DETAIL 05/2014 Umnutzung, Ergänzung, Sanierung · Refurbishment · Réhabilitation

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Diskussion

1, 2 Stadtpfarrkirche in Müncheberg, Umnutzung zu Bibliothek und Gemeindezentrum, 1997; Architekt: Klaus Block Schnitt Maßstab 1:200 3 Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg, Umnutzung zu »Citykirche«, 1995; Architekten: Architektengruppe Wassertorplatz

1, 2 M üncheberg’s parish church, conversion to library and community centre, 1997; architect: Klaus Block Section scale 1:200 3 Herz-Jesu-Kirche (Sacred Heart Church) in BerlinKreuzberg, conversion to “Citykirche”, 1995; architects: Architektengruppe Wassertorplatz

der Technischen Universität Berlin. Bis 1994 folgen vier weitere Symposien unter gleichem Titel doch mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten.1 Die erste Tagung setzt sich mit den historistischen Berliner Großstadtkirchen auseinander, die allein aufgrund ihres Bauvolumens von den Gemeinden finanziell nicht mehr unterhalten werden können. Doch auch ein anderes Problem wird in der Auseinandersetzung deutlich. Die oft mit mehr als 2000 Sitzplätzen ausgestatteten Gotteshäuser mit ihren engen Bank­reihen »passen« nicht mehr zu der jungen Gemeinde. Dies gilt sowohl bezogen auf ihre Kapazität als auch auf ihre inhaltliche Ausrichtung. Das Kirchengebäude solle, so die Argumentation einiger Referenten, das Bild der Gemeinde widerspiegeln und dies sei mit den gründerzeitlichen Großkirchen nicht gegeben. Der Slogan »Kirche als Agora« macht die Runde.

tesdienstraum von den profanen Nutzungen im Erdgeschoss getrennt wird, realisiert man eine Dekade später in Berlin Multifunktionsräume, für Gottesdienste und jede erdenkliche Form gesellschaftlichen Lebens. Der Begriff der »Citykirche« wird geboren. Ohne dass genau definiert wäre, was darunter zu verstehen ist, wird die evangelische Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg zum Inbegriff einer Citykirche.2 1992 stellt die Zeitschrift »kunst und kirche« ein ganzes Heft unter dieses Thema. In einem Beitrag beschreibt Horst Schwebel, damaliger Direktor des Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg, Citykirchen als Gebäude in denen »ein Spezifikum kirchlichen einschließlich sozialen wie kulturellen Handelns zum Tragen käme«.3 Die baulichen Voraussetzungen für eine solche vielfältige öffentliche Nutzung setzt die Architektengruppe Wassertorplatz bei der Neugestaltung der Berliner Heilig-Kreuz-­ Kirche 1991–1995 konsequent um. Der ein griechisches Kreuz beschreibende Grundriss des mächtigen Baus scheint auf den ersten Blick für eine solche Aufgabe denkbar ungeeignet. Doch die Planer gehen radikal vor. Sie entfernen die komplette Innenausstattung der 1950er-Jahre und lassen den Putz von den Wänden des Ziegelbaus abgeschlagen. Der Großraum, ursprünglich für 1500 Gläubige ausgelegt und nach dem Zweiten Weltkrieg auf 800 Sitzplätze verkleinert, wird umgewidmet zum zentralen Aktionsraum. Durch eingestellte Stahlstege in Höhe der Emporen findet diese neue Mitte unter der mächtigen Kuppel ihren baulichen Ausdruck. Offene Stahltreppen verbinden die Ebenen miteinander. Durch verglaste Stahlelemente entstehen separate Räume unter und auf den Emporen. Darüber, in der Höhe der klarverglasten Fensterrosetten, sind Zuschauerränge angeordnet. Der sonntägliche Gemeindegottesdienst soll zukünftig im östlichen Kreuzarm stattfinden. Neben der Bestuhlung ist auch der Altar mobil und wenn er stört wird er herausgeschoben. Im ausgebauten Dach, das durch Firstlichtbänder natürlich belichtet ist, entsteht ein Großraumbüro. Der zweite Fluchtweg wird durch

Der Marktplatz oder die multifunktionale Nutzung Als Beispiele für vernachlässigten Bauunterhalt nimmt man Kirchengebäude in den Fokus, die in der Folge eine Umbaumaßnahme erfahren. So wird die 1885 –1888 nach Plänen von Johannes Otzen errichtete HeiligKreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg ebenso erwähnt wie die Lutherkirche in Berlin-Spandau. Beide werden Mitte der 1990er-Jahre umgestaltet, wobei sowohl eine Öffnung für außerliturgische Nutzungen als auch die Umgestaltung des Innenraums als Ausdruck eines neuen Gemeindeverständnisses im Vordergrund stehen. Bereits 1978 –1982 hatte man die evangelische Apostelkirche in Hamburg-Eimsbüttel nach einem Brand wiederaufgebaut und ­dabei Gemeinderäume, Büros und eine Cafeteria integriert. Die Idee der Agora manifestiert sich dort bereits zehn Jahre vor den »Berliner Gesprächen« als tiefergelegtes ­oktogonales Forum mit umgrenzenden Sitzstufen, das der Architekt Bernhard Hirche als zentralen, alle Funktionen erschließenden Eingangsbereich entwirft. Doch während in Hamburg durch eine massive Betondecke der im ersten Obergeschoss gelegene Got-

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einen 27 m hohen verglasten Stahlturm gewährleistet, der die Veränderung des Gebäudes deutlich nach außen abbildet. Die Baukosten betragen 23,1 Mio. DM. 1995/96 schließlich erfolgt die Umgestaltung der 1895/96 errichteten Lutherkirche in Berlin-Spandau, nachdem 1981 der Wettbewerbsentwurf der Architekten Oefelein und Freund aufgrund eines Investitionsvolumens von über zehn Mio. DM gescheitert war. Der schließlich umgesetzte Entwurf des Architekten Dieter Ketterer sieht neben einem verkleinerten, multifunktionalen Gottesdienstraum, der ca. ein Drittel der Grundrissfläche einnimmt und für 250 Besucher ausgelegt ist, die Errichtung von insgesamt sechs Dreiund drei Einzimmerwohnungen in den neu geschaffenen Obergeschossen im Westteil des Gebäudes vor. Unter den Wohnungen liegen Begegnungszentrum, Küche, Sanitäranlagen, Nebenräume und Gemeindebüro. Der Umbau kostet 7,5 Mio. DM. Gerhard Matzig diagnostiziert in der Publikation ­»Kirchen in Not«: »Einerseits sind hier Sozialwohnungen entstanden, die mit Sicherheit zu den teuersten des Landes gerechnet werden dürfen – andererseits könnte man sich zu diesem Preis auch etwas anderes vorstellen als verschnittene, hineingeklemmte Wohnungen mit ungünstiger Belichtung in einer für ein Miethaus grotesk sich ausnehmenden exponierten Lage«4. Der Ausbau einer Kirche zu Sozialwohnungen muss sowohl ökonomisch wie auch denkmalpflegerisch hinterfragt werden. Dennoch ist die Lutherkirche in Berlin-Spandau kein Einzelfall. ­Erklären lässt sich die Verwendung von Großkirchen für Wohnzwecke nur durch ein Thema, das in den 1990er-Jahren den öffentlichen Diskurs bestimmt: Die Angemessenheit einer neuen Nutzung. Die angemessene Nutzung In der Folge des 20. Evangelischen Kirchbautags unter dem Thema »Evangelium und Kultur« 1989 in Wolfenbüttel gibt der Arbeitsausschuss die »Wolfenbütteler Empfehlungen an die Gemeinden« heraus. Darin heißt es: »Können Kirchen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht mehr gehal-


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