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Gastkommentar

Vielfalt. Bergsportkleidung im Alpinen Museum

Rund fünfhundert Objekte lassen sich im Alpinen Museum der Rubrik Kleidung zuordnen. Was ist das Besondere daran und was sagen sie aus?

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Zuerst einmal fällt die Zahl der Schuhe in der Sammlung des Alpinen Museums auf. Rund hundert Paare be nden sich in unserem Depot. Wieso ausgerechnet Schuhe? Ein Blick auf drei Paar Damenbergschuhe aus den 1920er Jahren verdeutlicht dies. Alle drei sind aus robustem Leder, gehen aufwendig bis weit über den Knöchel und sind aus dicken, mehrlagigen Ledersohlen gefertigt. Zudem weisen sie an den Sohlen Eisenbeschläge auf, die die Schuhe widerstandsfähiger und im Geröll rutschfester machten. Solche Schuhe waren Spezialanfertigungen für Bergtouren und in der Stadt nicht zu gebrauchen, teuer in der Anscha ung und wurden, anders als heute, wohl oft nur einmal im Leben gekauft. Sie wurden mit Wachs und Fett gep egt, gerissene Schnürbänder ausgewechselt, verlorengegangene Eisenbeschläge, die Schuhnägel, neu in die Sohlen geschlagen. Diese Schuhe machten sehr oft sehr viele Touren mit und waren damit nicht nur unentbehrlicher, vielleicht langlebigster Bestandteil jeder Bergausrüstung sondern auch Erinnerungsstücke an die Touren eines ganzen Bergsteiger*innenlebens. So wurden die Schuhe im Bild rechts, nachdem die Besitzerin sie bei Schuhmeister Blanz in Hindelang erstanden hatte, über fünfzig Jahre getragen. Der Schenker schrieb für das Museum auf, dass seine Mutter mit ihnen Touren im Verwall, im Rätikon, in der Silvretta, auf dem Dachstein, an der Roten Wand, im Steinernen Meer, im Stubai, im Zillertal und in den Dolomiten unternommen hatte.

Doch noch ein anderes Detail fällt bei der Betrachtung der drei Paar Schuhe auf. Das mittlere und linke Paar der drei Paar Damenbergschuhe hat höhere Absätze als wir sie heute von Bergschuhen kennen und es auch damals für Herrenbergschuhe üblich war. Sie sind überdies wie zeitgenössische Damenstiefeletten schlank und elegant geschnitten und weisen an der Kappe Reihen mit dekorativen Lochverzierungen, das sogenannte Karlsbader oder Budapester Muster, auf. Mit der Vorstellung, dass Kleidung für Bergsteiger*innen erst in heutiger Zeit von Moden geprägt ist, räumen diese drei unscheinbar wirkenden Paar Schuhe auf. Natürlich musste Bergbekleidung funktional sein, doch aktuelle ästhetische Vorlieben und – in diesem Falle – zudem geschlechtsspezi sche Vorstellungen von Kleidung lassen sich selbst hier feststellen.

Textilbekleidung wie Jacken, Hosen oder Hemden nden sich nicht so zahlreich in unserer Sammlung. Sie gehen schneller kaputt und werden ersetzt. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Anorak von Emma Belmer. Die Münchner Lehrerin, wohl seit den 1920er Jahren Mitglied im Alpenverein, ließ sie ihn sich von einer Schneiderin nähen. Die rostrote Jacke aus Baumwollpopeline mit beigen Längsstreifen, kleinem Kragen und gera tem Ärmel sieht modisch hochaktuell aus. Vielleicht hatte die Schneiderin dabei auf ein Schnittmuster für Sportmode zurückgegri en, wie sie beispielsweise die Deutsche ModenZeitung aus Leipzig vertrieb. Emma Belmer jedenfalls trug diese Jacke noch bis in die 1950er Jahre beim Skifahren.

Emma Belmers Tochter vermachte die Jacke vor einigen Jahren zusammen mit der restlichen Ausrüstung ihrer Eltern dem Alpinen Museum. Mit dabei war auch eine „Skihose“ ihres Ehemannes. Es handelt sich um eine normale Baumwollhose, die dank Falten und Gummibändern an den Knöcheln in eine Keilhose verwandelt wurde, in die von unten kein Schnee eindringen konnte. An dieser Hose wird noch etwas anderes deutlich, das die Bergkleidung von Beginn an bestimmte: Neben Funktion, Sinn für Mode und persönlichem Geschmack bestimmten auch Einfallsreichtum, Improvisation und der individuelle Geldbeutel die Bekleidung für die Berge. Das, was die Menschen beim Bergsteigen und beim Bergsport tragen, war und ist vielfältig. Das wünsche ich mir auch für die Zukunft. Sicherlich nehmen die Sammlungsverantwortlichen im Alpinen Museum dann in dreißig Jahren nicht nur die superinnovativen Leggings zum Klettern auf, sondern auch das T-Shirt, das vorm Wandern schon eine mehrjährige Geschichte als Teil der normalen Alltagskleidung eines*r Bergsportler*in hatte.

Friederike Kaiser, Kunsthistorikerin, ist seit über zwanzig Jahren Leiterin des Alpinen Museums und Mitglied der DAV-Geschäftsleitung. Die gebürtige Niedersächsin kam zum Studium nach München und hat seitdem die Leidenschaft für das platte Norddeutschland mit der für die Berge ausgetauscht. Ihre Leidenschaft sind seit vielen Jahren Hochtouren, egal ob im Sommer oder im Winter.

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