

Staunen unterm Himmelszelt
Alfred Hirsch Staunen unterm Himmelszelt
Sternstunden zwischen
Spiritualität und Astronomie
Zum Schutz der Umwelt verzichten wir bei diesem Buch auf das Einschweißen mit Folie.
© Claudius Verlag München 2025
Claudius Verlag im Evangelischen Presseverband für Bayern e.V. Birkerstraße 22, 80636 München www.claudius.de
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Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München
Abbildung „Sternenbild“ auf dem Umschlag sowie einzelner Stern bei den Überschriften in Kapitel 8: rawpixel.com – Freepik.com
Lektorat: Stenger & Rode GbR, München
Gesetzt aus der Adobe Garamond Pro und Blanket
Druck: finidr s.r.o, Český Těšín
ISBN 978-3-532-62908-6
(1645–1711)
(1751–1832)
(1821–1897)
(1906–1993)
(1910–1973)
(1910–1988)
(1915–1968)
(1915–2000)
(1918–2010)
(1920–2008)
(1922–2016)
(1925–2020)
(1926–1982)
(1929–2003)
(1931–2023)
Gewidmet meiner lieben Camelia und meinen lieben Eltern, denen ich unendlich viel verdanke.
Vorwort
Was gibt es Herrlicheres, als nachts unter dem Sternenhimmel zu stehen und Ausschau zu halten nach den in den Medien angekündigten Sternschnuppenschauern? Um sich dann, beim Aufblitzen einer Sternschnuppe, etwas zu wünschen und zu hoffen, es möge doch in Erfüllung gehen? Das sind besondere, nicht alltägliche Momente.
Auch bei einzigartigen Glücksmomenten wird allgemein von Sternstunden gesprochen. Sternschnuppen und Sternstunden haben etwas gemeinsam: Sie sind kurzlebig. Am liebsten möchten wir diese Lichtmomente für immer festhalten – ein unmögliches Unterfangen, weil sie außerhalb unserer Kontrolle liegen. Echte Sternstunden werden uns als Geschenk gegeben.
Die einmal erwachte Begeisterung für den Sternenhimmel war für mich keine schnell verglühende Sternschnuppe und auch kein Strohfeuer, das nur kurz aufflackerte. Nein, für mich ist die atemberaubende Schönheit des Sternenhimmels zu einem Fixstern geworden, der seinen festen Platz in meinem Leben gefunden hat, der mein Leben bereichert und unter ein größeres Licht stellt. Davon möchte ich in diesem Buch erzählen – und ich wünsche mir, dass dieser lebenserhellende Fixstern auch für viele andere Menschen aufleuchtet. Das war die Motivation für mich, dieses Buch zu schreiben. Ich möchte dazu bewegen, sich für die wunderbar lebensbereichernden Schönheiten am nächtlichen Himmel zu öffnen. Das Sterneschauen sollte sein Nischendasein
in der Gesellschaft verlieren, damit möglichst viele Menschen die Himmelswunder entdecken, die auf unseren Besuch warten. Der Sternenhimmel hat kostbare Präsente zu verschenken, wenn wir uns genügend Zeit für ihn nehmen. Dann können wir vermehrt auch die Sternstunden in den einfachen Vorgängen des Alltags erleben. Ich verspreche Ihnen: Es ist ein Geschenk, das Sie bald nicht mehr missen wollen.
Dorothee Sölle (1929–2003)
Die evangelische Theologin und Literatin Dorothee Sölle hat sich in ihrem politischen Engagement für eine bessere Welt eingesetzt, in der weder Mensch noch Natur ausgebeutet werden. Sie war inspiriert von der biblischen Tradition, den Befreiungstheologen aus Mittel- und Südamerika, Meister Eckhart und Dietrich Bonhoeffer. Couragiert setzte sie sich für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung ein. Für sie gab es keine Trennung zwischen Theologie und Politik.
Durch den Kontakt mit dem jüdischen Theologen Martin Buber gelangte sie zu einem persönlichen Gottesbild, angelehnt an die mystischen Elemente des Glaubens, geprägt von der Erfahrung des Einsseins mit dem liebenden Schöpfer. Ihr ging es um die Verbreitung der Gottesliebe, die sie selbst erfahren hatte.
Sölle studierte Philosophie, Theologie, Deutsch und alte Sprachen. Sie unterrichtete zunächst mehrere Jahre an höheren Schulen. Ab 1975 war sie bis 1987 Professorin am Union Theological Seminary in New York. Sölle zeigt sich in ihren Büchern als wortgewandte und herausragende Poetin. Sie sah im Staunen den Ausgangspunkt für religiöse Erfahrungen. Für Sölle ist nichts selbstverständlich, am wenigsten das Schöne.
Dies lässt sich auch auf die Bedeutung des Sterneschauens übertragen: Vor allem der glanzvolle Sternenhimmel mit seinen unzähligen brillanten Kostbarkeiten bietet uns eine Fülle von Gelegenheiten, um ins Staunen zu kommen. Bei der Sternenbeobachtung kommen existenzielle Fragen auf, die uns zum Staunen bringen: Warum gibt es überhaupt etwas? Wer sich dieser Frage ehrlich stellt, kann schnell zu der Empfindung kommen: Nichts ist selbstverständlich. Alles ist schon vorgegeben und das größte
Wunder ist, dass es uns überhaupt gibt. Was musste nicht alles in der milliardenalten Geschichte des Universums geschehen, damit wir in diese Welt hineingeboren werden und mit unseren Augen den fantastischen Sternenhimmel wahrnehmen können?
Wer sich diesen existenziellen Anfragen stellt, wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Und das ist der Anfang jeglichen Philosophierens und der Geburtsort der religiösen Erfahrung, weil es beim Staunen um Erfahrungen geht, die den Verstandeshorizont weit übersteigen.
Für Sölle bedeutet Glück, total über das Universum Gottes staunen zu können. Erst wer erkennt, dass ohne Staunen das Leben nicht lebenswert ist, fängt für Sölle an, wirklich glücklich zu sein. Nach Sölle gibt es auf unserem Planeten keinen Grund mehr zu Ehrfurcht und zum Staunen, wenn wir nicht mehr an die göttliche Dimension glauben. Für sie hat der Mensch von Natur aus eine religiöse Veranlagung und er verfehlt den Orbit des zugedachten Lebenssinnes, wenn er diese transzendente Dimension aus seinem Leben ausklammert.
Wichtig war für Sölle auch die innige Betrachtung der Psalmen. Das Rezitieren der Psalmenworte war für sie eine unverzichtbare und kostbare Nahrung für ihre Seele. Wenige Tage vor ihrem Tod schrieb sie:
Die Freude an Gott ist vielleicht das Allerwichtigste, was die Psalmen uns lehren können. Das Buch der Psalmen ist ja das Liederbuch, das Gesangbuch des Alten Bundes. In ihm stehen verzweifelte Lieder, Klagerufe, Bittgesänge, aber eben auch und vielleicht an erster Stelle die Freude an Gott, an seiner Schöpfung, an Sonne, Mond und Sternen, die auf- und untergehen, an Wäldern und Feldern.57
Sölle berichtet in ihrem berühmten Buch „Mystik und Widerstand“ von einer Frau, die unter dem klaren Sternenhimmel eine tiefe Einheitserfahrung erlebte. Die Frau erfuhr ein einzigartiges Glücksgefühl verbunden mit einer Gewissheit der Unzerstörbarkeit durch die untrennbare Einheit in Gott. Diese Erfahrung verdeutlicht für Sölle die Beziehung zwischen Mystik und Widerstand: Wer die grenzenlose Erfahrung einer mystischen Einheit gespürt hat, kommt in einen radikalen Widerspruch zu den üblichen Lebenseinstellungen.58
