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Keine Erholung in Sicht
MAKROANALYSE
Die deutschen Konjunkturdaten deuten nicht auf eine baldige Erholung hin. Die Lage in China belastet den Welthandel zusätzlich – mit direkten Folgen für Deutschland.
Aktuell lässt sich noch nicht sagen, ob es sich nur um eine Delle in der deutschen Konjunktur handelt. Jedenfalls ist es bis zum Ende des vergangenen Jahres nicht zur erhofften Stabilisierung der Wirtschaftsdaten gekommen. So enttäuschten im Dezember sowohl der Auftragseingang der deutschen Industrie als auch die Industrieproduktion die Hoffnungen der Konjunktur-Optimisten.
Der Auftragseingang fiel im Vergleich zum Vormonat um 2,1 Prozent und im Vorjahresvergleich sogar um 8,7 Prozent. Damit ist ein Ende der seit Mitte 2018 bestehenden Industrierezession wieder in weite Ferne gerückt. Im Gegenteil verschärfte sich die Situation auch hier im Dezember noch einmal mit einem Rückgang der Produktion um 3,5 Prozent im Vormonats- beziehungsweise 6,8 Prozent im Vorjahresvergleich.
CARSTEN MUMM Chefvolkswirt Donner & Reuschel
Besonders auffällig war der starke Einbruch der Bauproduktion mit einem Minus von 8,7 Prozent, der wohl nur zum Teil feiertagsbedingt war. Anzeichen
für eine Abkühlung der Baukonjunktur zeigte auch der ifo-Geschäftsklimaindex im Januar mit einem Abrutschen der Geschäftserwartungen auf den tiefsten Stand seit 2015. Zwar steht die Bauwirtschaft nur für etwa zehn Prozent der gesamten deutschen Wertschöpfung, gerade in Zeiten einer Export- und damit
Die deutsche Industrieproduktion hängt am Welthandel
Sinkt der Welthandel, leidet die deutsche Industrie.
Welthandelsvolumen
V eränderung gegenüber V orjahr in Prozent 0 5 -5 10 -10 15 -15 20 -20 25 -25
Jan. 08 Jan. 10 Deutsche Industrieproduktion
Industrieschwäche hat der Sektor aber zur Stabilisierung in den letzten Monaten beigetragen.
Somit wird die Dynamik der deutschen Konjunktur derzeit vor allem vom Konsum getragen, der gemäß einer Umfrage zum GfK-Konsumklima weiter auf einem hohen Niveau rangiert. Positiv wirkten hier die anhaltenden Niedrigzinsen und die Hoffnung auf eine globale konjunkturelle Stabilisierung nach dem Phase-1-Handelsdeal zwischen den USA und China. Durch die Verbreitung des Coronavirus haben die weltweiten Wachstumsperspektiven jedoch zuletzt einen Dämpfer erhalten. Es könnte sein, dass zumindest das chinesische BIP-Wachstum im ersten Quartal um bis zu zwei Prozent niedriger ausfällt als im Vorjahreszeitraum.
Darunter leiden vor allem exportorientierte und mit China wirtschaftlich eng verbundene Volkswirtschaften – darunter auch Deutschland. Auch wenn mit einem schnellen Nachholen aufgeschobener Investitionen zu rechnen ist, sobald die Zahl der Neuinfektionen sinkt, wird die deutsche Konjunktur deutliche Bremsspuren hinterlassen.
Eines der maßgeblichsten Abbilder der deutschen Wirtschaftsdynamik ist das Wachstum des Welthandelsvolumens, das seit der Verschärfung der Handelskonflikte Mitte 2018 zum Erliegen gekommen ist und durch die wirtschaftlichen Belastungen Chinas noch einmal geschwächt werden dürfte. Solange sich der Welthandel nicht merklich erholt, ist auch für die deutsche Wirtschaft keine deutliche Besserung in Sicht.
Das falsche Ende des Teleskops
MAKROANALYSE
Die EZB senkt die Zinsen, dabei sollte sie die im Umlauf befindliche Geldmenge erhöhen. Das würde die Wirtschaft ankurbeln und zu höherer Inflation führen.
Christine Lagarde hat einen guten Start hingelegt. Als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) fand sie bei ihrem Amtsantritt einen zutiefst gespaltenen Zentralbankrat vor. Also organisierte sie ein Offsite-Meeting, um das geldpolitische Organ der EZB wieder zu einen.
Das Problem: Nach der Sitzung des Zentralbankrats am 12. September, der vorletzten unter der Präsidentschaft von Lagardes Vorgänger Mario Draghi, wurde entschieden, den Einlagenzins auf minus 0,5 Prozent zu senken. Zurück in ihren Heimatländern äußerten die Vertreter Deutschlands, der Niederlande, Österreichs, Sloweniens und Estlands im Zentralbankrat deutliche Kritik an der Entscheidung, die Zinsen noch weiter zu senken. Die Notenbankchefs argumentierten, dass das langfristige Anlagevermögen durch eine noch weitere Absenkung der bereits negativen Zinsen weiter schrumpfen werde, was die Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften genauso schädigen werde wie ältere Sparer.
Ihre Kritik war soweit berechtigt, sie greift aber zu kurz. Denn die Kritiker wollen kein schnelleres Geld- und Kreditwachstum. Ohne ein solches gibt es aber auch keine höheren Zinsen und damit kein Entkommen aus der Niedriginflations- und Niedrigzinsfalle, in der die europäische Währungsunion derzeit steckt. Was die Euro-Staaten brauchen,
JOHN GREENWOOD Chefökonom Invesco
ist eine Ausweitung der breiten Geldmenge, also mehr Geld in den Händen der Allgemeinheit – und nicht eine weitere Aufblähung der Zentralbankbilanz, also mehr Geld in den Büchern der Notenbank.
Vor hundert Jahren zeigte der amerikanische Ökonom Irving Fisher, dass Zinsen aus einer realen Komponente und einer Inflationskomponente bestehen. Außerdem zeigte er, dass die Zinsen der Inflation folgen – nicht umgekehrt. Damit die Zinsen in Europa steigen, müsste daher erst einmal die Geldmenge wachsen, da dies die wirtschaftliche Aktivität ankurbelt und zu einer höheren Inflation führt. Die EZB betrachtet das Problem durch das falsche Ende des Teleskops. In der Hoffnung, dadurch die Kreditvergabe anzukurbeln, senkt die EZB die Zinsen. Stattdessen müsste sie direkt die im Umlauf befindliche Geldmenge erhöhen, damit die Ausgaben und die Inflation steigen – und in der Folge die Zinsen. Dazu müsste sie nicht nur Wertpapiere von Banken, sondern vor allem von Nicht-Banken kaufen, wie dies zum Beispiel bei quantitativen Lockerungen in den USA und Großbritannien geschah. Während die EZB vor allem auf risikoscheue Banken setzt, um die Kreditvergabe anzukurbeln, lief diese bei der Federal Reserve und der Bank of England am Bankensystem vorbei. So könnte es auch der EZB gelingen, neue Einlagen zu schaffen und die Geldmenge M3 zu erhöhen.
Umlaufende Geldmenge, BIP und Inflation hängen eng zusammen
Die jährlichen Durchschnittswerte sind in der Eurozone seit 2009 sehr niedrig.
Geldmenge M3 7,6%
1999 – 2008 2009 – 2019
BIP 4,3%
3,2%
1,9%
HICP
2,1%