Herausgefordert

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Herausgefordert Die Geschichte der Basler Zeitung

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Walter R端egg (Hg.) Herausgefordert Die Geschichte der Basler Zeitung Christoph Merian Verlag


29. Januar 1977


29. Januar 1977


31. Januar 1977


31. Oktober 1983


4. September 2004


1. Dezember 2010


Inhaltsverzeichnis

Vorwort Walter Rüegg

Wissenschaft und Basler Zeitung — ein Lehrstück Klaus Neumann-Braun

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Herausgefordert Die Geschichte der Basler Zeitung

Der edle Tropfen der Oberschicht: die Basler Nachrichten Rahel Walser

Wenn früher alles besser war, war’s die National-Zeitung allemal Dominic Wirz

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Die Schweizer Presselandschaft der Siebzigerjahre: vom «Bannwald der Demokratie» zur «KommerzGesamtkonzeption» Christina Klausener

Die Stunde Null der BaZ: Geschichte einer Fusion Rahel Walser und Dominic Wirz

Die Basler Zeitung versucht sich als Forumszeitung, 1977 – 1984 Walter Rüegg

Die BaZ-Gruppe expandiert, 1984 – 1999 Walter Rüegg

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Die Ära Matthias Hagemann : Rückbau und Verkauf, 1999 – 2010 Walter Rüegg

In fremden Händen: der Verkauf der Basler Zeitung, 2010 – 2012 Walter Rüegg

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213 H e r a U S G E F O R D ER T | D I E G E S C H I C H T E D ER B A S L ER Z E I T U N G


Gastbeiträge

Eine Begegnung in drei Etappen Ivo Bachmann

Die ungleichen Nachbarn: NationalZeitung und Basler Nachrichten in den Sechziger- und Siebzigerjahren Roger Blum

Die Basler Zeitung: eine ‹Nichtbasler Zeitung› Andreas Burckhardt

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Vom Geschäftsmodell zum Mäzenatentum Matthias Geering

Die ungeliebte Fusion Helmut Hubacher

Von Hagemann über Blocher zu Somm — eine persönlich gefärbte Zeitspur Peter Knechtli

Die BaZ in den ‹guten alten Zeiten› Georg Kreis

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Die ‹Regionalzeitung von Weltformat› Hans-Peter Platz

Die liebste verhasste Zeitung Basels: eine kurze Geschichte der BaZ und einige Grundsätze Markus Somm

BaZminiszenzen — Menu Surprise in fünf Gängen Franz C. Widmer

Anhang

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Schlusswort Walter Rüegg

1729 – 2012 Chronologie

Bildnachweis

Impressum

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I N H A L T S V ER Z E I C H N I S


Vorwort Walter Rüegg Das vorliegende Buch basiert auf einem Projekt des Seminars für Medienwissenschaft an der Universität Basel und entstand in Zusammenarbeit mit zwei jungen Medienwissenschaftlerinnen und einem jungen Medienwissenschaftler. Es ist faktenbasiert und gründet auf Dokumenten und Aussagen zahlreicher Zeitzeugen und Betroffener. Die Geschichte der Basler Zeitung spielte und spielt sich sozusagen vor unserer Haustür ab, als Lehrstück, dessen Ablauf noch nicht beschrieben wurde. Sie beginnt in diesem Buch im ersten Teil mit einem Rückblick in zwei Beiträgen auf die Geschichte ihrer beiden Vorgänger, der National-Zeitung und der Basler Nachrichten. Ihre Fusion Ende 1976 war ein Meilenstein und ein Schock in der Mediengeschichte Basels, der bis in die Gegenwart hinein nachwirkt. Die ‹Basler Fusion› ist deshalb Ausgangspunkt dieses Buches. Der dritte Beitrag wirft einen Blick auf die Schweizer Presselandschaft der Siebzigerjahre und betrachtet die Basler Presse vor dem Hintergrund schweizweiter Veränderungen im Zeitungswesen. Darauf folgt eine detaillierte Schilderung der Umstände der Fusion vom November 1976: Welche Überlegungen stellten die Akteure vor der Fusion an, was sollte sie bezwecken, wie wurde sie umgesetzt. Die folgenden vier Beiträge gehen der Entwicklung des ‹Fusionsproduktes› nach, der Ende Januar 1977 erstmals erschienenen Basler Zeitung. Sie beschreiben, wie sich die oft kritisierte Zeitung auf dem Markt mit wechselnden Konzepten und Chefredaktoren zu behaupten suchte und am Ende, geschwächt durch Leserschwund und Zeitungskrise, in eine unsichere Zukunft blickt. Dabei wird die Geschichte der ‹BaZ›, wie sie von ihren Lesern genannt wird, in jene des Unternehmens eingebettet, dessen Entwicklung in zunehmendem Masse das Schicksal der Basler Zeitung bestimmt hat. Denn die Basler Zeitung ist Teil eines reichen Verlags- und Medienhauses, das sich mit der Monopolstellung am Rheinknie nicht begnügen wollte. Innerhalb weniger Jahre wuchs es in den Neunzigerjahren zum drittgrössten Druck- und Verlagsunternehmen der Schweiz heran — um wenige Jahre später unter dem Druck massiver Verluste die Zukäufe rückgängig zu machen. Nach dem schweren Aderlass gelang es dem Unternehmen zwar, sich von den Altlasten im letzten Moment zu befreien. Doch die verschärfte Konkurrenzsituation im Druckbereich und die Zeitungskrise brachen ihm ein paar Jahre später das Genick. Die Basler Zeitung Medien (BZM) wurde im Jahr 2010 dem Meistbietenden verkauft und ist seither ein politisches Versuchslabor mit schwindendem Erfolg und roten Zahlen. Doch damit dürfte die Geschichte der Basler Zeitung — der Basler Mediengruppe BMG und später der Basler Zeitung Medien BZM — nicht zu Ende sein.

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Der zweite Teil des Buches gibt zehn ausgewählten Gastautoren das Wort: den vier Chefredaktoren, welche die BaZ in den letzten dreissig Jahren geprägt haben, daneben Publizisten und Vertretern von Wirtschaft und Wissenschaft. Sie erzählen aus persönlicher Warte ihre Geschichte der BaZ und schildern Episoden und Hintergründe. Ein kommentierendes Schlusswort schildert Optionen der BaZ für die Zukunft. Ohne die grosszügige Unterstützung der Christoph Merian Stiftung, Basel, wäre die Publikation dieses Buches nicht möglich gewesen. Ihr und dem Christoph Merian Verlag sei herzlich gedankt für die gute Betreuung des Projektes und die Aufnahme in das Verlagsprogramm. Ebenfalls Dank schulden wir der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft (FAG) für ihren Beitrag an die Kosten der Publikation. Franz C. Widmer und Roger Thiriet sei gedankt für zahlreiche Anregungen und wertvolle Hinweise, Prof. Dr. Klaus NeumannBraun für die kompetente wissenschaftliche Begleitung des Projektes, meinen Mitautoren MA Christina Klausener, MA Rahel Walser und MA Dominic Wirz für ihr grosses Engagement und Interesse und den zahlreichen Auskunftspersonen aus dem Umfeld des Unternehmens für ihre Mithilfe. Ein Dankeschön auch der Lektorin Rosmarie Anzenberger für ihre sorgfältige Arbeit. Ein herzlicher Dank geht an die Fotografin Mara Truog, die die Gastautoren fotografiert hat. Und nicht zuletzt schulden wir unseren Gastautoren Dank, die unsere Darstellungen mit persönlichen Sichtweisen und Erinnerungen ergänzen. Sie haben ihr Thema selbst bestimmt. Sie alle begleiten die weitere Entwicklung des Medienunternehmens mit Sorge und Anteilnahme und in der Hoffnung, dass die mediale Versorgung der Nordwestschweiz nach jahrelangen Wirren wieder mit den Bedürfnissen der Öffentlichkeit in Einklang gebracht werden kann. Die Autoren danken zahlreichen Zeitzeugen, Betroffenen und Beteiligten für ausführliche Gespräche und Auskünfte. Dank ihnen konnten wir die mangelhaft dokumentierte Geschichte der Basler Zeitung und des Unternehmens durch persönliche Zeugnisse ergänzen. Das Team der drei Autorinnen und Autoren hat sich von publizistischer Neugierde leiten lassen; ihr Bezug zur Basler Zeitung ist akademisch. Der Schreibende war zu Beginn der Neunzigerjahre kurze Zeit als Verlagsdirektor der BaZ tätig und hat später als Direktor von Schweizer Radio DRS mit Sitz in Basel das Schicksal der Zeitung aus der Nähe verfolgt. In den letzten Jahren haben sich einige Bücher mit Medienunternehmen auseinandergesetzt — die aussergewöhnliche Geschichte der Basler Zeitung, die seit Jahren die öffentliche Aufmerksamkeit beschäftigt, ist bisher ungeschrieben. Wir wollen mit dieser Publikation eine Lücke schliessen. ‹Herausgefordert› ist heute nicht nur das Unternehmen Basler Zeitung, sondern auch die Basler Öffentlichkeit.

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Wissenschaft und Basler Zeitung — ein Lehrstück Klaus Neumann-Braun Kein Geringerer als Max Weber hat vor rund hundert Jahren zu der Frage Stellung genommen, ob die Wissenschaft nicht immer auch (kultur)politisch intervenieren sollte. In dem damaligen Werturteilsstreit wurde das Thema erörtert, was denn die Wissenschaft für die (Sozial-)Politik zu leisten vermöge: Wäre es ihr möglich, allgemein verbindliche Werte und ‹Sollens›-Sätze aufzustellen, die unmittelbar in der Praxis umsetzbar wären? Könnte sie direkt auf das Handeln der Beteiligten vor Ort einwirken? Der Soziologe Weber argumentierte, Wissenschaft sei nicht in der Lage, aus sich selbst heraus zu allgemein verbindlichen Werturteilen zu gelangen, und folglich müsse Forschung immer streng von wertender Betrachtung und direkter politischer Intervention getrennt werden. Was damals am Beispiel der Sozialpolitik diskutiert wurde, beansprucht bis heute Geltung für die allgemeine Haltung der Wissenschaft, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu Praxis und Intervention: Es ist unbedingt auf die Trennung von Analyse und Bewertung zu achten! Die Aufgaben der Wissenschaft sind allein Analyse und Aufklärung, (Be-)Wertung hingegen steht der Politik beziehungsweise dem Bürgerengagement zu. Die jüngsten Verkaufswirren der Basler Zeitung und die Debatten um die zukünftige publizistische Öffentlichkeit Basels liessen schnell Stimmen und Forderungen laut werden, die Wissenschaft solle Flagge zeigen und engagiert in die lokalen kulturpolitischen Dispute eingreifen. Ein Auftrag an die Task Force Wissenschaft? Die Basler Medienwissenschaft ist diesen Rufen aus den oben genannten Überlegungen nicht gefolgt. Was sinnvollerweise von ihr geleistet werden konnte, war vielmehr eine umfassende wissenschaftliche Analyse der Vorgänge um die Basler Zeitung in diesem und in den vergangenen Jahren: Vom Fusionsauftakt im Jahr 1976 ausgehend sollte untersucht werden, welche Weichenstellungen seinerzeit vorgenommen wurden, zu welchen Folgen diese Entscheidungen bis zur gegenwärtigen Situation geführt haben, welche Rolle das starke Druckerei-Engagement im Zusammenhang mit der publizistischen Unternehmung BaZ gespielt hat — um schliesslich zu reflektieren, wo die Basler Zeitung gegenwärtig steht und wie es mit ihr weitergehen könnte. Damit war das Ziel gesteckt: ein Blick zurück und nach vorne. Die in den Basler Kulturdebatten aufgeworfenen Fragen, wie man die Geschehnisse um die BaZ überhaupt zu erklären habe und was man möglicherweise aus ihrer Geschichte lernen könne, sind der Medienwissenschaft vertraut: Es war ein weiteres Mal Max Weber, der sich auf dem ersten Deutschen Soziologentag 1910 mit Nachdruck für eine Enquête über das deutsche Zeitungswesen einsetzte. Ihn beschäftigte zum einen das Thema von Demokratie und Öffentlichkeit unter wirtschaftlichen Konzentrationsbedingungen (Weber erwähnt die

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«Macht des Medienbesitzes»), zum anderen die besondere «Kulturbedeutung» der Massenmedien (er spricht von der «Wirkung der Massenmedien als psychische Suggestionsmittel»). Inzwischen sind hundert Jahre vergangen und wir verfügen heute über eine breit aufgestellte Medienforschung, die sich mit den ökonomischen, rechtlichen und kulturellen Aspekten der gegenwärtigen Massen- und Individualkommunikation und ihrer Medien umfassend auseinandersetzt. Die vorliegende Geschichte der Basler Zeitung kann sich so gesehen dieser guten Tradition verpflichtet fühlen, sie kann sich darüber hinaus auch — wenn man so will — als Lehrstück einer selektiven, kleinteiligen Zeitungsenquête verstehen. Die Geschichte der BaZ eröffnet den Blick auf die Zukunft der Basler Zeitungslandschaft wie des Mediums Zeitung überhaupt. Als zu Beginn der 2000er-Jahre die Anzeigenkrise ein zweites Mal zu wüten begann, traten zeitgleich altersbedingt klassische Verlegerpersönlichkeiten zurück und Zeitungen wurden an überregionale, internationale Finanzinvestoren verkauft. Als Folge gerieten die klassischen Tageszeitungen unter Druck — eingeklemmt zwischen hohen Rentabilitätserwartungen und radikalisiertem Unterhaltungsdiktat. Die Referenzperson der modernen Öffentlichkeitstheorie, der Philosoph Jürgen Habermas, hat diese Situation in seinen zeitkritischen Schriften immer wieder erhellend kommentiert. Er weist darauf hin, dass unsere Demokratie vom Engagement der Bürger lebe, die für eine erfolgreiche Partizipation hinreichend informiert und gebildet sein müssten. Die Öffentlichkeit müsse entsprechende kulturelle Grundversorgungsangebote erhalten. Die erwähnten Einsparungen und Umorganisationen könnten durchaus die gewohnten journalistischen Standards und die damit verbundene diskursive Vitalität gefährden und in der Folge die politische Öffentlichkeit im Mark treffen. Keine Demokratie — so Habermas — könne sich jedoch ein Marktversagen auf diesem (kultur)politischen Sektor leisten. Insofern gelte es zu überlegen, wie eine journalistische Grundversorgung zu sichern sein könnte. Verschiedene Finanzierungsmodelle stünden zur Diskussion — unter anderem auch Stiftungsmodelle. Und hier verwandelt sich das klassische Lehrstück BaZ in ein innovatives Kulturexperiment: Aus der Krise der BaZ ist mithilfe von Stiftungskapital ein neues Zeitungsprojekt entstanden: die TagesWoche. Diese Wochenzeitung konkurriert fortan im Raum Basel mit der BaZ und bricht deren bisherige Monopolstellung. Zudem verbindet die TagesWoche ihr wöchentliches Erscheinen als Printausgabe programmatisch mit einem permanent aufgeschalteten Onlineangebot. Man verspricht sich Tagesaktualität sowie direkte Leserpartizipation. Es ist überaus spannend zu beobachten, wie diese Kombination von Print- und Onlineberichterstattung vom Kunden und der Bürgerin angenommen wird. Die neue Basler Zeitungslandschaft könnte so gesehen auch ein Lehrstück für den Informationsjournalismus im digitalen Zeitalter abgeben.

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Die Zukunft der BaZ ist noch nicht geschrieben, mit der vorliegenden Studie jedoch deren Geschichte. Die Lektüre kann zu überraschenden Erkenntnissen und Eindrücken führen: Wie überaus unglücklich sind die finanziellen Entwicklungen verlaufen, wie viele Millionen Franken gingen im Laufe der Zeit verloren, wie folgenreich war die einseitige Forcierung des Druckereigeschäfts, die ganz offensichtlich dazu führte, dass die BaZ und deren Redaktionen in der zweiten Reihe der firmeninternen Aufmerksamkeit zu sitzen kamen. ‹Wo Licht ist, gibt es auch Schatten›, heisst es. Die BaZ-Redaktoren standen lange Jahre in ebendiesem, und es ist — wenigstens nachträglich — ihre gute journalistische Arbeit trotz der nicht restlos überzeugend wirkenden Unterstützung durch das Gesamtunternehmen anzuerkennen. Man darf der vorliegenden Geschichte der Basler Zeitung ein interessiertes Publikum wünschen. Sicher ist, dass dieses Lehrstück bestens in das Studium unserer jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchspraktiker am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel passt. Die dortige Lehre und Forschung zum Themenbereich Journalismus wird schwerpunktmässig von Walter Rüegg betreut, der sich in seinen Lehrveranstaltungen um eine anschauliche Vermittlung von Theorie und Praxis bemüht: Expertinnen und Experten aus allen Bereichen von Medienmarkt und -kommunikation werden kontinuierlich in die Lehrveranstaltungen zu den Themen Journalismus und Medienkonvergenz oder Journalismus und Medienkritik eingeladen. Als ehemaliger Radiodirektor Schweizer Radio DRS und langjähriger Verleger verfügt Walter Rüegg über vielfältige Kontakte zur Medienszene der Schweiz. Wahrscheinlich auch dank dieser wertvollen Kontakte wurde von ihm das Forschungsprojekt ‹Die Geschichte der Basler Zeitung› in Angriff genommen. Auf der Grundlage der initiativen Unterstützung durch die Universität Basel konnten weitere Förderer, namentlich die Christoph Merian Stiftung sowie die Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel, gewonnen werden, die die Projektdurchführung finanziell abzusichern halfen. Damit war der Weg frei für Walter Rüegg und seine Recherchen: Es ist überaus erfreulich, dass der einschneidende Wandel der Basler und Nordwestschweizer Zeitungslandschaft nun auch von Basel selbst aus wissenschaftlich betrachtet und eingeschätzt wird. Und es ist erhellend, wenn die Geschichtsstudien durch jemanden betrieben werden, der die Vorgänge selbst miterlebt hat. Dies garantiert eine auch biografische Nähe zu den Geschehnissen, bis hin zu wichtigem Insiderwissen — sowie beste Kontakte zu all den Akteuren, welche die Geschichte der BaZ mitgestaltet haben und im Rahmen der Recherchen ausführlich interviewt wurden. Es ist allen direkt oder indirekt Mitwirkenden, besonders natürlich Walter Rüegg, aber auch Christina Klausener, Rahel Walser sowie Dominic Wirz, sehr für ihr Engagement und ihre Unterstützung zu danken. Ohne sie hätte diese Studie nicht entstehen können. Der sicherlich nun einsetzenden Folgediskussion ist mit grossem Interesse entgegenzusehen.

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Herausgefordert Die Geschichte der Basler Zeitung

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Der edle Tropfen der Oberschicht: die Basler Nachrichten Rahel Walser

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Wären die Basler Nachrichten ein Wein gewesen, so gewiss ein bemerkenswerter Jahrgang. Trocken, abgerundet und weich, die Trauben nur die besten und von einem pflichtbewussten Winzer mit klarer Linie sorgfältig ausgewählt. Nicht jede Traube ist für den BN-Wein geeignet, aber jene, die genommen werden, sind von bester Qualität. Der BN-Wein, er mundet — wenn auch nicht jedermann. Der Vergleich der Basler Nachrichten mit einem edlen Tropfen ist nicht ganz aus der Luft gegriffen: Immerhin hatten die BN den Ruf, die Zeitung der Basler Oberschicht — des ‹Daig› — zu sein. Zwar wurde die Zeitung auch ausserhalb der alteingesessenen Basler Familien gelesen und unterstützt, aber der Ruf der BN als ‹Zeitung der Reichen› kommt nicht von ungefähr. Eine «Liebhaberei» seien die Basler Nachrichten gewesen, schreibt der langjährige BN-Journalist Hans Fehr. 1 Einem Weinkeller gleich habe sich das reiche Bürgertum der Stadt eine eigene Zeitung gegönnt, wie sie sich auch den Zoologischen Garten oder die Orchestergesellschaft geleistet habe. Und so wurde das Image der BN vor allem durch eines geprägt: ihre Geldgeber im Hintergrund. Auch die Ansprüche der BN an sich selbst entsprachen — um beim Wein-Vergleich zu bleiben — hohen Qualitätsanforderungen. Die BN sahen sich selbst als Blatt der geistigen Elite und ihre Schreiber als Intellektuelle. So wie es Biertrinker und Weintrinker gibt, so gab es die BN-Leser und die anderen. Und es waren ausschliesslich die Weintrinker, die die Macher der BN interessierten. Was hier als metaphorisches Gedankenspiel entworfen wird, ist im Grunde das, was die BN in ihrer Eigenheit und ihrem Eigensinn auszeichnete: ihre Geldgeber im Hintergrund und ihre Schreiber und Denker an der Front.

Die Basler Nachrichten als Zeitung des ‹Daig›? Wer mit den BN — in welcher Form auch immer — verbunden war, gehörte mit grösster Wahrscheinlichkeit zur wohlhabenden und gebildeten Oberschicht alteingesessener Basler Familien. Nach dem Prinzip ‹Eine Hand wäscht die andere› wurden die Geschäfte der BN innerhalb eines sorgsam abgesteckten Radius abgewickelt. Der Verwaltungsrat der Basler Nachrichten setzte sich aus Persönlichkeiten der traditionell-bürgerlichen Basler Familien zusammen. In den Siebzigerjahren waren die drei grossen, in Basel ansässigen Chemieunternehmen vertreten, ebenso die Banken: Ernst 1

Hans Fehr arbeitete zwischen Januar 1952 und September 1965 bei den Basler Nachrichten. Sein Buch ‹Dufourstrasse 40› (1983) widerspiegelt ein Stück Basler Zeitungsgeschichte und ist eine der wenigen Quellen, die Einblicke in die BN geben (Fehr 1983, S. 55).

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Kober vertrat die Ciba-Geigy, Marc Sieber die Sandoz, Alfred Hartmann die Roche, Alfred E. Sarasin repräsentierte die Bankiervereinigung. 2 Diese vier Männer verfügten über den Hauptteil des Aktienkapitals und repräsentierten jene Unternehmen, welche die BN finanziell unterstützten. Neben diesen vieren waren die Mandate von Alfred Buss und Hans Batschelet vor allem politischer Natur. Alfred Buss wirkte neben seiner Tätigkeit bei der Buss AG als Präsident des Verbandes der Industriellen von Baselland. Hans Batschelet wurde wohl — so schreiben Leuzinger/Schlumpf — als Konzession an die Liberal-demokratische Partei im Verwaltungsrat belassen. 3 Die BN waren fest in den Händen jener Leute, die auch andernorts in der Basler Wirtschaft oder Kultur wichtige Positionen einnahmen und überdies aufgrund ihrer familiären Abstammung in ihrer Heimatstadt bestens vernetzt waren. 4 Namen wie Sarasin sind, so weiss jeder in der Rheinstadt, sehr eindeutig zuzuordnen, was Herkunft und soziales Milieu betrifft. Die traditionsbewussten Verwaltungsräte engagierten sich bei den Basler Nachrichten in erster Linie, weil sie die liberal-konservative Grundhaltung des Blattes unterstützen wollten, sich dieser geradezu verpflichtet fühlten. Sie führten die Zeitung sozusagen im Nebenamt. 5 Ihr Engagement stand im grösseren Zusammenhang der Unterstützung kultureller oder sozialer Anliegen, wie sie dem Basler Bürgertum am Herzen lag. Über ihren selbstlosen kulturellen Einsatz hinaus gewährleisteten die Mitglieder des BN-Verwaltungsrates auch, dass die Linie der Zeitung eingehalten und in der Stadt Basel vertreten wurde. In jedem Fall waren wirtschaftliche Interessen bei den Basler Nachrichten von nachgeordneter Bedeutung. Die Zeitung wurde nicht betrieben, um Geld zu verdienen, sie erforderte im Gegenteil regelmässige Zuschüsse. Dabei war die Basler Oberschicht nicht nur personell, sondern auch finanziell engagiert. In diesem Sinne widerspiegelte die personelle Zusammensetzung des Unternehmens auch die betriebliche Kapitalseite. Die Basler Nachrichten schrieben rote Zahlen und konnten ihre Kosten nicht aus eigener Kraft decken — zumindest nicht in den letzten Jahren ihres Bestehens. In früheren Jahren waren die BN jedoch durchaus rentabel gewesen. Ihre Geburtshelfer hatten 2

Franz Galliker war nie Mitglied des Verwaltungsrates. Leuzinger/Schlumpf schreiben fälschlicherweise, er sei 1970 in den BN-Verwaltungsrat gewählt worden (1977, S. 70). Galliker war von den Geldgebern der BN primär angestellt worden, um die BN-Finanzen in Ordnung zu bringen — unter anderem ging es um die Sanierung der Pensionskasse der Basler Nachrichten. Er habe eine «stille Mission» erfüllt, erklärte Galliker im Interview mit dem Autorenteam.

3

Leuzinger/Schlumpf (1977), S. 69–71.

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Fehr (1983), S. 53.

5

Dürrenmatt (1986), S. 115.

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schliesslich mit der Gründung des Blattes kaufmännische Interessen verfolgt. Wer also behauptet, die Zeitung habe nie wirklich rentiert, liegt falsch. Aber die einstigen kaufmännischen Absichten traten zunehmend in den Hintergrund — stattdessen wurden «Subsidiengelder» bezahlt 6 und die jährlichen Betriebsdefizite stillschweigend von den Eminenzen im Hintergrund gedeckt. Über die Höhe der Beträge existieren unterschiedliche Angaben, jedoch werden wiederholt ähnlich hohe Summen erwähnt: Interviewpartner sprechen von zwei Millionen Franken pro Jahr; auch Leuzinger und Schlumpf gehen von siebenstelligen Beträgen aus, die 1976 ihren Höhepunkt erreicht haben sollen und im Budget für 1977 mit knapp zwei Millionen Franken veranschlagt wurden. Dass die Verwaltungsratssitzungen der BN meist in der Kantine des Bankvereins stattfanden und nicht an der Dufourstrasse 40, wo die Zeitung eigentlich zu Hause war, spiegelt vielleicht die Machtverteilung innerhalb einer Zeitung wider, in der das Finanzielle das Publizistische überwog. Man traf sich fernab von Schreibtischen, Druckmaschinen und Büroalltag dort, wo das Kapital sich seines Heimvorteils sicher sein konnte. Die Berührungspunkte des Verwaltungsrates mit jenen, die die BN schrieben, betreuten und druckten, waren gering, wenn nicht sogar inexistent. Man kümmerte sich nur dann um die Inhalte, wenn diese von der gewünschten Linie abwichen. Ihr Ruf als «stolzes Flaggschiff» 7 der Wirtschaft klebte ebenso zäh an den BN wie das Etikett der ‹Daig-Zeitung› — obwohl das Blatt auch ausserhalb des städtischen Bürgertums gelesen wurde. 8 Dennoch erreichten die BN nie eine auch nur für schweizerische Verhältnisse grosse Auflage. Man pries die Qualität und kümmerte sich nicht um die fehlende Quantität. Ein Luxus, den sich das Blatt leisten konnte, solange die Defizite diskret ausgeglichen wurden. Diese beiden Punkte — die Dominanz der Geldgeber und die Orientierung an der Oberschicht — prägen bis heute die Debatte um die Basler Nachrichten. Dabei bilden sie nur zwei Aspekte im komplexen Zusammenspiel der Facetten eines Blattes, das sich vom Anzeigenblatt zur angesehenen Qualitätszeitung mauserte. Denn tatsächlich waren die BN viel mehr als blosses Sprachrohr und Spielzeug der bürgerlichen Elite — sie waren ein Medium von journalistischem Ansehen und regionaler Bedeutung. Dies verdankten sie ihren wortstarken Machern an der Zeitungsfront.

6

Zum Folgenden siehe Leuzinger/Schlumpf (1977), S. 79.

7

Stibler (2000), S. 138.

8

Fehr (1983), S. 53.

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Oeri, Dürrenmatt, Reck – die Gesichter der Basler Nachrichten Für die Basler Nachrichten arbeiteten brillante Journalisten. Im Laufe ihrer langen Geschichte — es waren 247 Jahrgänge — taten sich insbesondere die Chefredaktoren Albert Oeri, Peter Dürrenmatt und Oskar Reck hervor. Sie gaben der Zeitung Profil und etablierten beziehungsweise hielten deren Ansehen aufrecht. Die Grundhaltung des Blattes unterlag mit jedem Wechsel in der Chefredaktion einem Wandel, denn jeder von ihnen brachte sich mit Haut und Haar in das Blatt ein und beeinflusste entsprechend dessen Inhalt und Positionierung. Insbesondere Oskar Reck, der letzte Chefredaktor der BN, veränderte und modernisierte deren Linie. Aus gutem Grund: Die Basler Nachrichten waren in vieler Hinsicht eine (salopp formuliert) ‹alte Tante›. Jedoch waren die BN immer auch eine Zeitung, die von ihren Schreibern und ihren Denkern lebte, von Menschen, die sich mit «ihrer Meinung, ihrem Mut und ihren Marotten» 9 dem Zeitungsmachen widmeten. Sie gestalteten, prägten und konturierten die BN — Verwaltungsrat hin oder her — und machten sie zu einem Intellektuellen-Blatt, das immer mit den pointierten Ansichten und geschliffenen Formulierungen seiner Schreiber zu beeindrucken wusste.

Klare politische Linie im Sinne der Leserschaft «Es ist mir egal, wenn Sie ein Linker sind, aber sie werden es schwer haben bei uns.» Mit diesen Worten wurde Felix Erbacher, damals angehender Wirtschaftsjournalist, an seinem ersten Arbeitstag von Chefredaktor Reck begrüsst. Die Basler Nachrichten galten — mal mehr, mal weniger — als traditionell-bürgerliches Blatt, das eine klare Linie fuhr und seine Grundhaltung sehr konsequent vertrat. Man habe die BN meist gar nicht erst aufschlagen müssen, um zu wissen, was darin stehe, beschreiben kritische Stimmen deren damaligen Ruf. Redaktion und Leserschaft standen sich nahe und teilten ähnliche Ansichten und Ideen. So leisteten die BN quasi Massarbeit für ihre Stammleser, welche der wohlsituierten, gebildeten, etwas überalterten Basler Bevölkerung angehörten. 10 «Die Alten im Gellert und auf dem Bruderholz», wie ein Interviewpartner die Leserschaft des damaligen Konkurrenzblattes bewusst zugespitzt eingrenzte, schätzten die Gesinnung der Zeitung — eine Gesinnung, die vom BN-Journalisten Hans Fehr als «liberal 9

Fehr (1983), S. 9, 41.

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Weitere Angaben zur BN-Leserschaft siehe Bulletin Nr. 22, Basler Nachrichten, 30. April 1966.

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in dem Sinne, dass Verschiedenes nebeneinander Platz hatte, dies aber in sorgsam abgegrenzten Gehegen» beschrieben wird. 11 Diese Grundhaltung geht zurück auf die Ursprünge des Blattes. Bis vor einem halben Jahrhundert hatte in Basel und andernorts jede Zeitung eine politische Haltung und darauf aufbauend einen bestimmten Blickwinkel, eine bestimmte Geisteshaltung (siehe Beitrag zur Schweizer Presselandschaft in den Siebzigerjahren). Die Basler Nachrichten waren seit Beginn des 20. Jahrhunderts das Parteiblatt der Basler Liberalen 12 und galten als deren Organ und Sprachrohr. Mit Beginn der Siebzigerjahre löste sich die Zeitung zwar zunehmend von der Liberal-demokratischen Partei, blieb aber weiterhin eng mit ihr verbunden. 13 Auf der Redaktion der BN herrschte ein klares Bewusstsein dafür, wo man sich politisch und ideell verortete, was in welcher Form ins Blatt gehörte und was nicht. Man wählte sozusagen die Trauben für den Wein sehr sorgfältig aus und teilte ein umfassendes Verständnis von Liberalismus. Hans Fehr beschreibt dies so: «Alle sagten ja zu den Grundlagen des schweizerischen Staatswesens und zum privatwirtschaftlichen System. Alle sagten nein zu jeder Form des Totalitarismus.» 14 Diese Grundhaltung entsprach den Ursprüngen und der historischen Entwicklung des Blattes. Letztere war jedoch nicht immer konstant — wie sich auch Name und Inhalt der Zeitung im Laufe der Zeit änderten.

Vom Anzeigenblatt zum Weltblatt Als früheste Vorläuferin der Basler Nachrichten gilt das 1729 gegründete Inserate-Organ Avis-Blatt. Obwohl ausschliesslich aus Inseraten und Anzeigen bestehend, galt die Publikation als wichtige Informationsquelle für wöchentliche Ereignisse und Vorkommnisse. Schliesslich war das Avis-Blatt Basels wichtigste und lange Zeit auch einzige Zeitung und unersetzlich für Geschäfte und Tauschaktionen. Es fungierte als Marktplatz und Plattform, Inserate aller Art fanden Platz in der Publikation: Saures Kraut und Rüben wurden ebenso angeboten wie Hausschlitten mit 80 Schellen, der Kirchensitz des verstorbenen Gatten oder «verlorene und gefundene Sachen». 15 11 12

Fehr (1983), S. 42. In Basel hatte sich das Bürgertum in zwei politische Lager aufgespaltet: die Liberalen und die Radikalen (später die Freisinnigen). Vgl. Dürrenmatt (1986), S. 79.

13

Leuzinger/Schlumpf (1977), S. 80 ff.; Dürrenmatt (1986).

14

Fehr (1983), S. 53.

15

Jenny, Hans: Adieu «BN»! In: Doppelstab, Nr. 10, 3./4. Februar 1977.

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Doch das reine Anzeigenblatt verlor zunehmend an Reiz. Bei der Leserschaft entstanden neue publizistische Bedürfnisse; immer mehr bildete sich ein Interesse am politischen Geschehen und an zeitgenössischen Fragen heraus. Die Zeitung sollte nicht nur Marktplatz für Waren, sondern auch Marktplatz für Informationen werden. Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Redaktion dem vermehrten Wunsch nach politischer Berichterstattung Rechnung zu tragen. Das Avis-Blatt, welches stolze 116 Jahre existiert hatte, wurde umbenannt in ‹Allgemeines Intelligenzblatt der Stadt Basel›. Im April 1845 erschien dessen erste Ausgabe. Mit dem Namenswechsel ging eine inhaltliche Neuausrichtung einher: Die Verantwortlichen bekannten sich ausdrücklich zu einem politischen Dialog, und so galt die Zeitung fortan als liberal-konservative Tageszeitung, die den Bürgern die Auseinandersetzung mit lokalen Ereignissen ermöglichen sollte. Das Intelligenzblatt wollte profiliert politische Prozesse und Entscheidungen erläutern, zuweilen jedoch auch den Blick vom «endlosen politischen Gezänke» abwenden und stattdessen städtische und gesellschaftliche Verhältnisse wiedergeben. 16 Zwölf Jahre später fand der letzte Namenswechsel statt, 1857 wurde das Intelligenzblatt zu den Basler Nachrichten. Damals galt die Zeitung als gemässigt konservativ. Die BN suchten sich ihren Platz in der Mitte der Basler Presselandschaft, zwischen der radikaldemokratischen National-Zeitung (NZ) und der konservativen Namensvorgängerin der Basler Zeitung, die von 1831 bis 1859 existierte. Diese gemässigte Ausrichtung sollte jedoch nicht lange anhalten.

Die Radikalen übernehmen Im Jahr 1872 ging die Mehrheit der BN-Aktien an eine Gruppe radikaler Politiker über, was die politische Grundhaltung des Blattes veränderte. 17 Nun besass Basel statt einer liberalen und einer radikalen plötzlich zwei radikale Zeitungen: die Basler Nachrichten und die National-Zeitung. Die radikale Gruppierung, welche die Führung der BN übernommen hatte, schlug einen redaktionellen Kurs ein, der keineswegs den Vorstellungen der Basler Konservativen entsprach. Diese Kreise besassen nun kein eigenes Organ mehr und riefen 1873 die Allgemeine Schweizer Zeitung ins Leben. Zwischen ihr — sie vertrat nun als einzige Zeitung der Region das konservative Gedankengut — und den Basler Nachrichten entbrannte ein Kulturkampf auf lokaler Ebene. 16

Zum Folgenden siehe Reck (1977).

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Vgl. Dürrenmatt (1986), S. 80.

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Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand die Revision der Bundesverfassung und ihre Gültigkeit für den Stadtkanton; Bundeszentralisten kämpften gegen Erzföderalisten. Dabei wehrte sich die Allgemeine Schweizer Zeitung entschieden gegen den politischen Zentralismus. Mit der Annahme der eidgenössischen Verfassung 1874 und dem Abflauen des Kulturkampfes begannen sich die Auseinandersetzungen auch in Basel abzuschwächen, und um die Jahrhundertwende veränderte sich die Ausgangslage erneut: Im Sommer 1902 gründete der Besitzer der Allgemeinen Schweizer Zeitung die Buchdruckerei zum Basler Berichtshaus AG, die in der Folge die Basler Nachrichten kaufte. Fortan wurden die BN von der Berichtshaus AG publiziert. Sie wurden damit zu dem, was sie bis zu ihrem Ende bleiben sollten: Im rechtlichen und unternehmerischen Sinn zwar eine Aktiengesellschaft, de facto aber eine «Liebhaberei» der Basler Oberschicht. 18

Zurück auf liberal-konservativem Kurs Die Zeiten als radikales Blatt waren für die BN damit vorbei. Die einst konservative Partei der Stadt, die sich inzwischen ‹Liberale Partei› nannte, übernahm in «einer Art Handstreich» — so beschreibt es Peter Dürrenmatt — die Mehrheit der BN-Aktien. 19 Damit waren die Basler Nachrichten zurück in bekannten Gewässern: Sie nahmen wieder die liberalkonservative Grundhaltung ein, die sie vor der Übernahme durch die radikalen Politiker innegehabt hatten und die die Zeitung bis zu ihrem Ende stark prägen sollte. Gleichzeitig stellte die Allgemeine Schweizer Zeitung ihr Erscheinen ein und die BN übernahmen deren Redaktion. Unter den Journalisten, die zur BN stiessen, war auch «der vielversprechende 27jährige Albert Oeri». 20 Oeri wurde später vielfach als ‹der grosse Mann› der Basler Nachrichten bezeichnet. Keiner hat diese Zeitung so stark geprägt wie er, der zunächst als BNInlandredaktor wirkte, 1911 als dessen Chef in das Auslandressort wechselte und von 1925 an schliesslich Chefredaktor der BN war. Berühmt wurde Oeri insbesondere durch seine mit ‹O.› gekennzeichneten Leitartikel, die über die Schweizer Grenzen hinaus gelesen und geschätzt wurden. Im Fokus seines Schreibens stand die Kriegsberichterstattung über den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Oeri profilierte sich mit seinen mutigen und klar artiku18

Fehr (1983), S. 55.

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Dürrenmatt (1986), S. 80.

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Ebd.

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lierten Ansichten: Nicht nur verschaffte er sich Ansehen, weil er stets um ein Höchstmass an Objektivität bemüht war, sondern weil er auch mit grösster Entschiedenheit für seine Meinungen einstand — oftmals im Widerspruch zum eigenen Verwaltungsrat und stets in Form brillant formulierter Texte. 21 Neben seinem journalistischen Können tat sich Oeri vor allem durch sein konsequentes Engagement gegen den Nationalsozialismus hervor. Sein Ansehen färbte auch auf die BN ab: Unter Oeri wurden die BN zu einer Zeitung mit ausgezeichnetem Ruf und schweizweiter Geltung. Der Chefredaktor selbst waltete als patriarchalisches Vorbild und führte die Redaktion mit einer nach aussen kaum sichtbaren Hierarchie. Seine Autorität war unhinterfragt und reihum akzeptiert. 22

Die Zeit nach Oeri: Peter Dürrenmatt Als Oeri 1949 die BN verliess, ging mehr zu Ende als eine Amtszeit, nämlich eine Zeitungsära. Peter Dürrenmatt, bereits seit 1943 bei der Zeitung, trat im März des gleichen Jahres ein schweres Erbe an. Dass auch er einst ein ehrwürdiges Vermächtnis hinterlassen und seinem Nachfolger einen schweren Start bereiten würde, konnte er noch nicht wissen. Die BN erschienen damals stolze elf Mal pro Woche — jeweils mit einem Morgenund einem Abendblatt (ausser am Samstag). Die Zeitung besass zu dieser Zeit inklusive der Werbung einen Umfang zwischen vier und vierzehn Seiten. In seiner Autobiografie berichtet Dürrenmatt, dass die Redaktion, die er nach Oeri übernahm, mit einer schlichten Selbstverständlichkeit über ihren Auftrag im Bild gewesen sei. Richtlinien für die redaktionelle Arbeit gab es deshalb nur in sprachlich-stilistischer Hinsicht. Zudem habe jedes einzelne Redaktionsmitglied instinktiv gewusst, was unter ‹liberal› zu verstehen war — weshalb die Redaktion auch ungefragt wusste, was in den Basler Nachrichten seinen Platz hatte. Wichtiger Massstab war dabei schon damals der tägliche Vergleich zum Konkurrenten National-Zeitung. Die Tatsache, dass die ‹Nazi› mit einer Auflage von 40 000 jene der BN um das Doppelte übertraf, führte das liberale Gesinnungsblatt darauf zurück, dass das geistige Potenzial der BN schlicht höher und anspruchsvoller sei als jenes der Konkurrentin. Mit dieser Argumentation begründete man auch die Tatsache, dass die BN einen Chefredaktor hatten, während die NZ bewusst ohne einen solchen auskommen wollte. 21

Reck (1977).

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Zum Folgenden siehe Dürrenmatt (1986), S. 80–83.

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Hatte es unter Oeri also noch keine Redaktionskonferenzen gegeben — man verliess sich auf das verinnerlichte BN-Selbstverständnis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen —, so führte der neue Chefredaktor schliesslich eine regelmässige wöchentliche Redaktionskonferenz ein, um die inhaltliche und gestalterische Aufmachung des Blattes zu besprechen. Zwar meint Dürrenmatt, dass die BN auf gleichermassen hohem Niveau wie die schon damals bereits sehr angesehene Neue Zürcher Zeitung agierten,  23 jedoch kämpfte auch er mit der Schattenseite der BN: den Finanzen. Er beklagte die Diskrepanz zwischen journalistischem Ruf und stagnierender Auflagenzahl. Und so war der Chefredaktor der Ansicht, dass «die Basler Wirtschaft im Grunde genommen beschämend wenig für das wirtschaftliche Gedeihen des Blattes leistete». Diese Aussage mag angesichts der kontinuierlichen finanziellen Unterstützung seitens des Verwaltungsrates geradezu ironisch anmuten. Doch Dürrenmatt irritierte das mangelnde Interesse des geschäftsführenden Gremiums. Es erboste ihn, dass das Geld zwar floss, dass jedoch die strukturellen Probleme der Zeitung nicht behoben wurden. Dem Desinteresse des Verwaltungsrates zum Trotz wollte Dürrenmatt die BN attraktiver machen, deren Auflage steigern und sie damit aus der finanziellen Abhängigkeit befreien, auch wenn diese reihum stillschweigend akzeptiert wurde. So setzte er sich unter anderem für die Verbesserung des Wirtschaftsteils ein und konnte tatsächlich eine Steigerung der Auflage bewirken. Peter Dürrenmatt war dem publizistischen Erbe Oeris längst gerecht geworden. Doch nicht nur journalistisch, auch politisch trat er in dessen Fussstapfen. 1950 wurde er für die Liberale Partei in den Grossen Rat gewählt, «eine Überraschung», wie er selbst schrieb. 1959 folgte die Wahl in den Nationalrat. Noch bis 1969 blieb Dürrenmatt als Chefredaktor bei den BN — erst dann gab er wegen seiner politischen Aktivitäten, aber auch wegen seines Alters den Posten des Chefredaktors auf. Ganz verabschieden wollte er sich dennoch nicht von seinem Blatt, für das er bereits sechsundzwanzig Jahre lang gearbeitet hatte. Noch bis zum Ende der BN im Jahr 1977 blieb er seiner Zeitung als Journalist erhalten.

Reck kommt nach Basel Bevor mit Oskar Reck eine weitere prominente Persönlichkeit die Stelle des BN-Chefredaktors und damit das Erbe Dürrenmatts antrat, besetzten drei Journalisten gemeinsam die Chefredaktion: Rudolf Suter, Hans Stark und Heinz Kreis bildeten den sogenannten 23

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Zum Folgenden siehe Dürrenmatt (1986), S. 111–116.

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Redaktionsausschuss — eine Konstellation, die nur kurze Zeit hielt. Denn das ‹Triumvirat› vermochte der Position nicht gerecht zu werden, stritt häufig und schaffte es nicht, die Zeitung in der Art ihrer Vorgänger zu prägen. Der Verwaltungsrat musste bald feststellen, dass man ‹einen wirklichen Chef› brauchte und begann, sich in der eidgenössischen Medienlandschaft umzusehen. Bald stiessen die Herren auf Oskar Reck, der bis 1969 Chef der Thurgauer Zeitung gewesen war, diese Stelle jedoch abrupt und im Konflikt verlassen hatte: Der Verleger hatte von Reck gefordert, dass dieser nach dem Tod seiner ersten Frau noch am Tag der Beerdigung wieder zur Arbeit erscheinen solle. Eine Forderung, die Reck dazu veranlasste, seinen Posten per sofort aufzugeben. Er zog sich für ein Jahr ins Tessin in die Einsamkeit zurück, ehe er wieder in das Arbeitsleben zurückkehrte und die Leitung der BundeshausRedaktion des Schweizer Fernsehens übernahm. 24 Diesen Posten hielt Reck jedoch nur gerade ein Jahr — dann erhielt er in Bern Besuch aus Basel: Die Herren Iselin und Sarasin, Verwaltungsratsmitglieder der Basler Nachrichten, boten dem renommierten Journalisten die Chefredaktion an. Sie suchten einen prägenden Redaktor und Journalisten, der das Erbe von Oeri und Dürrenmatt fortführen konnte. Reck nahm das Angebot gerne an, hatte er sich doch als Zeitungsmann beim Fernsehen nie wirklich wohlgefühlt. Am 1. Oktober 1971 trat er seine neue Stelle an. Er sollte die Basler Nachrichten, die inzwischen einen Umfang von bis zu vierzig Seiten aufwiesen, «als liberales, dem demokratischen Rechtsstaat und einer freiheitlichen Wirtschaftsentwicklung verpflichtetes Blatt» weiterführen sowie die Redaktion leiten und organisieren. 25

Reck verändert die Basler Nachrichten Der erfahrene Journalist führte und gestaltete die Zeitung mit viel Leidenschaft und Engagement, er agierte mit Spontaneität und Flexibilität, setzte gute Einfälle sofort um, liebte das temporeiche Arbeiten — und hauchte den traditionsbewussten BN frisches Leben ein.  26 Recks Ziel war die Öffnung der Zeitung in dem Sinne, dass jedes Thema berücksichtigt und unvoreingenommen betrachtet werden sollte. Er holte junge Leute an Bord und senkte das Durchschnittsalter der Redaktion auf unter vierzig Jahre. Auch das Erscheinungsbild

24 25

Blum (1996), S. 55. Vgl. den Anstellungsvertrag zwischen der Berichtshaus AG und Oskar Reck vom 23. August 1971 (private Quelle).

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Platz (2003), S. 27.

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↑ Eine Zeitung bewegt sich durch die Stadt: Vom Haus ‹zum Korb› an der Schifflände wechseln die Basler Nachrichten 1885 an die Gerbergasse in das Haus ‹zum weissen Windhund›.

← 1931: Die Basler Nachrichten ziehen von der Gerbergasse in ihr neues Gebäude an der Dufourstrasse 40.

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← Oskar Reck, von 1971 bis 1977 Chefredaktor der Basler Nachrichten: sieben wichtige Jahre in einer

↑ Was war so wichtig, das Oskar Reck trotz Bier und Wein sofort notieren musste?

langen journalistischen Karriere.

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Aus der Sonderausgabe ‹125 Jahre Basler Nachrichten›, 26. November 1970.

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blieb nicht von Recks Modernisierung verschont: Als erste Schweizer Zeitung führten die BN 1972 einen sechsspaltigen Umbruch ein — damals eine Innovation. «Wir haben einfach das ganze Image neu gemacht», beschreibt eine Mitarbeiterin aus dieser Zeit. Auch die Gewichtung der Themen wurde in der Ära Reck neu gesetzt: So brachte der Chefredaktor beispielsweise den Tod von Mani Matter auf der Frontseite der Zeitung — ein Thema, das früher ganz klar im Feuilleton seinen Platz gefunden hätte. Diese Entwicklungen sorgten bei den Lesern zwar für leichtes Erstaunen, zahlten sich aber aus. Reck schaffte eine markante Steigerung der Auflagenzahl und eine bemerkenswerte Imageverbesserung. In der Ausgabe vom 9. November 1974 war gar zu lesen: «BN schlagen alle Rekorde!» Der Artikel handelte vom sensationellen Aufwärtstrend der Basler Nachrichten, den eine Studie der AG für Werbemedienforschung bestätigt habe. Von 1972 bis 1974 hätten die BN 71,5 Prozent mehr Leser erhalten, was insgesamt 65 000 Lesern entspreche. Dieser Höhenflug stiess nicht überall auf Glaubwürdigkeit: Kritische Stimmen bezeichnen diese Zahlen noch heute als ‹Bschiss› und behaupten, die Auflagensteigerung sei nur erreicht worden, weil in Banken und Chemieunternehmen jeden Morgen ein Stapel BN-Gratisexemplare abgegeben worden sei. Unbestritten aber bleibt die Tatsache, dass sich die BN modernisierten. Hatte die Zeitung lange Jahre als traditionell und konservativ gegolten, so sorgte Reck dafür, dass diese einst selbstverständliche Positionierung eine starke Auflockerung erfuhr. Mit dieser Neuausrichtung zog er neue Leserinnen und Leser an. Aus der soeben zitierten Studie ging ebenfalls hervor, wie sich die Demografie der BN-Leserschaft verändert hatte. Die «Kaufkraftklasse der Gutsituierten nimmt ab, dafür erhöht sich der Anteil der Leser aus dem unteren Mittelstand», so die Erkenntnis. Eindrücklich sei zudem «der Trend zum jungen Leser». 27

Reck eckt an Es wird nicht überraschen, dass weder die Strukturverschiebung der Leserschaft noch die inhaltliche Neuausrichtung dem bürgerlich-konservativen Verwaltungsrat genehm waren. Zwei Entwicklungen waren den Herren ein Dorn im Auge: Reck folgte nicht der Linie des Verwaltungsrates und er hatte die Finanzen nicht im Griff. Der erste Punkt, Recks Unterlaufen der BN-typischen Haltung, lässt sich anhand einer konkreten Beispiels festmachen: der Berichterstattung der BN über Seveso. 27

BN, 9. November 1974.

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Am 10. Juli 1976 kam es im italienischen Ort Seveso zu einem der schlimmsten Chemieunfälle in der Geschichte Europas. Aufgrund einer Explosion, die durch einen Wärmestau zustandekam, wurden grosse Mengen des hochgiftigen Dioxins TCDD freigesetzt. Der Unfall ereignete sich in einem Werk der Icmesa, einem Tochterunternehmen der Givaudan SA, die wiederum seit 1963 der Hoffmann-La Roche gehörte. Zunächst wurde der Vorfall vor der Öffentlichkeit verschwiegen. Erst rund zehn Tage nach dem Ereignis erschienen in den Schweizer Medien erste Meldungen. Und ausgerechnet die Basler Nachrichten druckten am 20. Juli 1976 als eine der Ersten eine sda-Meldung über den Vorfall ab. «Gaswolke über Mailand», las man auf der letzten Seite. «Zwei kleine Industriedörfer am Rande von Mailand leben in Angst und Schrecken, weil vor einer Woche eine Gaswolke aus einer chemischen Fabrik entwichen war.» Nicht nur ist brisant, dass die BN als erste Zeitung in der Schweiz überhaupt das Thema aufgriff, noch viel interessanter ist, dass sie in dem Artikel den Namen der Hoffmann-La Roche nannte. «Nach Angaben des ‹Corriere della Sera› handelt es sich bei dem Chemiewerk um den Roche-Konzern.» Die Zeitung, die von der Chemie subventioniert wurde, wollte offensichtlich keine Gegenleistung für das bezahlte Geld erbringen: Sie machte stattdessen die Financiers im Hintergrund öffentlich. Die National-Zeitung publizierte erst einen Tag später eine Mitteilung (ohne den Namen des lokalen Unternehmens zu nennen), die Neue Zürcher Zeitung folgte am 22. Juli. Die BN liessen es sich auch in der Folge nicht nehmen, über das Giftgasunglück und dessen Auswirkungen zu berichten. Am 24. Juli titelten sie «Ungewissheit über Giftgas» und erwähnten wiederum den Namen der Icmesa. Der Artikel beschrieb, dass in den betroffenen Orten Angst und Panik herrsche, da von einer hohen Gefährlichkeit des Gases ausgegangen werden müsse. Im letzten Satz hiess es zudem, dass die Icmesa bereits angeklagt worden sei. Inzwischen berichteten auch andere Zeitungen regelmässig über die Chemiekatastrophe. Nach und nach wurde sich die Öffentlichkeit deren Tragweite bewusst, während die schuldigen Unternehmen weiterhin eher verharmlosten und verheimlichten. Statt im Sinne der Hoffmann-La Roche zu agieren, trat Oskar Reck zur Konfrontation an. Immer länger wurden die Artikel über Seveso. Am 31. Juli 1976 erschien auf der Seite ‹Basel aktuell› ein ganzseitiger Bericht, ob ein ähnliches Unglück auch in Basel geschehen könne. Und schliesslich der Höhepunkt: Am 7. August platzierte Reck einen Leitkommentar auf der Titelseite mit dem Titel ‹Seveso›. Darin nannte er zwar nicht den Namen der Chemiefirma, betonte jedoch mehrmals, dass ein Schweizer Chemieunternehmen den Unfall erstens verursacht habe und zweitens zu verharmlosen versuche. «Was — noch so unbeabsichtigt — in Seveso geschah, und was sich sehr bald als ein Ereignis mit noch immer ungewissen Konturen herausstellte, verträgt keine billigen Beschwichtigungsversuche und

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noch weniger kaltschnäuzige Gelassenheit. … Nur wer mit einem erschreckenden Mangel an Vorstellungsvermögen geschlagen ist, mag heute noch denken, dass am Ende alles mit Geld wieder gutzumachen sei.» Damit hatte der Chefredaktor das Fass — aus Sicht des Verwaltungsrats — zum Überlaufen gebracht. «Oskar Reck stellte für das bürgerliche Basel ein echtes Ärgernis dar. Sein legendärer Kommentar zur Chemiekatastrophe von Seveso brach den Basler Nachrichten, deren Chefredaktor er damals war, endgültig das Genick», so der treffende Kommentar von Journalistenkollege Manuel Isler. 28 Reck wurde nach diesem Kommentar von BN-Verwaltungsrat (und Vizedirektor der Hoffmann-La Roche) Hartmann postwendend in sein Büro zitiert. Dieser Unfall dürfe fortan nicht mehr in den BN thematisiert werden, und bei ähnlichen Vorkommnissen dürfe nicht mehr auf diese Weise berichtet werden. Der gestandene Journalist Reck war keineswegs dazu bereit, auf diese Forderung auch nur annähernd einzugehen. Sich vorschreiben zu lassen, was er zu schreiben habe und was nicht — das entsprach ganz und gar nicht Recks Stil. Er hielt seinen Kopf hin, hätte jedoch niemals seinen Redaktoren und Redaktorinnen Anweisungen des Verwaltungsrats weitergegeben. Recks Hartnäckigkeit und Eigensinn, die sich am Fall Seveso in besonderer Deutlichkeit zeigten, sorgten in diesem Gremium für Stirnrunzeln.

Geldprobleme und Desinteresse Der zweite Aspekt, an dem sich der Verwaltungsrat stiess, war die Art und Weise, wie Reck wirtschaftete. Denn obwohl der Chefredaktor die Auflage der BN erhöhen konnte, blieb deren finanzielle Lage unverändert: Man war dringend auf die Subventionszahlungen von Banken, Chemie und Wirtschaft angewiesen. Reck, der gemäss seinem Arbeitsvertrag für die Erstellung und Einhaltung des Redaktionsbudgets zuständig war, stellte sich jedoch als schlechter Haushalter heraus. Er war einerseits überfordert und andererseits der Ansicht, dass eine gute Zeitung nun einmal viel Geld koste — das die Geldgeber im Hintergrund immer weniger zu zahlen bereit waren. Denn die Financiers sahen sich in den BN nicht mehr vertreten, ihre Positionen fanden zu wenig Resonanz. Warum also, so fragten sie sich, sollten sie weiterhin mit Millionenbeiträgen eine Zeitung finanzieren, die nicht einmal ihre Interessen vertrat? Zu pointiert unterlief der charismatische Chefredaktor das, was einst als BN-typische Haltung gegolten hatte. 28

Isler, Manuel: Ein Glücksfall von Altersradikalität. In: SonntagsZeitung, 13. Oktober 1996.

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Seveso Obst und Gemüse aus Seveso stauen sich seit Tagen an der Schweizer Südgrenze: Das eidgenössische Gesundheitsamt hat die Sperre verfügt, die Oberzolldirektion überwacht sie. Die beiden Bundesinstanzen konnten anders unmöglich handeln, wenn sie die hiesige Bevölkerung nicht in Gefahr bringen wollten. Aber der Nachgeschmack ist bitter: Die Schweiz schützt sich gegen die Einfuhren aus einem Landstrich, den ein schweizerisches Unternehmen mit noch immer unabsehbaren Folgen verseucht hat. Gewiss, die Überhitzung des Reaktors, die das Unglück bewirkte, war nicht die Konsequenz laxer und leichtfertig gehandhabter Vorschriften — soviel zumindest haben die Fachleute ermittelt. Es ist nach aller Erfahrung auch so, dass ein fortschreitendes Verhängnis, dessen Grenzen lange nicht sichtbar sind, sogleich den unbegrenzten Spekulationen ruft. Neben der Bestürzung über eine Katastrophe gibt es ja auch die publizistische Lust an ihr und das hemmungslose Geschäft mit ihr. Im Fall Seveso auch das politische. Dass ein schweizerisches multinationales Unternehmen mit vergangenen amerikanischen Entlaubungsaktionen sein Geld gemacht habe und an künftigen der Nato verdiene, war eine viel zu verlockende Behauptung, als dass sie hätte unterbleiben können. So penibel aber wie die kalkulierten Übertreibungen nehmen sich auch die ebenso kalkulierten Verharmlosungen aus. Was — noch so unbeabsichtigt — in Seveso geschah, und was sich sehr bald als ein Ereignis mit noch immer ungewissen Konturen herausstellte, verträgt keine billigen Beschwichtigungsversuche und noch weniger kaltschnäuzige Gelassenheit. Es genügt doch wohl, die Katastrophe von unten her zu betrachten, aus der Sicht der an Leib und Gut Betroffenen, um mitempfinden zu können, was mit dieser Explosion über einen ganzen Landstrich gekommen ist, seine Bewohner und seinen Boden. Nur wer mit einem erschreckenden Mangel an Vorstellungsvermögen geschlagen ist, mag heute noch denken, dass am Ende alles mit Geld wieder gutzumachen sei. Es gibt Werte, die man nur einmal verliert. Auch wenn die Abklärungen erst begonnen haben und die Ungewissheit noch weithin die Szene beherrscht, steht soviel doch seit Anbeginn fest: Mit dem schweizerischen Unternehmen, das die Giftkatastrophe von Seveso verursachte, ist die Schweiz als Herkunftsland mitbetroffen — selbst wenn sich bei uns das Private vom Oeffentlichen scheidet und von staatlicher Verantwortung keine Rede sein kann. Aber die Vermengung wird unvermeidlich, wenn sich ein Unglück zur Katastrophe weitet und wir uns gegen die Folgen abschirmen, die ein Unternehmen aus dem eigenen Land bewirkte. Bern aber, das sich eben erst in internationalen Zensuren übte, hüllte und hüllt sich in offizielles Schweigen, als wäre Seveso für uns noch so gut wie namenlos: kein vernehmliches Wort des Bedauerns, kein Hilfsangebot, nichts. Dafür werden wir den nächsten Monarchen beglückwünschen, der eine runde Jahreszahl feiert. Oskar Reck Kommentar von Oskar Reck zu ‹Seveso›: couragiert und unaufgeregt, ein Tonfall, der selten geworden ist. (Titelseite der Basler Nachrichten vom 7. August 1976)

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Basler Nachrichten, 28. Juli 1976: «Heute aus Seveso»: «Der Regen, der in den letzten Tagen über Norditalien gefallen ist, hat die Giftwolke über Seveso zwar aufgelöst — aber die Gefahr dauert an: Mit dem Regen wurden die giftigen Stoffe nämlich in die Erde geschwemmt und gelangen so möglicherweise in weitere Gebiete. In der Umgebung von Seveso haben sich nun Chemiker darangemacht, Proben des Regens zu sammeln und zu analysieren, um feststellen zu können, wie weit sich das Gift schon ausgebreitet hat.»

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Reck hatte die Basler Nachrichten verändert und schaufelte der Zeitung damit das eigene Grab. Er holte die Leser im — nach Meinung des Verwaltungsrates — falschen Lager ab und verwischte die einst klar konservative Linie der BN. Die Gunst der Geldgeber schwand dahin — und damit auch die Bereitschaft, die Defizite der Zeitung zu decken. Jahrelang hatte das Konsortium aus Banken und Chemie das Fortbestehen der Basler Nachrichten gesichert — bis sich in den Siebzigerjahren eine Haltung herausschälte, die seitens der BN als starker Motor für die Fusion wirkte: Desinteresse. In der Radiosendung ‹Kontroversen›, die wenige Tage nach Bekanntgabe der Fusion ausgestrahlt wurde, wurde der ehemalige BN-Chefredaktor Peter Dürrenmatt gefragt, ob die BN von der NZ übernommen worden seien, «weil das Konsortium, das bisher das Defizit von den Basler Nachrichten gedeckt hat, der Bankverein, Bank Sarasin, Basler Chemie, Ciba-Geigy / Sandoz und Basler Versicherungsgesellschaften Bâloise nicht mehr gewillt waren, das weiter zu tun». Dürrenmatt antwortete, dass «offenbar niemand mehr da gewesen» sei, der die Meinung vertrat, «dass es sich lohnen würde, weiterzumachen mit den Basler Nachrichten». Die BN entfernten sich nicht nur inhaltlich und ideell immer weiter von der traditionellen Leserschaft, es hatte sich auch parallel dazu in den traditionellen Familien der Stadt ein Wechsel vollzogen, der eine weniger den Traditionen und Werten des Basler Bürgertums verpflichtete ‹Daig›-Generation hervorbrachte. Damit gesellte sich zur politischideologischen eine generationelle Kluft. Diejenigen, die noch am Hebel sassen, waren mit den BN nicht mehr zufrieden. Und die Jungen, die den BN durchaus wohlgesinnt waren, sassen nicht am Hebel. Die nachkommende ‹Daig›-Generation verfolgte andere Lebensziele, als im Kader der Unternehmen ihrer Eltern Einsitz zu nehmen. Sie engagierte sich auch in anderen Bereichen, suchte ihre eigenen Aufgaben. «Der Daig verlor seine Macht», meinte ein Interviewpartner. Deshalb waren die potenziellen Geldgeber dieser neuen Basler Nachrichten nicht mehr deckungsgleich mit den tatsächlichen Financiers in Unternehmen wie Ciba-Geigy oder Hoffmann-La Roche. Die strukturelle Gebundenheit der Zeitung lief ins Leere und musste neu geregelt werden. Ein alternatives Finanzierungsmodell musste her.

Der Untergang der Basler Nachrichten Am Samstag, 12. November 1976 wurde Oskar Reck von Alfred Sarasin in die Sarasin-Bank an der Freien Strasse bestellt. Dort wurde dem Chefredaktor mitgeteilt, dass die Fusion beschlossene Sache sei. 29 Die Geschichte der BN war zu Ende. 247 Jahrgänge hatte das 29

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Leuzinger/Schlumpf (1977).


Blatt — seine Vorläufer einbezogen — überdauert, am 29. Januar 1977 erschien die letzte Ausgabe. Reck hatte sich seiner prominenten Vorgänger als würdig erwiesen, er hatte die BN zu einer Blütezeit geführt und zugleich deren Niedergang mit verursacht. In der letzten BN-Ausgabe veröffentlichte der scheidende Chefredaktor auf der dritten Seite einen emotional gefärbten Artikel: «Das waren die Basler Nachrichten». Wer den Text liest, dem wird schnell klar: Die Kluft zwischen dem Verwaltungsrat und dem Chefredaktor war zu gross geworden. Was Reck mit seinen BN vorhatte und was der Verwaltungsrat für das Blatt plante, hatte nichts mehr miteinander zu tun. Die Basler Nachrichten endeten, weil Journalisten und Financiers nicht länger an einem Strick zogen.

Literatur Blum, Roger: Oskar Reck (1920–1996). Publizist, Rhetor, «Linienrichter». In: Basler Stadtbuch 117, Basel 1996, S. 55–59. Dürrenmatt, Peter: Zeitwende. Stationen eines Lebens. Luzern 1986. Fehr, Hans: Dufourstrasse 40. Ein Stück Basler Zeit(ungs)geschichte. Basel 1983. Leuzinger, Fridolin/Schlumpf, Roland (Hg.): Exekution einer Zeitung. Zur Basler Zeitungs-‹Fusion›. Basel 1977. Platz, Hans-Peter: «Freundschaft und gut schreiben». In: Oppenheim, Roy/Steinmann, Matthias/Zölch, Franz A. (Hg.): Journalismus aus Leidenschaft. Oskar Reck — ein Leben für das Wort. Bern 2003. Stibler, Linda: Wie Basel zur Monopolzeitung kam. In: Pecinska, Ursula (Hg.): Basel. Visionen und verpasste Chancen. Erinnerungen, Stellungnahmen, Polemiken. Basel 2000, S. 137–143.

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