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2016 ¥ 9 Konzept ∂
Inszenierte Arbeitswelten – Kurzfristiger Trend oder Überlebensstrategie? Staged Working Environments – a Short-Term Trend or Survival Strategy? Frank Kaltenbach
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Die Gestaltung von Büroarbeitsplätzen unterliegt seit jeher Zyklen und Trends. Während im angelsächsischen Kulturkreis jahrzehntelang das Großraumbüro vorherrschte, galt im deutschsprachigen Raum das Zellenbüro mit Mittelflur als die Arbeitsform mit der höchsten Akzeptanz. In den 1980er-Jahren folgte der große Umbruch: Mit wissenschaftlich fundierter Beratung von Agenturen wie dem Quickborner Team, Fraunhofer oder Congena hielten zunehmend das aus Skandinavien stammende Kombibüro, das Einzelbüros und Großraum verbindet, sowie der Businessclub Einzug in die Verwaltungsbauten. Ziel war vorwiegend, eine höhere Wirtschaftlichkeit der Immobilie und eine höhere Flächeneffizienz durch tiefere Grundrisse, die durch nonterritoriale Bürokonzepte mit Desksharing noch weiter gesteigert werden konnte. Momentan vollzieht sich ein zweiter Umbruch: Der Trend geht bei großen Firmen eindeutig zurück zum Großraum, allerdings mit einer umfassenden Differenzierung des räumlichen Angebots: Der StandardSchreibtisch ist nicht mehr alleiniger Arbeitsmittelpunkt, er wird ergänzt durch Stehpulte, Hochtische, Loungesessel und Rückzugs bereiche für Einzel- oder Projektarbeit. Erholungsbereiche, ein hochwertiges gastronomisches Angebot, Serviceleistungen von der Reinigung bis zur hausinternen Kinderbetreuung oder Yogakurse bieten eine Rundumversorgung. Arbeitgeber wollen, dass ihre Mitarbeiter eng zusammenrücken – nicht um Platz zu sparen, sondern um die Kommunikation immer komplexer werdender Aufgaben zu maximieren und die Kreativität bei der Entwicklung innovativer Lösungsansätze zu fördern. Seit einigen Jahren werden Büros zunehmend bunter und ähneln eher lockeren Freizeiteinrichtungen als Orten hochkonzentrierter Tätigkeit. 1998 hat Micro soft den »Nine-to-five-Job«, also die feste Arbeitszeit, abgeschafft. In Ergänzung zur »Vertrauensarbeitszeit« hat das Unternehmen 2014 in Deutschland den »Vertrauensarbeitsort« eingeführt, das heißt, der Mitarbeiter kann arbeiten, wo immer er möchte. Sind die jugendlich designten Arbeitswelten mit viel Grün, gesundheitsfördernden und
sozialen Serviceleistungen die Antwort, um die besten Talente ans Unternehmen zu binden und überhaupt wieder zur Arbeit in einem Bürogebäude zu verführen? Sind Lockerheit und Improvisationsgeist heute wichtigere Werte, die externen Besuchern vermittelt werden sollen, als Seriosität und Verlässlichkeit? Jay Chiat und der »Los Angeles-Effekt« Über dem Tisch hängt ein zur Leuchte umfunktioniertes Kanu, junge Mitarbeiter sitzen mit ihren Laptops in ausrangierten Jahrmarkt-Scootern, auf Sesseln aus unendlich vielen Lagen zusammengeklebter Wellpappe oder in der fischbauchartigen Besprechungshöhle aus Sperrholz. Den eigentlichen Hingucker aber bietet das unverwechselbare Portal über dem Eingang: Ein vier Geschosse hohes Fernglas (Abb. 1). Nein, es handelt sich nicht um das neueste Office von Google, Amazon oder Facebook. Das Gebäude wurde 1991 zu einem Zeitpunkt bezogen, als diese IT-Giganten noch nicht einmal gegründet waren. Der Architekt Frank Gehry ist später durch den »BilbaoEffekt« seines Guggenheim Museums weltbekannt geworden. Doch wer war der Visionär dieses weltweit ersten »virtuellen Büros«, der bereits vor 30 Jahren personalisierte Schreibtische aus seiner Firma verbannte, das Papier abschaffen wollte und seinen Mitarbeitern jeden Morgen für die Dauer eines Arbeitstags am Empfangstresen einen Laptop und ein schnurloses Telefon aushändigte, damit sie sich auf die Suche nach einem der begehrten freien Plätze in dieser Abenteuerlandschaft des Interior Designs machen? Jay Chiat, nur wenig älter als sein Freund Gehry, besitzt einen sicheren Instinkt für Trends: Mit seiner sensationellen Werbekampagne »1984« hat er den Mythos des Apple Macintosh begründet und Nike weltberühmt macht. Mit der revolutionären Gestaltung der Firmensitze seiner Werbeagentur Chiat/Day in Los Angeles und New York City wollte er dem »virtuellen Büro« Gestalt und Leben verleihen. Er hat als Erster verstanden, dass die Arbeitswelt der Zukunft nicht mehr wie ein steifer Büro-
bau aussehen darf, sondern informell gestaltet sein muss wie der Campus der Stanford University mitten im Silicon Valley, wo die Kreativsten der Start-up-Generation studierten. Aus heutiger Sicht hat er damit eine Revolution des Büros angestoßen, analog zum Bilbao-Effekt könnte man vom »Los Angeles-Effekt« als Überlebensstrategie für überkommene Bürokonzepte sprechen. Weshalb ist dieser Vordenker unserer Arbeitswelt in Architektenkreisen weitgehend unbekannt? Jay Chiat war seiner Zeit voraus. Kurz nach der Einführung des virtuellen Büros ist er wirtschaftlich gescheitert: Die in den 1990er-Jahren zur Verfügung stehende Kommunikationstechnik war für ein derart radikales Konzept noch nicht ausgereift genug, und der kompromisslose Stil, mit dem er es seinen Mitarbeitern aufoktroyieren wollte, fand wenig Akzeptanz. Unmittelbar nach dem Verkauf seiner Werbeagentur zog der geschmähte personalisierte Schreibtisch wieder in das einstige New Yorker Büro von Chiat/Day ein. Gleichzeitig wurde die obszön provokante Raumgestaltung Gaetano Pesces als exzentrische Verirrung des italienischen »Radical Design« herausgerissen: die glitschigen Türgriffe aus Glibbergel und auch die knallroten schwülstigen Latexlippen, die den Ausgabeschalter der Laptops rahmten. Vom Pilotprojekt zum Mainstream – der »Zürich-Effekt« Eine Dekade ist verstrichen, bis die quietsch bunte Arbeitswelt des »virtuellen Büros« erneut wie ein Paukenschlag auf der Bühne des Interior Design auftaucht: Dieses Mal ist das Enfant Terrible der Schweizer Architekt Stefan Camenzind, der die Fachwelt der Büroplaner vor den Kopf stößt. Camenzind versucht mit seinem atmosphärischen, an Bühnenbilder erinnernden Ambiente den Mitarbeiter aus dem Alltagstrott zu reißen, um ihn zu maximaler Kreativität und Kommunikation zu animieren. Sein Google EMEA Engineering Hub in Zürich ist 2008 das Pilotprojekt für künftige Google-Niederlassungen in aller Welt. Das berühmteste Feature ist eine geschwungene Metallrutsche, auf