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SALZBURGER KULINARIK

Sanfte Lämmer, wilde Seen und verwöhnte Höflinge

Gerade einmal zwei Stunden dauert die Fahrt mit dem Auto von Salzburg nach Villach. Man durchquert dabei eine beeindruckend alpine Landschaft voller hoher Berge und tiefer Schluchten, die allerdings durch lange Tunnel und kühne Brücken reisefreundlich gezähmt wurden. In früheren Jahrhunderten war der Weg weitaus beschwerlicher – doch er wurde deshalb nicht weniger fleißig begangen und befahren.

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Tatsächlich führt eine der ältesten und wichtigsten NordSüd-Verbindungen Europas über die Alpen bis an die Adria, und diese Tatsache hat die Kulinarik des Landes ganz wesentlich geprägt. Schon zur Zeit der Römer, als die Stadt an der Salzach noch Iuvavum hieß, war die sogenannte Via Iulia Augusta eine viel befahrene Handelsstraße. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit kamen auf diesem Weg erlesene Güter aus den italienischen Häfen nach Salzburg. Dort regierten selbstbewusste Fürsterzbischöfe, die aus ihrer Residenz ein höfisches Zentrum machten. Vor allem in der Zeit der Renaissance und des Barock standen Kunst und Kultur in hoher Blüte. Und natürlich lebten die reichen Adeligen ihren Hang zu verfeinerten Genüssen auch an der täglichen Tafel aus. Händler brachten ständig Nachschub aus Aquileia und Venedig, von dem auch die Marktstädte und Gemeinden entlang der Route profitierten, wie Radstadt, Bischofshofen, Werfen und Hallein. Reiche Bürger und Adelige bemühten sich, es dem Hof in Salzburg gleich zu tun, man tischte erlesene Gerichte auf, versuchte einander mit kunstvollen Pasteten, gefüllten Pfauen und kostbaren Zuckerspeisen zu übertrumpfen.

Aber natürlich lebten nicht alle im Land so üppig. In den entlegenen Alpentälern des

Was hat die Salzburger Kulinarik geprägt? Karge Alpentäler mit hoch gelegenen Almen, fischreiche Flüsse und Seen, und ein fürstlicher Erzbischof, der üppig Hof hielt.

Text: Karin Schnegdar

Der alte Handelsweg über die Alpen bis an die Adria hat die Entwicklung der Salzburger Kulinarik im Laufe der Jahrhunderte wesentlich beeinflusst.

Pinzgau, im Gasteinertal oder im Lungau herrschten weit kargere Bedingungen. Ein großer Teil des Landes war bis weit ins 19. Jahrhundert überwiegend auf Almwirtschaft angewiesen. Milch und Milchprodukte wie Butter, Käse oder Schotten (eine Art Sauermilchtopfen) standen regelmäßig auf dem Speisezettel der Bevölkerung. Wenn Tiere geschlachtet wurden, achtete man sorgsam darauf, möglichst viel an kostbarem Fleisch für den Winter haltbar zu machen, weshalb geräucherter Speck und Hartwürste in allerlei Rezepturen erfunden wurden. Das ist die zweite tragende Säule der Salzburger Kulinarik: Gerichte aus der Tradition von Almbauern, die uns heute raffiniert erscheinen, damals aber eher aus den Zwängen einer kargen Lebenssituation erdacht wurden, wie Schottensuppe, Lungauer Speckknödel, Pinzgauer Kasnocken. In vielen Almhütten und Bergrestaurants ist diese Küche – meist in verfeinerter Form – weiter lebendig, etwa im Winterstellgut im Lammertal (Pongau) oder im Forsthaus Wartenfels hoch über dem Fuschlsee.

Eine dritte Besonderheit der Salzburger Landschaft ist ihr Wasserreichtum, der auch eine üppig sprudelnde Quelle an Fischen darstellt. Die Seen –vor allem im Salzkammergut und im Flachgau – waren von alters her ebenso ergiebige Nahrungsbecken wie die zahlreichen Flüsse. Heute sind es vor allem Forellen, Saiblinge und Reinanken, die von den Fischern aus dem Wasser geholt (und sehr oft auch vorher dort gezüchtet) werden. Früher kamen zu den Fischen auch noch Krebse als bedeutender Schatz der alpinen Gewässer hinzu. Edelkrebse von bis zu 20 Zentimeter Länge tummelten sich zu Tausenden in den heimischen Gewässern und galten als billige Volksnahrung, ehe im 19. Jahrhundert eine eingeschleppte Pilzkrankheit nahezu die gesamte Population ausrottete. Heute werden sie vereinzelt wieder gezüchtet, doch damals waren sie so zahlreich, dass sich die Fürsterzbischöfe Sigismund und Hieronymus jährlich 14.000 Stück aus dem Zeller See liefern ließen, wie alte Abrechnungen zeigen.

Wer den Reichtum der kulinarischen Traditionen Salz-

PINZGAUER KASNOCKEN

Zutaten

• 400 g Mehl • ¼ l Wasser • 3 Eier • Salz • 200 g Bergkäse • 1 Zwiebel • 2 El Butter • 2 El Schnittlauch, fein geschnitten

Zubereitung

Die Eier in einer Schüssel mit 1 Tl Salz kräftig verrühren. Dann nach und nach das Mehl einstreuen sowie das Wasser dazugießen und alles gut vermischen. So lange rühren, bis ein geschmeidiger weicher Teig entsteht.

Einen großen Topf mit gesalzenem Wasser zum Kochen bringen. Den Teig durch ein Spätzlesieb drücken. Aufkochen lassen. Sobald die Nocken alle oben schwimmen, durch ein großes Sieb abgießen und abtropfen lassen. Währenddessen den Bergkäse grob reiben. Die Zwiebel schälen, halbieren und in Streifen hobeln.

Butter in einer großen Pfanne heiß werden lassen. Die Zwiebel darin bräunen. Die Nocken zufügen, gut umrühren und anbraten. Dabei mehrmals wenden.

Den geriebenen Käse unter die Nocken mengen, bis er Fäden zieht. Mit Schnittlauch bestreuen und servieren. TIPP: Man kann die Kasnocken zusätzlich mit Röstzwiebeln bestreuen. Dazu passt auch grüner Salat.

burgs verstehen will, muss also diese drei historischen Voraussetzungen im Auge behalten: Es handelt sich erstens um ein Land der Flüsse und Seen, zweitens aber auch um eine Hochgebirgsregion mit vielen früher schwer zugänglichen Tälern und hoch gelegenen Almen. Drittens aber war die Hauptstadt höfisches Zentrum, das vor allem im 16. und 17. Jahrhundert dem Prunk von Städten wie Wien oder Florenz in nichts nachstand. Der durchaus weltlichen Lebenslust der geistlichen Herren ist es zu verdanken, dass uns heute beim Gedanken an Salzburger Kulinarik hauptsächlich Gerichte von barocker Üppigkeit einfallen. Die Salzburger Nockerln zum Beispiel, die einer Laune von Salome Alt entsprangen, ihres Zeichens Lebensgefährtin von Fürsterzbischof Wolf Dietrich, der von 1587 bis 1612 als Landesherr regierte. Ja genau, Lebensgefährtin. Die Gottesmänner durften zwar wegen des Zölibats nicht heiraten, das Gebot der Keuschheit nahmen sie aber nicht so wörtlich. Wolf Dietrich und Salome hatten nicht weniger als 14 Kinder.

Von ihrer herrschaftlichen Wohnung in der SigmundHaffner-Gasse aus konnte Simone Alt den Mönchsberg, den Gaisberg und den Kapuzinerberg sehen, und diesen Anblick wünschte sie sich auch auf ihrem Dessertteller. So soll jene aus drei Eischnee-Hügeln bestehende Süßspeise entstanden sein, die – mehr noch als die Mozartkugeln – zum Wahrzeichen der SalzachMetropole aufgestiegen ist.

Auch den Salzburger Braten kann nur ein Koch erfunden haben, der sich bei den Zutaten keinerlei Beschränkung auferlegen musste. Saftige Schweinsbrust wird mit Wurstbrät, Schinken und Speck gefüllt und beim langsamen Schmoren im Rohr immer wieder mit Bier aufgegossen. Das Brauen war nämlich ebenso eine Leidenschaft der Salzburger, auch wenn an der höfischen Tafel „welscher“ (also italienischer) Wein aufgetischt zu werden pflegte. Die Brautradition ist bis heute quicklebendig. Das SalzburgerLand darf sich rühmen, Heimat einiger exzellenter Brauereien zu sein, die auf ihre regionalen Traditionen Wert legen. Zwei Braustätten, deren Geschichte mindestens 400 Jahre zurückreicht, seien stellvertretend für viele genannt: die Trumer Privatbrauerei und die Stiegl-Brauerei mit ihrer nicht minder geschichtsträchtigen Tochter, dem Augustiner Bräu Kloster Mülln.

Einen schönen Einblick in die Schlemmereien dieser Zeit gibt das „Saltzburgische Kochbuch für hochfürstliche und andere vornehme Höfe“, verfasst 1719 von Conrad Hagger, der unter mehreren Fürsterzbischöfen als Leibkoch diente. Über 2500 Rezepte versammelt er in diesem Werk, darunter so bodenständige wie geräucherte Ochsenzungen („Man haengt sie so auff, daß sie von dem Rauch und nicht von der

FORSTHAUS WARTENFELS

WINTERSTELLGUT

Den Salzburger Braten kann nur ein Koch erfunden haben, der sich bei den Zutaten keine Beschränkungen auferlegen musste.

Hitz gar werden. So seynd sie in 3. biß 4. Wochen fertig.“), aber auch französisch inspirierte Gerichte wie „Godiveau vom Kalbs-Stängel“ (Godiveaux sind Nockerln aus Fleischoder Fisch-Farce) oder mit Austern gefüllte Kapaunen. Berühmt wurde sein Rat, ein zerteiltes Huhn in Semmelbröseln zu wälzen und dann in Butter zu braten – eine Frühform des Backhendls und ein Beweis, wie weit zurück die Tradition des Panierens hierzulande reicht.

Und sie hat immer noch Bestand. Über die beste Adresse für paniertes Huhn in der Mozartstadt und ihrer Umgebung lässt sich deshalb auch trefflich streiten. Unzweifelhaft liegt wohl der Gasthof Brandstätter im Spitzenfeld, ein prachtvoller weiß getünchter alter Bau mit hölzernen Balkonen und sonnigem Garten. Der Bärenwirt in der Müllner Hauptstraße, eher ein Hort der deftigen Küche, behauptet von

SENNS RESTAURANT

sich selbst, das „beste Backhendl Österreichs“ zu servieren – und viele Gäste sind geneigt, ihm da zuzustimmen. Immer noch als Geheimtipp gilt ein Standl mit dem Namen „Mag. Gurtner's Backhendl“: Jeden Samstag kann man auf dem Grünmarkt im Stehen unverschämt knuspriges Geflügel vom Papierteller verzehren. Wer will, holt sich ein Glas Champagner von der Delikatessenhandlung Azwanger . . . Alpine Kost mit viel Speck und Käse ist ebenso typisch für das Land wie die Fische aus Flüssen und Seen.

Nach den modernen Erben der verfeinerten Küchentradition muss man nicht lange suchen, denn im ganzen Bundesland ist die Dichte an Spitzenrestaurants beeindruckend. Das Haus der Brüder Rudi und Karl Obauer in Werfen gehört seit mittlerweile 30 Jahren zu Europas Top-Adressen. In Golling verfolgt Andreas Döllerer das ehrgeizige Ziel, eine alpine Regionalküche auf internationalem Niveau zu kreieren. Andreas Senn hat sich einem modern-kreativen Stil verschrieben, passend für das jugendlich-schicke Publikum, das den GusswerkKomplex im Norden der Stadt außerhalb von PandemieZeiten frequentiert. Und natürlich gibt es da auch noch das Ausnahmeprojekt Ikarus, wo monatlich ein anderer Starkoch aus den unterschiedlichsten Winkeln der Welt gastiert.

Wer Appetit auf Fisch kriegt, fährt am besten zu einem der Seen im Umland. Der Wolfgangsee liegt nahe, Mattsee und Obertrumer See ebenfalls. Der Winkler in Neumarkt am Wallersee genießt beinahe

WINKLER AM WALLERSEE

Kultstatus mit seinen Forellen, Zandern und Reinanken, die größtenteils direkt aus dem See vor der Tür kommen und puristisch in Butter gebraten mit Petersilerdäpfeln auf den Tisch kommen.

Ganz ohne Naturgewässer kommt Walter Grüll in Grödig aus, das liegt gleich im Süden der Stadt hinter Anif. Grüll war weltweit einer der ersten, der es schaffte, Störe in großen Becken zu züchten und auf diese Weise Kaviar zu produzieren, der in der Qualität dem Beluga aus dem Kaspischen Meer in nichts nachsteht.

Fische gibt es natürlich auch im Hochgebirge, oder zumindest am Fuß der Berge. Davon kann man sich rund um den Zeller See ein Bild machen, zum Beispiel in Restaurants wie dem Erlhof, dem Restaurant Seensucht im Hotel Bellevue oder in Mayers Restaurant im Schloss Prielau. Aber eigentlich befinden wir uns hier bereits im Herzen des Pinzgau, gleichsam in Sichtweite des Großglockners, also in einer Region der langen, kalten Winter, wo es auch früher kaum Felder für Getreide- oder Gemüseanbau gab, dafür aber viele Almen und Viehweiden. So ziemlich das einzige Grundprodukt, das stets in ausreichender Menge zur Verfügung stand, war die Milch von Kühen, Schafen und Ziegen – und das, was die Senner und Bäuerinnen daraus machten, nämlich Butter, Topfen und Käse.

Oder auch der bereits erwähnte Schotten, eine intelligente Restlverwertung aus Molke (die beim Käsemachen anfällt) und der Buttermilch, die zurückbleibt, wenn der

SCHOTTENSUPPE

Zutaten

• 1 l Gemüsesuppe • 150 g hartes Schwarzbrot • 250 g Schotten • 150 ml Sauerrahm Zubereitung

• Salz • Pfeffer aus der Mühle • Kümmel, gemahlen

Schwarzbrot grob zerbrechen, in der Gemüsesuppe weich kochen. Dann mit dem Mixstab pürieren und erneut aufkochen. Die Schotten mit dem Sauerrahm verrühren und in die heiße Suppe einrühren. Nicht mehr aufkochen! Mit Salz, Pfeffer und Kümmel abschmecken. Eventuell mit Kräutern und Brotwürfeln garnieren. TIPP: Schotten sind außerhalb Salzburgs schwer erhältlich. Man kann sie durch Topfen ersetzen.

Süßrahm abgeschöpft und zu Butter gerührt wird. Die einstige Arme-Leute-Speise wird heute als Pinzgauer Rarität geschätzt. Man kann sie als Reibkäse verwenden oder daraus die traditionelle Schottensuppe herstellen, die dereinst vielen Milchbauern an langen Winterabenden den Leib wärmte. Dem Prinzip, dass nichts weggeworfen werden darf, folgen auch die im ganFische gibt es natürlich auch im Hochgebirge, oder zumindest am Fuß der Berge.

zen Land verbreiteten Bauernkrapfen, die aus Germteig oder auch aus Roggensauerteig hergestellt und vor dem Backen in Schmalz so geformt werden, dass sich oben eine Mulde bildet. Die wird dann mit dem gefüllt, was gerade da ist: Sauerkraut, Erdäpfelgröstl, Schwammerln – oder aber Marmelade, Apfelmus und Beerenkoch. Kasnocken und Kaspressknödel, zwei andere Erben des Einfallsreichtums eines nicht mit Reichtum gesegneten Bergvolks, gehören heute zu den Standards auf jeder Skihütte.

Im Lungau am östlichen Rand des SalzburgerLandes gibt es für Liebhaber von Raritäten immer noch viel zu entdecken. Eine lokale Spezialität nennt sich Hasenöhrl. Es handelt sich um Fleckerln aus Nudel- oder Kartoffelteig, die nicht gekocht, sondern in Fett schwimmend gebacken werden. Man serviert sie pikant mit Sauerkraut oder süß mit Staubzucker. Eachtlinge sind eine nur hier wachsende, besonders feine Sorte Kartoffeln. Sie werden unter anderem mit Wurzelgemüse, Zwiebeln und Lammfleisch zu einem Ragout geschmort – dem berühmten Lungauer Schöpsernen.

Um die besten Schafe dafür zu finden, lohnt es sich, wieder in den Pinzgau zu fahren, wo auf den Almen des Nationalparks die Tauernlämmer grasen. Der Name ist als Marke geschützt, das Fleisch weit über Salzburg hinaus begehrt. Die Lieferung von den alpinen Höhen in alle Welt stellt kein Problem dar. Mit Handelswegen hat man ja in Salzburg seit 2000 Jahren Erfahrung.

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