Betonblüten am Vorarlberg Museum – Umsetzung einer künstlerischen Idee Concrete Flowers along the Vorarlberg Museum – Realising an Aesthetic Idea Julia Liese
Architekten • Architects: Cukrowicz Nachbaur Architekten, Bregenz Tragwerksplaner • Structural engineers: Mader Flatz ZT GmbH, Bregenz
Außergewöhnliche Fassaden haben Cukrowicz Nachbaur Architekten für das umgebaute Landesmuseum Vorarlberg in Bregenz geschaffen: Eine Vielzahl von unregelmäßig angeordneten, reliefartig hervorstehenden »Blüten« ziert die glatte Sichtbetonhaut und verleiht ihr durch ein lebendiges Licht- und Schattenspiel eine plastische Wirkung mit enormer haptischer Präsenz. Gleichzeitig gibt die Erscheinung Rätsel auf: Während man von Weitem nur gleichförmige Noppen wahrnimmt, offen baren sich bei näherem Hinsehen kreis förmige Erhebungen mit blütenartiger Struktur, die sich als Abgüsse verschiedener PET-Flaschenböden entpuppen. Genau genommen überziehen die Beton blüten nur einen Teil des Vorarlberg Museums, nämlich den Neubau, der sich zum neu gestalteten Vorplatz in Richtung Altstadt orientiert und das alte Museumsgebäude ersetzt (Abb. D). Ein wesentliches Ziel des Umbaus war es, den angrenzenden, zum Bodensee ausgerichteten, denkmalgeschützten Altbau aus dem Jahr 1905 zu integrieren, der vorher als Sitz der Bezirksverwaltung diente und jetzt u. a. die Verwaltung des Museums aufnimmt. Eine Aufstockung des Altbaus um zwei Geschosse lässt die beiden Rücken an Rücken stehenden Gebäudeteile zu einem prismenförmigen Baukörper verschmelzen – nicht zuletzt auch durch die einheitliche Farbgebung von hellem, fast weißlichem Grau. Dabei vermittelt die Aufstockung geschickt zwischen Alt und Neu: Einerseits setzt sich hier der glatte Sichtbeton der Neubaufassade fort – jedoch ohne florales Muster –, andererseits nimmt sie mit Vor- und Rücksprüngen Elemente der historischen Lochfassade auf (Abb. A). Vom Tongefäß zur PET-Flasche Bereits beim 2007 ausgelobten Wettbewerb war der Entwurfsgedanke, die vorgeschriebene »Kunst am Bau« mit dem Bauwerk verschmelzen zu lassen, da aus Sicht der Architekten ein eigenständiges Kunstwerk in Konkurrenz zu den Ausstellungsstücken des Landesmuseums gestanden hätten. Die für den Wettbewerb entwickelte Idee eines Fas-
8
A
sadenreliefs aus Buchstaben bzw. Wörtern wurde bei der Überarbeitung des Entwurfs jedoch wieder verworfen, weil sie zu plakativ erschien. Stattdessen wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Künstler Manfred Alois Mayr die Idee der Flaschenbodenabgüsse entwickelt. Als Inspirationsquelle dienten Fundstücke aus der Sammlung des Museums: Tongefäße aus der Römerzeit, die damals schon in großen Mengen produziert wurden und in den heute gebräuchlichen Getränkeflaschen aus Polyethylenterephthalat (PET) ein zeitgemäßes Pendant finden (Abb. E, F, S. 10). »Quasichaotische« Gesamtordnung An den drei Fassaden des Neubaus bilden dreizehn verschiedene PET-Flaschenbodenmotive ein scheinbar zufälliges Streumuster und wirken in ihrer Gesamtheit wie ein großes Meer aus Betonblüten. Für ihre Anordnung wurde der Schweizer Geometrie-Ingenieur Urs Beat Roth hinzugezogen. Ausgangspunkt war die Frage, nach welcher Ordnung die Tausende von Punkten über die drei Fassaden verteilt werden sollten. Es kristallisierte sich der Wunsch nach einer Mischung aus Systematik und Zufall heraus: Einerseits wurde eine zufällige Ordnung ohne durchgängiges Muster angestrebt, andererseits sollte die konstante Anzahl an Blüten eine gewisse Regelmäßigkeit erzeugen. Aus diesen Vorüberlegungen sowie dem vorgegebenen Schalungsraster von 2 m und den bereits festgelegten Höhenkoten der Betonieretappen entwickelte Urs Beat Roth die Gesamtordnung für ein Schalungsmodul. Diese basiert auf der Fibonacci- Teilung eines 1 ≈ 1-Meter-Quadrats in zwei verschieden große Quadrate und zwei gleich große Rechtecke (Abb. G, S. 10). Im zweiten Schritt ging es um die Anordnung der Betonblüten auf diesen vier Feldern. Aus fünf verschiedenen Vorschlägen des Ingenieurs wählten die Architekten das Ordnungssystem »Domino 13« aus, das sich aus drei Elementen zusammensetzt: kleines Quadrat mit zwei Punkten, Rechteck mit drei Punkten und großes Quadrat mit fünf Punkten. Auf diese Weise enthält jedes große
1 ≈ 1-Meter-Quadrat 13 Punkte. Diese Elemente lassen sich beliebig zu einer unregelmäßigen Struktur kombinieren, die jedoch durch die gleichmäßige Verteilung pro Quadratmeter eine gewisse Systematik aufweist. Zusätzlich achtete der Geometrie-Ingenieur bei der Verteilung der Punkte darauf, dass wiederkehrende Figuren entstanden, wie z. B. eine Ellipse mit Mittelpunkt oder kollineare Punktreihen, welche die einzelnen Schalungsfelder optisch zusammenbinden. Unabhängig davon mussten auch die Anker löcher bei der Anordnung berücksichtigt werden. Insgesamt 16 656 einzelne »Blüten« wurden auf diese Weise über die drei Fassaden des Neubaus verteilt (Abb. K, S. 10). Die größte Schwierigkeit bestand jedoch darin, mit möglichst wenigen Schalungs matrizen auszukommen, da ihre Herstellung aufwändig und teuer ist. Statt unzählige verschiedene Positive zu bauen und von diesen Schalungsmatrizen abzugießen, wurden sämtliche Matrizen als Überlagerung auf einem einzigen großen Positiv entwickelt (Abb. H, S. 10). Letztlich gelang es durch die ausgeklügelte Systematik, mit drei verschiedenen Hauptmatrizen auszukommen, nur für die Fenster- und Randbereiche waren zusätzliche Matrizen erforderlich (Abb. I). Auch die Herstellung der Schalungsmatrizen verlangte eine besondere Vorgehensweise. Üblicherweise werden deren Vorlagen mit CNC-Maschinen aus MDF-Platten gefräst. Aufgrund der Größe der Erhebungen kam dieses Verfahren jedoch nicht in Frage. Stattdessen wurden die PET-Flaschenböden mit Polyurethan ausgegossen und die so hergestellten Positivabgüsse mittels Holzzapfenverbindungen auf einer MDF-Trägerplatte montiert (Abb. N, S. 11). Ausführung mit stehender Schalung Von Anfang an hatten die Architekten die klare Zielvorstellung, dass die Fassade eine monolithische Wirkung – wie aus einem Guss – haben sollte, nicht zuletzt, um Alt und Neu überzeugend zu einem Ganzen zu verbinden. Somit schieden Fertigteile, die sich zwar leicht hätten herstellen lassen, jedoch mit deutlich sichtbaren Fugen hätten