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Buch-Tipps

Frank Bösch

Zeitenwende 1979

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 Das Jahr 1979 ist vielen von uns vielleicht gar nicht als etwas uns vielleicht gar nicht als etwas Besonderes in Erinnerung geblieben. Doch wurde es als „Schlüsseldatum des 21. Jahrhunderts“ (Peter Sloterdijk) bezeichnet, da sich in diesem Jahr eine Fülle weltpolitischer Ereignisse abspielte, die sich bis in die Gegenwart in Deutschland und der Welt auswirken. Es waren Krisen, Revolutionen und euphorische Aufbrüche, die 1979 ihren Anfang nahmen. Frank Bösch hat diese Ereignisse in zehn Kapiteln aufgearbeitet und dabei nicht nur die Geschehnisse selbst beschrieben und analysiert, sondern auch die mittelbaren und unmittelbaren Folgen aufgezeigt. Die Ausstrahlung der US-Fernsehserie „Holocaust“ in der Bundesrepublik Deutschland schlug gleich zu Beginn des Jahres hohe Wellen und leitete eine intensivere Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit ein. Mit der Reise Deng Xiaopings als erstem führendem Politiker der Volksrepublik China in die USA begann die wirtschaftliche Öffnung Chinas und letztendlich auch der Aufstieg zur Supermacht. Das nächste einschneidende Ereignis war die iranische Revolution nach der Rückkehr des Ajatollah Khomeini aus dem Pariser Exil und der Geiselnahme in der US-amerikanischen Botschaft. Das Jahr 1979 markiert zudem das Gründungsjahr der „Grünen“ nach dem Zusamdungsjahr der „Grünen“ nach dem Zusammenschluss der „Grünen Listen“ im Vorfeld menschluss der „Grünen Listen“ im Vorfeld der Europawahl. Der Reaktorunfall im Atomkraftwerk nahe der US-amerikanischen Atomkraftwerk nahe der US-amerikanischen Stadt Harrisburg hat den Samen für ein Nachdenken über die Sicherheit der Atomkraft gelegt. Mit der Wahl von Margaret Thatcher zur Premierministerin Großbritanniens erfolgte eine Abkehr vom Keynesianismus und eine Hinwendung zur marktliberalen Politik. Der Besuch von Papst Johannes Paul II. in seinem Heimatland Polen zog Millionen von Menschen auf die Straßen und bildete den Ausgangspunkt für die Protestbewegungen der folgenden Jahre. Mit den „Boat People“ aus Vietnam begann ebenfalls 1979 eine erste außereuropäische Flüchtlingswelle. Die „Cap Anamur“ stach erstmals – ein nur durch Spenden fi nanziertes Schiff zur Rettung von Flüchtlingen aus dem Meer – in See. Fast vergessen ist auch die von den Sandinisten angeführte Revolution in Nicaragua, die von einer weltweiten Solidarität begleitet wurde. Die zweite Ölkrise nach 1973 erschütterte wiederum die Weltwirtschaft, führte aber zum Umdenken und letztendlich zum Ausbau alternativer Energien. Den Abschluss des Jahres 1979 bildete der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, dessen Auswirkungen ebenfalls heute noch massiv zu spüren sind. Die Darstellung dieser Ereignisse ist eine faszinierende Zeitreise zu den Ursprüngen unserer gegenwärtigen Realität, spannend dargestellt und in den historischen Kontext gestellt. Wer sich für die Zeitgeschichte interessiert, aber schwere Kost scheut, für den ist das Buch von Frank Bösch genau das Richtige: hervorragend recherchiert und packend erzählt. Karin Volberg

Frank Bösch: Zeitenwende 1979. C.H. Beck Verlag, München 2019, 28 Euro. ISBN 978-3-406-73308-6

Jonas Linnebank (Hg.): Jonas Linnebank (Hg.): Kalk Alphabet

 Als es im Winter noch nach Kohleöfen roch: „Kalk Alphabet“ buchstabiert einen Lebensraum voller Geschichten. Bloß kein Kölsches Jeföhl der Berauschtheit am stets frisch gezapften und fl eißig ausgeschenkten Mythos der DomMetropole aufkommen lassen – mit diesem Credo festigt der Verlag parasitenpresse für zeitgenössische Literatur auch im dritten Band des Stadtteil ABCs seine Ausnahmestellung auf dem schier unerschöpfl ichen Buchmarkt für Lokalpatrioten und setzt im „Kalk Alphabet“ auf sensible individuelle Perspektiven auf die Absonderlichkeiten eines Milieus, das sich über die Dekaden vom bedeutenden Industriestandpunkt und einem durch Werksschließungen bedingten Strukturwandel zum multikulturellen Schmelztiegel entwickelte. 15 Autorinnen und Autoren mit besonderen Bezügen zur Örtlichkeit spiegeln in 26 kurzweiligen Geschichten, freien Versen oder schlichten Notizen persönliche Impressionen eines Lebensraums wider, der im gleichen Maße anziehend wie abstoßend wirkt. Dabei scheint die Zeit, wie einst die Uhr über der Hauptpostfi liale, gefühlte Ewigkeiten stehengeblieben zu sein. Durch ein graubraun-visualisiertes Straßenbild, das sinnliche Erinnerungen an den Geruch von winterlichen Kohleöfen verströmt, ziehen die Menschen ihre Runden zwischen Aldi, Amt und Nudelrestaurant, sowie einem lautstarken Palaver oder nicht minder hörbaren Streit vor den Teestuben. Hier zeigen die „Humboldt-Opas“ in der gleichnamigen Story von Peter Zillig, dass sie noch längst nicht zum alten Eisen gehören, verwaisen die einladenden Plätze ohne Sitzgelegenheiten („Ain`t no Bänke at Kalk Post“, Elizaveta Khan), wachsen Weinreben im Hinterhof, während das Efeu durch den VW-Golf klettert („Nachbarschaft“, Maia Traine). Natürlich verwundert es niemanden, wenn sich zwischen dem Sperrmüll ein aus der nahegelegenen Pension entkommenes Ferkel tummelt („Nachbarschaft“). „Es ist irgendwie schön hier“, konstatiert Jonas Linnebank mit Betonung aufs „irgendwie“ in seiner Betrachtung „Josephskirchstraße“. Nicht verschwiegen werden in dem sowohl amüsant-süffi sant wie auch nachdenklich stimmenden hochkonzentrierten Werk die Schattenseiten der Gesellschaft, die sich in verklärtem Machotum, Drogenkriminalität und Gewaltdelikten offenbaren. In ihrem Beitrag „Kalk Post – Ein Lied“ dichtet Mirjam Kay Mashkour: „Ein Köln-Kalker hält sein Wort/Glaubst du’s nicht, gibt’s Ehrenmord“. In der Reihe sind bislang erschienen: Ehrenfeld Alphabet, Nippes Alphabet. thomas Dahl

Jonas Linnebank (Hg.): Kalk Alphabet. parasitenpresse, Köln 2020, 8 Euro. ISBN 978-3-947-67664-4