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INTERVIEW Frank Roselieb berät Unternehmen in Krisen
Führungskräfte sollten sich bei Krisen und Skandalen nicht auf ihr Bauchgefühl verlassen. Wie eine Notfall-Checkliste für Piloten beim Umgang mit Drucksituationen helfen kann, erklärt Krisenforscher FRANK ROSELIEB im Gespräch mit LUKAS GRASBERGER.
L U K A S G R A S B E R G E R
Die Credit Suisse hatte in den vergangenen Monaten mit einem Skandal zu kämpfen. Die Bank soll Privatdetektive angeheuert haben, um Vermögensverwaltungschef Iqbal Khan, der zu UBS gewechselt ist, zu beschatten. Später weitete sich die Affäre aus, und Vorstandschef Tidjane Thiam musste zurücktreten. Staatsanwaltschaft und Finanzmarktaufsicht haben Ermittlungen aufgenommen.
Was bedeutet eine Krise wie die bei der Credit Suisse für Unternehmen, Herr Roselieb?
Bei Compliance- und Skandalfällen stehen die betroffenen Unternehmen vor einer dreifachen Herausforderung. Erstens liegen selten bereits zu Beginn alle Fakten auf dem Tisch. Diese müssen erst mühsam ermittelt und verifiziert werden. Aus dieser Perspektive wäre ein schneller Rücktritt kaum hilfreich, um das Thema möglichst fix vom Tisch zu bekommen. Denn das Unternehmen weiß ja noch gar nicht, was genau passiert ist. Zweitens haben Unternehmen eine Schutzfunktion gegenüber den Betroffenen. Es gilt erst einmal die Unschuldsvermutung – und diese müssen sie auch in der Außenkommunikation immer wieder betonen. Drittens verlaufen die Trennlinien zwischen Opfern und Tätern oft – wie bei der Credit Suisse – mitten durch das Unternehmen. Insofern ist es für Unternehmen selbst nach innen schwierig, richtig zu kommunizieren.
Was hat die Credit Suisse aus Ihrer Sicht falsch gemacht?
Ein endgültiges Urteil möchte ich mir zu diesem frühen Zeitpunkt nicht erlauben. Zu viel liegt noch im Dunkeln. Auffällig ist aber, dass die Credit Suisse recht behäbig auf die Vorwürfe reagierte, und es damit den Medien überließ, die Diskussion zu bestimmen. Zuerst brauchten sie drei Tage für eine kurze, dürre Pressemitteilung. Am Tag darauf nahm sich ein Beteiligter das Leben. Doch erst eine Woche später – am 1. Oktober 2019 – rief die Bank eine Pressekonferenz ein. Angesichts der Dramatik der Ereignisse reichlich spät! Und als die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht schließlich eine Sonderprüfung veranlasste, hatte die Bank nicht nur die kommunikative Hoheit über das Thema verloren, sondern auch die operative.
Was hätte besser laufen müssen?
ßig Wasserstandsmeldungen zum Vorfall erhalten, auch wenn es nur wenig zu berichten gibt. Zum Beispiel können Firmen Hintergrundinformationen zum Compliance Management oder zum Status quo der Führungskultur kommunizieren. Man muss versuchen, den Medien Nachrichtenfutter zu geben und damit Teil des Gesprächs zu bleiben.
Frank Roselieb ist geschäftsführender Direktor des „Krisennavigator – Institut für Krisenforschung“ und Chef der angegliederten „Krisennavigator Unternehmensberatung“ mit Sitz in Kiel. Sein Institut führt eine Krisenfalldatenbank und erstellt im Rahmen der Auftrags- und Grundlagenforschung jährlich zahlreiche Gutachten und Analysen zu nationalen und internationalen Krisenfällen. Der Wirtschaftswissenschaftler hat seit 1998 mehr als 3000 Führungskräfte in Krisenübungen geschult und über 500 Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Verbände aus dem deutschsprachigen Raum bei der Prävention und Bewältigung von Krisen unterstützt.
Wer sich mit ähnlichen Fällen beschäftigt, kann sich besser überlegen, wie man in solchen Situationen vermeidet, dass der Skandal den Ruf des Unternehmens langfristig schädigt. Im Idealfall können sich betroffene Führungskräfte auch an Branchenstandards orientieren. Es gibt sogar eine DIN-Norm für strategisches Krisenmanagement. Aber natürlich müssen sich die Betroffenen dann auch überlegen, wie sie solche Vorgaben in der konkreten Situation anwenden. Und das ist leichter gesagt als getan. Schließlich handelt es sich um eine außergewöhnliche Herausforderung, die sich deutlich vom Tagesgeschäft unterscheidet – und mit der die Beteiligten nur selten Erfahrung haben. Aus der Luftfahrt hat man sich sogenannte Standard Operating Procedures ausgeliehen. Dabei handelt es sich um eine Checkliste, die Piloten Hinweise gibt, wie sie sich in Notsituationen verhalten sollten. Ähnlich wie im Flugverkehr mindern solche DIN-Normen und Standards den Stress der Akteure und warnen sie vor Fehlern, die andere bereits gemacht haben. Außerdem helfen solche Normen später, wenn es darum geht, die Krise aufzuarbeiten und sein Verhalten zu rechtfertigen. Ein Verweis auf die DINNorm hilft den Verantwortlichen oft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Verweist ein Kommunikationsverantwortlicher dagegen auf sein Bauchgefühl
Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam hat später den Social-Media-Dienst Instagram genutzt, um aus der Deckung zu kommen. War das klug?
Ich finde nicht.
Warum?
Eine Bank lebt von Werten wie Integrität und Verschwiegenheit. Wenn der CEO aus dem Innersten der Bank plaudert, vorbei an den offiziellen Kanälen, dann besteht die Gefahr, dass dieses Verhalten bei Kunden und Öffentlichkeit schlecht ankommt.
oder das seines Beraters, wirkt das meistens nicht glaubwürdig.
Gibt es ein Lehrbuch-Beispiel für gutes Krisenmanagement?
Ein Paradebeispiel war der tragische Absturz der Germanwings-Maschine in Südfrankreich 2015. Damals starben 150 Passagiere. Der Co-Pilot hatte den Absturz bewusst herbeigeführt, um auf diesem Weg Suizid zu begehen. Der Vorstandschef der Germanwings-Muttergesellschaft Lufthansa, Carsten Spohr, war so etwas wie das Gesicht der Aufarbeitung: Pilot, Ingenieur, damals schon rund zwanzig Jahre im Unternehmen, knapp 50 Jahre alt und mit ersten grauen Haaren an den Schläfen. Mehr Glaubwürdigkeit in Krisenzeiten geht kaum. Mit klaren Worten, viel Empathie und ebenso klaren Taten hat er das Unternehmen aus der Krise geführt.