Krone, Angelika; Niedernolte, Imke (Hg.): Zeit, sich vom Göttlichen berühren zu lassen

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Zeit, sich

VOM GÖTTLICHEN berühren zu lassen

250 Texte zum Innehalten

© Claudius Verlag München 2025

Claudius Verlag im Evangelischen Presseverband für Bayern e.V.

Birkerstraße 22, 80636 München

Tel. 089/12172-119 www.claudius.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an claudius@epv.de

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München unter Verwendung von: rawpixel.com – Freepik.com

Lektorat: Stenger & Rode GbR, München

Gesetzt aus der Adobe Garamond Pro und Tekton Pro Notensatz: prima nota GmbH, Korbach

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-532-62911-6

Vorwort

Ein Schatz, den man nicht verteilt, ist wahrscheinlich gar kein Schatz. Mir ist immer wieder zugetragen worden, dass es schön wäre, die spirituellen Texte, die ich zu gemeinsamen Treffen mit christlichen Meditationen über all die Jahre herausgesucht habe, nachlesen zu können und sich länger davon begleiten zu lassen. Sie seien eine hervorragende Einstimmung zur Meditation und zum Innehalten. So sei es einfacher, sich vom Alltagserleben und von den einnehmenden Alltagsgedanken abzuwenden und sich der Kontemplation, einem persönlichen Moment spiritueller, innerer Begegnung zuzuwenden. Mit ihnen könne man sozusagen einen anderen Raum betreten und dort die Gemeinschaft mit Mystikern, Menschen auf dem spirituellen Weg aus ferner Zeit, naher Vergangenheit und der Jetzt-Zeit finden.

Anfangs nur von meinem Sohn unterstützt, habe ich lange die Mühen gescheut, die notwendig waren, um diesen dicken Stapel an handgeschriebenen Zetteln auch anderen zugänglich zu machen. Und doch war da immer eine leuchtende Spur gelebter Kontemplationstreffen, ein besonderer, noch ungehobener Schatz. Erst in den Zeiten von Corona ist es mit einer Gefährtin auf dem Weg, Imke Niedernolte, gelungen, die Arbeit tatkräftig anzugehen. In beseelenden Zusammenkünften tauchten wir noch einmal in all die Zitate ein, tippten, sichteten und ordneten nach Themen.

Solche Zitatsammlungen für die Meditation sind eher selten zu finden, obwohl sie für die Übenden von großem

Wert sind. Durch den gelebten Hintergrund der hier versammelten Zitate eröffnet sich eine besondere Tiefe sowie auch die Ernsthaftigkeit eines beschreitbaren Wegs. Die Texte sind von ganz unterschiedlichen Autorinnen und Autoren, sodass die Sammlung eine große Vielfalt bietet mit einem Reichtum an verschiedenen Bildern, Stilen, Perspektiven und Zeiten.

Verschiedene Zugänge erhöhen bei denen, die sich neu annähern, die Chance, dass sich ihnen ein Tor auftut, von wo aus es weitergeht. Denjenigen, die schon erste Erfahrungen gemacht haben, bietet es Erweiterung, Vertiefung und die Möglichkeit, immer wieder nächste Schritte auf dem inneren Weg zu gehen, gerade wenn es holpert oder man plötzlich erstaunt auf eine mehr oder weniger lange Zeitspanne zurückblickt, in der man das Innehalten wieder ganz vergessen hat und sich komplett vom Trubel der Welt hat mitreißen lassen. Die schon lange auf dem Weg sind, werden den Nutzen so einer Sammlung sofort erkennen, wissen sie doch, dass es auf dem spirituellen Weg auf der einen Seite Texte braucht, die uns sofort ansprechen, etwas in uns in Resonanz versetzen, aber auf der anderen Seite eben genau auch solche Texte, bei denen wir fragend zurückbleiben, die vermitteln, dass es noch mehr zu beleuchten gibt, die auch wieder aus Eingefahrenem herausholen, uns auf dem Weg nicht alleine gehen lassen, uns aber nie die Mühe abnehmen, in die eigene Erfahrung hinter den Worten zu gelangen.

So kreisen die Texte um die menschliche Erfahrung des Einen, des Göttlichen, des Urgrunds, des Ungrunds … Auch wenn die Texte thematisch zugeordnet sind, ist das Buch insgesamt doch in solchen spiralförmigen Bewegungen angelegt. Dabei sind die Texte eigentlich Textpaare. Denn diese

Textsammlung traut sich, einen konkreten Bezug zur Bibel herzustellen. So ist jedem Zitat ein Bibelvers zur Seite gestellt. Denn es scheint uns an der Zeit, sich auch wieder mehr der christlichen Wurzeln unserer Kultur bewusst zu werden, nicht zuletzt im Rahmen von Meditation und spiritueller Suche. Im kirchlichen Kontext mag die Auseinandersetzung mit der Bibel vertraut sein, aber in Meditationsgruppen, in Zeiten des Innehaltens und der Meditation schöpfen wir viel zu wenig aus diesem tiefgründigen Schatz oder haben vielleicht gar keinen Kontakt. Auch wenn die östliche Weisheit die spirituelle Suche in unserer westlichen Gesellschaft neu belebt hat und viele Menschen das Sich-nach-innen-Wenden erst einmal mit Yoga und östlichen Meditationspraktiken wie zum Beispiel Zen verbinden, steht der christliche Zugang dem in nichts nach, außer dass wir vielleicht in diesen Kontexten zu verschämt sind, zu wenig vertraut, zu wenig eingeübt. Für die Bibeltexte habe ich mich auf meine eigene Bibel gestützt, ein Geschenk meiner Patentante, eine Lutherbibel in der Fassung von 1984. Immer wieder habe ich aber auch auf die etwas sperrigere, aber gerade darum in diesem Zusammenhang sehr wertvolle Textgestalt der Lutherbibel von 1912 zurückgegriffen. In einigen wenigen Fällen habe ich auch noch andere Übersetzungen genutzt, um ein Bibelwort zum Klingen zu bringen.

Mein Dank gilt meiner Weggefährtin Imke Niedernolte für die wunderbare Zusammenarbeit, ohne die das Buch nicht entstanden wäre. Danken möchte ich meinem Kontemplationslehrer Ludger Schwienhorst-Schönberger, der den Weg der Kontemplation mit seinen Vorträgen und Kontemplationskursen so wunderbar erhellte, mir die Erfahrung der Assistenz ermöglichte und mich in Gesprächen offen

und einfühlsam begleitete. Dank gilt auch den Menschen vor Ort in meiner Heimatstadt Dortmund, die sich über die Jahre hinweg dienstagmorgens mit in die Stille begeben haben, manche für einen Zeitabschnitt, manche für einige Jahre, manche über die vielen Jahre. Und natürlich danke an die evangelische Kirchengemeinde Dortmund-Berghofen, die das Angebot der Kontemplation stets mit unterstützt hat. Ein besonderer Dank geht an meinen Sohn.

Das Buch, das nun aus all dem entstanden ist und in einer bereichernden Zusammenarbeit mit dem Team des Claudius Verlags umgesetzt und von Margarete Stenger aus einem tiefen Verständnis des Umfeldes heraus lektoriert wurde, schafft die Möglichkeit und das „Mittel“, viel mehr interessierte Menschen als eine einzelne Kontemplationsgruppe zu erreichen. Mögen Sie als Leserin, als Leser in vielfältiger Weise von den Texten profitieren, seien sie aus dem kirchlichen oder außerkirchlichen Bereich, für sich alleine oder in einer Gruppe, erfahren oder unerfahren. Möge Ihnen die Berührung mit dem Göttlichen zuteilwerden und mögen Sie immer wieder Zeit finden für das Innehalten. Es ist an der Zeit!

Wozu Kontemplation?

Religionen verfügen über drei wichtige Ebenen […,] die institutionelle, die intellektuelle und die mystische Ebene.

1. Die institutionelle Ebene: Gott ist der Schöpfer und machtvolle Herrscher. Ihm gilt es zu gehorchen. Er entscheidet über gut und böse. An ihn wendet man sich im Lob-, Dankund Bittgebet. […]

2. Die intellektuelle Ebene umfasst die Theologie, Theodizee und Metaphysik. Sie beinhaltet das Meditieren über Texte aus der Schrift oder über Bilder […]. Bei diesen Gebetsweisen werden Verstand, Gedächtnis, Wille und Gefühle aktiviert. Sie bleiben also ganz in der Ichaktivität und im personalen Bereich.

3. Die mystische Ebene: Sie versucht alle Ego-Kräfte ruhig zu stellen und alle Ich-Aktivität zurückzunehmen. Das Ich soll schweigen, damit etwas auftaucht, was die Mystik unser wahres Wesen nennt. Jesus nennt es Reich Gottes. Dann scheint etwas auf, das hinter allen Aussagen, hinter allen Bildern von Gott erkennbar und erfahrbar wird. Dafür gibt es Namen: Gottheit (Eckhart), Nada (Johannes vom Kreuz), Grund (Tauler), Unio (Teresa) […]. Aber das alles sind nur Namen. Willigis Jäger1

Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden.

Johannes 3,7 y

Unter dem Wort Kontemplation verstehen wir, der Tradition der christlichen Mystik folgend, gegenstandslose Versenkung in Stille, um Gott, die göttliche Mitte, den Urgrund oder die Wesensnatur zu erfahren. Kontemplation ist ein Floß, das uns dorthin bringen soll. Es ist eine Übung. Es ist eine sehr direkte Übung.

Beatrice Grimm2

Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.

Psalm 62,2–3 y

Der Begriff Kontemplation ist nicht eindimensional zu übersetzen. Er ist schillernd, fremd, vieldeutig und stammt vom lateinischen con-templum: im heiligen Bezirk, im umfriedeten, im befriedeten Bezirk wohnen, verweilen, sein. […] Begegnung und Kontakt mit dem Heiligen, der ersten, umfassenden Wirklichkeit […]; die Tiefendimension des Seins im Licht des Heiligen entdecken; entdecken, wie ich gemeint bin, also mir meines wahren Wesens gewahr werden. So verstanden Mystikerinnen und Mystiker aller Zeiten diesen Prozess immer als ein inneres Geschehen: als Gottesgeburt im Seelengrund wie Meister Eckhart, als Weg durch die innere Burg wie Teresa von Avila, als Gebackenwerden im Glutofen der Liebe wie der junge Martin Luther.

Sven-Joachim Haack3

Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr , der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt! Offenbarung 4,8

Bei der Mystik geht es um die erfahrungsbezogene Seite der Theologie […], um das „erfahrende Wahrnehmen Gottes“ […]. „Theologia mystica ist für die christlichen Mystiker nicht bloß der Versuch eines direkten Bewusstseins und einer unmittelbaren Erfahrung von der Gegenwart Gottes, sondern darüber hinaus auch ein Prozess und ein Lebensweg“.

Peter Zimmerling4

Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft derselben Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Berg Gottes Horeb und kam daselbst in eine Höhle und blieb daselbst über Nacht. Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm und sprach zu ihm: Was machst du hier, Elia?

1. Könige 19,8–9 y

Aufgrund seiner griechischen Wortbedeutung – Augen, Ohren, Mund „schließen“ – entspricht Mystik dem Bedürfnis nach Einkehr und Sammlung. Gemeint ist jene geistigseelische Einstellung, die zu Erfahrungen führt und eine Gewissheit reifen lässt, die durch keine Aktion und durch keine noch so „erfolgreiche“ Geschäftigkeit errungen werden kann.

Gerhard Wehr5

Wer Ohren hat, der höre!

Matthäus 11,15 y

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