DETAIL 10/2015 - Bauen mit Stahl

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Semi-Monocoque aus Aluminium: Media Centre des Lord’s Cricket Ground, London 1999 Architekten: Future Systems 2 Aluminium-Monocoque: Multimedia-Skulptur »Wings« Expo Mailand 2015 Architekten: Studio Libeskind 3 Stahl-Monocoque beschichtet: Martin-Luther-Kirche, Hainburg 2011, Arch.: Coop Himmelb(l)au 4, 5 Edelstahl-Monocoque sandgestrahlt: PorschePavillon, Autostadt Wolfsburg 2012, Arch.: Henn

Monocoques aus Metall – Bewegende Bauten, geschweißt wie ein Schiff Metal Monocoques – Moving Buildings Welded like Ships Frank Kaltenbach

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Bauwerke aus Stahl bestehen traditionsgemäß aus genormten linearen Profilen, die das Tragwerk bilden, und einer nicht tragenden äußeren bzw. inneren raumbildenden Hülle. Diese Trennung von Knochen und Haut ist ökonomisch und bautechnisch sinnvoll, aus rein statischer Sicht ist sie aber ineffizient, da jedes nicht tragende Bauteil als Ballast eine größere Dimensionierung des Tragwerks bedeutet. Monocoques sind dagegen Konstruktionen, bei denen ein innenliegender Rahmen aus Spanten im Verbund mit der ebenfalls tragenden Hülle eine statische Einheit bildet.

bilität ausstrahlen sollen, auch wie Helikopter, Landefähren oder Schiffe konstruiert sein müssen. Das 1999 von ihrem Architekturbüro Future Systems fertig gestellte Media Centre des Londoner Lord’s Cricket Ground ist das weltweit erste als Monocoque komplett in Aluminium realisierte Gebäude und der Vorreiter der aktuellen Monocoque-Anwendungen in der Architektur (Abb. 1). Die Architekten sprechen von ­Semi-Monocoque, da die Hauptlasten des Tragwerks nicht von der Hülle, sondern von den vertikalen und horizontalen Spanten getragen werden und die fugenlose Aluminiumkapsel von zwei Aufzugstürmen aus Stahlbeton durchdrungen wird, auf denen sie in 15 Meter Höhe über der Zuschauertribüne des Cricket-Stadions aufgelagert ist. Die aus den Spanten ausgeschnittenen Innentüren sind wie bei Luken eines Schiffs mit abgerundeten Ecken am Sturz und an der Schwelle gestaltet. Realisiert wurde dieser Pionierbau nicht von Bauunternehmern, sondern von Schiffsbauern – der britischen

Schalentier statt Haut und Knochen Diese hocheffiziente Leichtbauweise hat sich in der Raumfahrt, im Flugzeug- und Fahrzeugbau, vor allem aber im Schiffsbau durchgesetzt. Als Materialien werden faserverstärkte Kunststoffe oder Metalle eingesetzt. Die Analogie zum Außenskelett von Insekten und Schalentieren ergibt sich schon aus der Etymologie: Das griechische mónos bedeutet allein, das französische coque meint Schale, zum Beispiel bei Nüssen oder Muscheln. Bei fahrenden, fliegenden oder schwimmenden Bauten sind komplex geformte Bauteile letztendlich ökonomisch, weil zum Beispiel die strömungstechnisch optimierte »Nase« am Bug eines Schiffsrumpfs einen geringeren Treibstoffverbrauch zur ­Folge hat. Doch welche Vorteile bringen geschwungene Formen in der Architektur? Beim Bauen an Land sind die Herausforderungen freigeformter Flächen oft hausgemacht, eine rein gestalterische Vorliebe einzelner Architekten, der Wunsch ambitionierter Bauherren oder eine modische Erscheinung des Zeitgeists – und dennoch bewegen gerade diese Bauten die Menschen in besonderem Maße: Sei es durch ihre künstlerische Poesie oder indem sie das Vertrauen in eine Zukunft ausstrahlen, in der Hochtechnologie mit Natur harmoniert. Pionierbau von der Schiffswerft Als eine der ersten Architekten waren Jan Kaplicky und Amanda Levete davon überzeugt, dass Bauten, die den Geist von Mo-

Aluminium semi-monocoque: Lord’s cricket ground media centre, London, 1999; architects: Future Systems 2 Aluminium monocoque: “Wings” multimedia sculpture, EXPO 2015, Milan; arch.: Studio Libeskind 3 Coated-steel monocoque: Martin Luther Church, Hamburg, 2011; architects: Coop Himmelblau 4, 5 Sandblasted stainless-steel monoque: Porsche Pavilion, Autostadt Wolfsburg, 2012; architects: Henn Architects

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Werft Pendennis und der niederländischen Firma Centraalstaal. BIM als Innovationsfaktor Was heute unter dem Begriff BIM als neuester Trend propagiert wird, praktizieren Schiffsbauer seit 40 Jahren: 1973 haben sich um Groningen lokale Firmen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um gegen die zunehmende Konkurrenz aus den Billiglohnländern bestehen zu können. Durch die Anschaffung der damals leistungsstärksten Computer haben sie eines der wichtigsten Rechenzentren der Region aufgebaut. Heute ist Centraalstaal Teil der CIG Central Industry Group, die mit dem Programm Nupas CADmatic die gesamte Produktionskette als 3D-Modell abbilden kann, bis hin zu den Maschinendaten für das Plasmaschneiden und das vollautomatische Biegen dicker Stahlbleche. Die Firma spezialisierte sich auf Windkraftanlagen, Wasserturbinen und Schiffe und wurde zum führenden Zulieferer geometrisch komplexer Schiffsbauteile für Superyachten. Um in ­Krisenzeiten der volatilen Schiffsindustrie ein weiteres Standbein im Bauwesen zu errichten, entwickelte Centraalstaal 2007 mit dem Architekten Kas Oosterhuis und der Künstlerin Ilona Lénárd die komplex reliefierte Fassade FZUID aus 6 mm kaltverformtem Aluminium für einen Wohnungsbau in Amsterdam als Pilotprojekt. Seither stammen die meisten der weltweit verbreiteten Monocoques aus Groningen oder dem ­Partnerwerk in Stralsund. Eine der wenigen Ausnahmen ist der dänische Pavillon der Expo Shanghai 2010, den das Team um Bjarke Ingels, Tragwerksplaner Cecil Balmond und Arup Advanced Geometry Unit aus London mit der Konstruktionsabteilung des dänischen Öltanker- und Containerunternehmens Maersk realisiert hat. Von der Stahlplatte zum Schiff Basierend auf dem 3D-Modell des Architekten mit der Geometrie der Hüllfläche ermittelt das Programm Nupas Blechstärken in Abhängigkeit von den Materialkennwerten. Ein Grund, weshalb es nur wenige Anbieter


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