Vorwort
Der Baustoff Beton ist ein bemerkenswerter, aber bei aller Präsenz meist eher unscheinbarer Teil unserer gebauten Umgebung, häufig verborgen in Tragwerken, Fundamenten und ähnlichen Gebäudeteilen. Jedoch: Gelegentlich fällt er auf durch eine Architektur, die sich seine stofflichen Eigenschaften zunutze macht, glatte Sichtbeton- oder bewusst grob gehaltene Oberflächen inszeniert, mit Strukturen spielt oder scheinbar unbaubare Visionen Realität werden lässt. »Beton ist überall«, was gelegentlich in aphoristischer oder prosaischer Verkürzung beklagt wird, wenn Gedanken an Bausünden aus der jüngeren Vergangenheit erwachen. Dabei schreibt der Baustoff Beton zunächst wenig vor in puncto Anwendung. Er hat eine eigene Stofflichkeit, aber bringt von sich aus keine Gestalt oder Textur mit – im Gegenteil: Beton birgt eine Menge Potenzial, das genutzt werden will. Aber Beton polarisiert auch wie kein anderer Baustoff, denn es gibt ihn, bei aller Unscheinbarkeit, zu oft und überall, um ihn zu übersehen oder zu ignorieren. Gleichsam ist seine Bedeutung in allen globalen Gesellschaften und Volkswirtschaften essenziell für den jeweiligen Status von Entwicklung und Prosperität. Was Beton global betrachtet bedeutet, wird rasch deutlich, wenn wir versuchen, uns unsere gebaute Welt ohne Beton vorzustellen: Technisch und wirtschaftlich ist er kaum durch Gleichwertiges substituierbar. Die heutige Betonbauweise ist das Ergebnis einer ständig fortschreitenden und dabei gegenseitig voneinander abhängigen Entwicklung von Baustoff und Bauverfahren, wie sie bisher bei keiner anderen Materialanwendung im Bauwesen stattgefunden hat. Bauingenieure befassen sich in der Ausbildung vornehmlich mit Betonbautechnik und -technologie, das Architekturstudium hingegen vermittelt über die tragwerksbezogenen Grundlagen hinaus eher die haptisch-sinnlichen Seiten des Baustoffs. Diese unterschiedliche Betrachtungsweise hat disziplinäre und historische Gründe – und das wird sich bei aller erkennbarer Bewegung in den beiden
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Ausbildungsbereichen in absehbarer Zeit wahrscheinlich auch nicht grundlegend ändern. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen zweier Berufsstände, die sich im Grunde genommen mit demselben Thema beschäftigen, zeigen den Bedarf nach mehr interdisziplinärer Zusammenarbeit und Kommunikation in einer einfachen und allgemeingültigen Fachsprache und Begrifflichkeit. Das Angebot an spezifischer Fachliteratur zum Bauen mit Beton für die Architekten ist jedoch eher überschaubar, was die Suche nach Rat zur Lösung aktueller Herausforderungen oder auch die Fortbildung erschwert. Das vorliegende Werk bietet in diesem Sinne ein Kompendium, das in der Auswahl der Inhalte und in der Art der Darstellung vor allem Architekten den aktuellen Stand von Technik und Technologie zur Betonbauweise übersichtlich und in verständlicher fachlicher Breite aufspannt und erläutert. Die Anwendung von Beton und anderer zementgebundener Baustoffe hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich erweitert, sodass ein vollständiger Blick über die Potenziale der Betonbautechnik in diesem Rahmen unmöglich ist. Vielmehr geht es um die grundsätzliche Darstellung der wesentlichen Aspekte und Anwendungsbereiche mit ihrem technischen und regelwerksformellen Hintergrund. In der Reihe der Konstruktionsatlanten der Edition DETAIL nimmt der »Beton Atlas« von Kind-Barkauskas, Kauhsen, Polónyi und Brandt (2001/2009) einen festen Platz ein. Neben der ausführlichen geschichtlichen Einführung und einem umfassenden Grundlagenteil stehen dort vor allem der klassische Ingenieurbau und die grundlegenden Konstruktionen im Mittelpunkt. Der »Atlas Moderner Betonbau« setzt auf qualitative Kontinuität und inhaltliche Erneuerung im Sinne der veränderten Anforderungen an Architekten. Mit Blick auf die heutigen Ansprüche an Architektur und Planung wurden die Schwerpunkte des Buchs verstärkt auf den Hochbau und die entsprechenden Möglichkeiten der Gestaltung mit dem Baustoff Beton gelegt – insbesondere mit Blick auf seine im Ingenieurbau eher zurückstehenden haptisch-