!“

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Mantel erzählt Wir gingen weiter durch den Tunnel. Die Kinder waren mit dem Seil so zusammengebunden, dass sie etwa einen Meter auseinander gehen konnten. Vorne hielt ich das Seil und zerrte sie weiter, hinten hielt Klunker das Seil. Und die Taschenlampe. Das war nicht schön, denn ich hatte ja auch noch das Werkzeug. Und dann diese widerspenstigen Kinder! Und Klunker leuchtete den Weg jetzt noch schlechter aus als sowieso schon! Der kleine türkische Junge, der vor ihm ging, den er fest an der Schulter hielt, der war ein guter Kämpfer. Immerhin hatte er vorhin Klunker sogar zu Boden geschickt mit einem raffinierten Tritt. Klunker fluchte, während seine Taschenlampe verirrt durch den Gang strahlte. „Los, vorwärts ihr beiden. Was für ein Gesocks. Jetzt haben wir diese beiden Pisspötte am Hals.“ „Au!“, rief der Junge hinten. „Du hast mich getreten!“ „Sei froh, wenn ich dich noch trete, ich kann dir auch den Hals brechen!“ Langsam wurde mir das aber doch zu viel, was Klunker da machte und sagte. „Hör mal, Klunker. Das sind aber noch Kinder.“ Das machte ihn nur noch wütender. „Das sind keine Kinder, das ist die Yurumi-Gang. Und die haben mich schon mal in den Knast gebracht.“ Das Kind, das hinter mir ging, sagte laut: „Du hast aber unsere Sandra geklaut.“ Klunker fauchte ihn an: „Du bist aber ein ganz Schlauer da vorne. Los, geh weiter. Und wenn einer den Ameisenbären geklaut hat, dann war das ja wohl Mantel, oder?“ Ich stutzte: „Aber das sollte ich doch, Boss!“

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„Schnauze, Mantel. Erinnerst du dich noch, was wir abgekriegt haben, letztes Jahr? Mein ganzer Ärmel war aufgerissen. Nur wegen dieser blöden Kinder.“ Aber das war doch ganz anders gewesen. Ich sagte: „Das war doch der blöde Ameisenbär vom Zoo, der uns mit seiner Pranke da...“ Klunker fuhr mich an: „Hör mal Mantel, das sind keine blöden Ameisenbären, sondern wunderschöne Tiere. Die haben auch keine Pranken, sondern Pfoten. Glaubst du, ich hätte einen Ameisenbären haben wollen, wenn das so saublöde Viecher wären, wie du eins bist?“ „Red nicht so mit mir, Chef!“ „Dann sag du nichts gegen Tiere!“ „Tierfreund sein, aber die Kinder scheuchen!“ Ich fand das wirklich nicht richtig, was Klunker grad machte. Auch der kleine Junge, der Klunker getreten hatte, war meiner Meinung. „Da hat Mantel recht! Man behandelt doch nicht uns Kinder schlechter als diese Tiere!“ „Halt dich da raus“, brüllte Klunker. „Ich mach, was ich will! Und Tiere labern mich wenigstens nicht von der Seite an. Und die halten auch nicht zu Mantel. Ich will jetzt sowieso nichts mehr hören. Nichts mehr. Ist das klar? Mantel, weiter. Und wenn die sich immer noch sträuben, diese beiden kleinen Ratten, dann scheuerst du denen eine. Oder zwei, wenn es nötig ist!“ Der Junge hinter mir ließ sich gar nicht beeindrucken: „Aber wenn Sie so ein großer Tierfreund sind.“ Jetzt mischte ich mich ein: „Der ist kein Tierfreund. Tierfreund ist viel zu wenig.“ Und ich wurde leiser. „Der spinnt. Der ist verrückt nach den Viechern. Und zwar ganz egal welche. Und ich muss mich dann immer drum kümmern.

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Und ich muss jetzt immer dieses Riesenkaninchen füttern.“ Dann sagte ich noch ganz leise, während Klunker brummelte und wir weiter durch den dunklen Gang vorwärtsschritten: „Das macht mir Angst.“ Das hatte ich gar nicht sagen wollen. Mist! Der andere Junge fragte: „Ein Riesenkaninchen? Das, mit dem ihr beim Tierarzt gewesen seid?“ Klunker hielt irritiert an, riss am Seil und brachte uns alle da­­durch zum Stehen, der Junge vor ihm fiel sogar kurz auf ein Knie: „Woher weißt du das denn? Dass wir beim Tierarzt waren.“ Der bei mir sagte: „Wir waren mit meiner Katze da.“ Plötzlich war Klunker ganz anders. Viel weicher in der Stimme. Sogar etwas interessiert: „Du hast ne Katze, Junge? Interessant. Eine Katze hatte ich auch schon mal, eine ganz weiße...“ Was sollte das denn jetzt? Wollten die hier über Haustiere quatschen? Mir hatten zwar die Kinder grad leidgetan, aber wir hatten doch ein Ziel. Wir hatten eine Aufgabe. Ich sagte: „Was interessieren hier Katzen? Beim Tierarzt habt ihr uns also belauscht und von dem Schatz der Spionin gehört?“ Der andere Junge sagte: „Nee, von dem wussten wir schon länger.“ Na, das war ja super. Ich war bedient. „Schöner Schatz, Klunker. Super Schatz. Ein Schatz, von dem schon jedes Kind in der Stadt weiß!“ „Schnauze, Mantel. Los, weiter, alle.“ „Jetzt schleppe ich das ganze Werkzeug und muss die Kinder auch noch hinter mir herzerren.“ „Die laufen schon von alleine. Macht keinen Blödsinn. Das sage ich euch. Du da vorne. Da kannst du dreimal eine Katze gehabt haben. Vorwärts.“

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22 Verfolgte Verbrecher Maradonna erzählt Ich war alleine im Stollen. Ich stellte das Walkie-Talkie ganz aus, falls Mantel und Klunker noch hinter mir her waren. Ich wollte mich nicht noch einmal durch das Funkgerät verraten. Was sollte ich machen? Ich hätte mich jetzt gern mit der Yurumi-Gang beraten. Zu dritt hat man einfach bessere Ideen als alleine. Zu dritt kann man besser die ganzen Vorteile und Nachteile einer Idee diskutieren und sich dann gemeinsam entscheiden. Jetzt musste ich mich alleine entscheiden. Sollte ich den Gang zurücklaufen? Zurück bis zum Eiskeller und dann versuchen, mit dem Bus wieder nach Hörde zu fahren? Das würde viel zu lange dauern. Allein der Weg unter der Erde würde ungefähr eine Stunde dauern. Sollte ich den Gangstern folgen? Würde ich sie finden? Erwischten sie mich? Wie viele Abzweige gab es unter der Erde, wo ich natürlich jedes Mal den falschen nehmen könnte? Jede Menge Fragen. Ich horchte in den Gang. Ich hörte nichts. Langsam ging ich ein paar Schritte zurück in die Richtung unserer Begegnung mit Mantel und Klunker. Ich musste ihnen folgen. Das wurde mir klar. Vielleicht würde ich Musti und Doktor helfen können. Vielleicht würde ich sie sogar befreien können. Aber ich durfte mich nicht auch noch erwischen lassen. Jetzt brauchte ich vor allem Glück und davon jede Menge. Eigentlich waren wir auf einer Schatzsuche gewesen, und nun war es plötzlich ein lebensgefährliches Abenteuer

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geworden. Meine linke Hand strich weiter an der Wand lang, um meinen Weg zu finden. Ich horchte wieder. Ich hörte nichts. Ich hielt den Atem an, um auch wirklich keine eigenen Geräusche zu machen, um nicht mal das Rascheln meiner Jacke zu hören. Nichts. Der Gang vor mir schien leer zu sein, also mindestens einige hundert Meter voraus war niemand. Ich traute mich, die Stirnlampe wieder anzustellen. Der Lichtkegel schoss in den Gang. Puh, ganz schön finster rundum. Weit konnte ich nicht sehen. Der Stollen machte immer wieder kleine Bögen. Das würde helfen, damit sie mein Lampenlicht nicht sahen. Plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke: Und wenn sie einfach hinter einem Bogen auf mich warteten, still an die Wand gepresst? Musti und Doktor würden mich warnen. Aber sie konnten ihnen den Mund zuhalten. Oder sie knebeln. Mir war ein bisschen unheimlich, aber ich schüttelte diesen Gedanken, schüttelte dieses ungute Gefühl ab. Ich musste meinen Freunden helfen. Irgendwas würde sich schon ergeben. Würden Klunker und Mantel damit rechnen, dass ich sie verfolgte? Ich musste mich beeilen. Wieder blieb ich stehen. Wieder hörte ich nichts. Weiter. Da. Ein Schatten plötzlich unten rechts. Der Holzstapel. Der Holzstapel hinter dem wir uns eben versteckt hatten, an den Musti gestoßen war. Deutlich sah ich auf der Erde die Kampfspuren. Ich machte mir Sorgen um meine beiden Freunde. Dann sah ich mir die Hölzer genauer an. Verschieden lang. Kanthölzer die meisten und zwei Rundhölzer. Dann sah ich es, das kleine Kantholz. Ich nahm es in die Hand und leuchtete mit meiner Stirnlampe, indem ich den Kopf etwas senkte. Das war genau richtig. Nicht zu lang, nicht zu kurz.

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Nicht zu leicht, nicht zu schwer. Da lag noch ein zweites, ein rundes. Ich nahm beide mit. Nun fühlte ich mich bewaffnet. Wieder lauschte ich. Sollte ich das Walkie-Talkie anstellen und hören, ob Onkel Herbert unterwegs war? Ob er Makka gefunden hatte? Ich entschied mich, das Gerät auszulassen. Vielleicht war ich Mantel und Klunker näher auf den Fersen als ich ahnte. Ich steckte das runde Holz in meinen Rucksack, das Kantholz hielt ich in meinen Händen. Ich würde mich verteidigen, wenn sie mich angreifen würden. Das würde mindestens einen dicken blauen Fleck geben. Schade, dass ich keinen Fußball dabei hatte. Sonst hätte ich die beiden vielleicht wieder k.o. schießen können, wie letztes Jahr im Hafen. Aber in diesem engen Gang konnte man dem Ball sowieso keine vernünftige Flugbahn geben. Zu wenig Höhe. Ich ging weiter. Ich lauschte wieder. Nichts. Und weiter. Immer weiter in die Dunkelheit. Makka erzählt Mit jedem Kilometer wurden wir aufgeregter. Die Lok zuckelte über die Strecke und einerseits erschien sie uns in manchen Momenten so unendlich langsam, aber wir wussten genau, dass sie uns über das alte Schienennetz sicher und schnell durch die Stadt brachte, während die Straßen jetzt durch den Feierabendverkehr alle verstopft waren, zugestaut, und mit einem Auto hätten wir das nie so schnell geschafft. Mittlerweile redeten wir nicht mehr, sondern warteten angespannt darauf, wie das alles weiter gehen würde. Herbert hatte noch mehrmals versucht, Maradonna wieder auf dem Walkie-Talkie zu erreichen. Vergeblich. Jedes Mal vergeblich. Man sah seinem Gesicht

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an, wie sehr er sich sorgte. Günther, unser Lokführer, hatte ihm nur kurz und tröstend die Hand auf die Schulter gelegt, dann kümmerte er sich aber weiter um sein Fahrzeug. Wir fuhren durch Schüren, dann „Am Remberg“ entlang, Weingartenstraße und Günther rief, als wäre er ein Touristenführer: „Neben uns sehen Sie den einzigartigen PhoenixSee. Noch sieht er aus wie ein Sandkasten, aber bald schon wird Wasser drin sein!“ Gerrit sagte: „Kann ich mir gar nicht vorstellen, dass aus dieser Baustelle ein See wird.“ Jan meinte: „Tretboote vermieten. Das wär eine Idee.“ Makka sagte: „Da kannst du ja gleich Surflehrer werden.“ Alle lachten. Dann wurden wir wieder ernst. Hinter der Faßstraße legten wir wieder eine Weiche um, fuhren die Lok auf ein Nebengleis und nun bremste Günther langsam ab und wir sahen vor uns einen Prellbock auf den Schienen. Kein großer Bahnhof. Günther sagte: „So, bitte, Endstation.“ Wir sprangen ab und liefen in Richtung Hörder Burg. Herbert hielt kurz an und hielt sich die Seite. „Bin schon lange nicht mehr gelaufen“, ächzte er. Dann sagte er weiter: „Clara läuft doch unter der Erde, die sind garantiert in den Burgstollen rein. Da hieß es immer, die wären als Fluchtwege gebaut, und für komplizierte Liebesgeschichten und so.“ Jetzt hatte auch Günther uns eingeholt und sagte mit gespielter Bewunderung: „Was du alles weißt!“ Wir waren alle nicht ganz fit. Wir liefen nicht mehr, gingen jetzt aber sehr schnell und trabten so durch die Hörder Burgstraße auf die Burg zu. Wir standen vor dem Gebäude. Rechts ein Durchgang, vor

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uns links eine Eingangstür, rechts noch ein Gebäude mit einem kleinen Museum drin. Herbert holte noch Luft. Ich übernahm die Planung und sagte: „Gerrit, Günther, ihr geht da um das Gebäude rum und sucht. Jan, Herbert und ich gehen da rein und durchsuchen die Kellerräume. Irgendwo muss ein Gang in die Tiefe führen. Alles klar?“ Gerrit sagte, während er sich nach vorn beugte, nach Luft rang und sich mit den Händen auf den Beinen abstützte: „Taschenlampe wäre gut gewesen. Und mehr Lauftraining.“ Ich fasste in meine Tasche: „Ich rauche zwar nicht, aber mein Zippo-Feuerzeug wird uns schon den Weg leuchten.“ „Dann los“, sagte Herbert. „Gehen wir rein.“ Klunker erzählt Wir liefen durch diesen Gang. Vorneweg Mantel mit dem Golfbag und dem Werkzeug, er hatte das Seil in der Hand, mit dem wir die Kinder gefesselt hatten, und er zog sie hinter sich her. Ich hielt hinten das andere Ende des Seils, damit sie nicht plötzlich an Mantel vorbeistürmten oder ihn ansprangen. Sie hatten schon alles Mögliche versucht hier unten, um sich zu befreien. Widerliche Blagen. YurumiGang. Wenn ich nur an diesen Namen dachte, geriet ich in Wut. Und das Schlimmste - mein Anzug war im Grunde völlig ruiniert, vor allem seit mir dieser kleine Gangster da vorne ein Bein gestellt hatte und ich hingefallen war. Diese Dreckflecken vor dem Knie sahen nicht gut aus. Meine weißen Schuhe könnte ich jetzt auch anziehen, wenn ich eine Straße würde teeren müssen. Gut, dass hier unten kaum Licht war und dass mich so keiner sehen konnte.

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Dann traten plötzlich die Wände zurück. „Der Gang wird breiter“, rief Mantel von vorne. Noch ein paar Schritte und wir standen in einem richtigen Raum, der sich plötzlich vor uns geweitet hatte. Die Wände waren zum Teil betoniert, noch verschalt, mit Stahlträgern abgestützt. Ich hielt weiter das Seil in der Hand, trat neben die Kinder und leuchtete die Wände rundum ab. „Eine Tür, da rechts“, sagte ich. Mantel ging hin und zerrte dabei die Kinder hinter sich her. Er drückte die Klinke. Die Tür war verschlossen. Er sagte: „Wieder eine Tür für dich.“ Ich tastete nach meinem Dietrich-Satz in der Tasche, mit dem ich jedes Türschloss in wenigen Sekunden knacken 167


konnte. Und plötzlich stieg in mir richtig gute Laune auf. Ich vergaß diese olle Yurumi-Gang, vergaß meinen dreckigen Anzug, vergaß dieses ganze Rumgestolpere im Dunkeln. „Ich spüre es, der Schatz ist ganz nah. Gleich, Mantel, dann haben wir es geschafft! Dann bin ich reich!“ „Du?“, fragte er. „Wenn dann ja wohl wir!“ Naja, ich würde ihm schon etwas abgeben, aber nur einen kleineren Teil. Einen ziemlich kleinen Teil. Einen sehr viel kleineren Teil. Wer war denn der Boss? Das war doch ich. Und ich würde nicht gerecht teilen. Wozu war ich ein Gangster? Ich war doch nicht Robin Hood. Wozu bin ich der Boss? Doch nicht, damit andere genauso viel bekommen wie ich. Und dann noch so ein Blödmann wie Mantel. Der schleppte hier nur das Werkzeug. Ich denke mir aber alles aus. Und plane alles. Und zwar perfekt. Wenn mir nur nicht dauernd diese Yurumi-Gang in die Quere kommen würde. Und während ich das gerade dachte, arbeitete Mantels Spatzenhirn scheinbar am gleichen Problem. „Was machen wir mit der Yurumi-Gang?“ „Denen fesseln wir noch die Füße und dann lassen wir sie hier liegen.“ „Aber wenn die keiner findet?“ Wenn Mantel sich um meine Tiere so sorgen würde wie um die Yurumi-Gang, dann wäre ich ganz zufrieden. Aber dem waren die Kinder ja beinah wichtiger als mein weißer Riese. „Die kommen schon irgendwie raus. Das ist doch die großartige Yurumi-Gang, die uns schon hinter Gitter gebracht hat. Da werden die sich ja wohl auch hier aus dem Gang befreien können. Also, los, fessel sie.“ In diesem Moment schrie Mantel wieder auf. Der kleine Kampfsportler hatte ihn getreten und rief: „Ich trete dich

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gleich noch mal, wenn du mich wieder anfasst.“ Mantel wurde jetzt endlich ärgerlich und sagte: „Na warte, halt still!“ „Der Schatz wartet, Mantel.“ Er hob die Kinder leicht an und warf sie zu Boden, schlang jeweils das eine Ende des Seils nun doch sehr geschickt um deren Beine, fesselte erst den einen, dann den anderen. Endlich hatte er es geschafft und hatte die beiden verpackt und eingeschnürt. „Knebeln?“, fragte er dann. „Nicht nötig“, sagte ich. „Hier unten hört die keiner.“ Inzwischen hatte ich die Tür geöffnet. Kleinigkeit. Normales Türschloss, eigentlich war es unter meiner Würde, ein so kleines, banales Schloss zu knacken. Das konnte ja sogar Mantel. Aber ich wollte mir nicht hinterher von ihm vorwerfen lassen, er hätte die ganze Arbeit gemacht. Innerlich grinste ich. „Die Tür ist auf, Mantel. Mach hin.“ Wir ließen die Kinder zurück. Mantel folgte mir mit dem Werkzeug. Ich leuchtete. Eine Treppe. Mantel tippte mir auf die Schulter. Ich zuckte herum. Ich bin nicht gewohnt, dass mich jemand anfasst. Da kann ich sehr sauer werden. Ich starrte ihn böse an. „Was ist, Mantel?“ „Jetzt schließ die auch wieder zu!“ „Ich soll die Tür wieder zuschließen? Warum das denn?“ „Damit die Yurumis nicht hinter uns her können!“ „Ich kann Türen nur aufbrechen. Zu krieg ich die nicht wieder!“ „Darf doch nicht wahr sein!“ „Ich bin ein Einbrecher und kein Zumacher, verstanden?

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Außerdem hast du die gefesselt. Und jetzt weiter. Da, die Treppe. Da müssen wir rauf.“ Wir stiegen die Treppe hoch. Etliche Stufen. Plötzlich sagte Mantel: „Ich hör was.“ „Ich höre nix.“ „Ich hör aber was. Da klopft was.“ „Bei dir klopft auch was. Aber da oben drin in deinem Gehirnkasten. Da klopft der Rest von deinem Verstand. Der einzige Gedanke, den du hast, der sitzt da und ruft: Ich bin alleine. Ich will hier raus.“ „Verarschen kann ich mich selber“, knurrte Mantel. Dann standen wir wieder vor einer Tür. Ich suchte meine Dietriche. „Sei vorsichtig“, sagte Mantel „Immer“, sagte ich. Dann schaute ich noch einmal auf den Plan. Dann auf Mantel. Der hatte die Spitzhacke aus dem Golfbag genommen und hielt sie in beiden Händen vor sich. „Was willst du mit der Spitzhacke, Mantel?“ „Wenn ich die schon den ganzen Weg getragen habe, dann will ich die auch benutzen!“ „Schau lieber noch mal mit mir in die Karte, hier. Jetzt verstehe ich den Plan, er ist sozusagen dreidimensional. Ich glaube, ich weiß, wo wir sind.“

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23 Wilde Jagd Maradonna erzählt Ich lief immer weiter den Gang entlang. Ich hatte völlig das Gefühl für die Zeit und für die Entfernung verloren. Ich hatte keine Idee, wie lange ich jetzt schon hier gegangen war. Einerseits schien mir alles nur kurze Zeit gedauert zu haben, andererseits erschien es mir wie Stunden. Ich traute mich nicht zu rufen, denn dann würden Klunker und Mantel mich erwischen. Ich suchte nach irgendeiner Idee, wie ich Musti und Doktor ein Zeichen geben könnte. Ich hielt an und dachte nach. In meiner linken Hand hielt ich die beiden Hölzer. Mit der rechten Hand trommelte ich vor lauter Nervosität eine kleine Trommelübung auf meinem rechten Bein. Genau, das war es. Diese langen Gänge trugen den Schall weit voran. Trommeln. Wozu war ich Schlagzeugerin? Klunker und Mantel würden sich nur wundern über das Geräusch, aber Musti und Doktor würden dann wissen, dass ich ihnen gefolgt bin. Vielleicht würden sie sogar antworten können. Ich stellte die Hölzer ab und klopfte auf der Wand, mit beiden Händen je einen Doppelschlag. Rechts - Rechts - Links - Links - Rechts - Rechts. Dann lauschte ich. Dann schlug ich wieder. Rechts - Rechts - Links - Links - Rechts - Rechts.

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Doktor erzählt Die Gangster hatten uns gefesselt, auf den Boden geworfen und gefesselt. Hier lagen wir nun im Dunkeln. Pechschwarze Nacht um uns. „Alles Congo, Musti?” „Alles Congo.” Wir unterhielten uns flüsternd. „Gut, dass sie uns nicht geknebelt haben. Moment, ich hör was.“ „Ich auch, Doktor. Wie... wie ein Trommeln. Doppelschläge. Maradonna! Maradonna gibt uns ein Zeichen.“ „Los, wir antworten. Wir robben zur Wand. Da treten wir gegen, vielleicht hört sie uns.“ Ich hörte Doktor neben mir über den Boden schaben, als wir uns wie Raupen versuchten, zur Wand zu bewegen. Wieder hörten wir das Trommeln. Dann waren wir an der Wand. Im Gang war Stille. Doktor trat drei Mal, dumpfe Schläge. Viel zu leise, dachte ich. Aber dann hörten wir eine Antwort. Drei Schläge. Doktor trat zweimal. Wieder die Antwort. Zwei Schläge. Dann trat Doktor nur einmal, und die Antwort war ein Schlag. Wir hatten Kontakt! Wir hörten uns. Maradonna war uns also gefolgt. „Wir können noch nicht rufen. Wer weiß, wie nah Klunker und Mantel noch sind. Sonst erwischen die Maradonna auch noch.“ „Was machen wir jetzt, Doktor? Nur hier rumliegen, bis sie kommt, bringt es ja auch nicht.“ „Vielleicht stehen wir erst mal auf. Kommst du hoch?“ „Los, wir stemmen uns Rücken an Rücken hoch. Das machen wir im Judo-Training auch manchmal. Wir müssen nur

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aufpassen, dass wir mit den zusammengebundenen Beinen das Gleichgewicht halten. Und nun rollten wir uns, soweit es unsere Fesselung zuließ, Rücken an Rücken. Wir spürten uns. Wir setzten uns auf, suchten mit den Rücken Kontakt, drückten gegeneinander und Musti gab das Kommando. „Jetzt. Auf die Füße stemmen. Vorsichtig. Langsam hoch.“ Wir würden damit nicht gerade für einen Zirkus engagiert werden, aber es gelang uns. Wieder hörten wir einen Doppelschlag. Schon viel näher. Wir konnten jetzt nicht antworten, wir standen ja mit zusammengebundenen Beinen, keiner von uns konnte an die Wand treten, die Arme waren gebunden. Und mit dem Kopf wollte ich nicht an die Wand schlagen. Musti sagte: „Doktor, ich hör was. Da, im Stollen.“ „Das muss sie schon sein. Das muss Maradonna sein.“ Ich versuchte ein lautes Flüstern: „Maradonna! Maradonna, hier sind wir. Die Gangster sind weg. Jedenfalls im Moment.“ Wieder hörten wir einen Doppelschlag. Tatsächlich näher. Dann meinten wir, entfernt einen kleinen Lichtschein zu sehen. „Maradonna, hier.“ Dann hörten wir Maradonnas Stimme aus der Richtung des ganz langsam heller werdenden Lichts: „Ich komme. Wo sind Mantel und Klunker?“ „Die sind weiter. Die suchen den Schatz. Du kannst kommen.“ Wir schwiegen. Es waren nur noch wenige Augenblicke, dann sahen wir klar den Lichtkegel von Maradonnas Stirnlampe.

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„Hey, Maradonna, hier sind wir. An der Wand. Wir sind gefesselt“, sagte Musti. Und dann war sie endlich bei uns. Wir waren komplett geblendet von ihrer Lampe nach der ganzen Zeit in der Dunkelheit. Irgendetwas rumpelte. „Alles klar bei euch?“ fragte Maradonna. Sie umarmte uns. Wir konnten sie natürlich nicht umarmen, denn wir waren ja immer noch gefesselt, aber wir legten unsere Köpfe kurz an ihren. Als Erstes schaltete sie unsere Stirnlampen ein, damit wir mehr Licht hatten. Dann band sie uns los, eine ganz schöne Arbeit, Mantel hatte die Knoten fest zugezogen. Endlich waren wir frei. Wir rieben uns Hände, Arme, Beine und Füße. Der hatte uns ganz schön stramm eingeschnürt. „Und jetzt?“, fragte ich. „Hinterher“, sagte Musti mit einer Selbstverständlichkeit, als würde man am Fernsehen den Sender umschalten. „Sonst finden Mantel und Klunker unseren Schatz.“ „Was war mit dem Walkie-Talkie?“, fragte ich. „Hab ich ausgestellt. Ich wollte mich nicht ein zweites Mal damit verraten. Aber ich hab Onkel Herbert erreicht. Die sind unterwegs.“ „Die?“ „Der wollte die Lok nehmen und Makka und ein paar andere noch einsammeln.“ „Und wo fahren die hin? Wie wollen die uns finden?“ „Die fahren zur Hörder Burg. Auf zwei Uhr. Onkel Herbert dachte, dort müssten die Wege enden.“ „Klar, warum hab ich das nicht selber gemerkt.“ Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. Maradonna sagte: „Aber egal, ob die jetzt kommen oder

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nicht, wir können hier ja nicht warten, bis uns einer findet. Und den Schatz können wir den beiden Verbrechern auch nicht kampflos überlassen. Oder?“ „Ich sag doch: hinterher“, meinte Musti. „Aber nicht blind.“ „Ich hab zwei Hölzer mitgebracht“, sagte Maradonna. „Das war das Gerappel, bevor du uns losgebunden hast!“ „Genau!“ Ok. Maradonna und ich, wir nehmen jeder eines. Du, Musti öffnest vorsichtig die Tür. Los.“ Langsam drückte er die Klinke herunter. Zentimeter um Zentimeter öffnete er die Tür. Nichts. Wir traten hindurch und sahen uns um. Eine Treppe stieg empor. Oben war wieder eine Tür zu sehen. Maradonna sagte: „Ich hab eine Idee. Wir locken sie noch einmal zu uns runter. Wir haben doch die Hölzer.“ Ich fragte: „Willst du denen die über den Kopf schlagen?“ „Würde ich am liebsten. Aber ich habe eine bessere Idee. Der Treppenaufgang ist dunkel. Man geht eine Treppe meist ganz automatisch, weil die ja normalerweise ein gültiges Steigmaß hat.“ „Steigmaß?“, fragte Musti erstaunt. „Die Treppenstufenlänge und die Treppenstufenhöhe stehen normalerweise immer so in einem Verhältnis, dass man sie bequem gehen kann. Das haben wir im Gefühl.“ Musti sah sie staunend an: „Woher weißt du das denn?“ „Einer von Onkel Herberts Vorträgen.“ „Hätte ich mir denken können!“ Und dann erzählte sie ihren Plan. „Wir legen das Rundholz auf die sechste Stufe von oben. Die leuchten rein, treten auf die Treppe und dann gehen sie auf den Stufen runter,

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fühlen sich sicher, gehen schneller und die rechnen nie damit, dass auf einer Stufe schon was liegt. Weil sie aber in Hektik sind, treten sie auf das Rundholz, das dreht sich, sie stürzen und fliegen die Treppe runter. Und wir binden den, der zuerst kommt, sofort fest.“ Musti sagte: „Aber wir könnten den zweiten mit dem zweiten Kantholz...“ Maradonna unterbrach: „Nur wenn es nötig ist! Wir wollen keinen verletzen.“ „Aber so wie die mit uns umgegangen sind!“ „Wir sind aber nicht wie die. Das unterscheidet uns eben von Gangstern.“ „Das stimmt. Gut, dann fangen wir sie bloß und schlagen sie nicht.“ „Braver Musti“, grinste Maradonna. Onkel Herbert erzählt Wir betraten die Hörder Burg durch den linken Eingang. Rechts war eine Glastür. Vor uns ging eine Treppe hoch. Niemand war hier im Treppenhaus. Ich zeigte zur Treppe und sagte: „Unter einer Treppe, die raufgeht...“ Makka vollendete meinen Satz: „Geht meist auch eine andere weiter runter. Was meinst du, Günther?“ Und tatsächlich, unter der Treppe war eine kleine schmale Tür. Die fiel kaum auf. Da würde man normalerweise achtlos dran vorbeigehen. Sie war viel kleiner als normale Türen, schmaler und nur ungefähr 1,40 Meter hoch. Hatten wir Glück? War das der Eingang in die unteren Gänge? „Mist, wie kriegen wir die auf?“, fragte ich.

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Makka überlegte. „Den Hausmeister suchen?“ „Bis wir dem alles erklärt haben, das dauert. Und ob der uns dann reinlässt, ist auch noch die Frage.“ Jan schob sich an uns vorbei und sagte: „Lasst mich mal.“ „Brichst du die auf?“, fragte ich unseren MetalRabauken. „Nee“, sagte der, „ich probier erst mal, ob die vielleicht auf ist.“ Und dann fiel mir die Kinnlade runter. Jan drückte die Klinke runter und spazierte in die Hörder Burg! Die Tür war nicht abgeschlossen. Na, das hätte ich auch gekonnt! Jan grinste uns über die Schulter zu. „Muss man manchmal einfach probieren“, sagte er. Er hatte sich seitlich drehen müssen, um durch diese schmale Tür überhaupt hindurchzupassen. Wir drückten den nächsten Lichtschalter und tasteten uns vor. Wir waren in einer Art Baustelle unterwegs. Sie schienen hier grad die Räume zu renovieren, was auch erklärte, warum die Tür offen war. Von einem Raum kamen wir in einen jeweils nächsten. Wir öffneten immer vorsichtig,

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fanden aber keine einzige Tür verschlossen. Nach dem kleinen schmalen Gang direkt hinter der Eingangstür öffnete sich ein großer Raum mit Baumaterialien. Von hier ging es in einen zweiten. Wieder drückte Jan die Klinke. Offen! Makka fragte: „Erst mal lauschen?“ „Haben wir keine Zeit für. Weiter. Auch hier war ein Lichtschalter. Eine Neonröhre flackerte auf. Und auch dieser zweite Raum hatte in der hinteren Wand eine Tür. „Los, weiter!“, sagte ich. Jan öffnete auch diese Tür und wir standen in einem dritten Raum, die Wände alle mit Natursteinen, kein Putz daran, dies waren wohl die alten Burgmauern. „Irgendwo hier muss es doch einen Einstieg nach unten geben“, sagte ich gerade, als ich abermals eine Tür entdeckte. Die war diesmal hinten, an der rechten Wand. „Bis jetzt lief alles gut“, sagte Makka. „Ja, aber wir müssen in die Tiefe. Clara war in den Gängen. Wenn wir hier keinen Einstieg finden, müssen wir umkehren und woanders suchen.“ Makka sagte: „Ja, aber andererseits kann hier hinter jeder Tür jetzt ein Mantel oder ein Klunker stecken!“ „Mir egal, ich will da rein. Vielleicht sind die Yurumis dahinter.“ „Herbert. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Wenn Mantel und Klunker da hinter der Tür sind, wird es gefährlich.“ „Aber vor allem für die beiden. Was meinst du, wie wütend ich bin! Überfallen die die Kinder. Die können sich warm anziehen. Und wenn das dreimal Gangster sind!“ Jan unterbrach uns mit einer Handbewegung. „Still. Ich hör was. Hinter die Tür“, flüsterte er.

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Und nun hörten wir auch kratzende Geräusche von der Tür. Irgendjemand machte sich am Türschloß zu schaffen! Makka bückte sich und schaute durch das Schlüsselloch. Fast unhörbar formten seine Lippen die Worte: „Was Weißes!“ „Klunker!“, flüsterte ich. Makka trat zur Seite. Jan ballte seine Fäuste. Makka flüsterte: „Gibt es einen Plan?“ Jan sagte: „Ich brauch keinen Plan, wir warten kurz, bis er reinkommt und hauen den weißen Lackaffen um.“ „Guter Plan“, lachte Makka. „Ich habe einen besseren. Wir sollten nichts riskieren. Wir ziehen uns kurz in den vorletzten Raum zurück. Ich möchte nicht, dass wir die Kinder durch eine übereilte Aktion gefährden.“ Makka und Jan sahen sich an, dann nickten sie zustimmend. Leise schlichen wir zurück, lehnten dabei aber die Tür nur an. Mantel erzählt Ich war froh, das wir die beiden Kinder los waren. Irgendwer würde die schon finden. Bestimmt. Oder die würden sich befreien. Klar. Oder wenn nicht, dann konnte ich ja später immer noch der Polizei einen anonymen Tipp geben. Brauchte Klunker dann ja gar nicht zu wissen. Aber nun suchten wir den Schatz. Wir stiegen die Treppe hoch. Ich schnaufte. Dieses Werkzeug nervte wirklich! Nach 23 Stufen zweigte links und rechts je eine Tür ab. Klunker hielt an und leuchtete mit der Taschenlampe auf seinen Plan.

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Dann rief er triumphierend: „Jetzt verstehe ich den Plan, er ist sozusagen dreidimensional. Ich glaube, ich weiß, wo wir sind.“ „Versteh ich nicht.“ „Er zeigt nicht nur flach unseren Weg an, sondern ist zwar auf einer Ebene gezeichnet, aber er gilt sozusagen für unterschiedliche Stockwerke. Wir müssen weiter hoch, da muss noch was kommen.“ Und tatsächlich, wieder etwa 20 Stufen höher kam eine Plattform. Von ihr aus ging eine Tür nach links. Wir stiegen zu ihr hoch. Wir standen vor einer Mauer aus Natursteinen. Klunker zischte durch die Zähne: „Sieh dir die Mauer an. Alt. Und scheinbar ziemlich dick. Wie bei einem Schloss. Oder bei einer Burg. Ich glaube, vor uns liegt die Hörder Burg und wir steigen da von unten ein. Das könnte tatsächlich die Burgmauer sein.“ Klunker arbeitet schon am Türschloss. „Mist“, fluchte er. „Ich kann das Ding nicht drehen.“ „Sieht aber nicht sehr kompliziert aus, Boss.“ „Hast du Ahnung?“, fauchte mich Klunker an. „Soll ich mal probieren?“ „Ich hab eigentlich keine Zeit für eine Olympiade unter Türöffnern, aber bitte“, sagte er und trat zur Seite. Ich drückte nur auf die Klinke. Die Tür öffnete sich. „Na?“, fragte ich grinsend. „Kann ja keiner ahnen“, sagte er schlecht gelaunt. „Und jetzt?“ Er leuchtete umher. Direkt neben der Tür war ein Lichtschalter. Er drückte. Und eine kleine, einzeln von der Decke nur in einer Fassung baumelnde Funzel gab ein etwas dämmeriges Licht. Höchstens 20 Watt, dachte ich. Da war

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noch eine alte Glühbirne drin, eine von denen, die jetzt gar nicht mehr verkauft werden dürfen. „Und wie weiter?“ Klunker holte wortlos wieder die Schatzkarte heraus. Beide sahen wir auf das Blatt, wobei Klunker wegen der Funzeligkeit der Birne noch mit der Taschenlampe leuchten musste. „Hier, ich versteh was nicht, diese Zahlen auf der Schatzkarte. Vielleicht hat dein Superhirn ja noch mal eine Idee.“

24 XXL-Sturz Musti erzählt „Lampen aus!“, sagte ich. Ich öffnete die Tür. Hinter mir standen Maradonna und Doktor und beide hatten die Hölzer in den Händen. Vorsichtig schaute ich mich um. Eine Treppe führte hoch. Oben hörte ich etwas und ein wenig Licht war zu sehen Ich stellte meine Stirnlampe an. Ich sagte zu Maradonna: „Gib mir das Rundholz.“ „Willst du alleine hoch?“, fragte sie. „Nein, aber ich geh vor.“ Wir kamen zu einem Absatz auf halber Höhe, hier gingen zwei Türen ab. Wir hörten Stimmen und sahen nun ein schales Licht über uns, wir erkannten eine Türöffnung, eine Etage höher. „Ihr bleibt hier“, sagte ich. „Haltet das Seil bereit! Stellt euch an die Seiten, in die Türfüllung, dann kann man euch fast nicht sehen. Legt das Seil auf den Boden, dass ihr es

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im Notfall schnell spannen könnt.“ „In welchem Notfall?“, fragte Maradonna. „Ich geh mal hoch als Kaninchen und locke den Wolf“, sagte ich. Maradonna hielt ihre Hand nach unten und flüsterte: „Unser Zeichen!“ Und wir anderen beiden schlugen ein, flüsterten leise wie noch nie die Worte: „Big Bang YurumiGang“. Und klatschten uns lautlos in der Luft ab, stießen nur kurz mit den Handflächen aneinander. Dann ging es los. Beide machten sich bereit. Ich schlich hoch. Ich stellte meine Lampe ab. Auf die sechste Stufe legte ich das Rundholz und stieg weiter. Ich spähte um die Ecke. Ich sah Klunker und Mantel. Beide hatten sich über eine Karte gebeugt. Mantel sagte grad: „Blöde Sucherei. Brauchen wir etwa noch eine Karte, die unsere Schatzkarte entschlüsselt?“ Klunker zeigte etwas auf der Karte und war ärgerlich und hektisch: „Hier! Pfeil nach oben. Jetzt sind wir oben. Also, jedenfalls wenn wir im richtigen Gebäude sind. Und wir sind ja jetzt in einem Gebäude. Hier sind Mauern. Hier steht neben dem Kreuz die Zahl 321. 321. Was soll das? Ist das eine Hausnummer? Ist das die Hausnummer der Hörder Burg?“ Mantel sagte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Burg eine Hausnummer hat.“ „Wieso soll eine Burg denn keine Hausnummer haben?“ „Und wenn, dann müssten doch für eine Burg mindestens vier Hausnummern gelten.“ „Mantel, das hilft uns auch nicht. Es ist doch piepegal, ob eine Burg eine Hausnummer hat. Was bedeutet 321?“

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„Eins- zwei-drei“, hörte ich Mantel sagen. „Was soll das denn wieder?“ „Das heißen die Zahlen von hinten. Oder Einhundertdreiundzwanzig. Die Schragmüller war doch eine Spionin, aber vielleicht hat sie es sich ganz einfach gemacht. 321. Dreizwei-eins.“ „Was quasselst du denn da, Mantel?“ Und dann ging Mantel zur Wand, ich duckte mich, falls sie zufällig zur Tür sähen. Mantel schritt die Wand ab. „Vielleicht, wenn man in diesen Raum kommt, drei Meter rein, zwei Meter hoch und da ist dann... na ja... Eins.“ Er machte drei Schritte, die wohl jeweils ungefähr ein Meter sein sollten. Klunker sah ihm zu. „Hm, nicht ganz blöd. Aber auf welcher Seite? Rechts oder links. Und was für eine Eins?“ Mantel war stehen geblieben und tastete ein wenig über Kopfhöhe die Wand ab. Dann war er plötzlich mehr als aufgeregt: „Da, da, da ist ein Stein locker! Hier, Klunker!“ Der sprang neben ihn, stieß Mantel zur Seite und leuchtete. „He!“, rief Mantel verärgert und schob nun Klunker beiseite. Ich dachte gar nicht nach. Ich merkte irgendwie, dass jetzt der richtige Moment für einen Überraschungsangriff oder besser einen Überraschungseingriff war. Beide Gangster waren absolut auf die Wand konzentriert. Die hörten und sahen nichts anderes mehr. Die träumten vom Schatz. Ich stellte mich in den Türrahmen, sah noch einmal nach unten und versuchte Maradonna und Doktor ein Handzeichen zu geben. Ich streckte den Daumen nach oben, wusste aber nicht, ob sie in der Dunkelheit mein Zeichen sehen würden. Jetzt mussten unsere Absprachen reichen. Ich sagte: „Hallo Mantel, alter Schatzsucher!“

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Er flog herum. Auch Klunker. Er leuchtete mit der Taschenlampe, suchte die Quelle der Stimme, schaute zum Türrahmen und leuchtete mich an. Mantel fluchte: „Mist! Die Yurumi-Gang!“ Klunker sah kurz zu Mantel: „Wie haben die sich befreien können? Kannst du nicht mal Kinder richtig zusammenbinden? Döskopp! Los, geh runter und bind die wieder fest!“ Mantel stürzte auf mich zu: „Warte, dich krieg ich!“ Ich sauste nach unten, hatte mir meinen Rückweg genau gemerkt, an der fünften Stufe nahm ich zwei auf einmal und trat erst wieder auf die siebte. Ich hastete weiter, spürte Mantel hinter mir. Aber ich war nicht nur schnell, ich war Lightning Musti, der Blitz aus Dortmund-Wambel! Und während ich das dachte, trat hinter mir Mantel in vollem Lauf und mit vollem Gewicht auf das Rundholz. Maradonna erzählt Musti war ein Teufelskerl. Wie der Blitz war er die Treppenstufen runtergerannt. Als er fast schon auf unserer Höhe war, trat oben Mantel auf das Rundholz. Sein Fuß verlor das Gleichgewicht, das Holz drehte sich unter ihm, sein Fuß rutschte weg, der ganze lange Kerl schlug lang hin und stürzte auf die Stufen. Er schrie und fluchte. Er musste sich ziemlich poliert haben. Er lag kurz da, schnaufte. Wir schauten vorsichtig hoch, aber da rappelte er sich wieder auf. Wir konnten in dem engen Treppenhaus seine Wut regelrecht spüren wie einen kleinen lokalen Sturm. Musti war an uns vorbei weiter in die Tiefe gelaufen, stellte nun seine Stirnlampe an, strahlte von unten Mantel ins Gesicht, der leicht

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geblendet war und rief: „Mich kriegst du nicht, du lahme Ente!“ Mit einem Wutschrei sprang Mantel auf. In den Schrei mischten sich auch andere Töne, Schmerzhaftes. Er musste sich ziemlich wehgetan haben, aber er sprintete nun die Treppe im Halbdunkel hinunter und folgte dem Lichtstrahl von Musti. Blind vor Wut lief er an uns vorbei, ohne uns zu bemerken. Doktor und ich hielten das Seil, das noch auf dem Boden lag, und als sein erster Fuß das Seil überschritt, rissen wir es hoch. Mantel wurde im Schritt aus dem Gleichgewicht gerissen, stolperte mit seinem zweiten Bein in unser Seil, konnte sich nicht halten, stürzte erneut und diesmal noch heftiger als beim ersten Mal. Durch die Gewalt seines Laufes wurden auch Doktor und ich umgerissen und wären fast zusammengeprallt. Unter uns aber stürzte Mantel die restlichen Stufen herab und überschlug sich und flog auf Musti zu. Der hatte eine super Reaktion.

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Er war mit ein paar Leuten in den letzten Wochen unterwegs gewesen, die „Parkour“ machten, die sich in der Stadt bewegten, über Hindernisse, Treppen, über alles hinwegsprangen. Er stützte sich jetzt mit beiden Händen an der rechten Wand ab und sprang mit seinen Beinen hoch, stützte sich dann mit den Füßen an der linken Wand ab, hielt sich mit seiner Körperspannung in der Luft, und unter dieser menschlichen Brücke fiel Mantel drunter durch. Das war knapp! Unten schlug Mantel hart auf. Musti rief: „Das war aber ein echter XXL-Sturz!“ Er sprang wieder auf die Stufen. „Bringt das Seil mit, und das Kantholz“, rief er. „Schnell!“ Wir rannten zu ihm, Musti nahm das Kantholz, schwang es über dem Kopf und war bereit, es einzusetzen, falls nötig. Aber Mantel lag schwer benommen am Boden, richtete mühsam seinen Oberkörper auf. So konnten wir ihn leichter und besser fesseln, als er wohl jemals geahnt hatte. Wir liefen mit dem Seil um ihn herum und umwickelten seine Arme, pressten sie hart und eng an seinen Oberkörper. Als wir ihn gefesselt hatten, sagte Musti, nun mit dem erhobenen Kantholz: „Wehe!“ Mantel schüttelte nur den Kopf und das hieß so viel wie: „Ich kann nicht mehr. Ich ergebe mich!“ Das alles war rasend schnell gegangen. Doktor sagte: „Schnell, jetzt Lampen aus!“ Keine Sekunde zu früh! In diesem Moment steckte oben Klunker den Kopf in den Treppenschacht. Musti zischte: „Mantel. Ich höre, wenn du dich bewegst!“ Mantel stöhnte nur. Nun schrie Klunker von oben: „Mantel! Was ist da los? Hast

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du sie? Sag was! Ich hör nix.“ Und dann leuchtete er mit seiner Lampe zu uns hinunter, aber es war ein sehr funzeliges Licht. Seine Batterien ließen wohl nach. „Was ist da unten los?“, rief er: „Ich seh nix! Mantel, antworte!“

25 Yurumi siegt Onkel Herbert erzählt Wir hatten hinter der Tür des zweiten Raumes gewartet, hatten die Tür aber nur angelehnt. Wir hörten jedes Wort von drinnen. Es waren also tatsächlich Mantel und Klunker. Wir hatten sie gefunden. Aber wo waren die Kinder? Die waren scheinbar nicht bei ihnen! Was war passiert? Was hatten die beiden Verbrecher mit den Kindern gemacht? Jetzt quasselten die beiden was von einer Zahl. 321. Und ob eine Burg Hausnummern hat. Was sollte der Quatsch? Ich schaute Makka und Jan an. Die zuckten mit den Schultern. Was sagten die beiden Verbrecher jetzt? Da sei ein Stein locker? Bei denen waren jedenfalls jede Menge Schrauben im Oberstübchen locker. Ich zischte grad: „Wir gehen rein!“ Da hörte ich Mustis Stimme. „Hallo Mantel, alter Schatzsucher!“ Und ab da überschlugen sich die Ereignisse. Makka nickte nur kurz: „Kann losgehen!“ Wir schoben die Tür auf und sahen grad noch, wie Mantel durch die Tür hastete. Dann hörten wir Geräusche von einem Sturz, dann schon von einem zweiten. Wir orientierten uns im

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Raum, Klunker stand an der Tür und schaute hinunter und schrie. Er rief: „Ich seh nix! Mantel, antworte!“ In diesem Moment sagte ich: „Dafür seh ich dich ganz gut, Klunker.“ Der fuhr herum. Komplett überrascht. Blickte von einem zum anderen. Man sah, wie sein Kopf fieberhaft arbeitete. „Was wollt ihr denn?“ „Kinder retten!“ sagte ich. „Scheiß Yurumi-Gang“, presste er hervor. „Bringt echt nur Unglück!“ Dann sprang er mit einem wahren Panthersatz auf mich zu. Mitten im Sprung sah ich einen Schatten und hörte einen Schlag. Klunker stürzte gefällt zu Boden und lag vor meinen Füßen. Er stöhnte! „Was war das denn?“ fragte ich. Jan hielt eine Schippe in der Hand: „Die lag hier rum“, lachte er. „Guter Schlag“, lobte Makka. „Ich hab mal Baseball gespielt“, sagte Jan und grinste. „Golf wär vielleicht auch ne gute Möglichkeit für dich!“, sagte ich. Dann stellte sich Jan breitbeinig über Klunker. Der schüttelte benommen den Kopf. „Wo sind die Kinder?“, fragte ich. „Und wir fragen nur einmal, dann nehme ich wieder die Schippe!“, ergänzte Jan. Sofort hob Klunker schützend seine Hände über den Kopf. „Unten“, stöhnte er und fügte hinzu: „Gefesselt.“ Da schaute plötzlich ein Gesicht durch die Tür und grinste. „Von wegen gefesselt!“, grinste Maradonna: „Mantel ist gefesselt!“

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„Clara“, rief ich. „Alles in Ordnung?“ „Bei uns schon!“ Ich nahm sie in den Arm und drückte sie. „Bin ich froh, Clara. Wo sind die beiden Jungs?“ „Die bewachen Mantel. Unten an der Treppe.“ „Was ist mit Klunker?“, fragte nun sie. „Hat sich einen Schippenschlag von Jan gefangen“, sagte Makka. „Gehst du runter zu den Jungs, Makka?“ fragte ich ihn. „Schon unterwegs“, sagte er. Wenige Minuten später hatten wir den glänzend einge-

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schnürten und verpackten Mantel neben Klunker sitzen. Jan lächelte und sagte: „Klasse gemacht, Yurumis. Und die Verpackung von Mantel ist astrein!“ Das Seil war lang genug, auch Klunker kräftig festzubinden. Beide stöhnten leise. Die Kinder sahen sich an, schlugen plötzlich die Hände ineinander und riefen „Big Bang Yurumi-Gang“. Es folgte ein lang gezogenes Oooooh und dann riefen sie noch einmal „YURUMI“, bevor sich die drei in der Luft abklatschten. „Euer Schlachtruf?“, fragte Jan. Die Kinder nickten. So viel wie hier unten hatte der noch nie geredet. Makka schaute zufrieden im fahlen Licht der einen Glühbirne zu den beiden am Boden. „Die Gangster haben wir jedenfalls festgesetzt.“ Die Kinder waren befreit. Maradonna lief nicht mehr allein durch die Gänge. Aber ich hatte da noch eine Frage: „Und was ist das jetzt mit diesem Schatz gewesen?“ Makka sagte noch mal: „Ich glaube, Klunker hatte ihn fast. Da oben. Er hatte einen losen Stein aus der Mauer rausgezogen.“ Ich ging langsam drauf zu: „Dann schauen wir mal, was dahinter ist.“ Dann drehte ich mich zu den Yurumis um: „Aber, es ist ja euer Schatz. Wer will?“ Clara zuckte mit den Schultern: „Mir egal. Du Musti?“ Der schlug aber vor: „Am besten Doktor macht das. Auf dem Schatz steht bestimmt wieder irgendwas drauf, was sowieso nur Doktor entziffern kann. Hier, ich mach dir ne Räuberleiter, damit du an das Loch da oben rankommst.“

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Und dann stellte sich Mustafa mit dem Rücken zur Wand, fasste mit beiden Händen ineinander und Richard stieg mit dieser Hilfe hoch und stellte sich mit beiden Füßen auf Mustafas Schultern. Er schaute in das Loch. „Bisschen dunkel hier drin. Kann mir einer eine Taschenlampe geben?“ Clara prustete los. „Was ist denn daran so witzig?“, fragte Richard. „Du hast die Stirnlampe noch auf dem Kopf sitzen.“ Mit einem leicht verschämten „Ach so!“ griff er an seine Stirn und stellte die Lampe an. Dann sagte er von da oben: „Ich bin schon fast so dösig wie Mantel!“ „Was soll das denn heißen?“, knurrte der. Aber Jan hob nur kurz die Schippe und fragte ihn: „Probleme, Kollege?“ „Nee, schon gut“, sagte Mantel und sank wieder in sich zusammen. Mustafa schaute über sich. „Und? Mach schneller, du bist ganz schön schwer.“ Richard tastete in das Loch hinein und dann schien er etwas gefunden zu haben. Er zog etwas aus dem Loch heraus, wir konnten das noch nicht erkennen: „Ein...eine... so eine Zigarrenkiste!“ stotterte er erstaunt. Klunker rührte sich, erstaunlich wach nun wieder, aber immerhin ging es ja um den Schatz, hinter dem auch er her gewesen war!

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26 Zeilen aus Gold Klunker erzählt Mir tat der Schädel weh. Dieser Kerl, den die da mithatten, der hatte mir mit einer Schippe eins über gezogen. Und nun waren wir gefesselt, Mantel und ich. Überrascht von der gerissenen Yurumi-Gang, die sich erst befreit und dann auch noch Mantel überwältigt hatte. Wie war denen das geglückt? War Mantel so dösig oder war die Gang so gut? Und jetzt stiegen die auch noch hinter meinem Schatz her. Mein Schatz! Und was sagte der Kleine jetzt da oben. Eine Zigarrenkiste? Makka erzählt Unsere Obergangster waren wieder bei Bewusstsein, immer noch angeschlagen und lädiert, aber bei Bewusstsein. Neugierig verfolgten sie nun diesen Teil der Schatzsuche. Neidvoll sahen sie zu, wie Doktor da oben eine kleine Kiste aus dem Wandversteck herauszog. „Na, wieder wach?“, fragte ich. „Keinen Mucks, oder ihr bekommt die Schippe noch mal rüber. Ist das klar?“ Klunker zuckte: „Bin ja schon ruhig. Aber trotzdem.“ Herbert drehte sich zu ihm um: „Trotzdem was?“ Klunker sah zu den Kindern. Doktor hatte inzwischen Maradonna die Kiste heruntergegeben und war wieder auf den Boden gesprungen. „Naja“, sagte Klunker. „Ganz ehrlich. Bisschen klein, so eine Zigarrenkiste für einen großen Schatz!“

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Plötzlich knurrte Mantel: „Ist das der ganze Schatz?“ Und er drehte sich zu Klunker: „Und du hast diese leere Riesentasche mitgeschleppt für deinen großen Schatz. Und ich musste das ganze Werkzeug schleppen! Die ganze Zeit! Super Plan, Herr Oberchef!“ „Schnauze, Mantel“, zischte der. „Konnte ja keiner ahnen, dass die Yurumi Gang auch hinter dem Schatz der Spionin her war.“ Herbert fragte: „Und was ist jetzt mit dem Schatz, Doktor?“ Der sagte: „Mach du die Zigarrenkiste auf, Maradonna!“ Mustafa lachte: „Und wenn du sie nicht aufkriegst, haben wir ja einen Spezialisten für Schlösser jeder Art dabei – Klunker! Der hilft uns bestimmt!“ Klunker knurrte: „Lass mich in Ruhe, du Yurumi!“ „Halt mal“, sagte Clara zu Doktor. Der hielt die Kiste auf seinen flachen Händen. Dann öffnete Maradonna die Zigarrenkiste. Wir hielten den Atem an, als würde sie einen Sprengsatz entschärfen. Sie schaute hinein. „Ein...ein Buch. Ich glaube es ist nur ein Buch.“ Sie hob es heraus. „In Leder eingebunden, ein...ein Notizbuch“, sagte sie. Mantel reckte den Hals: „Heißt das, es ist kein Schatz drin?“ Klunker war entgeistert: „Kein Gold? Keine Edelsteine? Schmuck? Perlen?“ Herbert raunzte ihn an: „Das hättest du gerne, Klunker!“ Richard stellte die Kiste ab und holte noch einmal die Schatzkarte hervor und sagte: „Hier hat Elisabeth Schragmüller geschrieben: Diese Karte führt zu meinem geheimsten Schatz. Wer ihn findet, der wird mit meinem Wertvollsten beschenkt.“ Clara blätterte nun in diesem Buch. „Es ist die gleiche

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Handschrift wie auf der Karte“, sagte sie. „Das ist die Handschrift von ihr, von Elisabeth Schragmüller.“ Mustafa fragte: „Und was steht jetzt in dem Buch?“ „Musst du wieder lesen, Doktor“, sagte Maradonna und reichte ihm das lederne Notizbuch. Richard schlug das Buch auf: „Hier steht so was wie ein Vorwort von ihr.“ „Nun lies endlich. Was ist mit dem Schatz?“, schrie Klunker. Jan stupste ihn leicht mit der Schippe. Klunker zuckte zusammen. Jan drohte grinsend: „Einen anderen Ton bitte, wenn du mit den Kindern redest! Sonst spricht mein Grabungswerkzeug wieder mit dir!“ „Ist ja gut“, sagte Klunker. „Kann man doch mal aufgeregt sein, bei so einer Schatzsuche!“ Dann begann Doktor vorzulesen: „Dies ist mein größter Schatz. Es ist nicht Geld oder Gold. Es sind Gedichte. Gedichte von den großen deutschen Dichtern. Von Goethe. Von Schiller. Von Heinrich Heine. Jedes Gedicht, das ich hier abgeschrieben habe, habe ich gelernt und ich spreche manche davon täglich. Und einige schrieb ich selber. Dies ist mein Vermächtnis. Diese Zeugnisse der großen deutschen Dichter sind ein wahrer Schatz, wertvoller als alles andere. Wer sie findet, halte diese Gedichte und Gedanken in Ehren, er lese sie, lerne sie und lebe mit ihnen.“

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Makka pfiff durch die Zähne: „Eine Künstlerin war sie also auch, die olle Schragmüller.“ Mantel schüttelte den Kopf. „Gedichte. So was ist doch kein Schatz! Und dafür schleppe ich Spitzhacken und Schippen. Unter Tage. Kilometerweit. Für Gedichte!“ Herbert grinste und sagte: „Und wie das ein Schatz ist! Das wird dem ein oder anderen Museum aber richtig was wert sein.“ Musti fragte: „Echt? Nur für die Gedichte gibt es Geld?“ Ich sagte: „Klar. Das ist doch etwas für die Stadtgeschichte.“ Klunker stöhnte: „Fürchte ich auch. Das ist ja beinah antik. Und bestimmt gibt es ein paar bekloppte Sammler, die ein Vermögen dafür bezahlen. Nicht der große Schatz, auf den ich gehofft hatte, aber ein paar neue Kaninchen für meine Zucht hätte ich von dem Fang bezahlen können.“ „Noch mehr Kaninchen? Noch mehr weiße Riesen?“, fragte Mantel. „Dann bin ich froh, dass die Sache nicht geklappt hat. Danke, Yurumi-Gang!“ „Jetzt spinnst du aber total!“, schnauzte Klunker. Doktor hatte inzwischen im Buch weiter geblättert: „Hier, ich glaube, das ist von ihr. Die Überschrift lautet: Sehnsucht. In mir brennt ein Feuer ich suche das Abenteuer Ganz ehrlich – Leben, wild und gefährlich ist das nicht herrlich?“ Herbert sagte: „Ja, das klingt nach dem Lebensmotto einer Spionin.“

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Maradonna erzählt In diesem Moment hörten wir Schritte. Günther und Gerrit kamen, gefolgt von schweren Stiefelschritten. Sechs Polizisten standen in voller Montur, mit Helm, plötzlich im Raum und sahen sich um. Günther sagte: „Ich hab mal jemand offizielles angerufen und mitgebracht.“ „Gute Idee“, sagte Onkel Herbert. Dann sagte einer der Polizisten: „Gut verpackt, die beiden Herren. Die kennen wir. Und wer war der Verpackungskünstler?“ Onkel Herbert zeigte auf die Yurumi-Gang. Der Polizist grinste: „Wieder mal?“ Doktor sagte gleich: „Wir können nichts dafür. Die sind uns in die Quere gekommen!“ Klunker schnaubte: „Wir euch? Wenn dann ja wohl ihr uns!“ Die Polizisten nahmen Mantel und Klunker fest und tauschten das Seil, mit dem sie gefesselt waren, gegen Handschellen und führten die beiden ab. Plötzlich rutschte es mir raus: „Wiedersehen!“ „Bloß nicht!“, zischte Klunker. Mantel grummelte laut: „Und jetzt geht es schon wieder in den Knast. Da hat sich unsere ganze gute Führung letztes Mal nicht gelohnt, Klunker.“ Klunker zuckte mit den Schultern: „Wenigstens war ich mal wieder ein paar Wochen bei meinen Tieren.“ Mantel sah ihn an: „Wenigstens muss ich die jetzt nicht mehr füttern. Jedenfalls nicht so lange ich im Knast bin. Das Riesenkaninchen ist mir unheimlich.“

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Klunker schüttelte den Kopf. „Mantel. Das ist ein weißer Riese. Ein Rassekaninchen. Wie oft...ach. Das hat ja keinen Sinn!“ Und dann waren die beiden draußen. Zwei der Polizisten stiegen den Gang hinunter und besahen sich alles. Der Polizist sah uns an: „So, Yurumi-Gang, dann erzählt mal. Aber von vorne!“

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Inhalt

Anfang am Hafen.................................................................... 5 Beinharte Kontrolle................................................................ 8 Clara schmollt....................................................................... 10 Dortmund Gang.................................................................... 14 Elisabeths Vermächtnis....................................................... 21 Finstere Pläne....................................................................... 24 Günthers Überraschung...................................................... 33 Hartes Metall........................................................................ 43 Intensive Behandlung.......................................................... 51 Jenseitiger Brief................................................................... 73 Klunkers Nachtaktion.......................................................... 82 Lösung gesucht..................................................................... 87 Mantels Geistesblitz............................................................ 97 Nur nicht auffallen.............................................................109 Ohne Angst..........................................................................118 Portion Glück......................................................................125 Qualvoller Transport...........................................................131 Richtiges Pech....................................................................138 Schlechte Karten................................................................144 Total allein...........................................................................149 Unterstützung naht............................................................154 Verfolgte Verbrecher...........................................................162 Wilde Jagd...........................................................................171 XXL-Sturz.............................................................................181 Yurumi siegt........................................................................187 Zeilen aus Gold...................................................................192

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Die Macher Bernd Gieseking, Autor und Kabarettist, Jahrgang 1958, schreibt Kinderhörspiele (Trolle) für den WDR und ist auf den Sprechbühnen im deutschsprachigen Raum unterwegs. Bernd wohnt in Dortmund und war sogar schon auf Expedition in der Arktis. Bettina Brökelschen, Werbezeichnerin und Veranstalterin aus Dortmund, Jahrgang 1962. Neben ihrer Künstlertätigkeit und ihrer Zusammenarbeit mit Luigi Colani ist sie auch eine engagierte Förderin junger Kunstschaffender. DSW21 – dein Unternehmensverbund für Dortmund. Mit den Tochtergesellschaften sorgt DSW21 für reibungslose Abläufe auf Schienen, Straßen, zu Wasser und in der Luft und steht weder bei der Energieversorgung noch bei der Telekommunikation auf der Leitung. Auch Wohnräume und die Stadtentwicklung gehören zu den Aufgaben. Jeden Tag passieren unglaublich viele unsichtbare Abenteuer, damit Dortmund funktioniert. Viele Infos zu Deiner Stadt, DSW21 und den Kinderaktionen findest Du unter www.yurumi-gang.de. Hier gibt es auch den Onlineshop für die Yurumi-Abenteuermode (mit personalisiertem Gang-Code).

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