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Geisterfahrräder

The Curbside Chronicle sprach mit dem international bekannten Fotografen Harvey Hargreaves über seine Fotoserie „Geisterfahrräder“ (Ghost Bikes) und deren wichtige Aussage zum Thema Sicherheit für Fahrradfahrer.

VON WhItLEy O’CONNOR, FOtOS VON hENRy hARGREAVES

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Jedes Foto trägt den Namen des Unfallopfers, an das es erinnert: Matthew von Ohlen (großes Bild li.), Erica Abbott, Christopher Doyle, Lauren Elizabeth Davis (von li. nach re.) Laut der National Highway Traffic Safety Administration werden in den USA jedes Jahr zwischen 45.000 und 50.000 Radfahrer bei Verkehrsunfällen verletzt. Im Jahr 2016 sind 840 Radfahrer tödlich verunglückt. Strahlend weiß, gekettet an einen Zaun oder eine Straßenlaterne, und oftmals mit Blumen geschmückt, stehen dort die Geisterfahrräder als düstere Erinnerung an die verunglückten Radfahrer.

Letzten Herbst gelang es Henry Hargreaves gerade so, noch nicht zu dieser Statistik gezählt zu werden, und hat so verhindert, selbst ein Geisterradfahrer zu werden. Seitdem teilt Henry seine Fotoserien als Erinnerung daran, wie nahe die Gefahr für die Radfahrer ist und um eine dringend nötige Diskussion über die Straßennutzung aller Straßenteilnehmer zu eröffnen.

Henry hat erstmals vor einigen Jahren rund um seine Wohnung in Brooklyn weiße Fahrräder an Straßenlaternen gekettet gesehen. „Als ich nach New York zog und umherging, sah ich diese weißen Fahrräder angekettet an Straßenlaternen an den Straßenecken. Ich hab sie niemals wirklich beachtet, bis ich eines Tages an einem vorbeiging, wo der Name von jemanden und einige Daten draufstanden. Mir wurde klar, dass das die Todesdaten des Radfahrers waren“, erinnert sich Henry. „Es ist für mich irgendwie so ein gespenstisches Symbol auf der Straße geworden. Das war auch um diese Zeit, als ich mit dem Fahrradfahren anfing, so war es wie eine Erinnerung, dass du immer nur zwei Fuß von dem Schicksal entfernt bist. Es war diese gespenstische Sache.“

Geisterfahrräder sind ein relativ neues Phänomen. Das erste jemals aufgezeichnete Geisterfahrrad wurde 2003 in St. Louis, Missouri aufgestellt, als Patrick Van Der Tuin Zeuge eines Unfalls mit einem Motorradfahrer und einem Radfahrer auf einem Fahrradschutzweg wurde. Er malte ein Fahrrad weiß an und stellte es an die Unfallstelle mit einem Schild, worauf stand: „Radfahrer hier überfahren“. Es konnte beobachtet werden, dass Motorradfahrer an dieser Stelle aufmerksamer fuhren. Van Der Tuin setzte sich dafür ein, dass überall in der Stadt solche Fahrräder platziert wurden.

Diese Bewegung zeigte bald große Erfolge, weil sich die Fahrräder bis 2005 in ganz London verbreiteten. Jetzt gibt es die Geisterfahrräder auf der ganzen Welt.

Oklahoma hat eigens Geisterfahrräder aufgestellt. In Oklahoma City wurde 2013 ein Geisterfahrrad beim OverholserSee aufgestellt, um einen verunglückten Radfahrer zu ehren, der während einer Charity Radtour getötet wurde. 2010 wurde ein anderes Fahrrad bei der East Britton Road aufgestellt, das bis heute an einen verunglückten Radfahrer erinnern soll. „Für mich sind sie wie eine Metapher für die Leiche“, sagt Henry. „Als sie dort platziert wurden, waren sie rein und weiß. Aber an den Bildern, die ich mach

Matthew Brenner

Grafik: macrovector / freepik.com te, kann man erkennen, wie sie langsam verrotten. Manchmal stehlen Leute die Geisterfahrräder auch. Das ist für mich so, als ob sie ein Grab berauben würden. Manchmal verschwinden sie komplett.“

New York City ist das Epizentrum der GeisterfahrradBewegung geworden und Henry hat mehrere Jahre lang die Fahrräder in Brooklyn fotografiert. Aber erst bei seinem eigenen Fahrradunfall realisierte Henry den Grund für diese Fotos. Während er mit seinem Fahrrad von seiner Wohnung zu seinem Fotostudio fuhr, wurde Henry von einer Autotür erwischt. Ein illegal parkender Mann öffnete, ohne zu schauen, seine Autotür, als sich Henry näherte, er wurde über das Lenkrad geschleudert und landete mit seinem Hals auf der Türecke. Stark blutend bestand Henry darauf, vom Autofahrer ins Krankenhaus gebracht zu werden. Der Fahrer setzte Henry ab und fuhr schnell weg. „Die Türecke hat mich genau zwischen Hals und Luftröhre erwischt. Wenn es ein paar Millimeter weiter oben oder unten passiert wäre, wäre es noch ernster gewesen“, sagt Henry. „Ich wurde mit einem Dutzend Stiche genäht und bekam eine Rechnung von 1.500 Dollar.“ Henry wollte nach dieser Erfahrung etwas tun. „Ich arbeitete an diesem Projekt schon, bevor das passiert ist, indem ich die Geisterfahrräder dokumentierte“, sagt Henry. „Danach wollte ich es so machen, dass die Leute mehr Aufmerksamkeit gegenüber den Radfahrern zeigen und die Radfahrer gegenüber den Gefahren rundherum mehr Bewusstsein bekommen.“ Seit er diese Fotoserie veröffentlicht hat, hat Henry viel positives Feedback bekommen. Viele davon sagten, dass sie die Fahrräder zwar gesehen hätten, aber nicht wussten, was sie symbolisieren sollten. Es hat eine Konversation gestartet. „Fahrradfahren reduziert die Überfüllung der Straßen und ist gut für die Umwelt. Es ist gut für deine Gesundheit und es macht keinen Lärm. Die meisten Effekte des Fahrradfahrens sind sehr begünstigend für dich und andere“, sagt Henry. „Radfahrer haben solch einen kleinen Footprint oder nenn es Tireprint , dass wir auf der Straße leicht ignoriert werden. Wenn ein wenig mehr Menschen über Radfahrer nachdenken und ein bisschen vorsichtiger sind, dann hat es sich gelohnt, diese Fotoserie zu erstellen.“

Oklahoma ist in der fahrradfreundlichen Rangliste für die Liga der Amerikanischen Radfahrer 2017 auf Platz 46. Daher ist dies ein Thema, über das wir eine Konversation haben sollten. „Die ganze Sache ist dafür gemacht, um etwas hochzuziehen, sodass wir uns mehr respektieren und vorsichtiger auf der Straße sind.“

Übersetzt aus dem Englischen ins Deutsche von Birgit Puttock Courtesy of the Curbside Chronicle / INSP.ngo