DETAIL 1+2/2016 - Bauen mit Holz (Deutsch)

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Revolution und Kontinuität im Holzbau Revolution and Continuity in Wood ­Construction Stefan Krötsch, Wolfgang Huß

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»Das Grundelement des aktuellen Holzbaus ist konsequenterweise die Platte, nicht mehr der Stab«.1 Mit dieser Aussage formuliert Andrea Deplazes vor 16 Jahren die Erwartung, dass sich der moderne Holzbau durch die Einführung plattenförmiger Bauteile vom bekannten Fügen von Stäben zu einer »Platten-Tektonik« entwickeln werde. Tatsächlich verändert sich der Holzbau um die Jahrtausendwende grundlegend und diese Neuausrichtung ist bis heute prägend. Die neuen Möglichkeiten beflügeln die Fantasie der Planer und wecken verschiedenste Erwartungen – auch im Hinblick auf die sich abzeichnenden ökologischen Anforderungen an das Bauwesen. Der technische Innovationsschub ereignet sich vor dem Hintergrund eines politisch eingeleiteten weltweiten ökologischen Umdenkens, angestoßen vor allem durch die Klimaerwärmung. In der Vorbereitung des Weltklimagipfels 1997 in Kyoto nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle ein und verpflichtet sich in höherem Maß als andere Länder zur Reduktion von Treibhausgasen. Damit gewinnen die ökologischen Qualitäten des Holzbaus – ­zunächst durch die guten Dämmeigenschaften der leichten Bauweise – ebenso an Bedeutung wie der zuvor kaum nachgefragte Rohstoff aus heimischer Forstwirtschaft. Neuerungen und Wiederentdeckungen Vor diesem Hintergrund werden um die Jahrtausendwende einige wegweisende Materialentwicklungen gemacht und bereits bekannte Konstruktionen weiterentwickelt und neuen Anwendungen zugeführt: OSB-Platte: Die OSB-Platte wird in den 1950er-Jahren in den USA aus Abfällen der Furnier- und Sperrholzherstellung entwickelt. Seit den 1990er-Jahren verbreitet sie sich wegen ­ihres niedrigen Preises und der hohen Biegefestigkeit im Holztafelbau auch in Europa. Holz-Beton-Verbunddecke: 1922 erhält Paul Müller für die Entwicklung einer »Decke aus hochkantig stehenden Holzbohlen oder Holzbrettern und Beton-

deckschicht« das erste bekannte Patent für eine Holz-Beton-Verbundkonstruktion im deutschsprachigen Raum. In der Mangelzeit zwischen den Weltkriegen sollen damit die teuren Baustoffe Stahl und Beton in Decken auf ein Minimum reduziert werden. In den 1980er-Jahren wird die Forschung zu dieser Bauweise wieder aufgenommen und führt ein Jahrzehnt später zu einer Vielzahl neu­ artiger Verbindungen und Konstruktionen. Ziel ist dabei nicht mehr Beton einzusparen, sondern Brandschutz- und Schallschutzverhalten sowie die Steifigkeit zu verbessern. Brettstapeldecke: Brettstapeldecken sind damals bereits seit einigen Jahrzehnten bekannt. Doch statt der ursprünglichen Vernagelung der Brett­ lamellen untereinander werden Verbindungen mit schräg eingebohrten, stark getrockneten Dübelstangen aus Hartholz eingeführt. Damit können die Elemente wie Massivholz werkzeugschonend bearbeitet werden. Aus einfachen und kostengünstigen Brettern entstehen Bauteile, die hohe Belastungen bei schlanken Querschnitten und völliger Leimfreiheit ermöglichen.

ontage einer Giebelwand M Hochhäuser mit 6 –10 Geschossen in Flensburg Architekten: Kaden + Lager Wohnhaus »Esmarchstraße«, Berlin, 2008 Architekten: Kaden Klingbeil

ungerader Anzahl kreuzweise miteinander verleimten, dünnen Brettlagen minimiert, sondern gleichzeitig entsteht ein maßhaltiger, berechenbarer und plattenförmiger Baustoff. Seine Abmessungen sind theoretisch undefiniert und nur durch die Gegebenheiten der Fertigungstechnik begrenzt. Brettsperrholz und analog dazu auch das bisher weniger verbreitete Furniersperrund Furnierschichtholz sind statisch hoch leistungsfähig und einfach zu handhaben. Die klassischen Voraussetzungen für den Holzbau – vertiefte Materialkenntnis und Planungsdisziplin – scheinen außer Kraft gesetzt. Furnierschälmaschinen sind ab Mitte des 19. Jahrhunderts verfügbar und ermöglichen die industrielle Produktion von Sperrholz. Das Prinzip wird für immer dickere Lagenwerkstoffe angewendet und nimmt den Weg vom Furnier zum Brett: Deutlich nach der Markteinführung von Mehrschichtplatten erscheint das Brettsperrholz als universelles Element für tragende Wände, Decken und Dächer. Erste Zulassungen erhalten im Jahr 1998 die Produkte KLH in Österreich und Merk Dickholz in Deutschland. Sie stellen ­einen Meilenstein in der Entwicklung des modernen Holzbaus dar.

Hohlkastendecke: Die gegensätzliche Richtung schlägt die Entwicklung des Hohlkastens ein: Der Anisotropie und Linearität in der Lastabtragung wird beim Hohlkasten durch das Zusammenwirken innerhalb des Konstruktionselements begegnet. Durch Verleimung der stabförmigen Rippen mit einer plattenförmigen Beplankung entsteht ein statisch wirksamer Gesamtquerschnitt. Somit werden die notwendige Bauteilhöhe und Rippenquerschnitte reduziert. Die Abmessungen von Hohlkästen werden nur durch die Transportierbarkeit begrenzt. Sie können ebenengleich in zwei Richtungen spannen und punktuell aufliegen.

Unveränderte Erwartungen Seitdem präsentiert sich der Holzbau als ­innovativ, dynamisch und zukunftsweisend. Umso erstaunlicher ist es, dass die fachliche Diskussion damals wie heute von ähnlichen Themen bestimmt ist: •  Mehrgeschossigkeit, urbaner Holzbau •  Hybridbauweisen, Kombination von Konstruktionsmethoden •  gesetzliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen •  Planungs- und Fertigungsprozesse •  Ökologie, Ressourceneffizienz und ­Versorgungssicherheit

Brettsperrholz: Am eindrücklichsten steht die Erfindung von Brettsperrholz für einen epochalen Wandel im Holzbau. Nicht nur die Inhomogenität und Anisotropie des Holzes ist durch die in

Im Jahr 2001 werden in einer Umfrage der Zeitschrift »Zuschnitt« von verschiedenen Architekten folgende Forderungen gestellt: »Den Mischkonstruktionen gehört die Zukunft«2; »Standarddetails müssen entste-


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